Wörter mit Kombinationsgabe

Text: Markus Nickl

Ein Wort wird mit einer Silbe kombiniert und schon hat es eine alternative Bedeutung. Häufig handelt es sich um die Silbe „ung“, die etwa aus „anleiten“ die „Anleitung“ macht. Doch es gilt, sorgsam zu kombinieren, ansonsten wird aus einem aktiven Satz eine komplizierte Formulierung im Nominalstil.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 03:11 Minuten

In Ausgabe 02/22 haben wir uns angesehen, wie sich Wörter als Zusammensetzungen bilden lassen. Doch allein mit Zusammensetzungen würden wir nicht weit kommen. Welche anderen Werkzeuge hat unsere Sprache im Koffer, um den Vorrat an Wörtern zu erweitern? Sehen wir uns also einmal das zweite große Verfahren zur Wortbildung an – die Ableitung (oder für alle, die Fremdworte lieben: „Derivation“).

Bei diesem Verfahren wird – vereinfacht gesagt – ein selbstständiges Wort mit einer Ableitungssilbe kombiniert. Davon gibt es im Deutschen eine ganze Menge, zum Beispiel „un-“, „-heit“, „-ung“, „-lich“, „-ieren“. Es gibt sowohl Ableitungssilben, die an das Ende des selbstständigen Wortes gefügt werden, als auch solche für den Anfang.

Ableitungen dienen dazu, Wörter mit neuen Bedeutungen zu erzeugen oder aber dem ursprünglichen Wort eine neue Wortart zuzuweisen. Sehen wir uns das einmal genauer an:

  • a) leit(en) + er → Leiter
  • b) leit(en) + ung → Leitung
  • c) ab + leit(en) → ableit(en)
  • d) ableit(en) + er → Ableiter
  • e) ableit(en) + ung → Ableitung

Es ist also eine Fülle von Kombinationsmöglichkeiten vorhanden, wie durch Ableitung neue Wörter entstehen können. Dabei steht manchmal der Wortartwechsel (b und e) im Vordergrund, manchmal kommt eine neue Bedeutungskomponente dazu (Beispiel c) und manchmal auch beides (a und d; hier wechselt die Wortart und als Bedeutungskomponente kommt hinzu „jemand oder etwas, der/das leitet“). Und falls Sie sich gefragt haben, warum die Endung bei „leit(en)“ in Klammern steht: Das liegt daran, dass das die Flexionsendung für den Infinitiv ist. Mit der Wortbildung hat das also erst mal nichts zu tun.

Eine weitere Sache hat ebenfalls nichts mit Wortbildung zu tun. Denn vielleicht sagen Sie sich jetzt: „Okay, die Silbe ‚-er‘ bedeutet also immer, dass da ein neues Wort geschaffen wurde.“ Das stimmt so pauschal allerdings nicht. Sehen Sie sich dazu einmal die folgende Reihe von Wörtern an: „Leiter“, „Schalter“, „Hammer“, „Bäcker“, „Müller“. Sie werden bemerken, dass zwar Leiter, Schalter und Bäcker von einem anderen Wort abgeleitet sind. „Hammer“ ist aber nicht etwas oder jemand der „hammt“ und der „Müller“ beschäftigt sich – hoffentlich – auch nicht vorrangig mit Müll. Wie oben bereits gesagt: Ableitungen bestehen aus einem Grundwort und einer Ableitungssilbe. Ohne (passendes) Grundwort gibt es daher auch keine Ableitung.

Was nützt das?

Auch als Technischer Redakteur bzw. Technische Redakteurin lohnt es sich, einen genaueren Blick auf die Ableitungen in einem Text zu werfen. Das gilt besonders für Wörter mit der Allzweck-Ableitungssilbe „-ung“. Denn die ist ein typisches Mittel, mit dem wir neue Substantive bzw. Nomen erzeugen.

Sie werden es sich schon denken können: Genau das ist mit der „Substantivierung“ und dem „Nominalstil“ gemeint, vor denen in den meisten Redaktionshandbüchern gewarnt wird. Das Tückische bei „-ung“ ist nun, dass es wirklich das Universalwerkzeug ist, mit dem wir aus anderen Wortarten (meistens aus Verben) ein Substantiv bilden. Das heißt, dass uns Wortbildungen mit „-ung“ besonders schnell aus der Feder fließen (oder ins Content-Management-System).

Deshalb lohnt es sich, bei der Qualitätssicherung einen kleinen Prüfschritt einzubauen, der ermittelt, wie oft man Substantive mit „-ung“ verwendet. Das kann ein kleines Skript sein, das den Dokubestand durchforstet, oder auch ein Controlled Language Checker, der diese Funktionalität schon ab Werk mitbringt. Hauptsache, man bekommt seine spontanen Ableitungen in den Griff.

Noch mal zusammensetzen

Werfen wir zum Schluss einen Blick auf zusammengesetzte Wörter, um die es in der letzten Ausgabe gegangen ist. [1] Zum Thema Zusammensetzung bin ich gefragt worden, ob sie eine Besonderheit des Deutschen sei und warum es im Englischen keine gäbe. Die Antwort auf beide Fragen ist „Nein.“ Denn Zusammensetzungen sind keine Spezialität des Deutschen (wir verwenden sie nur besonders ausgiebig) und auch im Englischen gibt es Zusammensetzungen. Die sind nur nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen. Nehmen wir zum Beispiel den englischen Begriff „bolt“ (Bolzen, Schraube, Stift – das Englische ist da nicht sehr präzise). Dazu gibt es dann Wörter wie:

  • „thunderbolt“ (Blitzstrahl)
  • „U-bolt“ (Rundbügel)
  • „friction bolt“ (Spannstift)

Sie sehen: Wo wir im Deutschen jedes Mal eine eindeutige Zusammensetzung verwenden, finden sich im Englischen Varianten mit Zusammenschreibung, Bindestrich und Getrenntschreibung. Trotzdem sind diese Wörter – ganz unabhängig von der Schreibweise – einzelne Begriffe. Das Ganze ist also nicht so sehr ein Unterschied in der Wortbildung, sondern eher eine orthographische Entscheidung. Die englische Rechtschreibung entscheidet sich nur häufiger dafür, Zusammensetzungen nicht zusammenzuschreiben. 

Literatur zum Beitrag

[1] Nickl, Markus (2022): Neue Wörter bilden. In: technische kommunikation, H. 2, S. 24–25.

Person mit verschiedenem Gesichtsausdruck.