Eine Norm für das Einfache

Text: Markus Nickl

Ende des Jahres könnte es so weit sein und eine neue Norm regelt im Deutschen die Einfache Sprache. Die Norm scheint für die Technische Redaktion wie gemacht, denn gerade dort ist Verständlichkeit das Qualitätsmerkmal.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 07:50 Minuten

Kennen Sie Einfache Sprache? Vermutlich ja, denn Einfache Sprache wird an vielen Stellen gefordert. Im Moment schlägt zum Beispiel der Unmut über die wenig verständlichen Grundsteuererklärungen große Wellen. Hinter dem Begriff „Einfache Sprache“ verbirgt sich aber auch eine internationale Bewegung. Sie versucht Standards zu verständlichem und zielgruppengerechtem Schreiben aufzustellen und dafür zu sorgen, dass sich diese Standards möglichst weit verbreiten. Mittlerweile werden diese Standards auch in internationalen Normierungsorganisationen erarbeitet.

Was ist Einfache Sprache?

Niemand möchte gerne unnötig schwere Texte lesen. Klagen über unverständliche Texte gibt es dementsprechend schon seit Jahrhunderten. Meistens ging es dabei um ästhetische Aspekte oder allgemein um die Verständlichkeit der Texte. Etwa in den Siebzigern des vorigen Jahrhunderts entsteht dann aber ein Bewusstsein, dass unverständliche Texte auch eine gesellschaftliche und politische Dimension haben. So mehren sich Stimmen, dass Gesetze und Verwaltungsvorschriften möglichst verständlich sein müssen, um auch Bürgerinnen und Bürger zu erreichen, die nur eine geringe Lesekompetenz haben.

Auch in unserem Tätigkeitsgebiet wurden die Stimmen lauter, die unverständliche Anleitungen als soziales und ökonomisches Problem beklagen. Diese gesellschaftliche Strömung war wiederum ein wichtiger Grund für die Professionalisierung der Technischen Redaktion.

Wer hat damit zu tun?

Doch auch über Behördenbriefe und Technische Dokumentation hinaus haben die Befürworter der Einfachen Sprache Zulauf bekommen. Im Laufe der Zeit geraten so fast alle Aspekte der öffentlichen, sachbezogenen Kommunikation in den Blick, zum Beispiel juristische Texte, Gesundheitsinformationen, Behördenschreiben, PR-Meldungen und vieles mehr.

In der Konsequenz gründete sich 1993 die Plain Language Association International (PLAIN), die die verschiedenen Bestrebungen nach verständlicheren Texten auf internationaler Ebene bündelt. Unter anderem mündeten diese Bestrebungen auch in einer Arbeitsgruppe des Technischen Komitees ISO/TC 37 „Language and terminology“. Dort erarbeitet die WG 11 „Plain language“ internationale Leitlinien für Einfache Sprache.

Was macht nun Einfache Sprache aus?

Einfache Sprache ist eine Sprache, die darauf abzielt, dass Leserinnen und Leser Texte so leicht, schnell und vollständig verstehen können wie nur möglich. Einfache Sprache stellt die Bedürfnisse der Lesenden in den Mittelpunkt und richtet ihre sprachlichen Entscheidungen daran aus.

Einfache Sprache bedeutet also nicht, dass Inhalte verkürzt oder vereinfacht werden. Sie adressiert alle Zielgruppen und richtet sich damit nicht nur an Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf. Am Ende profitieren alle, wenn zum Beispiel Formulare leicht zu verstehen und auszufüllen oder die Rücksendebedingungen eines Onlinehändlers gut zu verstehen sind. Einfache Sprache ist deshalb auch nicht auf einzelne gesellschaftliche Bereiche beschränkt. Sie kann in jedem Themen- und Handlungsfeld zum Einsatz kommen.

