Das individuelle Erlebnis zählt

Text: Gertrud Grünwied

Die Normen für Usability haben in den letzten Jahren eine Reihe wichtiger Neuerungen erfahren. Stichpunkte sind User Experience, Benutzerbindung, Individualisierung und kontinuierliche Partizipation. Sind diese Prinzipien auch für elektronische oder mobile Dokumentation anwendbar?

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 12:21 Minuten

Wir wissen es längst: Nutzer wollen befähigt werden, technische Geräte und Software zu nutzen. Nutzerorientierung anstelle Produktorientierung, Benutzerinformation anstelle Produktdokumentation. Die Weichen für die Nutzerorientierung sind in Theorie und Praxis gestellt. Auch die Neuerungen in der Usability-Normenwelt, etwa bei der DIN EN ISO 9241-11 und der DIN EN ISO 9241-110, bestätigen dies (Tab. 01).

Vorneweg, viele im Artikel erwähnte Aspekte sind unter Dokumentationsspezialisten bekannt, erhalten aber „betrachtet durch die Usability-Brille“ einen neuen Stellenwert.

Übersicht über Normenteile.
Tab. 01 Quelle Gertrud Grünwied

Potenzial für Informationsprodukte

Für die Technische Redaktion ist es grundlegend, auf den erweiterten Anwendungsbereich der Usability-Norm einzugehen. Dieser befindet sich im Normenteil ISO 9241, Teil 11. Wurden in der Vorgänger-Norm nur „Produkte“ betrachtet, erweitert sich die aktuelle Norm diesbezüglich auf „Produkte, Systeme und Dienstleistungen“. Interessant für die Technische Dokumentation ist darin zudem: „Anmerkung zum Begriff „Interaktives System“: „Dazu gehören gegebenenfalls Verpackung, Benutzerdokumentation, Online-Hilfe und menschliche Hilfe, Unterstützung und Schulung.“ (Quelle: DIN EN ISO 9241-11, 2018, S. 9)

Damit lassen sich explizit und für sich genommen alle Informationstypen der Technischen Dokumentation unter die in der Norm definierte Gebrauchstauglichkeit einordnen. Bisher galt die Dokumentation nämlich nur als begleitende „Produktkomponente“.

Eine weitere Ergänzung liefert die Definition des Nutzungskontexts. Ein Aspekt des Nutzungskontexts ist die „Umgebung“. Die Norm baut diese jetzt – neben der bisher nur physischen und sozialen – um die technische Umgebung aus. Darunter ist etwa der Zugang zu Ressourcen wie Energieversorgung oder Konnektivität zu verstehen. Gerade die Konnektivität kann für Informationsprodukte ausschlaggebend sein. Eine mobile Dokumentations-App, die nur online verfügbar ist, können Leser bei fehlender oder unzureichender Internetverbindung nicht nutzen.

Was heißt Benutzerbindung?

Der Normenteil ISO 9241-110 definiert Interaktionsprinzipien und gibt Gestaltungsempfehlungen. Bei Einhaltung dieser Prinzipien erreicht das System eine gute Usability und UX. Oder umgekehrt ausgedrückt: Jedes Usability-Problem lässt sich auf eine Verletzung eines der Interaktionsprinzipien zurückführen, und sie sind ein zentraler Punkt bei Evaluationen.

In der aktuellen Fassung der Norm gibt es das neue Interaktionsprinzip der Benutzerbindung (vgl. DIN EN ISO 9241-110, Abschnitt 5.7). Die Benutzerbindung soll die Nutzer an das interaktive System binden, indem es die Aufmerksamkeit der Benutzer weckt und motiviert, das System zu verwenden. Das Prinzip soll ermutigen, ein System länger und häufiger zu benutzen. Benutzerbindung ist auch für die Herstellerdokumentation wichtig. Schließlich geht es bei der Benutzerbindung um eine generell positive Motivation, ein System, also auch ein Informationsprodukt, zu nutzen. Laut Norm soll die Benutzerbindung zu einem System auch dafür sorgen, dieses anderen Systemen mit ähnlicher Funktionalität vorzuziehen. Wie bekannt sind Google, YouTube und die weltweite Community mit ihren nutzergenerierten Anleitungen längst zu einer Art Konkurrenz zu Herstellerdokumentationen geworden. Es lohnt also ein Blick auf drei Faktoren der Benutzerbindung: Motivation, Vertrauenswürdigkeit und stärkere Einbeziehung der Benutzer.

