Die Zwei - Maschinen dokumentieren

Text: Martin Rieder

Im Juni 2019 ist die Norm ISO 20607 erschienen, mit dem Anspruch, spezifischer auf sicherheitsrelevante Anforderungen in Betriebsanleitungen einzugehen als die IEC/IEEE 82079-1 Edition 2. Was ist an diesem Anspruch dran? Eine Gegenüberstellung der beiden Normen schafft Klarheit.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 12:19 Minuten

Die IEC/IEEE 82079-1 hat sich zu einem etablierten und beliebten Standard entwickelt, der in den meisten Branchen angewendet wird. Mit der Edition 2, erschienen im Mai 2019, bleibt die Norm am Puls der Zeit. Dies erkennt man an den geänderten und neu hinzugekommenen Anforderungen an Prozesse, Qualität und Kompetenzen der Ersteller von Informationen zum Gebrauch [1]. Mit der ISO 20607 kommt eine zweite Norm mit Vorgaben für den Maschinen- und Anlagenbau hinzu.

Entstehung und Bezug

Die ISO 20607 entstand in der Arbeitsgruppe 5 des Technischen Komitees 199 von ISO, International Organization for Standardization. Von Beginn an handelte es sich um eine reine ISO-Norm ohne Beitrag oder Verbindung zur Joint Working Group 16. Diese ist wiederum für die Überarbeitung der IEC/IEEE 82079-1 verantwortlich. Somit entstanden einige Parallelen und Überschneidungen aufgrund mangelnden Informationsaustausches und Akzeptanz der Edition 2 der IEC/IEEE 82079-1. Nach Veröffentlichung des Entwurfs der ISO 20607 wurden aus 13 Ländern rund 500 Kommentare abgegeben. Das Herausgabedatum der finalen Norm war für November 2019 geplant. Erschienen ist sie bereits in der ersten Juni-Hälfte, wenige Wochen nach der Veröffentlichung der IEC/IEEE 82079-1. Eine Übersicht mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden der beiden Normen liefert Tabelle 01.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Tab. 01 Quelle Martin Rieder

Zielgruppe der Norm

Die ISO 20607 beschreibt zu Beginn, welche Zielgruppen angesprochen werden. Daraus ist ersichtlich, dass es drei Hauptgruppen gibt (Abb. 01). Der Fokus liegt auf der Hersteller- und Behördenseite. Für Hersteller bietet die Norm ein einfaches Kochrezept. Ob auch alle Inhalte in der Betriebsanleitung enthalten sind, lässt sich mit der Norm einfach nachprüfen. Durch den einfachen Aufbau lässt sich ohne großen Aufwand eine Checkliste erstellen.

ISO 20607

Abb. 01 Zielgruppen der ISO 20607. Quelle Martin Rieder

Für die Betreiber von Maschinen soll die Norm einen Zusatznutzen darstellen. Nach Erhalt einer Maschine können sie mit der ISO 20607 nachprüfen, ob die gelieferte Betriebsanleitung dem Stand der Technik entspricht und die Konformitätsvermutung nach der Maschinenrichtlinie besteht. Die neue Norm richtet sich auch an Dienstleister, die Betriebsanleitungen für Maschinen erstellen werden. Auch Normungsinstitutionen sollen eine Grundlage für die Erarbeitung von Typ-C-Normen erhalten, um die Anforderungen an sicherheitsrelevante Inhalte dort weiter präzisieren zu können.

Schnittstellen zu IEC/IEEE 82079-1

Nach der Forderung eines normativen Verweises aus der ISO 20607 zur IEC/IEEE 82079-1 bekam die ISO-Arbeitsgruppe Gegenwind zu spüren. Bereits im Anwendungsbereich der Norm wird nun klar angeführt, dass allgemeine Prinzipien zu Konzeption und Gestaltung von Nutzungsinformationen der IEC/IEEE 82079-1 zu entnehmen sind. Ein erster Anhaltspunkt zur Arbeit mit der Norm, der zeigt, dass grundsätzlich beide Normen beachtet werden sollen. Allgemeine Anforderungen sind demnach in der IEC/IEEE 82079-1 geregelt. Die ISO 20607 liefert lediglich Basisvorgaben für sicherheitsrelevante Inhalte.

