Wegweiser an der Satzgabelung

Text: Nathalie Exo

„Links auf dem Schaltschrank befinden sich das Klimagerät des Schaltschranks sowie die Anschlussbox, der Hauptschalter und der Not-Halt-Taster befinden sich auf der Tür.“ Sind Sie beim Lesen ins Stolpern geraten? Kein Wunder, denn Sie sind womöglich auf dem Holzweg gelandet – Zeit für einen Wegweiser.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 10:17 Minuten

Ein Satz, der auf den Holzweg führt, endet anders, als wir erwartet haben. Wir werden dazu gezwungen, den Satz noch einmal komplett von vorn zu lesen, um ihn richtig zu verstehen. Solche Holzwegsätze sind eine von vielen Stolperfallen, die Leserinnen und Lesern das Verstehen eines Textes erschweren. Wie es aus grammatischer Sicht zu solchen Verständnisschwierigkeiten kommt und mit welchen Mitteln Sie die Vorhersehbarkeit Ihrer eigenen Texte erhöhen können, ist Thema dieses Artikels.

Erwartungen an den Text

Dokumentation ist immer auch Kommunikation, und (erfolgreiche) Kommunikation heißt: Das Gegenüber versteht Informationen ohne Rückfrage genauso, wie man es beabsichtigt hat. Nur weil ein Text grammatisch korrekt ist, ist er aber nicht gleich verständlich. Außerdem existieren Texte nicht im luftleeren Raum: Sie sind an einen Kontext, einen Zweck gebunden. Zudem sind wir als Leserinnen und Leser von unserem Wissen und unserer Erfahrung mit der vorliegenden Textsorte beeinflusst. Wir gehen deshalb immer mit einer unbewussten Erwartungshaltung an Texte heran. Wenn diese Erwartungen erfüllt werden, sind Texte für uns schnell und leicht verständlich. Bei einem vorhersehbaren Text kann die Leserin oder der Leser sich ausschließlich auf den Inhalt konzentrieren und muss sich nicht mit der Entschlüsselung der Grammatik aufhalten.

Das hängt damit zusammen, wie wir beim Lesen Informationen verarbeiten: Zum einen lesen wir nicht einzelne Wörter oder gar einzelne Buchstaben, sondern begreifen direkt mehrere Wörter auf einmal. Dabei erfasst ein geübtes Auge so genannte Funktionswörter, die hauptsächlich grammatische Information tragen, nur am Rande. Der Fokus liegt stattdessen auf Wörtern, die inhaltliche Information transportieren. Zum anderen beginnen wir mit der Informationsverarbeitung schon lange, bevor der Satz zu Ende gelesen ist. Wenn ein angefangener Satz auf mehrere Arten beendet werden kann, rechnen wir erst einmal mit der wahrscheinlichsten Lesart – das ist effizient, und Sprache zielt auf möglichst effiziente Kommunikation ab. Welche Lesart als wahrscheinlich gilt, hängt dabei von den Lesegewohnheiten der Leserin oder des Lesers ab und weiterhin von den sprachlichen Hinweisen, die der Text selbst bietet.

Uneindeutige Satzstellung

Im Deutschen können einzelne Einheiten im Satz relativ frei angeordnet werden und es gibt viele Möglichkeiten, einen Sachverhalt mit unterschiedlichen Satzstellungen auszudrücken. Tabelle 01 zeigt drei Varianten eines Sachverhalts.

Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern fällt auf, dass durch die unterschiedliche Satzstellung ein bestimmter Fokus auf einzelne Einheiten gelegt wird. Variante 1 ist die gewöhnliche Satzstellung. Sobald eine Einheit an einem untypischen Platz im Satz steht, wirkt die ungewöhnlich platzierte Einheit inhaltlich hervorgehoben. Dies fällt besonders beim betonten Vorlesen auf. In Variante 2 und 3 könnte man den Satz jeweils weiterführen: „Die Maschine setzt der Bediener still, nicht die ganze Anlage“ und „Sofort setzt der Bediener die Maschine still, nicht erst später“.

Wenn von der Variabilität der Satzstellung viel Gebrauch gemacht wird, lässt dies einen Text sehr lebendig und natürlich erscheinen. Es verlangt der Leserschaft allerdings eine permanente Interpretation grammatischer Strukturen ab. Hinzu kommt das Verstehen des Inhalts. Um diese Entschlüsselungsarbeit zu reduzieren, ist es hilfreich, frühzeitig sprachliche Hinweise auf die richtige Interpretation zu geben. Dazu zählen etwa eine leicht durchschaubare Abfolge von Einheiten im Satz sowie Artikel, die eindeutig auf einen Kasus oder Numerus verweisen. In der Technischen Dokumentation sind die gestalterischen Möglichkeiten durch die branchenüblichen Vorgaben bereits stark eingeschränkt. Aber selbst hier helfen diese sprachlichen Hinweise dabei, einen Text noch vorhersehbarer und damit noch leichter verständlich zu gestalten. Die Abhilfe lautet: sprachliche Hinweise verwenden.

