Mit Gefühl gegen Gefahr

Text: Cornel Eberhard Dario Perera

Sicherheitszeichen nach ISO vermitteln Informationen neutral, nach ANSI hingegen eher emotional. Eine neue Bachelorarbeit untersucht, welche Zeichen ein Nutzer eher beachtet, wann Zeichen überladen wirken und wie sich Zeichen verbessern lassen.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 11:44 Minuten

Eine globalisierte Welt braucht kulturübergreifende Zeichensysteme, damit Sicherheitsinformationen überall verständlich sind. Zu diesen Zeichensystemen gehören die Sicherheitszeichen. Das sind detailarme, übersichtliche Bilder, die bei Rezipienten sofort den richtigen Begriff aktivieren oder sie zur richtigen Handlung animieren [1]. Um einen Wildwuchs an Sicherheitszeichen zu vermeiden, hat die International Organization for Standardization (ISO) in der Norm ISO 7010 eine große Auswahl an Sicherheitszeichen festgelegt. Unsere Bachelorarbeit konzentriert sich auf die 40 Sicherheitszeichen aus der Sparte der Warnzeichen. Sieht man sich die ISO 7010 genauer an, so fällt auf, dass ein neues ISO-Sicherheitszeichen nicht zwingend auf Verständlichkeit hin überprüft werden muss. Lediglich für einzelne Sicherheitszeichen haben die Mitgliedorganisationen der ISO standardisierte Verständlichkeitstests durchgeführt – auf freiwilliger Basis [2].

Sicherheitszeichen müssen ohne große Vorkenntnisse zu verstehen sein. Zudem hat sich bei ISO eine neutrale Gestaltung etabliert: Sie verzichtet auf emotionalisierende Elemente, etwa die Darstellung von Blut oder drastischen Verletzungen. Anders beim American National Standards Institute (ANSI). Es ist zwar Mitglied bei ISO und vertritt dort die USA. Bei den Sicherheitszeichen verfolgt ANSI aber eine andere Design-Philosophie: Auf den Zeichen ist Blut dargestellt, auch abgetrennte oder zerquetschte Körperteile. Die Gestik abgebildeter Personen verdeutlicht Schmerz und Angst. Für unsere Untersuchung haben wir daher zwei Fragen behandelt:

  • Frage 1: An Sicherheitszeichen wird der Anspruch erhoben, möglichst ohne Vorkenntnisse verständlich zu sein [3]. Erfüllen dies ausgewählte Sicherheitszeichen der ISO 7010?
  • Frage 2: Hat die Emotionalisierung eines Sicherheitszeichens eine Auswirkung auf die Verständlichkeit?

Angewandte Methoden

Unsere Untersuchung hat drei Teile: Zunächst wird ein kognitionspsychologischer Kriterienkatalog erarbeitet. Dieser dient dazu, die Verständlichkeit der ISO- und ANSI-Sicherheitszeichen begründet zu beurteilen. Im zweiten Teil werden nach dem Zufalls­prinzip von den ISO- und ANSI-Sicherheitszeichen, deren Verständlichkeit eher kritisch ist, jeweils zehn Exemplare ausgewählt und in einen Online-Test integriert. Die Testpersonen beantworten, was die Sicherheitszeichen bedeuten und ob sie bei ihnen unangenehme Gefühle auslösen (Emotionalisierung). Ob die Emotionalisierung sich auf die Verständlichkeit auswirkt, zeigt eine Chi-Quadrat-Teststatistik (Inf. 01).

Die Chi-Quadrat-Teststatistik

Der Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstest prüft, ob zwei kategoriale und dichotome Merkmale unabhängig sind oder nicht. Dafür wird eine Kreuztabelle mit den beobachteten Zellwerten erstellt, die Ausgangspunkt für die Unabhängigkeitsberechnung ist. Beim Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstest wird berechnet, ob ein signifikanter Unterschied zwischen der be­obachteten und der erwarteten Häufigkeit besteht. Die erwartete Häufigkeit meint eine absolut gleichmäßige Verteilung der Merkmale – also 50:50.