Den gleichen informativen Verweis gibt es auch in Kapitel 4 „Grundsätze und allgemeine Informationen“. Im 6. Kapitel der Norm „Sprache und Formulierung/Style Guide“ verweist sie ebenfalls darauf, dass die IEC/IEEE 82079-1 detailliertere Vorgaben liefert. In diesem Kapitel regelt die Norm Anforderungen zu Sprachfassungen und präzisiert so die Vorgaben der Maschinenrichtlinie. Eine weitere Schnittstelle bildet das Kapitel 7. Es regelt die Publikationsformen der Betriebsanleitung. Hier wurde eine Angleichung an die IEC/IEEE 82079-1 geschaffen und so dem technologischen Fortschritt Tür und Tor geöffnet.

Der Anhang B der Norm stellt weniger eine Schnittstelle, sondern mehr eine Kopie der Vorgaben zu Darstellung und Formatierung aus der IEC/IEEE 82079-1 dar. Anfängliche Widersprüche wurden durch die Verwendung derselben Vorgaben aus der IEC/IEEE 82079-1 bereinigt, inklusive informativem Verweis dazu. Bei der Arbeit mit ISO 20607 wird so rasch klar, dass Nutzungsinformationen auch für Maschinen nur unter Anwendung beider Normen bestmöglich zu erstellen sind. Die Schnittstellen zwischen den beiden Normen zeigt Abbildung 02.

Schnittstellen zwischen den Normen

Abb. 02 Schnittstellen zwischen ISO 20607 und IEC/IEEE 82079-1. Quelle Martin Rieder

Grundsätze und allgemeine Prinzipien

In Kapitel 4 der ISO 20607 steht, dass Betriebsanleitungen für Maschinen mit allen Informationen ausgestattet sind, die Nutzer in die Lage versetzen, sie sicher und effizient während des gesamten Lebenszyklus betreiben zu können. Die Norm legt hier Wert auf den einfachen Kommunikationsablauf Sehen – Denken – Anwenden, unter Berücksichtigung der Zielgruppe(n) und der vernünftigerweise vorhersehbaren Fehlanwendung. Informationen sollen so gestaltet werden, dass diese nach kurzem Nachdenken zum richtigen und sicheren Handeln anregen.

Die ISO 20607 fordert, alle Zielgruppen mit relevanten Informationen zu versorgen. Als Zielgruppen listet die Norm nur einen kleinen Personenkreis auf. Detailliertere Vorgaben zu den Zielgruppen für Informationsprodukte liefern die IEC/IEEE 82079-1 im Abschnitt 6.2.2 und die ISO/IEC 26514. Hier sollten Technische Redakteure und Redakteurinnen im Maschinenbau anfangen, mit diesen Standards zu arbeiten. So lassen sich bessere Ergebnisse bei zielgruppengerechten Betriebsanleitungen erzielen.

Ebenso wurden die Grundprinzipien für das Verfassen der Inhalte in der ISO 20607 auf ein Minimum reduziert. Die Prinzipien der Norm sind eine nahezu vollständige Übernahme der Prinzipien aus der IEC/IEEE 82079-1. In der ISO-Norm sind sie jedoch in deutlich vereinfachter Form dargestellt. Hier ist die IEC/IEEE 82079-1 detailgetreuer und gibt umfangreichere Anforderungen zur Sicherstellung und Einhaltung, wobei in Anhang C der ISO 20607 wertvolle und hilfreiche Tipps als Hilfestellung angeführt werden.

Etwas detaillierter beschreibt die ISO 20607, wie Betriebsanleitungen als Dokument ausgeführt werden können. Hier ermöglicht die Norm, dass nicht nur Gesamtdokumente, sondern auch ein Set aus mehreren Einzeldokumenten erstellt werden kann. Vor allem dann, wenn verschiedene Inhalte für unterschiedliche Zielgruppen bestimmt sind. Oder für den Fall, wenn ein Gesamtdokument einfach zu komplex und unübersichtlich wäre und einzelne Dokumente für unterschiedliche Lebensphasen erstellt werden. Somit kann die Bedienungsanleitung für das User Interface oder die Anleitung für das korrekte Einstellen spezieller Schaltteile als eigenständiges Dokument, jedoch als Bestandteil der gesamten Betriebsanleitung erstellt werden. Gerade im Maschinenbau ist dies gängige Praxis. Die Ersteller dieser Informationsprodukte haben darauf zu achten, dass jederzeit ein Zusammenhang der Einzeldokumente gewährleistet und erkennbar ist.