Oft wird Einfache Sprache mit Leichter Sprache verwechselt. Leichte Sprache richtet sich aber überwiegend an Zielgruppen, denen das Lesen von Texten besonders schwerfällt, zum Beispiel weil sie kognitiv eingeschränkt sind oder nur über sehr geringe Schriftsprachkenntnisse verfügen. Um diese Zielgruppen zu unterstützen, greift Leichte Sprache recht weitgehend in Texte ein. Vielleicht haben Sie schon einmal typische Sonderschreibungen mit Mediopunkt gesehen. Ein Text in Einfacher Sprache ist dagegen ein „ganz normaler“ Text, der aber besonders verständlich ist.

Wer ist im Arbeitskreis?

Parallel zur Gründung der ISO-Arbeitsgruppe – aber mit leichtem zeitlichem Versatz – wurde Mitte 2020 auch bei DIN die Gründung eines nationalen Arbeitskreises in Angriff genommen. Dieser hat die Aufgabe, die Arbeiten der ISO-Arbeitsgruppe ISO/TC 37/WG 11 „Plain language“ national zu begleiten und ggf. auch Regeln und Standards für Einfache Sprache im Deutschen zu erarbeiten.

Auf vielen unterschiedlichen Kommunikationskanälen hatte DIN zur Mitarbeit aufgefordert. Mich persönlich erreichte der Aufruf über den Newsletter der tekom, und mir war sofort klar, dass ich mich hier beteiligen muss. Der Arbeitskreis stieß generell auf breites Interesse und in einer konstituierenden Sitzung nahm der Arbeitskreis dann am 9. November 2020 seine Tätigkeit auf. Der Arbeitskreis ist im DIN-Normenausschuss Terminologie (NAT) angesiedelt, in dem auch weitere sprachbezogene Normen bearbeitet werden.

Wie in jedem DIN-Arbeitskreis sind im AK „Einfache Sprache“ Vertreter unterschiedlicher gesellschaftlicher Bereiche, so genannter „interessierter Kreise“ repräsentiert. Im Wesentlichen sind dies Beteiligte aus der Wirtschaft, aus Wissenschaft und Forschung sowie Beteiligte der öffentlichen Hand. Da „Einfache Sprache“ im Vergleich zu anderen Normungsthemen ein sehr breites Anwendungsgebiet hat, ist auch die Zahl der Beteiligten hoch. Über 30 Expertinnen und Experten tragen mit ihrem Wissen zur Erarbeitung der Normen bei. Unterschiedlichste Anwendungsfelder für Einfache Sprache können dadurch in den Blick genommen werden und eine breite Anwendbarkeit finden.

Was macht der Arbeitskreis?

Der Arbeitskreis „Einfache Sprache“ kümmert sich um mehrere Aufgaben. Eine erste Aufgabe war es für die Mitglieder zu entscheiden, ob die Internationale Norm der ISO (ISO 24495-1) auch als DIN-Norm übernommen werden soll. Dies wurde begrüßt, und nun kümmert sich die Arbeitsgruppe um die Übernahme der ISO-Norm als DIN-Norm.

Eine internationale Norm muss sich aber gerade bei sprachlichen Dingen immer auf allgemeine Prinzipien beschränken. Sie kann nicht auf sprachspezifische Fragestellungen eingehen. Welche sprachlichen Mittel helfen, Texte verständlicher und einfacher zu gestalten? Und umgekehrt: Welche Formulierungen oder Textstrategien gilt es zu vermeiden, wenn Texte möglichst zugänglich sein sollen? Solche Fragen bewegen Menschen im Arbeitsalltag: Sie lassen sich aber jeweils nur für eine einzelne Sprache beantworten und nicht sprachunabhängig klären. Deshalb war schon mit der Entscheidung, die ISO-Norm „Plain Language – Part 1: Governing principles and guidelines“ zu übernehmen, klar, dass ergänzend auch eine nationale Norm (DIN 8581-1) geschaffen werden muss, die sich mit konkreten sprachlichen Eigenschaften beschäftigt.

