Komplexität im großen Ganzen

Text: Markus Nickl

Die Ursachen komplexer und damit schlecht verständlicher Texte sind vielschichtig. Typische Verständlichkeitsfallen sind etwa Nebensätze oder Attribute. Wer damit umsichtig umgeht, hat schon einen wesentlichen Schritt getan, die Textqualität zu erhöhen.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 03:25 Minuten

Nicht immer sind die Dinge komplex, es wird nur komplex darüber geredet – oder geschrieben. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Wortwahl. [1] Im Alltag sind es aber oft die sprachlichen Strukturen jenseits der Wortebene, die für besonders hartnäckige Verständigungsprobleme sorgen.

Mehr als ein Wort

Zwischen Wort und Satz gibt es eine sprachliche Ebene, über die man sich oft nur wenig Gedanken macht. Es sind mehrteilige, zusammenhängende Ausdrücke, die als Einheit verwendet werden. Besonders die Funktionsverbgefüge sorgen dabei für Komplexität in den Texten. Funktionsverbgefüge sind vergleichsweise feste Verbindungen zwischen einem inhaltsleeren Verb und einem substantivierten Verb, das die eigentliche Verbbedeutung trägt.

Das klingt verwirrend, wird aber am Beispiel schnell klar. Typische Funktionsverbgefüge sind etwa „in Rechnung stellen“, „in Anschlag bringen“ oder „Zustimmung erteilen“. Zu all diesen Konstruktionen gibt es bedeutungsgleiche einfache Verben; in unserem Beispiel sind das „berechnen“, „veranschlagen“ und „zustimmen“.

Dass Funktionsverbgefüge komplexer sind als das einfache Verb, ist offensichtlich. Doch warum gibt es dann diese Konstruktionen? Ihre wesentliche Funktion besteht darin, sich von dem Geschehen zu distanzieren. Es ähnelt in dieser Funktion zum Beispiel dem Passiv, und wie das Passiv kommen Funktionsverbgefüge deshalb häufig in Fachtexten vor, etwa in Behördenschreiben oder wissenschaftlichen Aufsätzen.

Für die Technische Dokumentation sind Funktionsverbgefüge eher ungeeignet. Denn im Kern geht es bei Technischen Dokumentationen ja gerade um die Handlungen am Produkt. Wir sollten daher durch unsere Formulierungen keine kognitive Barriere zu diesen Handlungen aufbauen.

Spiel, Satz und Sieg

Weitere Komplexität kommt auf der Satz­ebene hinzu. Mit Sätzen, wie sie organisiert sind und wie sie sich gestalten lassen, haben wir uns in der ‚technischen kommunikation‘ häufiger beschäftigt. [2, 3] Wir können uns deshalb hier kurzhalten.

Eine Frage möchte ich an dieser Stelle aber dennoch klären. Immer wieder bitten mich Technische Redakteure und Redakteurinnen einzuschätzen, welche Eigenschaften bei Sätzen sich am gravierendsten auf die Verständlichkeit auswirken. Aus meiner Sicht sind das zwei Phänomene. Und nein, die Satzlänge gehört nicht dazu. Sehr viel entscheidender ist zum einen die Frage, wie viele Nebensätze ein Satz enthält und an welcher Stelle sie stehen. Ein Nebensatz am Ende des Satzes ist weitgehend unproblematisch. Mehrere Nebensätze oder Nebensätze zu Beginn oder in der Mitte des Satzes führen aber zu einer komplexeren Verarbeitung der Satzaussage. Sie stellen deshalb ein Problem für viele Zielgruppen dar.

Das zweite problematische Phänomen auf Satz(-teil)ebene sind komplexe Attribute. [4] Solche komplexen Attribute entstehen meist dadurch, dass ein Satz oder Nebensatz zu einem Attribut verdichtet wird. Es kommt zu einer paradoxen Situation. Der Text wird kürzer (was eigentlich ja gut ist), aber gleichzeitig auch komplexer. Denn derselbe Informationsgehalt wird in eine dichtere Form gepresst. Gleichzeitig muss die Aufmerksamkeit bei der Sprachverarbeitung länger aufrechterhalten werden.

Wenn Sie die beiden Sätze im nachfolgenden Beispiel vergleichen, wird dieser Effekt schnell deutlich:

Als Attribut

  • Das unter Reinraumbedingungen zu installierende und betreibende Modul wird als Easy-Plug-Variante ausgeliefert.

Als zwei Sätze

  • Das Modul wird als Easy-Plug- Variante ausgeliefert. Es ist unter Reinraumbedingungen zu installieren und betreiben.

Auf das Ganze kommt es an

Als letzte Ebene der sprachlichen Komplexität kommt die Textebene hinzu. Oft wird das als Gliederung bezeichnet und mit dem Inhaltsverzeichnis verwechselt. Wenn dann die Gliederung erst am Ende des Schreibprozesses entsteht, dann ist das Chaos perfekt. Denn eine sinnvolle Gliederung ist etwas, was am Anfang des Schreibens stehen sollte, damit ein roter Faden die Texte durchzieht.

In Technischen Redaktionen ist die Gliederung nur selten ein Thema. Das liegt an der Standardisierung der Texte, die in unserer Branche ja durchaus erwünscht ist. Dadurch wird eine Gliederung im Normalfall nur einmal erstellt und dann für alle gleichartigen Dokumente in derselben Form verwendet.

Im Prinzip ist das gut so. Allerdings sollte jede Technische Redaktion gelegentlich überprüfen, ob die verschiedenen Standardgliederungen wirklich so gut nachvollziehbar sind, wie man vielleicht denkt. Denn nur, weil man seine Texte schon immer so gegliedert hat, heißt das nicht, dass es nicht vielleicht auch einfacher geht.

Komplexität im Griff

Komplexität – so haben wir gesehen – existiert in vielerlei Form: als sachliche und als sprachliche Komplexität und auf Wort-, Satz- und Textebene. Es ist die Kernaufgabe von Technischen Redaktionen, diese Komplexität für die Zielgruppen ihrer Dokumente auf ein einfaches Maß herunterzubrechen.

Damit Technische Reaktionen dieser Aufgabe gerecht werden können, müssen sie ein klares Verständnis davon haben, wo Komplexität auftritt und wie sie sich äußert. Erst dann kann aus Technischer Dokumentation nutzbares Wissen werden.

Literatur zum Artikel

[1] Nickl, Markus (2024): Ein Ausdruck von Komplexität. In: technische kommunikation, H. 2, S. 25–26.

[2] Nickl, Markus (2019): Was steht wo im Satz? In: technische kommunikation, H. 3, S. 42–43.

[3] Nickl, Markus (2023): Wann ist der Satz ein Satz? In: technische kommunikation, H. 5, S. 32–33.

[4] Nickl, Markus (2019): Attribute oder die Teile der Teile. In: technische kommunikation, H. 5, S. 39–40.

Eine junge Frau liest aufmerksam in einem Buch.