In der Bachelorarbeit wurde mit diesem Test ermittelt, ob ein stochastisch signifikanter Zusammenhang zwischen der Emotionalisierung von Sicherheitszeichen und deren Verständlichkeit besteht. In der Kreuztabelle wurde aufgeführt, wie viele korrekte und wie viele falsche Antworten jeweils gegeben wurden und wie viele davon jeweils als emotionalisierend beurteilt wurden. In einem standardisierten Berechnungsverfahren wurde eine so genannte Teststatistik errechnet, die zum Ergebnis führte.

Inf. 01 Quelle Dario Perera und Cornel Eberhard

Im dritten Teil werden vier ISO-Sicherheitszeichen gestalterisch überarbeitet, die im Online-Test die niedrigsten Verständlichkeitswerte aufweisen. Im Anschluss werden die neuen Sicherheitszeichen in einem zweiten Online-Test auf ihre Verständlichkeit hin überprüft. Eine letzte Auswertung zeigt, ob die überarbeiteten Sicherheitszeichen höhere Verständlichkeitswerte erzielen können.

Von Geburt an

Die Wahrnehmungsprinzipien an sich sind keine gestaltungstechnischen Empfehlungen. Vielmehr handelt es sich um angeborene Programme, die visuelle Informationen automatisch verarbeiten. Orientieren sich Illustrationen daran, ist das Fundament für eine gute Verständlichkeit gelegt. Insgesamt gibt es ungefähr 30 Wahrnehmungsprinzipien. Drei davon spielen für Sicherheitszeichen eine wesentliche Rolle:

  1. Prinzip der Figur und des Grundes
  2. Prinzip der Prägnanz
  3. Prinzip der Geschlossenheit

Das erste Wahrnehmungsprinzip besagt, dass Menschen Objekte automatisch von ihrem Hintergrund unterscheiden. Die ISO-Sicherheitszeichen der Sparte Warnzeichen halten das Prinzip ein. Auch bei gestalterisch einfachen Exemplaren wie dem Ausrufezeichen lässt sich das Objekt im Vordergrund klar vom Hintergrund unterscheiden (Abb. 01). Außerdem: Die Farbkombination Schwarz auf Gelb erzeugt den höchstmöglichen Kontrast. Das erhöht die Erkennbarkeit zusätzlich. Gelb, Rot und Orange sind auch Warnfarben der Natur. Der Pfeilgiftfrosch (Abb. 02) schreckt mit seinem Gelb mögliche Angreifer ab [4]. Im Gegensatz zur Natur sind Sicherheitszeichen zweidimensionale, statische Illustrationen. Die Unterscheidbarkeit von Figur und Grund ist somit schwieriger. Eine Verwechslungsgefahr muss möglichst ausgeschlossen sein.

Prinzip der Prägnanz

Ausgewählte Bildkomponenten lassen sich durch Farbe, Form und Größe von den restlichen Bestandteilen im Bild abgrenzen. Sicherheitszeichen jedoch brauchen keine Mittel zur Abgrenzung, denn sie dürfen nur relevante Bildkomponenten enthalten. Der Strich in Abbildung 03 „Warnung vor feuergefährlichen Stoffen“ hat keine Bedeutung und ist der Verständlichkeit somit nicht zuträglich. Bei der Anzahl Bildkomponenten gilt: so viel wie nötig, so wenig wie möglich.

Prinzip der Geschlossenheit

Menschen nehmen Figuren auch dann gesamthaft wahr, wenn sie unvollständig abgebildet sind. So lässt sich das Haus in Abbildung 04 problemlos erkennen. Dieses Wahrnehmungsprinzip ist für ISO-Warnzeichen praktisch, denn so finden alle Bildkomponenten Platz im schmalen Dreieck. Bei einfachen Bildkomponenten wie Häusern funktioniert das Prinzip verlässlich. Bei Bildkomponenten, die visuell komplexer sind oder die kulturbedingt anders aussehen, ist jedoch Vorsicht geboten.

