Von Null auf CMS in drei Tagen?

Text: Matthias Lohrer

Ein Redaktionssystem verbessert Abläufe und Konsistenz Technischer Dokumentation und verringert die Kosten. Kein Wunder, dass ein Redaktionssystem ganz oben auf der Wunschliste steht. Doch die Realität sieht anders aus, wenn bereits die Systemauswahl nicht klappt – Zeit für Tipps aus der Praxis.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 05:43 Minuten

Wie soll ein Unternehmen vorgehen, wenn es ein Content-Management-System einführen will? Diese Frage stellen sich zurzeit viele Unternehmen. Hier herrschen Unsicherheit und Beratungsbedarf. Franz Reinisch zum Beispiel, Geschäftsführer der reinisch GmbH, ein Dienstleister für Technische Dokumentation, berichtet von der zurückliegenden tekom-Tagung im Herbst 2019: „Drei Viertel der Anfragen, die wir auf der Tagung bekommen haben, richteten sich auf Beratung, nicht auf die Durchführung von Technischer Dokumentation im engeren Sinne.“

CMS-Studie der tekom

Wer zu diesem Thema Beratung sucht, wird bei der tekom fündig. Zum Thema CMS-Einführung bietet der Fachverband eine herstellerneutrale Grundlageninformation an. Die tekom-Studie „Effizientes Informationsmanagement durch komponentenbasierte Content-Management-Systeme. Praxishilfe und Leitfaden: Grundlagen, Auswahl und Einführung, Systeme am Markt“ ist soeben in der vierten Auflage erschienen. Sie vergleicht die Merkmale von insgesamt 16 marktgängigen Lösungen. Darüber hinaus bietet sie Unterstützung bei der Einführung.

Das sagen andere

Der Verband deutscher Redaktions- und Content Management System Hersteller e. V. (DERCOM) ist ein erklärter Fan der tekom-CMS-Studie. Auf der Jahrestagung 2019 hatte der Verband eine Podiumsdiskussion zur Frage initiiert, wie Unternehmen die Einführung eines CMS am besten vorbereiten können. Carl Pfeffer, erster Vorsitzender des DERCOM, etwa sagte: „Die neue CMS-Studie bietet Technischen Redakteuren eine hervorragende Möglichkeit, sich darüber zu informieren, welche Redaktionssysteme den eigenen Anforderungen am besten gerecht werden und das eigene Geschäftsmodell voranbringen.“

Da aber mittlerweile alle CMS-Anbieter die Standardfunktionen erfüllen, komme es darauf an, dass die Unternehmen ihre eigenen, individuellen Besonderheiten herausarbeiten und den CMS-Anbietern bei einer Ausschreibung verdeutlichen. Dies kann zum Beispiel gelingen, indem man die bestehenden Prozesse im eigenen Unternehmen analysiert, typische Use Cases darstellt und insbesondere den Bestand an vorhandenen Dokumenten und Systemen durchleuchtet. Dazu noch einmal Carl Pfeffer: „Lieber spendiere ich als Systemhersteller einen Workshop für einen potenziellen Anwender, als tagelang den Fragebogen auszufüllen, dessen Inhalte längst veröffentlicht sind.“

Pfeffer bezieht sich hier auf den Fragebogen, der im Anhang der CMS-Studie enthalten ist. CMS-Hersteller berichten, dass Interessenten bei ihrer Evaluierung diesen Fragebogen erneut an die Unternehmen senden, obwohl die Antworten bereits in der Studie enthalten sind. Zudem handelt es sich um Fragen, die nicht klar durchdacht sind und vom Hersteller zusätzlichen Aufwand bei der Beantwortung erfordern.

Das lässt sich tun

Zur Frage: „Wie kann ein Unternehmen seine CMS-Einführung vorbereiten?“ will dieser Beitrag einige Tipps geben. Genauer gesagt, sind es drei:

  1. Orientieren Sie sich am Stufenmodell zur CMS-Einführung aus der tekom-Studie.
  2. Formulieren Sie Ihre Anforderungen in Form von Use Cases.
  3. Betreiben Sie Projektmanagement.

Erster Tipp – das Stufenmodell

Der Teil B der Studie behandelt „Schritte zur Systemeinführung“. Hier empfiehlt die tekom ein zehnstufiges Modell zur Einführung eines Content-Management-Systems. Diese Arbeit fängt nicht damit an, dass man das CMS eines Anbieters auswählt. Die ersten Schritte bestehen vielmehr in einer Bestandsaufnahme und in der Skizzierung dessen, wo man hinwill. Gehen wir mal nur die beiden ersten Schritte in Gedanken durch.

