Zehn Fragen zu iiRDS

Wie bewährt sich iiRDS im Unternehmen, zum Beispiel im Kraftwerksbau? Welche Potenziale hat der Standard und wo besteht Verbesserungsbedarf? Michael Straeter und Tobias Köffer von Siemens Energy geben Antworten.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 08:36 Minuten

Der „intelligent information Request and Delivery Standard“ (iiRDS) definiert einheitliche Metadaten für alle Informationsprodukte. Damit vereinfacht er den Informationsaustausch, zum Beispiel zwischen einem Hersteller und seinen Lieferanten. Aber auch innerhalb des Unternehmens kann iiRDS die Informationsprozesse verbessern, etwa bei Siemens Energy.

1. Wie sind Sie auf iiRDS gestoßen und seit wann beschäftigen Sie sich damit?

Michael Straeter: Zuerst sind wir über die tekom auf das Thema aufmerksam geworden, deren Veröffentlichungen und Veranstaltungen wir natürlich verfolgen. Seit 2018 diskutieren wir das Thema intern und sind mit Dienstleistern und Lieferanten ins Gespräch gekommen. 2019 haben wir dann ein erstes Pilotprojekt aufgesetzt. Darin ging es um die Frage, ob wir unsere zentralen Informationsprodukte in iiRDS darstellen können. Und das ging.

Tobias Köffer: Unabhängig von den Änderungen in unseren eigenen Informationsprodukten haben wir uns auch mit den Möglichkeiten zur (halb-)automatischen Vergabe von Metadaten beschäftigt. Ziel war eine effiziente Aufbereitung von Inhalten, die außerhalb der CCMS erstellt werden, um sie zielgerichtet nutzbar zu machen. Es wurde sehr schnell klar, dass es hier ohne Standard auf Dauer nicht sinnvoll weitergehen kann, und iiRDS drängte sich da nahezu auf.

(CCMS = Component-Content-Management-System Red.)

2. Warum haben Sie sich für iiRDS entschieden?

Michael Straeter: In einem großen Unternehmen wie Siemens, später Siemens Energy, gibt es viele konkurrierende Anforderungen, Entwicklungen und Standards nebeneinander. Das ist ganz normal. Wir haben uns bei der Einführung unseres CCMS für PI-Mod und gegen DITA entschieden. Aber wir haben bald gesehen, dass wir dort ohne einen leitenden Standard unsere Taxonomie ins Unermessliche und zunehmend Unverständliche treiben. Gerade weil wir es im Kraftwerksbereich mit riesigen Produktpaletten und einer Unmenge an benötigten Informationen und eben sehr vielen ‚Standards‘ in den beteiligten Abteilungen zu tun haben. Als wir uns dann auch mit einer Erweiterung unseres redaktionellen Portfolios beschäftigt haben – für den Fall, dass die Zeit der fossilen Kraftwerke doch einmal zu Ende geht –, war uns klar, dass es ohne radikalen Rückschnitt der Taxonomien und eine Standardisierung, zugleich Minimalisierung (Stichwort DIN EN IEC/IEEE 82079-1) nicht gehen würde. Auf der Informationsseite schien uns iiRDS ein vielversprechender Ansatz dazu zu sein. Auf der Produktseite haben wir nach einigem Analysieren und Ausprobieren ebenfalls einen generischeren Ansatz gefunden. Beides zusammen hat allerdings auch Auswirkungen auf unsere Informationsprodukte und die redaktionellen Prozesse mit sich gebracht.

Tobias Köffer: Wir versuchen, Informationsempfängern eine toolunabhängige und standardisierte Möglichkeit zu schaffen, um unsere Inhalte abzurufen und mit ihnen arbeiten zu können. Nebenbei machen wir uns die Arbeit für die Zukunft etwas einfacher und legen Grundsteine für eine zunehmend digitale und granulare Nutzung, selbst in unserem recht traditionellen Umfeld des Kraftwerksbaus.

3. Für welche Produkte setzen Sie iiRDS ein?

Michael Straeter: Aktuell sind es vor allem Komponenten von Turbosatzkraftwerken. Im Detail handelt es sich um Neubau- und Servicedokumentation für Gasturbinen, Kondensatoren, Generatoren und Dampfturbinen für die Stromerzeugung. Neu hinzugekommen sind Wasserstoffproduktionsanlagen, Stromübertragungsanlagen (Hochspannungskonverter) sowie Werkzeug- und Vorrichtungsdokumentation im Kraftwerksbau. Nicht alle Bereiche sind hinsichtlich der Umsetzung von iiRDS auf dem gleichen Stand, einige sind noch im Umbau oder Aufbau.

