Schreiben für die Technik

Text: Claudia Hagendorfer

Auch in Zukunft werden wir weitreichende technologische Umbrüche erleben. Technische Redakteurinnen und Redakteure müssen Inhalte produzieren, die den Herausforderungen gerecht werden. Ändert sich dadurch die Art und Weise, Texte zu schreiben?

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 09:06 Minuten

Die Technische Redaktion ist heute mit einem rasanten Wandel an Aufgabenstellungen konfrontiert. Ging es gerade noch darum, Single Source, Redaktionssystem und XML einzuführen, ist der Markt bereits einen Schritt weiter. Die Schlagworte der Stunde lauten Industrie 4.0, Digitalisierung und Cross-Media-Publishing. Agil und smart sprinten die Technischen Redakteure den flexiblen Anforderungen der Anwenderinnen und Anwender hinterher: individuelle Inhalte für alle und zu jeder Stunde. Disruptive Technologien, wie digitalisierte Content-Produktion, stehen in der Warteschlange und Kollege Schreibroboter winkt.

Alles eine Frage der Technik?

Eine vom Digitalverband BITKOM und dem Fraunhofer-Institut in Auftrag gegebene Studie „Industrie 4.0 – Volkswirtschaftliches Potenzial für Deutschland“ prognostiziert, dass in der Informations- und Kommunikationstechnik ein Wertschöpfungspotenzial von 14 Milliarden Euro erwartet wird, hauptsächlich generiert durch neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle [1]. Der Vernetzung von Informationen in Echtzeit kommt eine zentrale Rolle zu und wird durch die verstärkte Nutzung mobiler Kommunikationsmittel und Social Media in den Produktionen erreicht.

Man könnte meinen, moderne Technische Dokumentation ist in erster Linie eine Frage der Technik. Tatsächlich haben die Informationsvielfalt und der Dokumentationsbedarf stark zugenommen. Laufend verbesserte Technologien erfordern flexible Anpassungen der Beschreibungen. Auf der anderen Seite sorgen laufend aktualisierte Normen für die gefahrlose Verwendung der Produkte. Besonders im Maschinen- und Anlagenbau ist Sicherheit ausschlaggebend. Das führt bisweilen dazu, dass sich Betriebsanleitungen eher wie rechtliche Regelwerke lesen, anstatt anzuleiten. Außerdem geht der Trend weg von starren Inhalten hin zu flexiblen Texten. Der Bedarf nach Nutzerinformationen „on demand“ und „just in time“ verschärft die Ressourcenfrage. Manche Technische Redakteurinnen und Redakteure können die Flut der benötigten Texte kaum noch bewältigen. Deshalb wird die Technische Dokumentation wirklich zu einem Fall für automatisierte Toolanwendungen.

Ist Automatisierung die Lösung?

Der erwähnte Schreibroboter ist längst kein Hirngespinst mehr. Texte, die auf strukturierten Daten basieren, werden schon seit einiger Zeit automatisiert verfasst: von Produktbeschreibungen und -bewertungen über Wetter- und Sportberichte bis hin zu Geschäfts- und Börsenberichten. Online-Händler mit einem großen Sortiment schaffen es händisch nicht mehr, für jeden Artikel einen ausführlichen und aussagekräftigen Produkttext zu erstellen. Genau hier liegt der Vorteil der Maschine. Sie kann gewaltige Textmengen und Varianten für die unterschiedlichen Ausgabemedien schneller und mit weniger Fehlern produzieren und dem Menschen eintönige und monotone Arbeit abnehmen.

Routineaufgaben fallen weg, dafür entstehen neue Aufgabengebiete. Jemand muss beispielsweise das Regelwerk vorgeben – die Algorithmen. Modernes Publizieren ist also auch eine Frage der Datenaufbereitung im Hinblick auf die Mehrfachverwendung in unterschiedlichen Formaten und Medien. Semantikorientiertes Auszeichnen der Inhalte, Kategorisieren von Informationen und das Herstellen von inhaltlichen Vernetzungen sind als kommende Herausforderungen zu meistern. Mit dem tekom-Standard „iiRDS“ wird auch die Technische Kommunikation für die automatisierte Bereitstellung von Nutzungsinformationen auf Kurs gebracht [2].

Was weiß man über Leseverhalten?

Es gibt verschiedene Studien mit Ergebnissen für Print oder für Online. Unbestritten ist aber, dass sich das Leseverhalten mit den neuen Medien verändert hat und weiter verändern wird.

Laut Neil Thurman, Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München, „haben die digitalen Medien die Reichweite der Presseorgane deutlich erhöht, teilweise sogar verdreifacht. Doch lesen die Nutzer im Schnitt 40 Minuten am Tag die Version auf Papier, die Medienprodukte derselben Marke jedoch nur rund 30 Sekunden pro Tage online oder auf dem Handy“ [3].

