Der Weg zu neuer Informationsqualität

Text: Christian J. Geiger Thomas Ziesing

Die Digitalisierung verlangt von den Herstellern neue Lösungen, um Informationen bereitzustellen. Das betrifft auch die Technische Kommunikation, wie das Beispiel von Endress+Hauser zeigt. Dabei spielt auch der Standard iiRDS eine Rolle.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 08:59 Minuten

Der Megatrend „Digitalisierung“ wird die Technische Kommunikation drastisch verändern. Denn viele Branchen haben bereits eine Phase der Digitalisierung durchlaufen: Medien und Unterhaltung, Einzelhandel, Finanzdienstleistungen oder auch Telekommunikation zählten zu den ersten, die durch diese „magnetischen Kräfte“ beeinflusst worden sind. Andere Bereiche wie etwa Bildung, Gastronomie, Reisegewerbe, Konsumgüter, Fertigung und Gesundheitswesen sind bereits gefolgt oder sind dabei, es zu tun.

Industrie 4.0 – das industrielle Internet der Dinge (Industrial Internet of Things, IIoT) – ist inzwischen auch in der Prozess­automatisierung Realität. Die Entwicklung bringt eine Reihe von Herausforderungen mit sich – aber auch neue Potenziale.

In den letzten Jahren wurden zahlreiche Umfragen durchgeführt. Sie sollten herausfinden, wo Kunden die Hauptvorteile des industriellen Internet der Dinge sehen. Laut den Forschungen von Morgan Stanley aus 2016 ist die „Verbesserung der betrieblichen Effizienz“ der Hauptantrieb für das IIoT. Dann folgen „Verbesserung der Produktivität“, „Reduzierung der Ausfallzeiten“, „Maximierung der Anlagennutzung“ und „Reduzierung der Lebenszykluskosten der Anlagen“.

Drei Bereiche spielen eine Rolle

Nahezu alle Kunden stehen vor relativ großen Herausforderungen, wenn es um die Digitalisierung ihres Unternehmens geht. Viele Kunden diskutieren über das Potenzial der Digitalisierung. Außerdem darüber, was sie bringen und wie die Kunden die Digitalisierung nutzen könnten. Dort, wo der digitale Wandel noch nicht vollständig vollzogen wurde, herrscht zum Teil große Verunsicherung.

Endress+Hauser hat sich bereits vor einigen Jahren des industriellen Internet der Dinge angenommen. Das Unternehmen hat drei Bereiche herausgearbeitet, die Digtalisierung besonders beeinflussen wird:

  • die Digitalisierung des Angebots/Portfolios (Produkte und Dienstleistungen)
  • die Digitalisierung der Geschäfts­prozesse, die zu mehr „Selbsthilfe“ beim Kunden führen wird
  • die Digitalisierung der Kunden­beziehungen zum Beispiel durch Social Media oder Live Chats

In verschiedenen Projekten von Endress + Hauser haben sich Teams der Aspekte der Digitalisierung angenommen, Maßnahmen abgeleitet und auf den Weg gebracht. Auch im Bereich der Technischen Kommunikation haben sie Aktivitäten definiert, wie sich die Digitalisierung nutzen und in einen Mehrwert für den Kunden transportieren lässt.

So erwarten Anlagenbetreiber, dass ihnen Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort und im gewünschten Format zur Verfügung stehen. Die Betreiber wollen nicht mehr bei jedem auftretenden Fall eine komplette Technische Dokumentation von mehreren Dutzend oder gar hundert Seiten zu Rate ziehen müssen, um eine Störung zu beseitigen. Zudem hat sich gezeigt, dass Inhalte der Technischen Dokumentation in mehreren Phasen einer Customer Journey Verwendung finden müssen – nicht nur im After-Sales-Bereich.

Die Digitalisierung für das industrielle Internet der Dinge ermöglicht ganz neue Formen, um technische Informationen anzubieten. In naher Zukunft werden diese Inhalte auf neue Weise bereitstehen, zum Beispiel mit Augmented Reality oder Bots. Und sie werden neu erlebbar sein, etwa auf Smartphones, in Apps oder auch mit Wearables wie Datenbrillen oder Smart-Watches.

Eine zentrale Plattform entwickeln

Bei Endress+Hauser wurde deutlich, dass es notwendig ist, die Inhalte der Technischen Dokumentation für die Nutzung in der digitalen Welt vorzubereiten. Die Technische Dokumentation in Form von PDF oder gedruckt muss weiterentwickelt werden zu einer flexiblen, automatischen Bereitstellung fallspezifischer technischer Information.

