Von Wörtern und Begriffen

Text: Markus Nickl

Wer die deutsche Grammatik beherrschen will, muss sich auch mit Wörtern auskennen. Hier folgen die Grundlagen, die dafür notwendig sind, außerdem die Zweifelsfälle und Begriffe. Los geht es aber mit einer Frage, die man sich eigentlich sparen könnte.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 04:44 Minuten

Bei unserer Tour durch die Grammatik haben wir uns bisher mit Sätzen und Satzteilen beschäftigt. Nun wenden wir unseren Blick mehr auf die Details im Satz. Denn nicht nur Sätze haben eine Struktur und Funktionen, sondern auch Wörter. Deshalb sehen wir uns in dieser und den nächsten Ausgaben an, was Wörter sind, wie sie sich klassifizieren lassen und welche Funktionen sie übernehmen.

Doch starten wir zunächst mit einer Frage, bei der man im ersten Moment denkt, dass die Antwort offensichtlich ist. Bei genauerem Nachdenken zeigt sich aber, dass sie sich kaum beantworten lässt: Was macht ein Wort zum Wort? Wir alle sind uns bestimmt darüber einig, dass wir beurteilen können, ob eine sprachliche Äußerung ein Wort ist. Nehmen wir zum Beispiel den Ausdruck „Technische Redaktion“. Sehen wir uns an, wie viele Wörter darin enthalten sind: „Technisch“ ist ein Wort, „Redaktion“ ist ein Wort. „Nisch“ dagegen ist kein Wort, sondern eine Silbe des Wortes „technisch“. Soweit, so klar. Aber schon bei diesem Beispiel ist nicht alles so eindeutig, wie man im ersten Moment meint. „Aktion“ ist zwar (wie „nisch“ bei „technisch) auch nur ein Teil von „Redaktion“, trotzdem aber ein Wort. Und „Red“? Ein Zweifelsfall, genau wie „Tech“. Denn zumindest umgangssprachlich ist „red“ durchaus ein Wort, wie in „Red keinen Unfug!“. Und „Tech“ ist zwar kein eigenständiges Wort, taucht aber oft in zusammengesetzten Begriffen auf, wo es wie ein Wort behandelt wird: „Tech-Szene“, „Tech-Aktien“, „Tech-Konzerne“ oder „Fintech-Startups“.

Worte, Begriffe und Wortformen

Es gibt also Zweifelsfälle und Übergangsbereiche, wenn wir von Wörtern sprechen. Da ist zum einen der Unterschied zwischen Wort und Wortform. Sind „technisch“ und „technische“ ein Wort oder zwei Wörter? Je nach Kontext lässt sich diese Frage unterschiedlich beantworten. In einem Terminologiebestand wird man beides sicherlich als ein Wort mit zwei verschiedenen Wortformen behandeln. Ist in einem Text eine bestimmte Ziellänge in Wörtern gefordert, dann rechnen wir mit zwei Wörtern.

Ein zweiter wichtiger Unterschied besteht zwischen Worten und Begriffen. Das lässt sich an unserem Beispiel leicht nachvollziehen. „Technische Redaktion“ bezeichnet ein einzelnes Konzept, es besteht aber aus zwei Wörtern. Statt „Konzept“ wird in der Linguistik (und Grammatik) meist der Terminus „Begriff“ verwendet. Insbesondere in Fachsprachen und bei Gerätebezeichnungen kommen auch Begriffe mit drei und mehr Wörtern vor: „transiente globale Amnesie“, „Durasys Lift 2100“, „Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten“. Wir befinden uns hier also in einem Übergangsbereich zwischen Wort, Wortgruppe und Satzteil.

Neben dem Fall, dass ein Begriff aus zwei oder mehr Wörtern besteht, gibt es auch den umgekehrten Fall. Er tritt ein, wenn ein Wort Wortformen aufweist, die aus mehreren, getrennten Einzelteilen bestehen. Das passiert besonders bei Verben mit abtrennbaren Vorsilben. Vergleichen Sie einfach die beiden folgenden Sätze:

(1) Gerät nicht neben einem Wasch- oder Spülbecken aufstellen.

(2) Stellen Sie das Gerät nicht neben einem Wasch- oder Spülbecken auf.