Tabelle mit den Variante 1, 2 und 3 mit Satzelementen.
Tab. 01 Quelle Nathalie Exo

Uneindeutiger Kasus

Nur, weil eine Satzstellung nicht typisch ist, ist ein Satz nicht sofort unverständlich. Je nachdem, was ausgedrückt werden soll, kann eine solche Hervorhebung der Kommunikation sogar ganz zuträglich sein („Sofort setzt der Bediener die Maschine still.“). Wie so oft, wenn es um Sprache geht, bewegen wir uns innerhalb eines Spektrums: Auch ein Satz mit der Stellung „Objekt – Prädikat – Subjekt“ wie in Variante 2 kann gut verständlich sein, solange wir das Objekt möglichst früh als solches erkennen.

Akkusativ und Dativ sind in den meisten Fällen nicht direkt am Substantiv sichtbar. Die grammatische Markierung trägt stattdessen der Artikel: „der/den/die Bediener“, „die Maschine“. Artikel können aber auch mehrdeutig sein und verwirren, wie Abbildung 01 zeigt.

Hier ergibt sich eine (zugegebenermaßen ganz kleine) Holzweg-Lesart: Da gewöhnlich das erste Substantiv im Satz auch das Subjekt ist und ein Subjekt im Nominativ steht, lesen wir „die Maschine“ erst einmal als Nominativ. Erst bei Auftreten eines zweiten Nominativs („der Bediener“) wird klar, dass dies nicht sein kann. Wir müssen zurück zum Anfang des Satzes springen, „die Maschine“ als Akkusativ interpretieren, und dann geht auch die grammatische Struktur des restlichen Satzes auf. Die Holzweg-Lesart ergibt sich hier einmal durch die Mehrdeutigkeit von „die“ und einmal durch die Lesegewohnheit, dass ein Subjekt meist vorn im Satz steht. Die Abhilfe lautet: Subjekt des Satzes an den Anfang stellen; Objekte durch Verwendung eindeutiger Artikel kennzeichnen.

Übersicht über mehrdeutige Artikel und Satzstellung.
Abb. 01 Mehrdeutige Artikel führen schnell auf den Holzweg. Quelle Nathalie Exo

Uneindeutiger Numerus

Ganz ohne Artikel und im imperativischen Infinitiv stehen im Regelfall Handlungsanweisungen: „Maschine stillsetzen“. Die Satzstruktur ist hier relativ einfach, denn ein Infinitiv kann kein Subjekt haben. Was also bleibt, ist das Objekt und mögliche weitere Ergänzungen. Verwirrung in Bezug auf Subjekt-Objekt-Verteilung ist also ausgeschlossen. Dennoch kann der fehlende Artikel hier in Einzelfällen zum Problem werden, nämlich wenn ein Substantiv keine eigene Pluralmarkierung trägt und der Numerus nur über den Artikel erkennbar ist (Tab. 02).

Wenn aus dem Kontext nicht eindeutig hervorgeht, dass es in der Anlage zum Beispiel nur exakt einen Computer gibt, muss hier ein Hinweis auf die richtige Lesart gegeben werden, um Missverständnisse zu vermeiden. Dass man bei der Variante ohne Artikel als Leserin oder Leser auf den Holzweg geraten ist, fällt sonst womöglich erst im weiteren Verlauf des Textes auf. Die Abhilfe lautet: bei uneindeutigem Numerus Artikel verwenden.

Tabelle uneindeutiger Numerus mit Kategorien missverständlich und besser.
Tab. 02 Quelle Nathalie Exo

Unklare Zusammenhänge

Artikel sind ein passendes Stichwort. Die relativ freie Satzstellung im Deutschen hat zur Folge, dass auch Einheiten, die grammatisch zueinander gehören, wie ein Artikel und ein Substantiv, nicht direkt neben­einanderstehen müssen. Daraus ergeben sich so genannte Klammern. Abbildung 02 zeigt das Beispiel einer Nominalklammer.