Außer dieser Norm entwickelt der DIN-Arbeitskreis auch Ideen zu weiteren Normungsvorhaben rund um „Einfache Sprache“. Er prüft nationale und internationale Normungsvorhaben, die von außen an DIN herangetragen werden oder von ISO zur Abstimmung gestellt werden, und positioniert sich dazu. Dies können zum Beispiel Normungsvorhaben zu spezifischen Text­sorten sein oder zu verschiedenen Medien. Das Tätigkeitsfeld des DIN-Arbeitskreises ist also breit gestreut und umfasst vielfältige Aufgaben.

Wo liegen Parallelen?

Was bedeutet die neu entstehende Norm nun für die Technische Redaktion? Mit DIN EN ISO 20607 und DIN EN IEC/IEEE 82079-1 existieren ja bereits gut ausgearbeitete Normen, die Standards für die Technische Dokumentation setzen. Allerdings unterscheidet sich die neu entstehende Norm „Einfache Sprache“ deutlich von den Normen, die sich spezifisch auf Technische Dokumentation beziehen.

Sie ist einerseits breiter angelegt, andererseits aber auch in vielen Punkten spezifischer. Einfache Sprache soll als Standard für alle schriftlichen Informationstexte geeignet sein. Eine Norm dazu muss deshalb zwangsläufig relativ pauschal bleiben, wenn es um redaktionelle Standards und Abläufe geht. Die Arbeit in einer Behörde unterscheidet sich nun einmal gravierend von der Arbeit in einer Technischen Redaktion, ein Journalist muss anderen redaktionellen Prinzipien folgen als die Autorin eines Anfänger-Lehrbuchs und Patientenbelehrungen zu Gesundheitsrisiken haben andere Regeln als Risikoinformationen zu Finanzanlagen. Dennoch soll Einfache Sprache für all diese – und noch viel mehr – Anwendungen geeignet sein.

Deshalb geben die beiden neu entstehenden Normen zu redaktionellen Abläufen und Standards nur wenige grobe Leitlinien vor: Orientierung an den Zielgruppen, Dokumentbeobachtung über den Publikationszeitpunkt hinaus, auf die Auffindbarkeit von Informationen achten – solche und vergleichbare Prinzipien gelten für alle Dokumente, die in Einfacher Sprache publiziert werden.

Was macht die Technische Redaktion?

Spezifischer wird die deutsche Norm werden, wenn es um die sprachliche Ausgestaltung von Dokumenten in Einfacher Sprache geht. Der Entwurf für die zukünftige DIN 8581-1 enthält grammatische, stilistische und typographische Regeln für alle sprachlichen Ebenen. Er spricht zum Beispiel Empfehlungen für Satzlängen, Passivgebrauch, Konjunktiv oder auch typographische Auszeichnungen aus.

Bedeutet dies nun, dass Technische Redaktionen ihre Redaktionsleitfäden komplett umschreiben müssen, wenn sie DIN-konforme Anleitungen produzieren wollen? Nein, denn der weit überwiegende Teil der Regeln und Empfehlungen dürfte erfahrenen Praktikern in unserer Branche vertraut sein. Sie entsprechen in weiten Teilen dem, was sie etwa aus der tekom-Leitlinie und weiteren Branchenstandards bereits kennen.

Das liegt daran, dass in der Technischen Redaktion die Regeln der Einfachen Sprache bereits seit langem Stand der Technik sind. Am Ende geht es bei Einfacher Sprache darum, wie sich verständliche Texte erstellen lassen, und das ist für die meisten Technischen Redaktionen eine Selbstverständlichkeit. Dadurch unterscheidet sich der Alltag in unserer Branche beispielsweise von Behördenkommunikation, wo solche Regeln bei weitem noch nicht allen Beteiligten bekannt sind.

Ist die Norm für Einfache Sprache damit für Technische Redaktionen nutzlos? Das nun wieder nicht, denn die neu entstehende Norm hat durchaus ihre Vorteile für die Technische Redaktion. So definiert sie einen überprüfbaren Qualitätsstandard, nach dem sich Dokumente und Dokumentationen beurteilen lassen. Dies kann zum Beispiel für Ausschreibungen sinnvoll sein oder auch als Checkliste für die Qualitätssicherung.