Die Farben Gelb und Schwarz dominieren Warnzeichen.

Abbildung 01 bis 04 (von links nach rechts)

Abb. 01 Allgemeines Warnzeichen. Quelle ISO 7010

Abb. 02 Pfeilgiftfrosch - mit Gelb warnt die Natur vor Gefahren. [5].

Abb. 03 Warnung vor feuergefährlichen Stoffen. Quelle ISO 7010

Abb. 04 Warnung vor Dachlawine. Quelle ISO 7010

Zusätzliche Verstärker

Der Großteil der ISO-Warnzeichen hält die Wahrnehmungsprinzipien ein. Dennoch hat sich die Bedeutung einiger Exemplare beim Anblick kaum erkennen lassen. In diesen Fällen haben wir die konkreten kognitionspsychologischen Mängel notiert und später in drei Kriterien zusammengefasst. Diese eigenen Erkenntnisse stehen nicht im Widerspruch zu den kognitionspsychologischen Kriterien. Es sind sozusagen Add-ons oder auch Verstärker. Sie sorgen dafür, dass die angeborenen Programme noch verlässlicher funktionieren.

  • Kriterium 1: Die Auswirkung auf den Menschen und/oder das Körperteil muss sichtbar oder nachvollziehbar sein.
  • Kriterium 2: Die abgebildeten Objekte müssen trotz Schematisierung klar erkennbar sein, damit eine Fehlinterpretation möglichst vermieden werden kann (Inf. 02).
  • Kriterium 3: Es dürfen nur Objekte oder Merkmale abgebildet sein, die für das Erkennen von Art und Quelle der Gefahr unbedingt notwendig sind. Umgekehrt muss alles abgebildet sein, was für das Erkennen von Art und Quelle der Gefahr notwendig ist.

Die Kraft der Emotionalisierung

ANSI setzt klar auf Emotionalisierung, während ISO mit dem Grundsatz der neutralen Gestaltung in die entgegengesetzte Richtung steuert. Als US-amerikanisches Mitglied der ISO ist ANSI jedoch kein Konkurrent und versteht sich nicht als Alternative zu ISO. Wie kommt es aber, dass sich bei der Emotionalisierung so unterschiedliche Ansätze etablieren konnten?

Der erste Teil der Antwort liegt in der Vorgeschichte der heutigen Sicherheitszeichen: Im Jahr 1925 entwickelte der österreichische Nationalökonom Otto Neurath die Bildsprache ISOTYPE: International System of Typographic Picture Education. Technisches, gesellschaftliches und wirtschaftliches Wissen sollte möglichst ohne Sprache vermittelt werden können [6]. Die ISOTYPE-Zeichen wurden ursprünglich aus farbigem Karton ausgeschnitten. Die gestalterischen Details für emotionalisierende Bildinhalte waren somit schwer umsetzbar [7]. Außerdem wollte Neurath als Anhänger der Aufklärung verhindern, dass emotionalisierende ISOTYPE-Zeichen manipulativ eingesetzt werden [8]. Letztlich haben sich Sicherheitszeichen zu einer Art Autorität entwickelt, die sachlich kommuniziert wird. Christian begründet: „Standardisierte Piktogramme [bzw. Sicherheitszeichen] auf Schildern im öffentlichen Raum oder am Arbeitsplatz gelten als offizielle Botschaften des Gesetzgebers und orientieren sich deshalb am neutralen Ton der Amtssprache“ [9].

Der zweite Teil der Antwort liegt in den unterschiedlichen Erkenntnissen der Kognitionspsychologie. Die Emotionalisierung hat zahlreiche Auswirkungen in verschiedenen Bereichen. Daraus ergeben sich für die Verständlichkeit Vor- und Nachteile. Es ist nicht in jedem Fall klar, ob emotionalisierende Illustrationen die Verständlichkeit erhöhen oder vermindern.