Der Artikel „die“ ist für Leserinnen und Leser ein Hinweis darauf, dass früher oder später ein Substantiv folgen muss, das in Genus, Numerus und Kasus zu „die“ passt. Diese Erwartungshaltung bleibt bestehen, auch wenn zunächst einige Attribute folgen. Erst wenn das zugehörige Substantiv (die rechte Klammer) auftaucht, weiß Leserin oder Leser, dass die grammatische Einheit abgeschlossen ist. Probleme beim Verständnis können hier vorkommen, wenn die rechte Klammer sehr spät auftritt: Theoretisch kann das Feld zwischen den beiden Klammern unbegrenzt besetzt werden, praktisch kann unser Arbeitsgedächtnis aber nur eine gewisse Anzahl von Bausteinen „zwischenspeichern“. Man geht von bis zu sieben Bausteinen aus. Bei Nominalklammern wie in Abbildung 02 wird jedoch selten eine Technische Redakteurin oder ein Redakteur auf die Idee kommen, sieben Bausteine zwischen den beiden Klammern unterzubringen.

Übersicht über die Satzstellung in der deutschen Sprache.
Abb. 02 Die freie Satzstellung kann Einheiten trennen. Quelle Nathalie Exo

Schneller passiert dies bei der so genannten Satzklammer, die etwa durch zweiteilige Prädikate gebildet wird (Abb. 03). Im Hauptsatz ist der finite Teil des Verbs vorn im Satz die linke Klammer, alle nicht finiten Verbteile stehen ganz am Satzende und sind die rechte Klammer. Der Bereich dazwischen, das so genannte Mittelfeld, wird mit allen übrigen Bausteinen befüllt, zum Beispiel Objekten, Präpositionalphrasen, Adverbialien.

Übersicht über Satzklammern mit zweitigem Präditkat.
Abb. 03 Eine Satzklammer lässt sich mit einem zweiteiligen Prädikat bilden, der Mittelteil ist beliebig erweiterbar. Quelle Nathalie Exo

In Abbildung 03 ist der finite Verbbestandteil „setzt“ die linke Klammer. Was im Mittelfeld und als rechte Klammer folgt, unterliegt damit grammatisch gewissen Einschränkungen: Das Verb „setzen“ verlangt ein Objekt („jemand setzt etwas“). Sobald das Objekt „die Maschine“ folgt, ist klar, dass auch noch ein zweiter Verbbestandteil fehlt: „Der Bediener setzt die Maschine …?“. Die Möglichkeiten sind hier theoretisch vielfältig, denn es gibt Dutzende Partikelverben mit „setzen“: absetzen, aufsetzen, fortsetzen … praktisch schränkt der Kontext aber die Möglichkeiten auf einige wenige Fälle ein, wie Abbildung 04 darstellt.

Übersicht über Satzklammer und Kontext.
Abb. 04 Kontext gibt Hinweise auf den noch folgenden Verbteil. Quelle Nathalie Exo

Leserin oder Leser kann also anhand des Kontextes und der Verbform „setzt“ schon Vorannahmen treffen, wie der Satz sinnvollerweise enden kann, und den Satz bereits interpretieren, bevor er vollständig zu Ende gelesen worden ist. Solange der Satz wie erwartet endet, erleichtert dies das Verständnis auch längerer Sätze und erhöht die Lesegeschwindigkeit. Wenn die rechte Klammer dagegen unerwartet ausfällt, muss der bisher bereits interpretierte Satz mit diesem neuen Wissen noch einmal interpretiert werden – genau der Fall einer Holzweg-Lesart, den wir vermeiden wollen. Die Abhilfe lautet: das Mittelfeld nicht überfüllen; kurze Sätze bilden; kontextrelevante Verben verwenden.

Lange Satzgefüge

Eher kürzere Sätze, bei denen die Leserschaft nicht lange auf den zweiten Teil der Klammer warten muss, verringern das Risko für missverständliche Lesarten. Deswegen sind Vorgaben zur Satzlänge Teil jedes typischen Redaktionsleitfadens. Meist wird die Anzahl der Wörter pro Satz eingeschränkt, was praktisch und zudem maschinell prüfbar ist. Streng genommen wäre es aber angemessener, sich auf die Anzahl der Informationsbausteine im Satz zu beziehen. Ein kurzer Satz kann grammatisch sehr komplex sein, gleichzeitig kann ein langer Satz problemlos verständlich sein. Das gilt für reine Hauptsätze ebenso wie für Satzgefüge aus Haupt- und Nebensätzen.