Motivieren stärkt die Benutzerbindung

Motivation hat nach der Theorie der Leistungsmotivation von John Atkinson psychologisch viel mit Erfolg beim Handeln, mit Bestätigung und Belohnung zu tun. Die normative Empfehlung zum „Motivieren des Nutzers“ kann konkret bedeuten, eine erfolgreiche Bedienung mit „Alles OK“ oder „Vorgang erfolgreich beendet“ zu bestätigen. Übertragen auf die Benutzerinformation spielt die „User Assistance“ (UA) dabei eine maßgebliche Rolle. Im engeren Sinne handelt sich hier um die Benutzerführung innerhalb eines Systems.

Die User Assistance bietet dem Benutzer in verschiedenen Situationen Unterstützung: vom ersten Starten der Anwendung, von der Hilfe bei Problemen über Informationen zu laufenden Prozessen bis hin zur User Assistance direkt in der Benutzungsschnittstelle. Die Darstellungsformen von User Assistance sind vielfältig und reichen von Tooltips, Coach Marks, Pop-up-Hilfen bis hin zu assistierten Workflows sowie zu Anleitungsformen wie Doku-Apps oder Videos.

Speziell das Starten und Kennenlernen einer neuen App nimmt eine wichtige Rolle ein und kann entscheidend für die weitere Nutzung oder Ablehnung eines Systems sein. Hier können intuitive Erst-Start-Hilfen oder Onboarding-Elemente helfen, um einen guten ersten Eindruck zu erzeugen. Ein Beispiel sind Coach Marks. Coach Marks, auch als Overlays oder Walkthroughs bezeichnet, sind spezielle Darstellungsformen für punktuelle App-Hilfe auf mobilen Endgeräten (Abb. 01). In der Regel blenden sich mehrere Coach Marks in einer Animation hintereinander ein. So demonstrieren sie eine Reihe logisch abfolgender Handlungsschritte oder Funktionen.

Screenshot eines Coach Marks.
Abb. 01 Coach Mark als mobile Erst-Start-Hilfe. Quelle Oracle Alta UI

Wenn die ersten Schritte jedoch etwas ausführlicher zu beschreiben sind, empfiehlt sich hier ein zusätzliches Hilfethema, etwa nach Vorbild des Instantmessaging-Dienstes Slack. Die „Ersten Schritte“ erläutern die grundlegenden Schritte zum Einrichten eines Profils (Abb. 02). Sie sind durch Kurzbeschreibungen und nummerierte Handlungsschritte strukturiert aufzubauen. Der letzte Schritt „Mehr über andere Funktionen erfahren“ sollte über weitere Informationsarten wie Kurzanleitung, Einsteiger-Hilfe, Video-Tutorials und Kontexthilfe informieren. Nach dem Lesen sollten die Nutzer in der Lage sein, die ersten Schritte in Slack erfolgreich durchzuführen und starten bereits mit einem positiven Erlebnis.

Screenshot aus Slack.
Abb. 02 "Erste Schritte" Artikel in der Slack-Software. Quelle Slack.com

Motivierend kann zudem ein bestimmter Sprachstil sein. Nutzer sollen durch das Wording auf den Benutzeroberflächen oder in Anleitungen eine „Belohnung“ erhalten. Unter „UX Writing“ versteht man also eine persönliche Ansprache des Nutzers, die emotional ist, menschlich verbindend und nicht technisch wirkt. [1]

Benutzerbindung braucht Vertrauen

Weiterhin empfiehlt die Norm, Vertrauen aufzubauen. Dazu zählt auch, dem Benutzer Sicherheit zu geben, dass durch seine Handlungen kein Schaden entsteht. Dies unterstützen auch entsprechende Meldungen und Warnungen.