Bilder werden in jenen Hirnarealen verarbeitet, die auch für die Wahrnehmung der Wirklichkeit zuständig sind. Sie lösen somit dieselben Emotionen aus wie etwas, das real wahrgenommen bzw. gesehen wird. Das hat mehrere Vorteile: Emotionalisierende Bilder erhöhen die visuelle Verarbeitungsintensität, bei negativen Emotionen kann dieser Effekt jedoch gehemmt werden [10]. Der Grund für die erhöhte Verarbeitungsintensität liegt vermutlich in der Evolutionsbiologie. Bildliche Informationen, die einen Überlebensvorteil bieten, sind einprägsamer und führen beim Rezipienten automatisch dazu, dass er versucht, die Gefahr abzuwenden [11]. Emotionalisierende Bilder lösen automatisch entsprechende körperliche Reaktionen aus [12]. Letztlich sind die Art der Gefahr und ihre Auswirkung tendenziell leichter erkennbar: In Abbildung 05 ist der drohende Stromschlag gut erkennbar, denn die Person fällt zu Boden. Abbildung 06 ist ebenfalls verständlich, doch hier ist der Interpretationsspielraum größer. Es ist nicht direkt erkennbar, welche Art von Gefahr droht bzw. wie sich diese auf den Körper auswirkt.

Das ANSI-Zeichen drückt die Gefahr besser aus als das ISO-Zeichen.

Abbildung 05 und 06 (von links nach rechts)

Abb. 05 Warnung vor elektrischer Spannung. Quelle ANSI

Abb. 06 Warnung von elektrischer Spannung. Quelle ISO

Der größte Nachteil emotionalisierender Bildkomponenten ist der Verstoß gegen das Prinzip der Prägnanz. Schließlich sind dafür zusätzliche grafische Merkmale nötig. Jedes Element, das für die Verständlichkeit nicht zwingend ist, kann die Rezeptionsgeschwindigkeit verlangsamen und/oder zu Fehlinterpretationen führen [13]. Zuletzt gibt es auch einen rein ökonomischen Grund, auf eine Emotionalisierung zu verzichten: Ekman erklärt, dass ekelerregende Bilder kommerziell kaum eingesetzt werden, weil sie schlecht fürs Geschäft sind [14]. Das passiert nicht nur bei den Konsumgütern, sondern auch im industriellen Bereich. So erregt ein Sicherheitszeichen auf einer Sägemaschine Ekel, wenn es besonders drastisch auf Gefahren aufmerksam macht, etwa durch abgetrennte Körperteile oder einen schmerzverzerrten Ausdruck des Verunfallten.

Analyse und Ergebnisse

Kommen wir zurück zu den beiden Fragestellungen vom Anfang:

  1. An Sicherheitszeichen wird der Anspruch erhoben, möglichst ohne Vorkenntnisse verständlich zu sein. Erfüllen dies ausgewählte Sicherheitszeichen der ISO 7010?
  2. Hat die Emotionalisierung eines Sicherheitszeichens eine Auswirkung auf die Verständlichkeit?

Abbildung 7 zeigt die Resultate des Online-Tests zu Fragestellung 1 mit den ISO-Sicherheitszeichen. Die Anzahl über dem Prozentwert steht für die Anzahl der Antworten.

Verständlichkeit und Emotionalisierung auf dem Prüfstand.

Abb. 07 Gesamtüberblick ISO. Quelle Cornel Eberhard und Dario Perera.

Die Verständlichkeit beträgt im Durchschnitt 48 Prozent. Das ist in jedem Fall unzureichend, entsprechend lautet die Antwort auf die Fragestellung 1 „nein“ – die Sicherheitszeichen erfüllen den Anspruch nicht.