Allein in Hauptsätzen zu schreiben, wirkt auf Dauer sehr unnatürlich und ist dem Verständnis auch nicht immer zuträglich, denn Nebensätze sortieren neue Informationen in die bestehende Informationsstruktur des Textes. Hinweiswörter in Nebensätzen sind Konjunktionen und Relativpronomen: Sie geben der Leserschaft einen Hinweis darauf, in welchem Verhältnis die folgende Information zum Vorhergegangenen steht, zum Beispiel kausal oder temporal. Wenn viele oder stark verschachtelte Nebensätze verwendet werden, müssen Leserin oder Leser erst die grammatische Struktur durchschauen und anschließend die Information richtig zu­einander sortieren. Verständlicher ist es, sich auf einen Nebensatz mit exakt einer Informationsart zu beschränken: Ein „wenn“ kündigt zum Beispiel frühzeitig einen Nebensatz an, der Bedingungen für die Information im Hauptsatz liefert. Ein Relativsatz, eingeleitet durch ein Relativpronomen, transportiert Hintergrundinformationen zu seinem Bezugswort (das idealerweise in Kasus, Numerus und Genus eindeutig identifizierbar ist). Durch das Hinweiswort ist klar, wie Leserinnen und Leser mit der folgenden Information umzugehen haben. Die Abhilfe lautet: nur einen Nebensatz pro Hauptsatz verwenden; Nebensätze mit eindeutigen Konjunktionen oder Pronomen einleiten.

Distanzierte Wortstellung

Auch die Platzierung eines Nebensatzes im Hauptsatz ist einer Überlegung wert. Das Einbetten mitten in einen Hauptsatz ist natürlich möglich, zerreißt aber oft grammatische Einheiten (Tab. 03).

Von den in Tabelle 03 genannten Beispielen zu eingebetteten Nebensätzen ist das zweite Beispiel wichtig, und zwar aus zwei Gründen. Sie betreffen das allein am Satzende stehende „nicht“. Verneinungen wie diese sind auch ein Hinweiswort. Landläufig wird oft behauptet, dass das menschliche Gehirn solche Negationen nicht verarbeiten könne – das stimmt so nicht. Allerdings muss eine Verneinung, die einen ganzen Satz in das Entgegengesetzte verkehrt, erst mit der Gesamtaussage des Satzes „verrechnet“ werden. Es können also auch Holzweg-Lesarten entstehen, wenn erst am Ende eines sehr langen Satzes ein „nicht“ präsentiert wird – denn nun muss der gesamte bisher verarbeitete Satz neu interpretiert werden.

Der zweite Grund: Verneinungen sind meist Funktionswörter, ähnlich wie Artikel und Pronomen – sie tragen hauptsächlich grammatische Informationen und weniger handfesten Inhalt wie „Maschine“, „Öl“ oder „Bediener“ und werden daher beim schnellen Lesen nur peripher wahrgenommen. Ein geübtes Auge, das weiß, wie die deutsche Sprache funktioniert, füllt grammatische Positionen im Satz oft aus, ohne diese Funktionswörter aktiv wahrzunehmen. Das Problem hier: Der zweite Beispielsatz ist auch ohne das „nicht“ vollständig. Die Gefahr ist groß, dass die Verneinung am Ende des langen Satzes überlesen wird. Im ersten Beispielsatz ist dagegen die Satzklammer noch offen, und es ist klar, dass nach dem eingeschobenen Nebensatz noch etwas Relevantes folgen muss. Die Abhilfe lautet: Verneinungen frühzeitig setzen.

Tabelle zur distanzierten Wortbildung.
Tab. 03 Quelle Nathalie Exo

Wegweiser für Verständlichkeit

Die hier erläuterten Beispiele bilden nur einen winzig kleinen Teil der Möglichkeiten ab, die die deutsche Sprache beim Formulieren bietet. Aber schon dieser kleine Ausschnitt aus der Welt der Linguistik zeigt, wie viel Arbeit eine Technische Redakteurin oder ein Technischer Redakteur der Leserschaft abnehmen kann, indem Texte vorhersehbar formuliert werden. Wir reden hier von einem Wimpernschlag, um den das Textverstehen beschleunigt wird. Aber selbst dieser addiert sich über eine Anleitung von hundert Seiten – nicht nur beim Bediener, sondern auch schon zuvor in der Qualitätssicherung, im Lektorat oder in der Übersetzung.

Alle Personen, die Technische Dokumentation lesen, sind darauf angewiesen, den Text möglichst im ersten Anlauf zu verstehen. In der Redaktion sollte sich deswegen immer vor Augen gehalten werden, wie sprachliche Missverständnisse entstehen. Der Einsatz von sprachlichen Hinweisen und das Befolgen einschlägiger Leitlinien helfen dann dabei, solche Missverständnisse gar nicht erst aufkommen zu lassen. Wenn man zum Beispiel das Subjekt jeweils nach vorn nimmt und den langen Satz teilt, könnte der Holzwegsatz aus der Einleitung so lauten: „Das Klimagerät und die Anschlussbox befinden sich links auf dem Schaltschrank. Der Hauptschalter und der Not-Halt-Taster befinden sich auf der Tür.“ Darüber stolpert dann niemand mehr.

Titelseite Ausgabe 02 2023 der technischen kommunikation.