Ebenso einfach hält es die ISO 20607 im Umgang mit Zulieferdokumentationen für Komponenten oder Teilsysteme einer Maschine. Die Norm liefert lediglich zwei Basisvorgaben:

  • Dokumente können direkt in die Betriebsanleitung übernommen werden
  • auf relevante Teile der Original­anleitung des Zulieferers kann aus der Betriebsanleitung des Maschinen­herstellers heraus verwiesen werden.

Hier verfolgt die Norm ebenfalls einen äußerst pragmatischen Ansatz.

Hilfe bei Produktschildern

Auch wenn sich die ISO 20607 mit Maschinensicherheit beschäftigt, bleibt die Norm bei Warnungen vor Gefahren äußerst zurückhaltend mit Informationen. Im Normentwurf war noch eine Anlehnung an die Prinzipien der Reihe ANSI Z535 enthalten. Während der Kommentierung der Norm wurde gefordert, dass auch ISO-Prinzipien berücksichtigt werden, um den Anforderungen einer international anwendbaren Norm gerecht zu werden. In der finalen Fassung der ISO 20607 ist dann nicht mehr viel Aussagekräftiges übriggeblieben – zum Erstaunen von Projektbeteiligten. Neu ist allerdings, dass die Verwendung von Symbolen auf Geräten nach der ISO 7000 per Norm ermöglicht wird. Dies bietet eine kleine Hilfestellung/Erweiterung für die Gestaltung von Produktschildern und Informationsprodukten.

Letztlich ist die Norm mit Informationen zu Warn- und Sicherheitshinweisen spärlich bestückt. Lediglich der Aufbau von Warnhinweisen nach dem bekannten SAFE-Prinzip wird gefordert: Signalwort, Art und Quelle der Gefahr, Folgen bei Missachtung der Sicherheitsvorschriften, Möglichkeiten zum Entkommen/Vermeiden von gefährlichen Situationen, Vorgängen oder Betriebszuständen. Jedoch verweist die Norm auf die Risikobeurteilung und die Maßnahmen zur Risikominimierung. Hier gibt es nun von normativer Seite die Forderung, dass verallgemeinerte Warnungen vor Restrisiken vermieden werden müssen. Warnungen müssen direkt an die betroffene Zielgruppe gerichtet sein. Dies erfordert in der Praxis mehr Aufmerksamkeit, womit ein weiterer Brückenschlag zur IEC/IEEE 82079-1 erfolgen sollte.

Inhalt und Struktur von Anleitungen

Zum Kern der ISO 20607 zählt das Kapitel 5. Es gibt Inhalt und Struktur der Betriebsanleitung für Maschinen vor. Die Norm liefert eine vorgefertigte Struktur mit vorgegebenem Inhalt, stellt dies aber als Kann- und nicht als Muss-Bestimmung dar. Ein Beispiel für die Struktur einer Betriebsanleitung nach ISO 20607:

  • Grundbestandteile mit Titelseite, Inhaltsverzeichnis und Einführung/Zweck der Betriebsanleitung
  • Sicherheit, mit Angabe allgemeiner Sicherheitsinformationen und Sicherheitshinweise
  • Maschinenübersicht
  • Transport, Handhabung und Lagerung
  • Montage, Installation und Inbetriebnahme
  • Einstellungen des Herstellers, zum Beispiel Sicherheitsparameter, Einstellwerte für Pneumatik, Hydraulik oder auch mechanische Einstellwerte
  • Betrieb/Bedienung
  • Produkt- oder Kapazitätswechsel
  • Inspektion, Prüfung und Instandhaltung
  • Reinigung und Desinfektion
  • Fehlersuche und -behebung
  • Außerbetriebnahme, Demontage und Verschrottung
  • Ergänzende Dokumente und Zeichnungen
  • Index, Glossar, Beilagen

Natürlich passen nicht alle strukturellen und inhaltlichen Vorgaben zu allen Maschinen, so dass bei der Erstellung der Betriebsanleitung auch davon abgewichen werden muss. Die Entscheidung über den strukturellen Aufbau und den Inhalt kann daher nicht allein auf der Vorgabe der Norm beruhen. Hierfür sind wiederum Schritte im Informationserstellungsprozess erforderlich, die in diesem Standard nicht ausgeführt werden. Hier werden Technische Redakteure wiederum über den normativen Tellerrand blicken müssen.