Vorteilhaft ist für die Technische Redaktion auch, dass dadurch ihre Arbeit in einem größeren Zusammenhang steht. Wenn in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen ähnliche Standards für zugängliche Texte gelten, dann müssen Schreibregeln nicht mehr eigens gerechtfertigt werden. Es lässt sich hoffen, dass sich die Standards für Einfache Sprache auf dem Arbeitsmarkt stark verbreiten. Dadurch würde dann auch das (potenzielle) Arbeitskräfteangebot von Menschen mit einer Basisqualifikation für die Technische Dokumentation steigen – in Zeiten von flächendeckendem Fachkräftemangel ein Vorteil, der nicht zu unterschätzen ist.

Zu guter Letzt können die nationalen und internationalen Normen auch als Argument für Verbesserungsmaßnahmen dienen. Oft lassen sich Auftraggeber oder Vorgesetzte leichter von einer Veränderung oder einer Qualitätsmaßnahme überzeugen, wenn die Ergebnisse dann einer Norm entsprechen. Insgesamt lässt sich deshalb hoffen, dass die neu entstehenden Normen zu „Einfacher Sprache“ die Arbeit und das Arbeitsumfeld in der Technischen Redaktion verbessern werden. Sie verleihen der hohen Qualität mehr Sichtbarkeit, die in vielen Technischen Redaktionen bereits Normalität ist.

Wie geht es weiter?

Bisher ist schon eine Menge geschehen bei der Erarbeitung eines Standards für Einfache Sprache – sowohl national als auch international. In der ISO-Arbeitsgruppe wurde bereits ein Entwurf veröffentlicht und als ISO/DIS 24495-1 international zur Kommentierung freigegeben. Parallel dazu wurde bei DIN eine Übersetzung dieses Entwurfs erstellt, der dann als deutsche Fassung der Norm publiziert würde. Zu beiden Entwürfen sind etliche inhaltliche und sprachbezogene Kommentare aus den nationalen Fachgremien eingegangen.

Die aufs Englische bezogenen Kommentare wurden geprüft und in die englische Fassung ISO 24495-1 eingearbeitet. Demnächst folgt eine weitere, verkürzte Kommentierungsrunde, in der jedoch nur noch offizielle Fehler beanstandet werden können. Danach wird ISO 24495-1 veröffentlicht, die finale Übersetzung ins Deutsche erstellt und als Deutsche Norm DIN ISO 24495-1 herausgegeben. Das dürfte Ende des Jahres so weit sein.

Die zukünftige Norm für Einfache Sprache im Deutschen ist ebenfalls auf einem guten Weg, allerdings im Veröffentlichungsprozess gegenüber der internationalen Norm ein wenig zurück. Das ist zwangsläufig so, da sich die Norm für das Deutsche ja auf die internationale Norm ISO 24495-1 bezieht.

Von der Redaktionsgruppe wurde bereits eine erste vollständige Fassung erstellt. Sie wurde dem Gesamtarbeitskreis im September 2022 vorgestellt und in einem zweistufigen Verfahren kommentiert. Diese Kommentare wurden wiederum von der Redaktionsgruppe in den Entwurf eingearbeitet. Der derzeitige Stand befindet sich gerade im Gesamtarbeitskreis in Diskussion und dürfte im April oder Mai als Entwurfsdokument erscheinen. Danach kann er zwei Monate öffentlich kommentiert werden. Sobald diese öffentlichen Kommentare bearbeitet sind, kann die DIN 8581-1 publiziert werden – mit ein wenig Glück noch im Dezember 2023.

Doch auch nach der Publikation der beiden Normen geht es weiter mit der Standardisierung rund um die Einfache Sprache. International beginnen bereits die ersten Arbeiten an einer Norm zu Rechtstexten in Einfacher Sprache. Es bleibt also auch weiterhin spannend im Bereich der Normung.

Titelseite Ausgabe 02 2023 der technischen kommunikation.