Die Technische Redaktion ist verzweifelt: Anleitungen von Lieferanten sind unbrauchbar. Falsche Sprache, falsches Produkt, keine Handlungsschritte, kein Wartungsplan – die Kritikpunkte sind vielfältig. Fast jede Technische Redakteurin und jeder Technische Redakteur kennt diese Problematik. Einbinden der gelieferten Dokumentation in die gesamte Technische Dokumentation? Fehlanzeige. Besonders offensichtlich werden die Mängel im Bereich der Anlagendokumentationen. Sobald eine Gesamtheit von Maschinen beschrieben werden muss, sind die vollständigen und richtig erstellten Lieferantendokumentationen essenziell für den reibungslosen Redaktionsablauf.
Liegen Betriebsanleitungen für Einzelmaschinen in der falschen Sprache vor und können somit in der Technischen Redaktion nicht verstanden oder nur mühsam per Übersetzungsprogramm entschlüsselt werden, kommen die Mitarbeitenden schnell an Grenzen. Wartungspläne können nicht richtig eingebunden werden und eine Weitergabe an den Endkunden rückt in die Ferne. Die Technische Redaktion hat die Wahl: Unterlagen übersetzen lassen und somit zusätzliche externe Kosten bezahlen oder mehr Zeit in die eigene Recherche- und Schreibarbeit stecken und dadurch die internen Kosten in die Höhe treiben. In der Regel wird beides zu Diskussionen mit der verantwortlichen Projektleitung führen, da die Ausgaben sowie der Zeitplan für die Gesamtdokumentation plötzlich durch die Decke gehen. Den Frust der Projektleitung gibt die entnervte Technische Redaktion weiter: an die Einkaufsabteilung. Aus Sicht der Redaktion ist die Beschaffung von vernünftigen Arbeitsgrundlagen in Form von normgerechten Betriebsanleitungen die Aufgabe des Einkaufs, der auch die Einzelmaschinen, Komponenten und Werkzeuge einkauft. In dieser explosiven Situation ist Ärger vorprogrammiert, und so sind in vielen Firmen die Fronten zwischen Einkauf und Technischer Redaktion bereits verhärtet. Schauen wir uns die Ursachen für den Frust im Detail an.
Probleme mit dem Ausgabeformat
Sobald die Texte und Bilder aus Lieferantendokumentationen verwendet werden müssen, wird die mangelhafte Anleitung zur Stolperfalle. Dies fängt beim Ausgabeformat an. Im Bereich Maschinenbau müssen die Anleitungen bislang noch in Papierform vorliegen. Jede Person, die damit weiterarbeiten möchte, scheitert. Sobald eine Grafik, zum Beispiel ein Screenshot der Visualisierung, aus der gedruckten Anleitung übernommen werden soll, wird wahlweise der Weg zum Scanner oder der Griff zur Kamera notwendig. Das ist aufwändig und ist nebenbei aufgrund der Urheberrechte ohne entsprechende Freigabe des Lieferanten nicht erlaubt. Noch spannender wird eine Papieranleitung mit Blick auf die Übersetzung. Alle Dokumente, die dem Endkunden mitgegeben werden, müssen in dessen Landessprache vorliegen. Eine Übersetzung durch Dritte kann in dem Fall wahlweise mühsam und stümperhaft oder im schlimmsten Fall unmöglich durchgeführt werden. Die Kosten für die benötigte Übersetzung schnellen in die Höhe. Nicht nur die Papierform macht Probleme, auch Formate aus Adobe InDesign- oder FrameMaker-Dateien helfen nicht, wenn der Technischen Redaktion die passende Software fehlt. Das richtige Ausgabeformat sowie durchdachte Rahmenbedingungen sind daher unverzichtbar für eine gelungene Datenübernahme.
Probleme mit den Inhalten
Im Netz kursieren zahlreiche Beispiele von „schlechten“ Anleitungen. Häufig sind es fehlerhafte Übersetzungen, die uns zum Schmunzeln bringen. Besonders lustige Schriftstücke werden zur Freude aller in sozialen Netzwerken geteilt. Das Lachen bleibt jedoch demjenigen im Halse stecken, der jemals versucht hat, aus den Anleitungen gehaltvolle Informationen zu ziehen. Der Technische Redakteur und die Technische Redakteurin, die mit den lustigen Inhalten weiterarbeiten sollen, haben das Nachsehen.