Ein Beispiel findet sich in der Doku-App eines Fahrzeugherstellers (Abb. 03). So informieren die Meldungen zu den Kontroll- und Warnleuchten im BMW Driver’s Guide ausführlich über deren Bedeutung. Der Leser erfährt dadurch, wann er welche weiteren Schritte einleiten muss. Je konkreter die Meldung die Maßnahmen beschreibt, umso sicherer fühlt sich der Anwender. Im Beispiel ist die Abhilfe, nämlich die Geschwindigkeit zu reduzieren, mit einer bestimmten Höchstgeschwindigkeit eindeutig benannt.

Screenshot aus BMW Driver's Guide App.
Abb. 03 Meldung zu Kontroll- und Warnleuchten in einer Doku-App. Quelle BMW Driver's Guide App

Auch Meldungen, die eine Software anzeigt, sind ein wichtiges Element der User Assistance. Die Texte von Statusmeldungen, Sicherheitsabfragen oder Fehlermeldungen sollten idealerweise Technische Redakteure mit verantworten. Sie verfügen über die Kompetenz, Warn- und Sicherheitsmeldungen zu klassifizieren, mit passenden Warnsymbolen zu versehen und Texte verständlich zu verfassen.

Eine weitere Möglichkeit, das Vertrauen von Benutzern zu gewinnen und zu behalten, sind Informationen über Neuerungen. In Zeiten von Continuous Delivery, also dem Verfahren der ständigen und häufigen Auslieferung von Software-Updates, ist für Kunden die Transparenz über Art und Inhalt von Neuerungen wichtig. Viele Anwender möchten über Änderungen gut informiert werden und wollen nicht zufällig über eine geänderte Bedienweise oder neue Funktion „stolpern“. Daneben ist es auch ein wichtiges Marketinginstrument, die Neuerungen der aktuellen Version bekannt zu geben.

Bei Apple iPhones und iPads gibt es dazu die App „Tipps“. Eine Rubrik in den „Tipps“ sind die „Neuen Funktionen“. In einer Slideshow erfährt der Nutzer kurz und knapp davon. Mit iOS14 brachte Apple etwa die vorinstallierte Übersetzer-App auf das iPhone. Die Beschreibung dieser neuen Funktion ist minimalistisch. Sie enthält ein Bildschirmfoto der neuen App und eine Kurzbeschreibung (Abb. 04). Beide reichen den heute digital geübten Anwendern, um die neue App für sich zu entdecken und zu nutzen.

Screenshot aus der Tipps-App auf Apple iPhone.
Abb. 04 Beschreibung neuer Funktionen. Quelle "Tipps"-App auf dem Apple iPhone

Resultatsangaben sind (doch) wichtig

Das abschließende Beispiel, Vertrauen in die Anleitung zu fördern, bildet die Resultatsangabe am Ende einer Handlungsanweisung. Der standardisierte Aufbau sieht vor, am Schluss der nummerierten Schritte ein Endresultat anzugeben, ggf. Zwischenresultate bei einschneidenden Änderungen. Immer häufiger sieht man jedoch in Anleitungen, dass das Ergebnis fehlt und die Handlung ein offenes Ende hat. Gründe könnten redaktionell im beabsichtigten Minimalismus liegen, im Vermeiden von Redundanzen oder im Voraussetzen kompetenter digitaler User. Aus Sicht der Usability sind sie allerdings sehr wichtig: Sie ermöglichen dem Nutzer abzugleichen, ob die eigene Handlung erfolgreich war. Im Sinne der Leistungsmotivation erfährt der Nutzer eine Bestätigung, was ein positives Erlebnis bedeutet und die User Experience anhebt.