Passend zum Charakter des Kochrezepts steht in Kapitel 5 eine detaillierte Aufstellung zum Inhalt jedes einzelnen Kapitels einer Betriebsanleitung. Ebenso bietet die ISO-Norm eine Hilfestellung bei der Zusammenstellung des Kapitels Sicherheit.

Neu ist in dieser Norm das Muster einer Fehlerliste. Die Liste könnte zu einer wertvollen Hilfestellung für Technische Redakteure werden. Sie gibt vor, dass neben dem Fehler auch Informationen zu Lokalisierung, Fehlerbeseitigung und Wiederherstellung der Maschinenfunktionalität gegeben werden. Ergänzt wird die Liste durch eine Klassifizierung und durch eine Zuweisung der Tätigkeiten zum erforderlichen Fachpersonal. Es müssen geeignete Rollen zur Fehlerbehebung definiert werden. Auch hier entspricht die ISO 20607 dem Charakter eines Leitfadens.

Erwähnenswert ist auch die Vorgabe, dass Ersatzteile nicht nur in Form einer Liste bereitgestellt werden. Es müssen auch alle Ersatzteile deutlich gekennzeichnet werden, die für den sicheren Betrieb der Maschine erforderlich sind. Zu diesen Teilen müssen bei Bedarf spezielle Informationen beigefügt werden, um einen sicheren Maschinenbetrieb zu ermöglichen. Hier sind Technische Redakteure an der Schnittstelle zur Produktentwicklung gefordert. Denn die Festlegung von sicherheitsrelevanten Ersatzteilen darf nicht allein von der Technischen Redaktion entschieden werden.

Für die Technische Redaktion gibt es durch die ISO 20607 eine weitere Herausforderung: Betriebsanleitungen für Maschinen mit IT-Kommunikationsschnittstellen müssen umfassende Informationen zur Gewährleistung und Aufrechterhaltung der Sicherheit in und ausgehend von den IT-Systemen enthalten. Das bedeutet, dass Informationsprodukte in Verbindung mit der zuvor durchgeführten Risikobeurteilung und eventuell weiteren Gefährdungsanalysen IT-Schwachstellen beschreiben müssen, die für die Verwender/Betreiber der Maschine eine Rolle spielen.

Dokumentation von IT-Sicherheit

Bei der IT-Sicherheit verweist die Norm auf ein technisches Regelwerk, das ebenfalls neu ist: ISO/TR 22100-4. Das Regelwerk erweitert die ISO 12100 und soll über die Sicherheit von IT-Systemen auf Maschinen umfangreiche Informationen liefern. Die ISO 20607 verpackt diese Anforderungen in einem knappen Hinweis. Das Thema IT-Sicherheit erschließt sich ohnehin erst mit Blick in das neue Regelwerk. Anforderungen an Benutzerinformationen darin haben einen wesentlichen Einfluss auf die Inhalte von Betriebsanleitungen zum Thema IT- Sicherheit, wie zum Beispiel:

  • Informationen zu Benutzerrechten und deren Beschränkungen (Rollenzuteilung)
  • Anleitungen und Informationen zum Erstellen individueller Benutzerkonten und der Verwaltung dieser Konten
  • Vorgaben zu Maßnahmen der Risikominderung, wie zum Beispiel Passwort-Aktualisierung, Aktualisierung von Firewalls und Anti-Viren-Software
  • Informationen zur Nutzung von Authentifizierungs- und Zugriffskontrollmechanismen, wie zum Beispiel Kartenlesesysteme, konventionelle, elektronische oder digitale Schlösser
  • Vorgaben zum Einspielen von Updates
  • Maßnahmen zur Gewährleistung der IT-Sicherheit auf Maschinen, wie zum Beispiel bei Zugriffen zur Fernwartung
  • Informationen zur regelmäßigen Systemüberprüfung und zur Erkennung fehlerhafter Systemkomponenten oder nicht erreichbarer Systemdienste

Schon jetzt sind die Technische Redaktion und die Ersteller von Risikobeurteilungen bei der IT-Sicherheit äußerst gefordert. Auch hier kann und darf das Thema nicht alleine auf den Schultern von Technischen Redakteurinnen und Redakteuren lasten. Vielmehr ist ein umfassender Beitrag von Spezialisten erforderlich. Dennoch muss die Technische Redaktion über ein Mindestmaß an Wissen über IT-Sicherheit verfügen.