Foto von zwei Gasturbinen für das Erzeugen von Energie.
Abb. 01 Große Kraftwerksgasturbinen in der Fertigung, Bauzeit mehrere Monate; die Technische Redaktion liefert die Dokumentation, bevor die Gasturbine am Bestimmungsort eintrifft. Quelle Siemens Energy

4. Wie verwenden Sie iiRDS in der Technischen Redaktion?

Michael Straeter: Bislang verwenden wir den Standard vor allem zur Klassifikation, zur Strukturierung und zum Aufbau einer systemübergreifenden Ontologie (wir haben zwei unterschiedliche CCMS im Einsatz), aber auch im Bereich der maschinellen Metadatenerkennung und -vergabe. Als Austauschformat verwenden wir ihn noch nicht. Aber das ist ein wichtiges Ziel.

5. Haben Sie externe Unterstützung hinzugezogen?

Michael Straeter: Von Anfang an hatten wir Expertise dabei, ohne wäre es nicht gegangen. Nach den ersten internen Überlegungen haben wir einen PoC gestartet. Anschließend haben wir untersucht, wie wir weitgehend ohne Umbau der CCMS und aus heterogenen Quellen iiRDS-Pakete erzeugen können. Nachdem auch das erreichbar schien, haben wir nun automatisierte Schnittstellen und die Prozessautomatisierung im Fokus. Auch die CCMS-Hersteller unterstützen uns inzwischen, und beim Thema CDP und Kunden-Clouds (die wir gern mit iiRDS bedienen würden) könnten noch weitere hinzukommen. Auch die Themen Sprachanalyse und Terminologie spielen eine Rolle. Hier arbeiten wir schon seit Längerem eng mit Partnerunternehmen zusammen.

(Proof-of-Concept; Content-Delivery-Portal Red.)

6. Welche weiteren Abteilungen sind in die Umsetzung von iiRDS eingebunden?

Michael Straeter: Die Umsetzung planen und verfolgen wir innerhalb der Technischen Redaktion in kleinen agilen Projektteams. Im direkten Umfeld unserer Abteilung mussten wir uns zu einem frühen Zeitpunkt mit unseren meist internen Kunden auseinandersetzen. Schließlich hat der Standard auch Auswirkungen auf unsere Informationsprodukte. Nachdem wir unsere wesentlichen Ziele deutlich gemacht hatten – Standardisierung, ein schlankeres und zukunftsfähigeres Informationsmodell, zusätzliche Automatisierungsoptionen – sind wir bereitwillig unterstützt worden. Geholfen hat uns dabei sicherlich, dass eine ganze Reihe von Prozessen durch das Spin-off von der Siemens AG zu Siemens Energy sowieso in der Veränderung waren und immer noch sind.

Über unsere Abteilung hinaus sind wir inzwischen mit Teams vernetzt, die sich auf einem höheren Organisationslevel mit den Fragen von Enterprise Data, Data Quality, Data Governance oder auch Ontologie beschäftigen. Dort versuchen wir, uns einzubringen und das Thema ‚Nutzungsinformation‘ stark zu machen, schließlich ist diese ja Teil jedes Produkts und jeder Dienstleistung. Hier stoßen wir mit iiRDS auf großes Interesse. Perspektivisch versuchen wir, unsere Expertise auf diesem Feld in übergeordnete Daten- und Informationsmodelle einzubringen. Das verspricht, umso erfolgreicher zu werden, je prominenter iiRDS als Standard wird. Und je besser auch unsere Informationsprodukte und -prozesse dies widerspiegeln.

Tobias Köffer: Kurzfristig setzen wir iiRDS zunächst im Umfeld der Technischen Redaktion um. Mittel- und langfristig wollen wir auch die erwähnten Ontologien nutzen, besonders in den Bereichen, die durch iiRDS nicht vorgegeben werden können. Dazu zählen vor allem die Struktur unserer Produkte und Services sowie die detaillierten Stationen des Lebenszyklus, die eine Kraftwerksanlage durchläuft.