Usability-Studien belegen, dass mehr als die Hälfte der Webnutzerinnen und -nutzer durchschnittlich etwa zehn bis 15 Sekunden auf einer Website verweilt. Das entspricht 350 Zeichen. In dieser Zeit überfliegen sie optisch dominante Informationselemente und scannen den Text auf seine Brauchbarkeit: Lohnt es sich, den Text zu lesen oder nicht? Der erste Eindruck – interessant oder uninteressant – ist entscheidend [4].

Was ist mit dem Inhalt?

Die Fülle an Texten hat in der Technischen Kommunikation enorm zugenommen. Viele Informationen fallen allerdings unter den Tisch. Es gibt zu wenig Ressourcen für ihre Aufbereitung bzw. der Aufwand für die Informationserstellung wäre enorm. Das Nachsehen haben Benutzerinnen und Benutzer. Aber gerade Industrie 4.0, Smart Documentation und automatisierte Lösungen bieten die Chance, personalisierte Anleitungen zu verfassen. Eine Anwenderin oder ein Anwender nimmt sie zu Hilfe, weil die benötigten Inhalte gezielt aufbereitet sind.

Folgende Szenarien bieten einen Mehrwert und werden zur gängigen Praxis: Je nach Qualifikation und Wissensstand kann eine Bedienerin oder ein Bediener die für sie passenden Informationen abrufen. Eine Servicetechnikerin oder ein Servicetechniker geht anhand gefilterter Anweisungen vor und muss nicht mehr alles lesen. Konsumenten erhalten die Inhalte sofort in der gewünschten Sprache.

Eine Technische Redakteurin oder ein Redakteur entwickelt sich zum gesuchten „Chatman“ bzw. digitalen Gesprächspartner. Grundlage dafür bilden Texte, die folgende Kriterien erfüllen:

  • minimalistisch
  • strukturiert
  • verständlich

Was bedeutet Verständlichkeit?

Die Forderung nach Verständlichkeit ist keine neumodische Erscheinung. Seit den 1920er Jahren beschäftigt sich die Kommunikationstheorie mit der Frage, welche Merkmale einen Informationstext verständlich machen. Die DIN EN 82079-1 fordert, dass für jedes Produkt eine Nutzerinformation vorhanden sein muss. Während Normen also das „Warum“ vorgeben, liefert die Kommunikationstheorie Antworten, wie wir Texte verfassen.

Das wohl berühmteste Kommunikationsmodell wurde von Hamburger Psychologen rund um Friedemann Schulz von Thun, Inghard Langer und Reinhard Tausch im Bereich Lehrtexte erforscht. Gesucht wurden die ultimativen Verständlichkeitsmacher. Die Wissenschaftler konnten vier Dimensionen für Verständlichkeit ableiten:

  • einfach – (komplex)
  • gegliedert – (nicht gegliedert)
  • kurz-prägnant – (weitschweifig)
  • anregend – (langweilig)

Am Hamburger Verständlichkeitsmodell wurde allerdings kritisiert, dass es Verständlichkeit als reine Texteigenschaft ansieht. Es lässt den Leser aber außer acht.

Der Psychologe Norbert Groeben hat das Hamburger Modell weitergeführt und die Konventionen des Lesers einbezogen. Sein „Interaktionaler Ansatz“ hebt den konzeptuellen Konflikt hervor: Die Autorin oder der Autor erreichen die Leser mit Neuheiten, Überraschungen, Fragestellungen und alternativen Problemlösungen.

Die Übersetzungswissenschaftlerin Susanne Göpferich fügte den beiden Modellen die Kommunikationssituation hinzu. Das „Karlsruher Verständlichkeitskonzept“ betont, dass ein Text korrekt verfasst sein muss. So kann er Wissen optimal transferieren.

Ein maßgeschneidertes Kommunikationsmodell für die Technische Redaktion könnte folgendermaßen aussehen:

  • verständlich
  • konsistent
  • korrekt
  • zielgruppengerecht
  • übersetzungsoptimiert
  • medientauglich
  • modular
  • normgerecht

Was bedeutet einfach?

Die Forderung nach Einfachheit klingt leichter, als sie ist. In der Praxis ist Einfachheit ein Faktor, der Gebildete von Ungebildeten trennen soll. Und niemand möchte gern als ungebildet dastehen, oder? Ein Negativbeispiel:

„Kommunikationsexperten demonstrieren ihre Qualifikation anhand der Wortwahl, indem treffend der dezidiert äquivalente Terminus zur Anwendung gelangt, wobei sie diesen hernach in ein kunstvolles Satzgebilde drapieren und schließlich – um das Formale des Textes zu unterstreichen – Verben in Substantive konvertieren, welche – liiert mit anderen Nomen – qualifizierte Komposita-Kompositionen bilden, die der Länge und besseren Lesbarkeit halber als Abkürzung angeführt werden.“

Als Technische Redakteurin und Technischer Redakteur schreiben Sie allerdings nicht zum Selbstzweck. Nicht die Leserin oder der Leser muss sich anstrengen, Ihren Text zu verstehen. Vielmehr sind Sie gefordert, so zu schreiben, dass Leserin und Leser keine Mühe haben. Stellen Sie auf jeden Fall Schreibregeln auf [5].