Doch Übersetzungsfehler sind nur ein Beispiel von vielen. So kann es vorkommen, dass die gelieferte Anleitung nicht zum gelieferten Produkt passt, die so genannte „Anleitung“ eine reine technische Funktionsbeschreibung ohne jegliche Handlungsschritte ist oder komplette Kapitel, Lebensphasen, Beschreibungen oder Warnhinweise schlichtweg fehlen. An die Einhaltung der gängigen Richtlinien und Normen, wie etwa die IEC/IEEE 82079-1 oder ISO 20607, hat bei der Erstellung der gelieferten Schriftstücke keiner gedacht – und das Endergebnis ist unbrauchbar. Daraus resultiert, dass die Betriebsanleitung weder als Recherchegrundlage ausreicht, geschweige denn bei Bedarf an den Kunden weitergegeben werden kann.
Die fehlenden Informationen können sich sogar auf die Lebensdauer und sichere Verwendung des Endprodukts auswirken. Wenn zum Beispiel keine Schmiermittel zum Nachschmieren der Komponenten angegeben werden, aus Unwissenheit ein ungeeignetes Schmiermittel angewendet wird und daraus ein Maschinenschaden entsteht. Oder wenn sicherheitsrelevante Wartungstätigkeiten nicht in Wartungsplänen zu finden sind und die Technische Redaktion daher keine oder falsche Intervalle für die Bauteile festlegt und somit Sicherheitskomponenten ausfallen.
Probleme in der Konstruktion
Nicht nur für die Erstellung von Gesamtanleitungen sind fehlerhafte Lieferantendokumentationen problematisch. Auch der Konstruktionsabteilung werden Steine durch nicht aufgeführte Restrisiken in den Weg gelegt. Schließlich muss die Konstruktion für die Gesamtheit der Maschine eine Bewertung aller Risiken in einer Risikobeurteilung durchführen. Ein Abgleich der in der Betriebsanleitung der Einzelmaschinen aufgeführten Restrisiken hilft, bislang unerkannte Risiken schneller zu erkennen und besser einzuschätzen. Sobald die Originalbetriebsanleitung der Komponente fehlt, in der falschen Sprache vorliegt oder keine Restrisiken aufführt, wird der Konstruktion die Arbeit unnötig erschwert. Im schlimmsten Fall werden Risiken an den Einzelmaschinen womöglich nicht richtig erkannt. Besonders in Lebensphasen wie Wartung oder Reparatur können durch die notwendige Demontage von Schutzklappen unerkannte scharfe Kanten oder heiße Oberflächen übersehen werden, die die Konstruktion mit Blick in die Originalbetriebsanleitung des Herstellers schnell erkannt hätte. Aber nicht nur fehlende Anleitungen erschweren der Konstruktion den Alltag. Neben Anleitungen können andere Lieferantendokumente wie unvollständige oder fehlende Schaltpläne im gleichen Maße zu Unmut führen.
Suche nach Ursachen
Warum sind die Anleitungen in desolatem Zustand geliefert worden? Dafür gibt es viele Gründe: Schlechte Übersetzung oder ungeübtes Personal in der Konstruktion, das Anleitungen selbst zusammenzimmern muss, außerdem mangelhafte Kenntnisse beim Lieferanten – dies sind drei Beispiele einer ganzen Palette an allseits bekannten, meist firmenexternen Fehlerquellen. Doch eine Schwachstelle ist intern schnell ausgemacht: der Kaufvertrag. Ein Blick in den Vertrag zeigt, was zum definierten Liefertermin vorhanden sein muss:
- Produkt inklusive Zubehör
- Zertifikate
- Stücklisten
- Ersatzteillisten
- Schaltpläne
- Anleitung
Anleitung – das ist die Spezifikation dessen, was die Technische Redaktion am Ende zu Recherchezwecke oder zur Weiterverarbeitung erhält. Im Idealfall ist noch ein Ausgabeformat (zum Beispiel „Word“) oder eine Sprache definiert. Die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter im Einkauf erhält das Gesamtpaket zum Schnäppchenpreis und somit eine Beförderung, weil über das Jahr die Kosten um zehn Prozent gesenkt werden konnten. Dass die internen Kosten der Technischen Redaktion am Ende um 30 Prozent steigen, wird einfach übersehen oder ignoriert. Der Einkauf hat sein Soll erzielt. Denn für die Einkaufsabteilung stehen an erster Stelle die Preise der Zulieferer, nicht aber der internen Kostenstellen. Der Einkauf steht unter hohem Preisdruck, was wiederum im schlechtesten Fall unbrauchbare oder fehlende Anleitungen bedeuten kann. Rein technisch macht der Einkauf seinen Job richtig, konstruiert jedoch aufgrund seiner Scheuklappen unnötige Fallstricke. Diese können jedoch vermieden werden: durch eine enge Zusammenarbeit und ein hohes Maß an Aufklärung.