Elektronische Publikationsmedien

Eine Übereinstimmung zwischen ISO 20607 und IEC/IEEE 82079-1 gibt es bei der Bereitstellung von Informationsprodukten über verschiedene Medien und Kanäle hinweg. Obwohl sich der Regelungsumfang der ISO 20607 nur auf Betriebsanleitungen beschränkt, sind die darin aufgeführten Möglichkeiten interessant im Zusammenspiel mit der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG.

Seit ihrer Veröffentlichung stehen wenige Abschnitte der Richtlinie so in der Kritik wie fehlende Mindestvorgaben zur Bereitstellung der Betriebsanleitung. Der bekannte, heftig diskutierte und rechtlich nicht eindeutig vorgeschriebene Konsens, relevante Informationen zur Sicherheit und zum Gesundheitsschutz ausschließlich in Papierform bereitzustellen, wird durch die ISO 20607 an den Stand der Technik angepasst. Auch die IEC/IEEE 82079-1 ermöglicht es, dass unterschiedliche Medien ausgewählt werden können, die zum Produkt und zu den Verwendern passen. Sobald die Norm zur Maschinenrichtlinie harmonisiert ist, wird die Technische Redaktion auf Basis der Norm legitimiert zu handeln und trotzdem die Auslösung der Konformitätsvermutung sicherzustellen. Abweichend von der klassischen Papierform können demnach auch andere Medien eingesetzt werden. Hierbei verweist die Norm, ebenso die Sprachfassung betreffend, auf die geltenden rechtlichen Bestimmungen im jeweiligen Zielland. Erst wenn solche Bestimmungen fehlen, wird auf die Einhaltung vertraglicher Vorgaben verwiesen. Technische Redakteure sollten hier gemeinsam mit Experten für Produktkonformität agieren und falls nötig juristischen Rat hinzuziehen.

Erlaubt sind nach der ISO 20607 folgende Formen der Publikation bzw. Bereitstellung – wobei eine oder mehrere Formen gewählt werden können:

  • Ausgabe der Betriebsanleitung in gedruckter Form
  • Bereitstellung auf einem elektronischen Speichermedium, das mit der Maschine verfügbar ist
  • Bereitstellung durch Zugriff auf externe Server, Webseiten oder sonstigen Speichermöglichkeiten, zum Beispiel Cloud-Speicher
  • Bereitstellung auf internen Servern oder Speichermedien
  • Bereitstellung als Audio- oder Videoanleitung auf Steuerterminals, auf Webseiten, als Tonaufzeichnung oder im Internet abrufbar

Im Maschinenbau dürften viele Technische Redaktionen aufatmen, wenn sie die Möglichkeiten neuer Medien sehen. Es darf aber nicht vergessen werden, dass die Form der Betriebsanleitung oder von Teilen davon zur bestimmungsgemäßen Nutzung, den Zielgruppen und der Verwendungsumgebung passen muss. Kann die Bereitstellung auf digitalen Medien nicht garantiert werden, bleibt auch weiterhin nur der Griff zum gedruckten Handbuch.

Gründe für die ISO 20607

Mit der ISO 20607 wird beansprucht, die Norm sei eine Art Kochbuch für die Erstellung von Betriebsanleitungen. Sie enthält eine pragmatische Konkretisierung der Anforderungen aus der ISO 12100 Abschnitt 6.4 und kann auch ohne größere Kenntnisse über Technische Kommunikation verstanden und angewandt werden. Nicht so die Anwendung der IEC/IEEE 82079-1. Sie stellt eine Technische Redaktion vor tiefgreifende Themen und Aufgaben.

Bei der ISO 20607 geht es um Basisvorgaben für eine rechtskonforme und sicherheitsgerechte Betriebsanleitung für Maschinen – ein wichtiger Aspekt für Maschinenbauunternehmen. Die Norm kann in diesem Fall als Erste-Hilfe-Instrument angesehen werden. Sie unterstützt Unternehmen ohne Fachpersonal oder ohne eigene Technische Redaktion. Unternehmen können einen Leitfaden erhalten, mit dem sie ihre Betriebsanleitungen auf ein Mindestniveau anheben und konform zu den geltenden gesetzlichen Vorgaben erstellen.