Sie erinnern sich vielleicht – das Verb bildet mit seiner abtrennbaren Vorsilbe hier die Verbalklammer. Es umrahmt also den Satz. Aber sind „Stellen“ und „auf“ nun ein oder zwei Wörter? Man kann da durchaus unterschiedlicher Meinung sein, aber ich plädiere für ein Wort, obwohl es zwei getrennte Bestandteile sind. Würde man sich für zwei Wörter entscheiden, müsste man erklären, welche Funktion das „auf“ hat. Normalerweise würde man das Wort als Präposition einordnen (mehr zur Bestimmung von Wortarten in einer der nächsten Ausgaben). Aber eine Präposition braucht eigentlich ein Substantiv, dem sie vorangestellt (in „Prä-Position“) ist. Das ist in Beispiel (2) nicht der Fall. Eine echte Präposition finden wir dagegen in Beispiel (3):

(3) Stellen Sie das Gerät immer auf eine stabile und gerade Fläche.

Wörter und Wörter

Wie lässt sich also umgehen mit der Frage danach, was eigentlich ein Wort ist? Zunächst einmal vielleicht mit der Erkenntnis, dass es keine einfache Antwort gibt. Sogar wenn wir nur das Deutsche betrachten, fällt es schwer, in allen Fällen eindeutig zu bestimmen, was ein Wort ist und was nicht. Manchmal reicht schon die einfache Feststellung, dass Wörter dadurch zu erkennen sind, dass sie durch Leerzeichen oder Satzzeichen voneinander getrennt sind. Und dann gibt es wieder komplizierte Situationen, wie bei den Verben mit abtrennbaren Vorsilben.

Noch schwieriger wird es, wenn wir Sprachen mit unterschiedlichen Strukturen vergleichen. Im Englischen neigt man zum Beispiel dazu, Wörter getrennt zu schreiben, die im Deutschen als Zusammensetzung gebildet werden. Ein Beispiel dafür ist „spare parts catalogue“ im Vergleich zu „Ersatzteilkatalog“. Auch im Englischen würde ich von einem einzigen Wort sprechen. Schließlich lassen sich in die Gesamtfügung keine weiteren Wörter mehr einbinden: „spare and additional parts catalog“ würde von Muttersprachlern wohl nicht akzeptiert werden.

Dabei sind Deutsch und Englisch strukturell noch vergleichsweise ähnliche Sprachen. Polysynthetische Sprachen wie etwa Inuit (die Sprache der Eskimo in Grönland und Ostkanada) integrieren verschiedene Wortstämme in einem Verb. Dadurch können – auch spontan – sehr komplexe Wörter gebildet werden, die wir im Deutschen mit einem ganzen Satz ausdrücken müssten. So heißt zum Beispiel „Nakorslarusuppunga“ auf Deutsch übersetzt: „Ich möchte zu einem Arzt“. [1] Dies ist übrigens auch der Grund, warum Eskimos angeblich so viele Wörter für Schnee haben. Durch ihre Sprachstruktur können sie spontan im Prinzip auch ein Wort bilden, das „Schnee, der auf ein kleines Zelt fällt“ bedeutet. Betrachtet man nur die Wortwurzeln, dann hat Inuit nicht mehr Wörter für Schnee als etwa das Deutsche.

Wörter in der Technischen Redaktion

In der Technischen Redaktion tritt die Frage nach einer Wortdefinition besonders bei der Terminologiearbeit auf. Denn hier ist es wichtig zu unterscheiden, ob man auf Wort- oder Begriffsebene normiert und wie man mit den verschiedenen Wortformen eines Wortes umgeht. Gerade bei ungewöhnlichen Wortformen wie den Vergangenheitsformen der unregelmäßigen Verben und bei ungewöhnlichen Pluralformen kann es sinnvoll sein, Wortformen eigens zu behandeln. Letztlich müssen also die Anforderungen entscheiden, was wir unter „Wort“ verstehen und was nicht. Eine allgemein verbindliche, abschließende Wortdefinition gibt es nicht. Das gibt uns in der Technischen Redaktion aber auch die Chance zu bestimmen, was wir unter „Wort“ verstehen wollen.

In den nächsten Ausgaben werden wir uns ansehen, wie sich Wörter klassifizieren lassen, das heißt, welche Wortarten es gibt und woran sie sich unterscheiden lassen. Für Technische Redakteurinnen und Redakteure lohnt es sich, darauf einen genauen Blick zu werfen. Denn viele Sprachempfehlungen richten sich auf die angemessene Verwendung von Wortarten oder auf die Vermeidung bestimmter Wortformen.

Link zum Beitrag

[1] Elsen, Hilke (2011): Grundzüge der Morphologie des Deutschen. De Gruyter. https://epdf.pub/grundzge-der-morphologie-des-deutschen.html S. 12

[2] Kölbl, Richard H. (2014): Grönländisch – Wort für Wort. Verlag Reise Know-how. https://www.reise-know-how.de/de/produkte/kauderwelsch-buch/groenlaendisch-wort-fuer-wort-download-5754

Quelle CSH