Eine eigene Norm

Text: Martin Tillmann

In den vergangenen Jahren wurde der Ruf nach einer Norm für die Technische Dokumentation von Anlagen immer lauter. Diesem Wunsch kommt man immer näher. Was ist bereits Stand der Dinge?

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 03:16 Minuten

Die internationale Norm IEC/IEEE 82079-1:2019 hat sich vielfach etabliert. Doch viele Fragen des Anlagenbaus bleiben darin unbeantwortet. Darum arbeitet der gemeinschaftliche Arbeitskreis GAK 113.1.1 von DIN und DKE an einer Vorlage für einen weiteren Teil der 82079-Normenreihe für Systeme und Anlagen.

In die Norm fließt auch der DIN Fachbericht 146 (von 2005) ein: „Technische Produktdokumentation – Betriebsanleitung für Anlagen – Leitlinie für die Zusammenfassung von Informationen aus Betriebsanleitungen von Komponenten“. Die neue Norm soll jedoch allgemein für Systeme als miteinander verkettete Komponenten gelten; im Arbeitskreis sind daher Experten aus Anlagenbau, Verfahrenstechnik, Medizintechnik und Gebäudedokumentation vertreten.

Alle sind gefordert

Ein System aus mehreren miteinander verknüpften Komponenten ist letztlich sogar mehr als die Summe seiner Teile. Werden etwa zwei Maschinen miteinander verbunden, so müssen nicht nur die Risiken der Einzelmaschinen betrachtet werden, sondern auch die Risiken, die an den Schnittstellen durch die Verbindung entstehen. Die Anforderungen an eine Systemdokumentation werden in der IEC/IEEE 82079-1:2019 bislang nur ansatzweise formuliert.

Ziel des neuen Normenteils muss daher sein, Anforderungen an den Inhalt wie auch an die Struktur und Gestaltung von Systemdokumentationen zu formulieren, die sicherstellen, dass die Nutzungsinformationen einen sicheren und effizienten Betrieb des Systems gewährleisten.

Vorgaben für die Anleitung

Die Technische Dokumentation eines Systems muss Informationen liefern, die aus den Dokumenten seiner Teile und Einzelkomponenten nicht hervorgehen:

Inbetriebnahme des Systems – Voraussetzungen zur Inbetriebnahme; dazu einige Beispiele: Welche Ventile müssen geöffnet oder geschlossen sein? Welche Tests müssen vor der Inbetriebnahme durchgeführt werden (Nothaltkreise, Sicherheitsbauteile, Laufrichtungsprüfungen)? Welche Betriebsmittel müssen für einen langfristigen Betrieb in welcher Menge zur Verfügung stehen? Hierfür bieten sich Checklisten an.

Betrieb des Systems – bei industriellen Anlagen ist der Betrieb in den meisten Fällen weitgehend automatisiert. Für den kontinuierlichen Betrieb stellen sich dann beispielsweise die folgenden Fragen: Wie werden Ausgangsstoffe der Anlage zugeführt? Müssen die Ausgangsstoffe aufbereitet werden? Wie werden die Produkte aus der Anlage abgeführt? Wie wird die Qualität der Produkte geprüft?

Wartung/Störungsbehebung – was ist vor der Wartung oder einer Störungsbehebung einer Komponente zu beachten? Muss ein Teil des Systems oder der Anlage vorher stillgelegt und ein anderer Verfahrensweg gewählt werden? Müssen die Komponente oder vor- oder nachgeschaltete Komponenten vorher abkühlen oder auslaufen? Muss ein Gerüst aufgebaut werden?

Verweise auf die Dokumentation der Komponenten – Verweise müssen so genau wie möglich sein. Das heißt, welches Dokument, welcher Abschnitt? Nach Abschluss einer Tätigkeit an einer Komponente des Systems ist festzulegen, wie die Komponente wieder in die Anlage eingebunden wird: Müssen Dichtheit oder Laufrichtung geprüft werden, falls nötig wieder mit Änderung des Verfahrensweges?

Außerbetriebnahme – Voraussetzungen zur Außerbetriebnahme sind in der Regel Informationen auf der Systemebene – welche Ventile müssen geöffnet oder geschlossen sein, welche Komponenten müssen ausgebaut, gesichert und konserviert werden? Wie ist die Anlage gegen Betreten oder Wiedereinschalten zu sichern?

Systeme können bei einem Stillstand sehr hohe Kosten erzeugen. Bei einer Papiermaschine kann der Stillstand pro Stunde 50.000 Euro kosten. Aufzugsanlagen in Gebäuden, beispielsweise in großen Warenhäusern, werden oft nach Verfügbarkeit verkauft. Steht ein Aufzug still, bekommt der Hersteller kein Geld. In verfahrenstechnischen Anlagen liegen die Kosten für einen Stillstand teilweise deutlich höher. Das heißt, jeder Stillstand muss so kurz wie möglich gehalten werden.

Um dies zu erzielen, ist die Aggregation von Informationen auf Systemebene aus den untergeordneten Informationen nötig. Auf Systemebene gehören zum Beispiel dazu:

  • Wartungsplan – aus Sicht der Verfügbarkeit muss die Wartung übergeordnet geplant werden; die Wartungszyklen aller Komponenten sind zu berücksichtigen.
  • Störungsbehebung und Diagnose – in der Störungsbehebung wird es schnell noch komplexer, so dass eine übergeordnete Zusammenfassung zu Störungsbehebung und Diagnose erforderlich ist; es sind auch Informationen zu den Schnittstellen enthalten.
  • Ersatzteile und Betriebsmittel – eine übergeordnete Informationsquelle für Ersatzteile und Betriebsmittel mit erforderlicher Bevorratung, Verfügbarkeitsinformationen und Beschaffungsprozess kann eine erhebliche Herausforderung darstellen.

Aufgrund der Komplexität von Systemen, der langen Lebensdauer und der damit verbundenen Veränderungen des Systems ist beim Betreiber normalerweise ein betriebsbegleitendes Informationsmanagement erforderlich. Bei vielen kommerziellen Systemen werden daher die Informationen zu Wartung, Störungsbehebung, Ersatz- und Betriebsmitteln in ein elektronisches Betriebsführungssystem integriert.

Vorgaben für Gestaltung und Struktur

Diese Systeme müssen ein schnelles Auffinden der benötigten Informationen zielgerichtet unterstützen. Neben der Navigation über die Anlagenstruktur sind dabei Suchfunktionen nach Benennungen und Bezeichnungen wichtig. Doch die dafür grundsätzlich nötige Konsistenz der Terminologie lässt sich bei der Vielzahl an Lieferanten und Anleitungen kaum herstellen. Hier sollte ein Hersteller von seinen Zulieferern zum Beispiel fordern, dass wichtige Benennungen und ihre Synonyme in den Komponentendokumenten auf System­ebene thesauriert werden. 

Titelseite von Ausgabe 04 2021 der Fachzeitschrift technische kommunikation.