Schulung des Einkaufs
Um eine bessere Lieferantendokumentation zu erhalten, muss die Technische Redaktion die Zusammenarbeit mit dem Einkauf suchen und ihn aktiv unterstützen. Die Mitarbeitenden im Einkauf kennen die Problemstellungen von Technischer Redaktion und Konstruktion in der Regel nicht. Da ist aktive Aufklärung gefragt. In Gesprächen, Vorträgen und Schulungen kann die Redaktion ihre Anforderungen an Lieferantendokumentation vermitteln und erklären, worauf es ankommt. Besonders einprägsam dürfte eine Zeit- und Kostenaufstellung sein, die die angefallene Zusatzarbeit durch fehlende oder mangelhafte Dokumentation auflistet. Eine Berechnung der internen Stunden für zusätzliche Recherchearbeit oder eine Auflistung der anfallenden Übersetzungskosten liefern eine solide Datenbasis, die die Kolleginnen und Kollegen aus dem Einkauf verstehen. Bei schwierigen Kandidaten hilft der Blick auf zurückliegende Streitfälle von Mitbewerbern, die bei fehlerhaften Anleitungen meist zu Strafzahlungen führten.
In jedem Fall macht der Ton die Musik. Es geht nicht um ein Verhärten der Fronten oder Angstmacherei, sondern um Akzeptanz und Zusammenarbeit. Sobald die Weichen für eine Kooperation gestellt sind, können Technische Redaktion und Einkaufsabteilung gemeinsam Spezifikationen definieren. Die Spezifikationen sollten zum Beispiel Eckpunkte für die zu liefernden Anleitungen enthalten und dem Lieferanten vor der Vertragsverhandlung mitgeteilt werden.
Spezifikationen festlegen
Je nach Produkt und Anforderungen im Unternehmen können die Spezifikationen für Zulieferdokumentation unterschiedlich ausfallen. Die Themenbandbreite eines solchen Schriftstücks kann also sehr umfangreich sein. Typische Inhalte sollten jedoch sein:
Erstellung der Anleitung gemäß den gängigen und zutreffenden Richtlinien- und Normenanforderungen: In diesem Punkt können die relevanten Richtlinien und die gängigsten Normen gelistet werden (die IEC/IEEE 82079-1 trifft in dem Fall immer zu). Im Idealfall sollten auch Pflichtkapitel aufgelistet werden, die zwingend enthalten sein müssen, wie etwa Bedienung oder Wartung. Um auf Nummer sicher zu gehen, sollten in diesem Punkt trotz Verweis auf die IEC/IEEE 82079-1 die gängigsten Grundlagen wie die Verwendung von Grafiken und Fotos oder das Nummerieren von Handlungsaufforderungen einfließen.
Ausgabeformat: Sobald Anleitungen weiter „verarbeitet“ werden, sollte ein bearbeitbares Format geliefert werden. Meist reicht hier ein offenes PDF (neben dem gesetzlich geforderten Ausgabeformat) aus, um kleinere Abschnitte herauszukopieren oder Grafiken zu übernehmen. Für umfangreichere Arbeiten (besonders für spätere Übersetzungen) können andere Formate notwendig und sinnvoll sein. Diese werden an dieser Stelle definiert.
Sprache: Innerhalb der Europäischen Union sind die zu liefernden Sprachen gesetzlich festgelegt. Sollten weitere Sprachen benötigt werden, müssen diese vorab definiert sein.
Weiternutzung der Inhalte: Sobald Texte, Tabellen oder Grafiken in übergeordnete Anleitungen übernommen werden, sollte eine entsprechende Erlaubnis des Urhebers vorliegen. Normalerweise wird kaum ein Lieferant bei der Weiternutzung seiner Texte Einspruch erheben; soll die Zusammenarbeit aber korrekt ablaufen, ist ein entsprechender Punkt festzulegen. Dieser kann besonders im B2B-Markt relevant sein, wo Texte und Grafiken der Private-Label-Anleitungen oft komplett übernommen und lediglich mit dem Logo und Corporate Design des Verkäufers versehen werden.