Eine Arbeitsgruppe entwickelte deshalb ein Konzept. Mit dessen Hilfe ist es möglich, die Systeme und Anwendungen der Technischen Kommunikation zu einer Plattform zu verbinden. Die Plattform soll die Erstellung von strukturierten und klassifizierten Informationen ermöglichen. So können intelligente Informationen entstehen, die auf die Bedürfnisse eines Nutzers zugeschnitten sind.

Darüber hinaus ermöglicht das Konzept den Austausch von Informationen mit anderen Systemen und Prozessen. Auf diese Weise sind Informationen der Technischen Kommunikation einfach und zuverlässig erstellt und lassen sich als Informationspaket für IIoT- oder Digitalisierungsprojekte verwenden. Es stehen spezifische Informationen in allen Phasen der Customer Journey und des Produktlebenszyklus bereit und unterstützen die Digitalisierungsstrategie und die gesetzten Unternehmensziele.

Das Konzept von Endress+Hauser ermöglicht es, technische Informationen an ganz verschiedenen Punkten bereitzustellen, wo der Kunde damit in Berührung kommt. Interne und externe Nutzer profitieren von den technischen Inhalten gleichermaßen. Also wird in Zukunft nicht nur der Kunde, sondern zum Beispiel auch der Servicetechniker von Endress+Hauser notwendige Information überall auf der Welt zum richtigen Zeitpunkt abholen können.

Neue Informationsprodukte entstehen

Endress+Hauser startete anschließend das Projekt „Content Delivery“. Sein Ziel: das existierende Component-Content-Management-System (CCMS) der Technischen Kommunikation und die darin verwendeten Modulkonzepte zu überarbeiten und zu vereinheitlichen. Schnell wurde deutlich, dass die Art der Informationserstellung und -bereitstellung angesichts der neuen Anforderungen neu definiert werden muss. Außerdem zeigte sich, dass für ein effizientes Arbeiten Schnittstellen zu anderen Quellen und Systemen notwendig sind.

Dies führte zu einem komplett neuen Ansatz mit Topic-orientierten Informations­einheiten: die Einheiten werden dynamisch und kontextorientiert zu spezifischen Informationsprodukten zusammengestellt. Damit die Inhalte aktuell sind, wurden Schnittstellen zu den Systemen definiert, in denen notwendige Informationen wie technische Daten, Produktstrukturen oder Produktmetadaten gepflegt werden. Allerdings ist die Pflege dieser Informationen normalerweise nicht die Aufgabe der Technischen Redaktion. Abbildung 01 zeigt, wie technische Informationen in Zukunft erstellt, verteilt und verwaltet werden.

Übersicht über das zukünftige System

Abb. 01 Schematische Darstellung des zukünftigen Systems aus Inhaltserzeugung und - management sowie die Bereitstellung von Inhalten und Datenfluss bei Endress+Hauser. Quelle Endress+Hauser

Kleinere Arbeitsgruppen haben das Konzept bei mehreren Treffen erstellt. Ende 2018 wurde es von allen Mitarbeitern der Technischen Kommunikation verabschiedet. Anschließend folgte eine Anforderungsspezifikation. Basierend auf dieser Spezifikation wird zurzeit ein technisches Konzept erarbeitet. Es legt fest, wie und womit die Anforderungen umgesetzt werden sollen. Dieser so genannte BluePrint ist die Grundlage für die Implementierung des zukünftigen Systems – geplant Ende 2020 bzw. Anfang 2021.

Inhalte mit iiRDS klassifizieren

Wie schon beschrieben, ist ein Zusammenspiel verschiedener Systeme sowie ein reibungsloser und automatisierter Datenaustausch zwischen den Systemen Vor­aussetzung für erfolgreiches Content Delivery. Dazu ist ein Klassifikationskonzept nötig, das die einzelnen Inhaltsmodule eindeutig zuweisbar macht, damit diese auf Fallbasis richtig und vollständig ausgespielt werden.

Auch ein Konzept zur standardisierten Abfrage und Bereitstellung intelligenter Informationen in einem ebenfalls standardisierten Paketformat für die Auslieferung ist eine Voraussetzung für das Funktionieren und den Erfolg des Content-Delivery-Konzepts. Nur so ist die geplante Bereitstellung von Informationseinheiten und -produkten, die mit Metadaten angereichert sind, und die notwendige Automatisierung in den Abfrage- und Auslieferungsprozessen möglich.