Fragestellung 2: Nun geht es darum, zu überprüfen, ob die Verständlichkeit abhängig von der Emotionalisierung ist. Um dies herauszufinden, kommt der Chi-Quadrat-Test zum Einsatz. Bei diesem Test wird analysiert, ob zwei kategoriale und dichotome Merkmale unabhängig voneinander sind oder nicht (Inf. 02).

Beim Chi-Quadrat-Test wird berechnet, ob ein signifikanter Unterschied zwischen der beobachteten und der erwarteten Häufigkeit besteht. Im Folgenden wird ermittelt, ob ein stochastisch signifikanter Zusammenhang zwischen der Emotionalisierung von Sicherheitszeichen und deren Verständnis besteht (Inf. 02).

Der Chi-Quadrat-Test zeigt, dass die Emotionalisierung eine deutliche Auswirkung auf die Verständlichkeit hat. Um alle Berechnungen aufzulisten, reicht an dieser Stelle der Platz nicht. Für Interessierte führt aber der QR-Code in Abbildung 08 zum entsprechenden Kapitel der Bachelorarbeit. Dort sind alle Berechnungen dargestellt.

Kurz erklärt

Schematisierunggestalterische Reduktion eines Objekts auf dessen typische visuelle und räumliche Merkmale
Kategoriales MerkmalWenn eine Variable eine begrenzte Anzahl an Merkmalen haben kann.
Dichotomes MerkmalWenn eine Variable nur zwei Merkmale haben kann, zum Beispiel „richtig“ und „falsch“.
Stochastisch signifikantWenn ein Wert so groß ist, dass ein Zufall ausgeschlossen werden kann.

Inf. 02 Quelle Dario Perera und Cornel Eberhard

Überarbeitung von Zeichen

Beim Online-Test erzielten die ISO-Sicherheitszeichen bei der Verständlichkeit ein unzureichendes Ergebnis. Im letzten Teil unserer Bachelorarbeit geht es darum, die vier ISO-Sicherheitszeichen neu zu gestalten, die als besonders unverständlich abgeschnitten haben. Anschließend haben wir getestet, ob sich mit der Überarbeitung die Verständlichkeit erhöht hat.

Zunächst wollten wir die Gründe für das schlechte Verständnis herausfinden, um anschließend Lösungsansätze abzuleiten. Dazu wurden alle abgegebenen Antworten analysiert und anhand der kognitionspsychologischen Kriterien neue Sicherheitszeichen erstellt. Die überarbeiteten Sicherheitszeichen wurden in einem zweiten Online-Test auf ihre Verständlichkeit überprüft. Bei diesem zweiten Online-Test war die Anzahl Testpersonen allerdings kleiner als beim ersten. Zwar sind die Testresultate nicht repräsentativ, sie vermitteln aber einen ersten Eindruck von der Verständlichkeit. Auch wurde dabei der Aspekt der Emotionalisierung nicht weiter berücksichtigt.

Die vier überarbeiteten Exemplare weisen alle höhere Verständlichkeitswerte auf. Die durchschnittliche Steigerung beträgt 59 Prozent. Die Prozentwerte in Abbildung 09 stehen für die Anzahl an korrekten Antworten vor und nach der Überarbeitung.

Höhere Emotionalisierung in ISO-Zeichen und damit eine höhere Verständlichkeit.

Abb. 09 Die vier Sicherheitszeichen und deren Überarbeitung sowie deren Auswirkung auf die Verständlichkeit. Quelle Cornel Eberhard und Dario Perera

Wenn man die ISO-Sicherheitszeichen mit den überarbeiteten Exemplaren vergleicht, erkennt man gleich, dass man das Rad nicht neu erfinden muss. Lediglich kleine Anpassungen wie ein Thermometer oder räumliche Veränderungen haben zu einer markanten Verbesserung der Verständlichkeit geführt. Dank der konsequenten Einhaltung der kognitionspsychologischen Kriterien ist es gelungen, alltägliche Sicherheitszeichen verständlicher zu machen.