Lieferdatum: Das Lieferdatum der Anleitung sollte zwischen Technischer Redaktion und Einkauf abgestimmt werden, um einen reibungslosen Workflow zu garantieren. Nicht, dass die Redaktion die Gesamtanleitung am Ende nicht fristgerecht erstellen kann, weil sie auf Zulieferdokumente warten muss.
Extrapunkte können die Spezifikation noch erweitern, zum Beispiel spezielle Anforderungen an die Kapitelstruktur oder Terminologie. Auch die Art der Wartungsintervalle kann definiert werden, um eine Erstellung eines Gesamtwartungsplans zu erleichtern und nicht zwischen unterschiedlichen Intervallarten wie Betriebsstunden oder Zeiträumen wie monatlich und jährlich herumspringen zu müssen. Zudem hat das Unternehmen eventuell eine spezielle Austauschdatenbank oder besondere Anforderungen an Dateibenennungen oder Kennzeichnungen, die definiert sein sollten.
Einige Firmen fordern spezielle Formate wie Adobe InDesign, was insbesondere für Personen zur Herausforderung wird, die mit Microsoft Word oder einem Redaktionssystem arbeiten. Um gegenüber Kolleginnen und Kollegen in anderen Unternehmen fair zu bleiben, sollten die Spezifikationen von der Technischen Redaktion ohne größere Umstände realisierbar sein. In dem Fall hilft eine enge Absprache mit dem Lieferanten und ein gutes Maß an Kompromissbereitschaft.
Ein positiver Nebeneffekt einer genauen Definition der Lieferantendokumentation wirkt sich auf das Lieferantenverhältnis selbst aus. Denn wenn der Lieferant im Vorfeld weiß, wie er zu dokumentieren hat, kann er sein Angebot preislich an den entsprechenden Aufwand anpassen. So vermeidet er Nacharbeiten und Diskussionen mit dem Kunden – eine gute Basis für eine längerfristige Kooperation.
Checkliste zur Vorabprüfung
Nachdem die Spezifikationen beidseitig definiert und die Verträge unterschrieben sind, muss die Zusammenarbeit zwischen Einkaufsabteilung und Technischer Redaktion nicht enden. Der Einkauf kann die Lieferantendokumentation mit einer gemeinsam erstellten Checkliste vorab prüfen und bei Bedarf bereits vor Übergabe an die Technische Redaktion fehlerhafte Anleitungen reklamieren.
Die Checkliste darf nicht zu ausführlich sein. Vielmehr muss sie einfache und schnell zu prüfende Punkte enthalten, die eine Prüfzeit von fünf Minuten nicht überschreiten sollte, damit diese Liste akzeptiert und angewandt wird. Inhalte der Checkliste können Punkte wie die Sprache oder die Aufführung der in den Spezifikationen festgelegten Mindestkapitel sein. Natürlich muss die Technische Redaktion die vom Einkauf vorgeprüften und akzeptierten Anleitungen trotzdem im Detail prüfen. Aber die schlimmsten Fehler wurden vorab vom Einkauf abgefangen. Im Fall von kritischen Anleitungen helfen die definierten Spezifikationen dem Einkauf wiederum als Argumentationsgrundlage für Reklamationsansprüche oder bei der Verweigerung von Zahlungen.
Ein Beispiel für eine Checkliste zeigt Tabelle 01.
Ein perfektes Team
Durch die Schulung des Einkaufs über die entstehenden Probleme aufgrund mangelhafter Lieferantendokumentation, eine gemeinsamen Erarbeitung von Lösungsvorschlägen in Form von Spezifikationen und Prüfmöglichkeiten und einen gegenseitig respektvollen Umgang können die beiden Abteilungen kooperieren und für mehr Effizienz und geringere Gesamtkosten im Umgang mit Lieferantendokumentation sorgen. Aber an der Stelle sollte die Zusammenarbeit nicht aufhören. Andere Entscheidungen, die der Einkauf trifft, können sich nachteilig auf die Arbeit der Technischen Redaktion auswirken. Dies kann die Wahl einer neuen Druckerei sein, die plötzlich neue Anforderungen an die Druckdateien stellt, was in der Technischen Redaktion ungewollt zu hohem Mehraufwand führt. Oder die Wahl eines Übersetzungsdienstleisters, dessen Wortpreis weniger kostet, der aber die speziellen Anforderungen an Endsatz oder Terminologie nicht beherrscht. Je enger der Austausch zwischen den Abteilungen ist, desto erfolgreicher und am Ende preiswerter verlaufen die Gesamtprojekte.