Endress+Hauser setzt bei der Klassifizierung der technischen Inhalte auf iiRDS – den Standard für intelligent information Request and Delivery. Deshalb ist das Unternehmen Gründungsmitglied des iiRDS-Konsortiums und setzt sich dafür ein, dass der Standard eine breite Anwendung im Umfeld der Technischen Kommunikation und automatisierten Inhaltsbereitstellung findet – Abbildung 02.

Besucher sehen sich eine Präsentation von iiRDS an.

Abb. 02 Gemeinsam mit der tcworld GmbH entwickelte Endress+Hauser 2019 einen Bot, in dem Inhalte mit iiRDS klassifiziert wurden. Dazu fand auf der Jahrestagung 2019 eine gemeinsame Präsentation statt. Foto tekom

Drei Herausforderungen meistern

Wenn in industriellen Produktionsanlagen Arbeitsprozesse plötzlich stoppen, liegt dies oft an fehlenden Informationen. Für den Betreiber ist die größte Herausforderung, die richtige Information zu identifizieren, um eine Störung zu beseitigen. In Zukunft helfen Metadaten, aus einer Masse an Inhalten die richtige Information zu ermitteln.

Eine weitere Herausforderung besteht darin, eine eindeutige Verbindung zwischen der Information und dem physischen Objekt zu schaffen, für das diese Information gilt. Und die dritte Herausforderung, vor der Anwender stehen, ist der Zugang zu den Informationen rund um die Uhr.

Die Herausforderung lassen sich meistern, wenn Inhalte in möglichst kleine und dadurch eindeutig zuordenbare Informationsmodule heruntergebrochen und mit den entsprechenden Metadaten versehen werden. Auf diese Weise kann ein Standard wie iiRDS die richtige Information anfragen und das System die Information fallbasiert ausspielen.

So kann ein Servicetechniker in einer Anlage bei einem Messgerät mittels eines Fehlercodes oder eines QR-Codes eine exakte Fehleranalyse und -behebung durchführen (abb. 03). Er muss nicht mehr zurück ins Werkstattbüro, um in der gedruckten Technischen Dokumentation nachzusehen. Für solche Services sind Kunden bereit zu bezahlen. Ein großer Anreiz für die Hersteller, zeitnah solche Systeme zu realisieren.

"Aus iiRDS einen weltweiten Standard machen"

Endress+Hauser beteiligt sich an der Weiterentwicklung von iiRDS und ist daher Mitglied im iiRDS-Konsortium. Christian J. Geiger und Thomas Ziesing nennen die Gründe.

Warum engagieren Sie sich im iiRDS-Konsortium?

Geiger: Standardisierung ist eine schwierige und meist langwierige Sache. Wann darf etwas als Standard gelten? Wie viele Standards dürfen koexistieren, bevor man nicht mehr wirklich von einem Standard sprechen kann? Bei Endress+Hauser sind wir von der Notwendigkeit überzeugt, Dinge zu standardisieren. Je standardisierter etwas ist, desto leichter lässt es sich übertragen, weiterentwickeln und in breiterem Umfang nutzen. Denn im Zuge der digitalen Transformation unserer Branche wird neben dem physischen Produkt das Informationsprodukt immer wichtiger. Damit meine ich den digitalen Zwilling des realen Produkts.

Ziesing: Die meisten Hersteller generieren bereits eine ausreichend große Menge an Informationen rund um ihre physischen Produkte. Die Daten sind also grundsätzlich da. Die Schwierigkeit beginnt, wenn man darüber nachdenkt, wie man diese Daten automatisiert modularisieren und kategorisieren kann. Hierzu braucht es Festlegungen, auf die sich eine möglichst große Anzahl von Herstellern geeinigt haben müssen. Solche Festlegungen vorantreiben und möglichst viele Marktbeteiligte zum Mitmachen motivieren, das erhoffen wir uns vom iiRDS-Konsortium. Dabei wollen wir unterstützen, und deshalb machen wir dort mit.

Was erhoffen Sie sich vom Konsortium?

Geiger: Im Konsortium engagieren sich bereits Industrieunternehmen. Dazu zählt unseres, aber auch Softwareunternehmen und in Zukunft sicher auch Firmen von Anwendern. Da braucht es eine Stelle, die sich übergeordnet und objektiv um alle Belange kümmert. Sie muss den Überblick über alle Bereiche und Themen behalten, die nötig sind, um aus iiRDS einen weltweiten Standard zu machen. In unseren Augen hat diese Aufgabe die tekom als „Leading Member“ des Konsortiums, unterstützt durch die Mitgliedsfirmen.
Ziesing: Neben den ehrenamtlichen Arbeiten wird es Projekte geben, die aufgrund des Umfangs und der Komplexität extern vergeben werden müssen. Hier erwarte ich vom Konsortium eine neutrale und unvoreingenommene Rolle bei der Vergabe von Auftragsarbeiten.