Modellzeichnung eines Kraftwerks.
Abb. 02 Modell eines Gas- und Dampfkraftwerks; die Technische Redaktion erstellt Dokumentationen für die gelieferten Großkomponenten inzwischen auch mit Hilfe von iiRDS. Quelle Siemens Energy

7. Binden Sie auch Ihre Lieferanten ein und falls ja, wie läuft die Zusammenarbeit inzwischen ab?

Michael Straeter: Zurzeit noch nicht. Momentan sind wir es und einige unserer Netzwerkpartner, die den Standard im Unternehmen propagieren. Bei der unübersehbaren Anzahl an internen und externen Informationszulieferern – wir sind mit unseren Produkten ja weltweit unterwegs – können wir wohl nicht davon ausgehen, dass iiRDS sich in unserem Produktbereich als Standard auf breiter Front durchsetzt. Wir haben es außerdem bei der Energieerzeugung mit einer traditionell eher konservativen, auf lange Zeiträume angelegten und stark spezialisierten Sparte zu tun. Das gilt auch für die Technische Dokumentation. Wir arbeiten also eher daran, die zugelieferten Informationen ‚iiRDS-ready‘ zu machen und in den Standard zu integrieren.

Tobias Köffer: Die Einbindung von Informationslieferanten gestaltet sich traditionell als etwas schwierig. Da gilt sowohl für interne als auch externe Zulieferer. Wir können nicht davon ausgehen, dass sich die Lieferanten von sich aus des Themas annehmen. Daher versuchen wir eher, die Einstiegshürde zu senken und die Aufbereitung der Informationen für uns möglichst einfach zu gestalten, zum Beispiel durch die automatisierte Metadatenerkennung und -vergabe.

8. Wie haben sich mit Einführung von iiRDS die Abläufe in der Technischen Redaktion verändert?

Michael Straeter: Bisher eigentlich kaum. Der Redaktionsprozess wird sich – so jedenfalls unsere momentane Einschätzung – nach der Einführung der angepassten Klassifikationsstruktur auch nicht unbedingt verändern müssen, jedenfalls nicht durch iiRDS. Sobald die Erzeugung von iiRDS-Paketen – egal, ob innerhalb oder außerhalb des CCMS – einmal weitgehend automatisiert erfolgt, muss von den Mitarbeitenden im Prinzip nur ein anderes Format qualitätsgesichert werden.

Natürlich mussten wir alle Mitarbeitenden vor allem im Bereich der Taxonomie und Klassifikation mitnehmen, das ist Change Management. Einige Informationsprodukte sind bereits iiRDS-konform, andere müssen nachträglich umgestellt werden. Ein teurer und langwieriger Prozess, der immer wieder durch Liefertermine und dadurch erforderliche Workarounds gebremst wird. Aber wir hoffen, in ein bis zwei Jahren so weit zu sein, dass alte Taxonomie-Strukturen ihr Lebenszyklus-Ende erreicht haben.

Tobias Köffer: Dass der Redaktionsprozess weitgehend unverändert bleibt, ist für uns definitiv auch ein großer Pluspunkt. Häufig gehen Harmonisierungen in der Praxis mit einer gewissen Störung des Tagesgeschäfts oder eingeschwungener Prozesse einher. Ein tiefer Eingriff in den Ablauf ist angesichts unserer Auftragslage sowie so nicht ratsam.

Michael Straeter: Aber es hat sich durch iiRDS etwas anderes verändert, nämlich der Wunsch, auch andere Bereiche in gleicher Weise zu standardisieren, zu minimalisieren und vergleichbarer zu machen. Aus unserer Sicht bietet sich die DIN EN IEC/IEEE 82079-1 als eine Art Framework an, um Informationsprodukte (‚Nutzungsinformationen‘), Erstellungs- und Bereitstellungsprozesse, erforderliche Qualifikationen und benötigte Ressourcen einer grundsätzlichen Revision zu unterziehen. Denn, das beschreibt die Norm schon deutlich, letztlich lassen sich diese Bereiche nicht voneinander trennen, sondern sollten im Gegenteil sinnvoll aufeinander aufbauen.

Wie schon gesagt, haben sich einige inhaltliche Strukturen geändert. Wir gehen hier seit der Einführung von iiRDS viel generischer vor und versuchen beispielsweise nicht mehr, um jeden Preis projekt- und kundenspezifische Inhaltsverzeichnisse abzubilden.