Zudem könnten Informationsentwickler durch eine gründliche Produkt- und Tätigkeitsanalyse eventuell Interessantes nach Ende der Handlung in Erfahrung bringen. Das Beispiel in einer mobilen Dokumentation (Abb. 05) beschreibt mehrere Resultate und Optionen, die nach den letzten beiden Schritten des Zurücksetzens des Reifenfülldrucks und des Losfahrens für die Praxis hilfreich sind. So nennt das Resultat nicht nur die unmittelbare Systemreaktion als Ergebnis, sondern auch, was nach einer Fahrtzeit von mehreren Minuten sein wird, wie der erfolgreich abgeschlossene Reset erkennbar ist und was im Falle einer Fahrtunterbrechung passiert.

Screenshot einer mobilen Dokumentation von BMW Driver's Guide App
Abb. 05 Ausführliche Resultatsangabe in einer Doku-App. Quelle BMW Driver's Guide App

Benutzer binden Benutzer

Die dritte normative Empfehlung zur Benutzerbindung lautet, die Benutzerbeteiligung zu unterstützen. Sie spricht ein Kommunikationsthema an, nämlich die Kommunikation zwischen Hersteller und Bedienern sowie in der Nutzer-Community.

Benutzer zu beteiligen, heißt, Feedback und Verbesserungsvorschläge von Nutzern einzusammeln. Zur Optimierung von Produkten ist dies im Marketing längst gebräuchlich, weniger jedoch zur Dokumentationsaufwertung. Heute gibt es in digitalen Anleitungen eine Vielfalt an Feedback-Möglichkeiten. Doch welche Kriterien sollen diese erfüllen und wie können sie die Herstellerdokumentation nutzungsfreundlicher machen? Ein wichtiges Kriterium ist, dass das Dokumentations-Feedback möglichst spezifisch ist. Die bekannte Frage am Ende eines Topics „War diese Information hilfreich? – Ja/Nein“ (nach UX Writing besser „Ja, danke/Nicht wirklich“) ist unspezifisch und vermutlich auch daher nicht beliebt. Besser ist es, Feedback grundsätzlich nach Vorschlag, Problem oder Lob zu differenzieren. Weiterhin könnten Nutzer zwischen (Problem-)Kategorien wählen, Anmerkungen eintragen und einen Screenshot anhängen. Ein wichtiges Qualitätskriterium für Feedback ist, dass Nutzer dieses schnell, unkompliziert und ggf. mit Kontext ohne lange Formulare und Pflichtfelder abgeben können.

Ein Best Practice zeigt das Antwortformular von Adobe Help (Abb. 06). Wenn man mit einem Artikel nicht zufrieden war, kann man strukturiert Feedback geben und eine oder mehrere Ursachen ankreuzen. Zusätzlich kann man die Antwort mit einem Freitext versehen. Bei den Ursachen für positive wie auch negative Bewertung hat sich als Standard bewährt, nach inhaltlicher Qualität, Verständlichkeit, Funktionalität oder „Sonstiges“ zu unterscheiden. Für die Redaktionsabteilung liefert Feedback einen hilfreichen Anhaltspunkt für Optimierungen.

Screenshot von Adobe Help.
Abb. 06 Formular für Negativ-Feedback im Hilfezentrum von Adobe. Quelle helpx.adobe.com

FAQs nutzerorientiert gestalten

Gerade der FAQ-Bereich bietet sich an, um mit dem Nutzer zusammenzuarbeiten. Wenn ein Nutzer dort keine Antwort auf seine Frage findet, sollte er diese einreichen können. Oder direkt Kontakt mit dem Support aufnehmen oder einen Chatbot befragen können. Schließlich sollten Redakteure die FAQs nicht selbst auswählen, sondern diese auf Basis empirischer Nutzungsdaten erstellen. Die häufigsten Fragen der Nutzer lassen sich bereits während der Informationsentwicklung durch das Einbeziehen von Nutzern erheben. Nach erster Veröffentlichung der FAQs können die realen Fragen der Nutzer auf viele Weisen eingesammelt werden: Fragen in Foren, Online-Feedbacks, Kundenservice-Anfragen, Wiki-Nutzerbeiträge und Kommentare, eigene (neue) Fragen bei FAQs eingeben lassen, eingetippte Suchbegriffe oder YouTube-Kanal mit user-generated Anleitungsvideos. So lassen sich FAQs laufend aktualisieren und nutzerorientiert verbessern.