Welche praktischen Umsetzungen sehen Sie für Ihr Unternehmen?

Geiger: Wie schon angedeutet, als einer der weltweit führenden Anbieter im Bereich der Feldinstrumentierung und Prozessautomatisierung helfen wir unseren Kunden, ihre Produktionsprozesse zu verbessern. Hier kommt eine Vielzahl unterschiedlicher Sensoren zum Einsatz. Sie müssen konfiguriert, eingebaut, betrieben und von Zeit zu Zeit gewartet werden. Dafür steht unseren Kunden eine ausreichende Menge an Informationen rund um unsere Produkte zur Verfügung. Diese liegen aber weitgehend in der Technischen Dokumentation. Der Anwender muss seitenweise Betriebsanleitungen durchforsten, um zur passenden Information zu gelangen. Das wollen wir ändern, und dabei hilft uns iiRDS. Die Kunden ziehen daraus einen möglichst großen Nutzen.
Ziesing: Zukünftig soll ein System dem Anwender nach bestimmten Parametern genau dasjenige Informations-Snippet auf einem vom Kunden frei wählbaren Endgerät ausspielen, was er in einem definierten Augenblick seiner Customer Journey benötigt. Hierfür ist iiRDS bzw. der Erfolg von Standardisierung für uns wichtig.

Technische Kommunikation bei Endress+Hauser

Endress+Hauser ist ein global führender Anbieter von Mess- und Automatisierungstechnik für Prozess und Labor. Das Familienunternehmen mit Sitz in Reinach/Schweiz erzielte 2018 über 2,4 Milliarden Euro Umsatz mit insgesamt 14.000 Beschäftigten. Geräte, Lösungen und Dienstleistungen von Endress+Hauser kommen in vielen Branchen zum Einsatz. Die Kunden gewinnen damit wertvolles Wissen aus ihren Anwendungen. So können sie ihre Produkte verbessern, wirtschaftlich arbeiten und zugleich Mensch und Umwelt schützen. Eigene Vertriebsgesellschaften in 50 Ländern sowie Vertreter in weiteren 70 Staaten stellen einen kompetenten Support sicher. Auf fünf Kontinenten befinden sich Produktionsstätten.
Georg H. Endress und Ludwig Hauser gründeten das Unternehmen 1953. Seither treibt das Unternehmen Entwicklung und Einsatz innovativer Technologien beständig voran und gestaltet heute die digitale Transformation der Industrie mit. 7.800 Patente und Anmeldungen schützen das geistige Eigentum der Gruppe.

In jeder der fünf Produktionsgesellschaften der Endress+Hauser Gruppe existiert eine Technische Redaktion. Der Grund dafür ist einfach: Technische Redakteure benötigen für ihre Arbeit im Idealfall eine große Nähe zum Produktmarketing, außerdem zu Forschung und Entwicklung. Die Technischen Redaktionen sind organisatorisch dem Marketingbereich zugeordnet und erstellen in Zusammenarbeit mit inhaltlich Verantwortlichen im Produktmanagement und den Entwicklungsabteilungen technische Informationen für die Produkte der jeweiligen Arbeitsgebiete. Dabei handelt es sich vorrangig um technische Details zu den Produkten sowie Instruktionen zur Installation, Betrieb, Wartung und Fehlerbehebung. Insgesamt sind etwa 50 Technische Redakteure bei Endress+Hauser beschäftigt. 2019 haben sie rund 5.500 Dokumentationen in 30 Sprachen erstellt oder aktualisiert.

Um diese Mengen zu bewältigen, kam früh ein Redaktionssystem zum Einsatz. Nachdem die Informationen anfangs mit Astoria erstellt und verwaltet wurden, wurden sie vor einigen Jahren modularisiert und werden im CCMS COSIMA erstellt und verwaltet. Dadurch wurde die Wiederverwendung von Inhalten gefördert und eine hohe Automatisierung bei der Erstellung und Publikation erreicht. Mittlerweile sind mehr als 90 Prozent der Informationen und Dokumentationen überführt worden. Zurzeit liegt der Schwerpunkt auf der Produktion von Print-Dokumentationen. Sie werden über ein zentrales Dokumentenmanagementsystem an weitere Anwendungen verteilt. Dort stehen sie dann zum Download bereit.

 

Schwerpunkt in Ausgabe 03/20