Stufe 1: den Ist-Zustand erfassen

Im ersten Schritt geht es darum, den Ist-Zustand beim Thema Technische Dokumentation zu erfassen. In dieser Phase stellt sich das Unternehmen etwa folgende Fragen:

  • In welchem Umfang liegt Technische Dokumentation bereits vor?
  • In welcher Qualität?
  • In welcher Form?
  • In welchen Sprachen?
  • Wer erstellt die Technische Dokumentation?
  • Welche Prozesse für die Erstellung der Technischen Dokumentation sind definiert?
  • Welche Prozesse sind zwar nicht definiert, laufen aber faktisch ab?
  • Welche Probleme gibt es?
  • Womit ist man unzufrieden?

Die Ergebnisse dieser Bestandsaufnahme sollte man in einem Dokument zusammenfassen. Der Inhalt dieses Dokuments soll aussagen: „So arbeiten wir momentan. Diese Bestände an Dokumenten und Inhalten liegen in diesen Formaten vor.“

Das Dokument wird später für externe Berater und CMS-Lieferanten eine wichtige Quelle sein. Denn diese müssen die Ausgangssituation eines Unternehmens verstehen, das bei sich ein CMS einführen möchte. Und dafür brauchen Consultants so ein Dokument.

Stufe 2: Optimierungspotenzial darstellen

Wer diesen ersten Schritt offen durchlaufen hat, den wird es drängen, auch den zweiten zu tun. Jetzt darf und soll man sich überlegen, was besser werden könnte. Fragen in dieser Phase lauten etwa:

  • Wo liegen die herausragenden Problemfelder?
  • Welche Lösungswege sind möglich?
  • Welcher Nutzen ist gewünscht? Diesen am besten in Form von Use Cases herausarbeiten.
  • Welche Gruppen (Abteilungen, Personen, Lieferanten) innerhalb und außerhalb des Unternehmens wären von der jeweiligen Lösung betroffen?
  • Welcher Nutzen steht welchen grob geschätzten Kosten gegenüber?

Das sind nur die beiden ersten Schritte aus dem Stufenmodell der CMS-Studie. Acht weitere Schritte folgen. Wer sich an dieser Struktur orientiert, der profitiert von einer klaren Vorgehensweise. Das ist der erste Tipp.

Zweiter Tipp – Anwendungsfälle

Beim Skizzieren des Optimierungspotenzials ist oft von „Use Cases“ die Rede, auf Deutsch: „Anwendungsfälle“. Nicht jeder weiß aber genau, was damit gemeint ist. Weil Use Cases jedoch so ungemein nützlich sein können, sollen sie hier kurz erklärt werden.

Um sie zu formulieren, bedient man sich einer standardisierten dreiteiligen Form, die da lautet:

  1. In meiner Rolle als: abc
  2. möchte ich folgende Funktionalität haben: def
  3. damit ich folgenden Nutzen daraus ziehen kann: ghi

Ein einfaches Beispiel:

  1. In meiner Rolle als Technische Redakteurin oder Redakteur
  2. möchte ich die von mir ergänzte Betriebsanleitung von der Entwicklungsabteilung prüfen lassen können,
  3. damit die Qualität der Anleitung gesichert ist.

Aus diesem Anwendungsfall resultiert bereits ein weiterer Use Case, denn nun wird auch die Entwicklungsabteilung zum Akteur. Also könnte man gleich den nächsten Fall ergänzen:

  1. In meiner Rolle als Reviewer
  2. will ich im geänderten Dokument rasch diejenigen Teile finden können, die im Vergleich zur Vorgängerversion geändert wurden,
  3. damit ich effizient prüfen kann.

Wenn man seine Wünsche in Form von solchen Use Cases gesammelt hat, dann kann man verschiedene Systeme später auf dieser Basis miteinander vergleichen: Wie unterstützt das System xyz diesen Use Case? Ist eine Kooperation in Teams vorgesehen? Findet man über eine Versionsverwaltung schnell die Änderungen? Eine solche Orientierung an konkreten Anwendungsfällen kann schneller mehr Erkenntnisse zutage fördern, als wenn man nur „Features“ von Softwarelösungen miteinander vergleicht.

Mit Use Cases lassen sich echte Geschäftswerte beschreiben. Wer seinen User Stories außerdem Testprozeduren und Akzeptanzkriterien hinzufügt, der hat bereits einen umfassenden Test für eine Systemabnahme definiert.