Ideen für die Zukunft

Die Sicherheitszeichen von ANSI wurden im Online-Test als wesentlich emotionaler beurteilt als die von ISO. Dies entspricht den Erwartungen, denn die neutrale Gestaltungsphilosophie von ISO zieht sich quer durch die Sparte der Warnzeichen. Selbst vergleichsweise drastische Exemplare wie Abbildung 10 „Warnung vor Quetschgefahr“ sind nüchtern gestaltet.

Zusammenfassung von Abbildung 08 und 10.

Abbildung 08 und 10 (von links nach rechts)

Abb. 08 Der QR-Code führt zum Kapitel mit allen Berechnungen. Quelle Cornel Eberhard und Dario Perera

Abb. 10 Warnung vor Quetschgefahr. Quelle ISO 7010

Die Antwort auf die Fragestellung 2 überrascht daher nicht: Bei emotionalisierenden Sicherheitszeichen ist die Art der Gefahr leichter zu erkennen. Hier ist deutlich sichtbar, wie sich die jeweilige Gefahr auswirken kann. Zudem ist tendenziell besser erkennbar, welcher Körperteil am stärksten einer Gefahr ausgesetzt ist.

Die Testpersonen mussten die Frage nach der Emotionalisierung jeweils mit ja oder nein beantworten. In einer weiterführenden Arbeit könnte man die Untersuchungsergebnisse verfeinern, indem man die Emotionalisierung graduell erhebt. Eine Untersuchung wert wäre auch die Frage, ob es geschlechtsspezifische Unterschiede gibt bei der Beurteilung der Emotionalisierung.

Überrascht hat hingegen die Antwort auf die Frage, ob Sicherheitszeichen ohne Vorkenntnisse verständlich sind. Die getesteten ISO-Sicherheitszeichen wiesen eine ungenügende Verständlichkeit auf und erfüllen nicht den Anspruch, dass man sie ohne Vorkenntnisse versteht. Wichtig an dieser Stelle ist jedoch, dass die ISO Sicherheitszeichen jeweils mit Kontext prüft. Wer an einem Verständlichkeitstest der ISO teilnimmt, erhält einen kurzen schriftlichen Kontext zum entsprechenden Sicherheitszeichen, etwa „Sie stehen vor einem Haus. Am Hausdach hängen schwere Eiszapfen“. Auch bildliche Zusammenhänge sind erlaubt. Dies erweckt den Eindruck, dass ISO nicht den Anspruch hat, dass die eigenen Sicherheitszeichen möglichst ohne Vorkenntnisse zu verstehen sein müssen.

In unserem Online-Test wurden die Antworten der Testpersonen entweder als korrekt oder falsch beurteilt. Der erstellte Korrekturleitfaden definiert keine Zwischenstufen der Verständlichkeit. Somit liefern die Testergebnisse kein vollumfassendes Bild der vorhandenen Verständlichkeit. Bei vielen Sicherheitszeichen lagen häufig zu allgemeine, also zu wenig spezifische Antworten vor. Diese wurden deshalb als falsch eingestuft. In einer weiterführenden Arbeit könnte die Verständlichkeit graduell erhoben und ein schärferes Bild der effektiv vorhandenen Verständlichkeit ermöglicht werden. Gleich verhält es sich mit der Emotionalisierung: Würde man diese graduell erheben, könnte man ihren Zusammenhang mit der Verständlichkeit differenzierter betrachten.

Ein weiterer Aspekt für eine zukünftige Untersuchung wäre der Kontext. Die Art und Weise, wie Sicherheitszeichen den Testpersonen im Online-Test gezeigt wurden, entsprechen nicht der Realität. Sicherheitszeichen, die im Gebrauch sind, treten immer an einer bestimmten Stelle und Umgebung auf und sind somit nie kontextfrei. Jedoch blendete die kontextfreie Darstellung ablenkende Elemente aus und ermöglichte somit eine Fokussierung auf die Sicherheitszeichen. Dies wiederum verhinderte eine Verfälschung der Ergebnisse, weil die Testpersonen keine Rückschlüsse aus dem Kontext ziehen konnten, um die Bedeutung des Sicherheitszeichens zu bestimmen.