Individualisierte Information ist gefragt

Nutzer erwarten immer mehr die Personalisierung von Produkten. Sie wollen nicht mehr als Stereotype behandelt werden, sondern selbstbestimmt handeln und steuern. Die Usability-Norm ISO 9241-110 fordert die Individualisierbarkeit explizit als Teil der Steuerbarkeit eines Systems. Hier lohnt zunächst der Blick auf den Wortlaut der Anforderung in der Norm:

„Das interaktive System sollte es den Benutzern erlauben, die Benutzungsschnittstelle zur Anpassung an die individuellen Erfordernisse und Vorlieben zu individualisieren.“ (Quelle: DIN EN ISO 9241-110:2022, S. 25)

Übertragen auf den Dokumentationsbereich kann das Berücksichtigen persönlicher Merkmale verschiedene Ausprägungen haben. Nutzer wollen Herstellerinformationen inhaltlich oder medial auswählen und an eigene Bedürfnisse anpassen. In Zielgruppenanalysen gibt es mehrere Kriterien, den Informationsbedarf zu bestimmen. Demographische Angaben wie das Alter können sich auf die Gestaltung, etwa voreingestellte Schriftgrößen, Kontraste oder Abspielgeschwindigkeit eines Videos auswirken. Anhand der drei Kriterien im Schaubild (Abb. 07) können inhaltliche Anpassungen vorgenommen werden. Bei der Motivation zum Lesen lässt sich unterscheiden, ob der Nutzer sich informieren, sich anleiten lassen, gezielt nachschlagen oder Probleme lösen möchte. Die Vorerfahrung mit diesem oder einem vergleichbaren Produkt eines Nutzers hat Einfluss auf das Niveau der Informationen, wie etwa Grundlagen- oder Spezialwissen. Fachliche Vorkenntnisse schließlich haben eine Auswirkung auf Terminologie, Begriffserläuterungen oder auch Bild-Abstraktionsgrad.

Schaubild mit drei Kriterien für Benutzerinformation.
Abb. 07 Nutzer-Profilbildung für Benutzerinformationen. Quelle Gertrud Grünwied

In der Praxis lässt sich der individuelle Informationsbedarf etwa über ein Profil oder einen Filter umsetzen. Auf Basis eines im System hinterlegten Nutzerprofils werden dann die Informationen bedarfsgerecht angezeigt. Da der Nutzer hierbei keine Wahl treffen oder mühsam Inhalte suchen muss, handelt es sich um eine effiziente, nutzerfreundliche Informationsbereitstellung.

Ein Beispiel: Die visuelle Kollaborationsplattform „Miro“, ein Online-Whiteboard, stellt beim Erststart zwei Fragen. Eine davon fokussiert auf den Informationsbedarf (Abb. 08) und bietet drei Antworten auf die Frage, ob man bereits mit einem visuellen Tool gearbeitet hat. Die Antworten skalieren den Umfang der Hilfe:

  • Bei Verneinung fordert man (ausführliche) Hilfe zum Entdecken des Tools an.
  • Kann der Nutzer die Frage teilweise bejahen, enthält die Hilfe nur toolspezifische Grundlagen.
  • Hat man bereits viel Erfahrung mit dieser Art von Software, dann kann der Nutzer das Tool Miro ohne Hilfe selbst erkunden.

Zu beachten ist, dass ein Profil im Laufe der Zeit anpassbar ist, da es sich zum Beispiel durch neu absolvierte Trainings ändert. Die Norm gibt dazu vor, dass der Benutzer im Anschluss an beliebige Änderungen zu den vorherigen oder Originaleinstellungen zurückkehren kann. Um nochmals auf die zuvor erwähnte motivationsfördernde Erst-Start-Hilfe zurückzukommen: Auch, ob der Einsteiger diese Hilfe wünscht oder nicht, sollte das System – im Sinne der Individualisierbarkeit – zuvor abfragen.