Wer den Aufbau von Use Cases begriffen hat, dem fällt es normalerweise leicht, seine Wünsche und Vorstellungen in dieser Form zu äußern. Darüber hinaus ist die Verwendung von Use Cases auch in der Softwareentwicklung eine gängige Methode, mit Anforderungen umzugehen. Die Verwendung von Use Cases bildet damit eine solide Kommunikationsbasis zwischen Interessenten an einer CMS-Lösung einerseits und Entwicklern von CMS-Lösungen andererseits.

Dritter Tipp – Projekt durchführen

Beim dritten Tipp sei eine Behauptung gewagt: Viele Probleme bei der Einführung von CM-Systemen resultieren gar nicht aus irgendwelchen Besonderheiten des Content Managements. Sie resultieren einfach daraus, dass die CMS-Interessenten die CMS-Einführung nicht als Projekt betrachten.

Was ist ein Projekt? Laut DIN-Norm 69901 ist ein Projekt durch zwei Dinge gekennzeichnet:

  • die Einmaligkeit seiner Bedingungen
  • und die Tatsache, dass es konstante Aspekte gibt, die in Projekten aller Art gleichermaßen zu berücksichtigen sind.

Nun kennt jeder Mitarbeiter sein Tagesgeschäft und weiß, wie er hier einen guten Job machen kann. Nicht jeder Mitarbeiter ist aber auch ein ausgebildeter Projektmanager. Und nicht jedem Vorgesetzten ist klar, dass er die Einführung eines CM-Systems nicht einfach irgendjemandem zusätzlich zur Tagesarbeit aufbürden kann.

Dazu passt folgende Beobachtung: Auf der bereits erwähnten Podiumsdiskussion auf der Jahrestagung 2019 berichteten die CMS-Hersteller von folgendem Phänomen: Manche Interessenten würden um die Bereitstellung eines Testsystems bitten. Wenn die Interessenten ein Testsystem bekommen haben, so die Erfahrung der CMS-Anbieter, würden sie es aber anschließend kaum nutzen. Typischerweise würden sich Mitarbeiter dann erst abends gegen 18 Uhr mal kurz einloggen und nicht viel mit dem System anfangen.

Die Vermutung liegt nahe, dass jemand mit der CMS-Einführung beauftragt wurde, der das neben seinem Alltagsjob machen soll. Das kann nicht gut gehen. Hier ist die jeweilige Unternehmensleitung gefordert: Sie muss Ressourcen bereitstellen, damit die Durchführung des Projekts nicht erst abends um 18 Uhr, sondern morgens um 9 Uhr beginnen kann. Und wenn der jeweilige Projektmanager dann auch die Regeln des Projektmanagements beherzigt, dann sind gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche CMS-Einführung gegeben.

Die Auswahl eines Redaktionssystems war ein Thema auf der Jahrestagung 2019.

Links & Literatur

Neuauflage eines Klassikers für die Technische Kommunikation

Der Inhalt im Überblick: 

Teil A: Content-Management-Systeme und Informationsentwicklung 

  • Einführung in die Studie
  • theoretischer und fachlicher Hintergrund
  • der Status quo in der Informationsentwicklung
  • Entscheidungshilfe pro oder kontra Content-Management-System

Teil B: Schritte zur Systemeinführung

  • Vorgehensmodell 
  • Von der Ist-Analyse zum Sollkonzept
  • Von der Auswahl zum laufenden System
  • Erfahrungsberichte von Anwendern zur Einführung
  • Nutzung und Optimierung implementierter Systeme

Teil C: Content-Management-System im Vergleich

Folgende Systeme werden miteinander verglichen:

  • Adobe Experience Manager (Adobe)
  • bloXedia (pgx software solutions)
  • Cosima enterprise (Docufy)
  • Cosima go! (Docufy)
  • docuglobe (gds)
  • empolis CLS (Empolis Information Management)
  • GRIPS (Star AG)
  • klar:suite (Klarso) 
  • Noxum Publishing Studio (Noxum)
  • Schema ST4 (Schema) 
  • Sirius CMS (Acolada)
  • Smart Media Creator (Expert Communication Systems)
  • Teamcenter Technical Publishing (Siemens Industry Software / KGU-Consulting)
  • TIM (Fischer Information Technology)
  • Tridion Docs (SDL)
  • XR (Ovidius; jetzt gds)

2019 ist die vierte Auflage der tekom-Studie erschienen.

Abb. 01  Effizientes Informationsmanagement durch komponentenbasierte Content-Management-Systeme; Praxishilfe und Leitfaden: Grundlagen – Auswahl und Einführung – Systeme am Markt, 4. aktualisierte Auflage 2019. 372 Seiten.

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