In der Praxis zeigte sich auch, dass es Behörden bei der Überprüfung auf Einhaltung rechtlicher Vorgaben schwer haben, Betriebsanleitungen für Maschinen zu überprüfen. Zum Beispiel um festzustellen, ob eine Betriebsanleitung dem Stand der Technik entspricht. Die ist ein weiterer Vorteil der ISO 20607. Denn Behörden oder Gutachter von Betriebsanleitungen für Maschinen werden zunächst nicht die Prozess-, Qualitäts- und Kompetenzanforderungen der IEC/IEEE 82079-1 ansetzen. Sie werden sich aller Voraussicht nach erst an diesem Mindeststandard orientieren.

Dritter und letzter Aspekt, der für die ISO 20607 spricht: Maschinenbetreiber, die keinerlei Fachkompetenzen haben, können mit der Norm rasch und einfach überprüfen, ob die mitgelieferte Betriebsanleitung in Ordnung ist oder Mängel hat. Dies könnte zum Beispiel für die Einkaufsabteilungen oder die Wareneingangskontrolle hilfreich sein. Man muss aber eingestehen, dass in der Norm keine umfassenden Antworten auf tiefgreifende Fragen Technischer Redaktionen stehen. Dies zeigt sich bereits bei den Warnhinweisen, wo in der Norm lediglich ein knapper Hinweis zum inhaltlichen Aufbau gegeben wird. Eine Kategorisierung fehlt komplett, wie wir sie aus IEC/IEEE 82079-1 oder gar aus der ANSI Z535 kennen.

Offensichtlich ist, dass sich die beiden Normen ergänzen und teilweise überschneiden. Problematische Überschneidungen sollten inzwischen beseitigt worden sein.

Die Normen im Zusammenspiel

Die ISO 20607 ist mit ihrem Anwendungsbereich für Maschinen eindeutig begrenzt und klar definiert. Im Gegenzug liefert die IEC/IEEE 82079-1 umfassendere Vorgaben und Ansätze. Sie ist als Horizontalnorm ausgelegt und kann daher ohne weiteres auch auf die Produktgruppe Maschinen angewandt werden.

Nachdem die ISO 20607 vorwiegend inhaltliche Vorgaben macht, wird bei der IEC/IEEE 82079-1 Wert auf Struktur, Prozess und Kompetenzen gelegt. Überschneidungen betreffen vorrangig formale und teilweise inhaltliche Anforderungen. Nach anfangs schwerwiegenden Unstimmigkeiten wurden die Überschneidungen auf ein Minimum verkleinert. Es sollte daher einfach möglich sein, beide Normen in der Praxis anzuwenden. Tabelle 02 vergleicht die beiden Normen im Überblick.

Vergleich zwischen den beiden Normen

Tab. 02 Quelle Martin Rieder

Der Blick in beide Normen

Eine Technische Redaktion im Maschinenbau ist gut beraten, mit dem Erscheinen der ISO 20607 parallel mit beiden Normen zu arbeiten. Die Norm ist für das Erstellen einer Betriebsanleitung „auf die Schnelle“ geeignet. Für die grundlegende Konzeption der Technischen Dokumentation eines Maschinenbauunternehmens reicht sie aber nicht aus. Umfassende Ansätze, Prinzipien, Kriterien, Grundlagen und Prozesse stehen vor konkreten Lösungen. Die IEC/IEEE 82079-1 setzt Kenntnisse in der Informationsentwicklung voraus und erfordert Konzeptarbeit.

Die IEC/IEEE 82079-1 bildet somit die Grundlagennorm und sollte bei der Erstellung von Informationsprodukten, also auch Betriebsanleitungen für Maschinen, immer genutzt werden. Parallel dazu und um die Konformitätsvermutung (nach erfolgter Harmonisierung) auszulösen, sollte die ISO 20607 im Maschinenbau angewandt werden. Der Blick in beide Normen wird sich für Technische Redaktionen im Maschinenbau auf alle Fälle als wertvoll erweisen.

literatur zum beitrag

[1] Schmeling, Roland; Schneider, Stephan (2018): Der neue Stand der Technik. In: technische kommunikation, H. 6, S. 30–38; www.technischekommunikation.info

Vergleich zwischen IEC/IEEE 82079-1 und ISO 20607