Screenshot von der Software von Miro.
Abb. 08 Wählbarer Informationsbedarf steuert Umfang der Hilfe. Quelle Miro

Normen weisen die Richtung

Der Artikel macht deutlich, dass normative Usability-Anforderungen auch für Benutzer­informationen wichtig sind. Wie dies gehen kann, zeigen die zahlreichen Beispiele und Best Practices. Obwohl diese den Stand der Technik widerspiegeln, müssten die Verantwortlichen die elektronische Benutzerinformation oftmals tiefergehend und umfassender modernisieren. Die Usability-Normen geben dazu wertvolle Empfehlungen. Wichtig ist das Interaktionsprinzip der Benutzerbindung. Es ist für Hersteller heute unverzichtbar, die Anleitungen motivierender zu gestalten. Gute Anleitungen erzeugen eine höhere Benutzerbindung.

Ebenso von Bedeutung ist es, Benutzer aktiver zu beteiligen und diesen Prozess technologisch wie auch redaktionell zu unterstützen. Nicht zuletzt darf die Informationswelt den Anschluss an die Individualisierung, die Kunden heute erwarten, nicht verpassen.

Eine Vertiefung der normativen Usability-Neuerungen und damit verbundenen Perspektiven zur Nutzungsfreundlichkeit von Technischer Dokumentation finden Sie in der Fachliteratur [2].

Wagt man einen Blick in die Zukunft, so drängt es sich auf, die Usability-Aspekte für Anleitungen weiterzudenken. Neuartige Konzepte zur Steigerung von Nutzerakzeptanz und -erlebnis könnten entstehen. Um nur zwei Szenarien zu skizzieren:

  • Cloudbasierte Informationsangebote könnten die Erfahrungen aus der Community nutzen, um die Benutzerbindung zu steigern. Warum nicht bei der Herstellerhilfe weitere Themen empfehlen, die auch andere Benutzer gelesen haben? Oder die von anderen Benutzern mit fünf Sternchen und als „hilfreich“ bewertet wurden? Aus redaktioneller Sicht setzt dies entsprechende Technologien wie Semantische Wissensnetze und Wissensgraphen voraus – was es bereits gibt.
  • Oder der „Mut zur Lücke“ in einer Anleitung wäre das Doku-Pendant zum aktuellen Trend der Simplifizierung von Software und Systemen. Dies bedeutet, dass Softwareentwickler kaum verwendete Funktionen in einer neuen Version weglassen. Übertragen auf Anleitungen würde das heißen, dass ein fehlender oder fragwürdiger Informations-Use-Case zum Weglassen dieser Beschreibung führen würde, etwa Beschreibungen von ohnehin selbstsprechenden Bedienelementen. Hier zeigt sich gleichzeitig, dass tragfähige Analysen über das Benutzerverhalten beim Lesen von Anleitungen derzeit noch fehlen. Benutzerdaten-Tracking und Künstliche Intelligenz in elektronischer Dokumentation stehen noch am Anfang und könnten zukünftig dazu dienen, dem Leser vermehrt nur benötigte Informationen anzubieten.

Die Usability-Normen stellen also eine Bereicherung für die professionelle Informationsentwicklung dar. Sie geben nutzerorientierte Ziele und moderne Prinzipien vor, und Dokumentationsverantwortliche sind aufgerufen, diese konsequent in den digitalen Benutzerinformationen anzuwenden und umzusetzen.

Literatur zum Beitrag

[1] Grünwied, Gertrud (2021): Wie man Softwarenutzer begeistert. In: technische kommunikation. H. 03, S. 18–26.

[2] Grünwied, Gertrud (2020): Nutzungsfreundlichkeit von Technischer Dokumentation. In: tekom Schriften zur Technischen Kommunikation. Band 25. Perspektiven der Technischen Kommunikation. Hrsg. Hennig, J./Tjarks-Sobhani, M. S. 50–64: Stuttgart: tcworld GmbH.

Titelseite von Ausgabe 05 2022.