Die Verständlichkeitswerte der vier überarbeiteten Sicherheitszeichen stiegen markant und haben dabei die Erwartungen übertroffen. Die Testresultate bestätigen, dass mithilfe der Wahrnehmungsprinzipien und insbesondere mit den eigenen kognitionspsychologischen Kriterien eine solide Grundlage für die Überarbeitung bestand.

An dieser Stelle muss eingeschränkt werden, dass die Anzahl Testpersonen (41) kleiner war als beim ersten Online-Test. Insgesamt haben 244 Personen am Online-Test teilgenommen. Davon haben 179 den Test vollständig ausgefüllt. Die restlichen Personen brachen den Test vorzeitig ab und fallen deshalb nicht in die Bewertung.

Es besteht also ein Unterschied in Bezug auf die Repräsentativität. Für eine weiterführende Untersuchung würde es sich anbieten, die Anzahl Testpersonen zu erhöhen, um die Ergebnisse erneut mit den Originalen zu vergleichen.

Sicherheitszeichen nach ISO sind neutral, nach ANSI eher emotional.

Links & Literatur

[1] Ballstaedt, S.-P. (1994): Kognitionspsychologische Richtlinien zur Gestaltung von Sicherheitspiktogrammen. Freiburg im Breisgau: Haufe. S. 501–512.

[2] ISO 9186

[3] Christian, A. (2017): Piktogramme. Tendenzen in der Gestaltung und im Einsatz grafischer Symbole. Köln: Herbert von Halem Verlag. S. 25.

[4] Stapelkamp, T. (2013): Informationsvisualisierung. Web – Print – Signaletik: Erfolgreiches Informationsdesign: Leitsysteme, Wissensvermittlung und Informationsarchitektur. Berlin: Springer Vieweg. S. 198.

[5] https://www.markt.de/ratgeber/terraristik/Pfeilgiftfroesche-bunte-Pfleglinge-fuer-Profis-und-Terrarium-Neulinge/  [12. April 2019]

[6] Stapelkamp, T. (2013): Informationsvisualisierung. Web – Print – Signaletik: Erfolgreiches Informationsdesign: Leitsysteme, Wissensvermittlung und Informationsarchitektur. Berlin: Springer Vieweg. S. 156.

[7] Christian, A. (2017): Piktogramme. Tendenzen in der Gestaltung und im Einsatz grafischer Symbole. Köln: Herbert von Halem Verlag. S. 227.

[8] Christian, A. (2017): Piktogramme. Tendenzen in der Gestaltung und im Einsatz grafischer Symbole. Köln: Herbert von Halem Verlag. S. 229.

[9] Christian, A. (2017): Piktogramme. Tendenzen in der Gestaltung und im Einsatz grafischer Symbole. Köln: Herbert von Halem Verlag. S. 233.

[10] Müller, M. G., & Geise, S. (2015): Grundlagen der visuellen Kommunikation. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft mbH. S. 103.

[11] Lang, A. (2000): The Limited Capacity Model of Mediated Message Processing. Journal of Communication, 50(1), S. 46–70.

[12] Ekman, P. (2007): Emotions Revealed. Recognizing Faces and Feelings to Improve Communication and Emotional Life. New York: St. Martin’s Griffin. S. 65.

[13] Christian, A. (2017): Piktogramme. Tendenzen in der Gestaltung und im Einsatz grafischer Symbole. S. 52 ff. Köln: Herbert von Halem Verlag.

[14] Ekman, P. (2007): Emotions Revealed. Recognizing Faces and Feelings to Improve Communication and Emotional Life. New York: St. Martin’s Griffin. S. 172.