9. Welche zukünftigen Vorteile versprechen Sie sich von iiRDS?

Michael Straeter: Wir freuen uns, dass in den letzten Jahren die iiRDS-Praxis Fahrt aufgenommen hat. Die Verbreitung und praktische Erfahrungen unterstützen die Bestrebungen, iiRDS international zu verbreiten und zu normieren. Wir haben auch gesehen, dass iiRDS sich inzwischen in andere Standards integrieren lässt, etwa Industrie 4.0/AAS, eClass oder auch VDI 2770. Auf diese Weise können Informations- und Produktwelt näher zueinander gebracht werden. Es hat eben gefehlt, dass eigentlich untereinander so vergleichbare Dinge wie Nutzungsinformationen nun in einem Informationsraum dargestellt und auf die verschiedensten Produktbereiche angewendet werden können. Hier erhoffen wir uns wirkliche Fortschritte beim digitalen Informationsaustausch. Vor allem aber erhoffen wir uns eine wesentlich dynamischere und zielgruppenorientiertere Informationsbereitstellung durch den iiRDS-Standard. Denn auf der Seite des Content Managements sind wir ja schon seit längerem dazu in der Lage, mehr als nur PDF bereitzustellen.

Tobias Köffer: Wenn wir uns die großen Themen der letzten Jahre anschauen, wie zum Beispiel ChatGPT, so schlagen diese auch im traditionellen Umfeld des Kraftwerksbaus Wellen. Das führt gerade außerhalb der Technischen Redaktion zu einem verstärkten Interesse an Metadaten und den unterschiedlichsten Möglichkeiten der Bereitstellung von Informationen. Um dem gerecht zu werden und Lösungen im gesamten Spektrum von Knowledgegraphen, Artificial Intelligence (AI), Large Language Models (LLMs) und mehr zu beliefern, schien uns iiRDS das natürliche Mittel der Wahl.

10. Wo sehen Sie bei iiRDS Verbesserungspotenziale?

Michael Straeter: Häufige Kritik betrifft Defizite beim ‚Request‘, und da können wir uns schon anschließen. Wie könnte eine auf einem Standard beruhende Abfragesprache aussehen, die vor allem die Sicht der Nutzer im Blick hat? Wir glauben, dass das weniger eine technische Frage, sondern eine Frage der Vereinbarung ist. Zielgruppen, individuelle Produktvarianten und deren Produktlebenszyklus verlangen eine komplexe Informationsstruktur. Da ist rasche und möglichst umfassende Orientierung einerseits, aber auch ein möglichst kurzer Weg von der Frage zur Antwort gefordert. Das bleibt eine Herausforderung.

Tobias Köffer: Der Standard entfaltet sich seiner Natur nach auf der Meta-Ebene, und dort entstehen die meisten Diskussionen und Argumente für diesen Standard. Diese Auseinandersetzung bleibt einem recht kleinen Fachpublikum vorbehalten und bedarf einer nicht unerheblichen Einarbeitung in eine komplexe Thematik. Um die Vorteile, gerade auf der semantischen Ebene, auch außerhalb des Fachpublikums besser herauszustellen, fehlt es derzeit noch an geeigneten Werkzeugen. Das betrifft nicht nur den Request-Part, sondern den gesamten Lebenszyklus der Information. Je einfacher die Erstellung und Interaktion mit iiRDS-Inhalten wird, desto stärker wird auch das Interesse insgesamt.

Über Siemens Energy

Siemens Energy unterstützt als globales Energietechnologie­unternehmen seine Kunden entlang der gesamten Energiewertschöpfungskette – emissionsarme oder emissionsfreie Erzeugung, Transport und Speicherung, Verringerung von Treibhausgasemissionen und Energieverbrauch in industriellen Prozessen.

Inf. 01  Quelle Siemens Energy

Die Technische Redaktion

Mehr als 40 Mitarbeitende erstellen im Bereich „Field Data Manuals“ Technische Dokumentation. Unterstützt werden sie von rund zehn Partnerunternehmen. Pro Jahr entstehen 200 Technische Dokumentationen für globale Projekte. Die Technische Redaktion bearbeitet über 40 Informationsprodukte, die in etwa 40 Produktreihen sowie für Services eingesetzt werden.

Inf. 02  QUELLE Siemens Energy

 

Ein Mann lehnt sich auf einen Tisch und sieht sich zehn Würfel mit Fragezeichen an.