Wie sieht das in der Praxis aus?

Empfehlungen für das Schreiben Technischer Dokumentation:

Die Gemeinsprache umfasst etwa 300.000 Wörter. Aktiv genutzt werden davon etwa 10.000 Wörter; im Alltag werden durchschnittlich 400 bis 800 Wörter verwendet. Zur Gemein­sprache kommt die Fachsprache dazu. So umfasst das Fachgebiet Medizin beispielsweise 500.000 Wörter. Je höher der fachliche Grad, desto schwieriger werden die Wörter. Das kann den Wissensstand der Leser übersteigen. Gerade wenn das Thema komplex ist, passen Sie die Wortwahl an Ihr Zielpublikum an (Tab. 01).

Quelle Claudia Hagendorfer
Tab. 01  Quelle Claudia Hagendorfer

  • Stil ist keine Frage von richtig oder falsch. Er hängt von Textfunktion und Zielpublikum ab. Das Schlagwort heißt „angemessen“ – schreiben Sie nicht zu formal oder zu umgangssprachlich. Ausdrucksmittel für „gehobenes Beamtendeutsch“ sind Funktions­verbgefüge, Nominalisie­rungen und Passivkonstruktionen (Tab. 02).

Quelle Claudia Hagendorfer
Tab. 02  Quelle Claudia Hagendorfer

  • Die deutsche Eigenheit, ganze Sätze in ein Kompositum zu packen, stört den Lesefluss. Diese Informationsdichte ist auch ein großes Problem bei der Übersetzung.
  • Schachtelsätze zeichnen sich dadurch aus, dass ein Hauptsatz durch Neben­sätze und Einschübe erweitert wird. Wir alle neigen im Entwurfs­stadium dazu, Satzungetüme zu konstruieren. Aufgabe der Technischen Redaktion ist es, Bandwurmsätze aufzuteilen.
  • Die empfohlene durchschnittliche Satzlänge für leichte Verständlichkeit beträgt zwischen 10 und 15 Wörtern. Die Betonung liegt auf „durch­schnittliche Satzlänge“. Der ausgewogene Rhythmus ist entscheidend, wechseln Sie längere und kürzere Sätze ab (Tab. 03).


Quelle Claudia Hagendorfer
Tab. 03  Quelle Claudia Hagendorfer

Prägnanz (minimalistisch)
Nutzerinformationen haben den Zweck, die Leserin und den Leser zur sicheren Anwendung anzuleiten. Dabei muss die Anwenderin oder der Anwender Arbeitsschritte ausführen oder unterlassen. Manche Redakteurinnen oder Redakteure schrecken vor Verneinungen und Befehlsformen (Imperativen) zurück und weichen auf so genannte Weichmacher aus. Bleiben Sie konkret und trauen Sie sich zu, Ihrer Leserin und Ihrem Leser etwas vorzuschreiben. Beachten Sie dabei, dass doppelt nicht besser hält. „Nichts Genaues weiß man nicht“ – so sollten Ihre Texte nicht verstanden werden. Und: Halten Sie sich kurz, denn die Nutzerin und der Nutzer möchten schnell zur gewünschten Information gelangen (Tab. 04).

Quelle Clauda Hagendorfer
Tab. 04  Quelle Claudia Hagendorfer

Anregung (interessant)
Zugegeben, wirklich prickelnd sind Gebrauchstexte nicht. Umso wichtiger ist es, dass Sie Ihre Leserin und Ihren Leser bei der Stange halten. Das schaffen Sie mit anschaulichen Texten. Folgen Sie dem Interaktionalen Ansatz von Groeben. Überlegen Sie Beispiele oder Fragestellungen, die Sie zeigen und beantworten. Anstatt formale und unpersönliche Passivsätze zu bilden, treten Sie mit Ihrer Leserin und Ihrem Leser in den Dialog, und sprechen Sie sie aktiv an. Achten Sie dabei aber auf die korrekte Schreibweise von „Sie“ und „Ihr“. Diese Personalpronomen sind in der Praxis oft fälschlich klein geschrieben. Aus Respekt verzichten Sie auf das private „Du“. Nicht jeder mag unbekannterweise geduzt werden. Nominalisierungen lassen den Text abstrakt und fad wirken. Lassen Sie Verben in den Text einfließen, das macht ihn lebendig. Mehr Gestaltungsspielraum haben Sie beim Layout. Bilder, Grafiken, Weißraum und Farben erfreuen jeden Anwender. Denn mit einem ansprechenden Layout steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Text gelesen wird.

Gliederung (strukturiert)
Das Motto für Nutzertexte könnte lauten: Struktur über alles. Aufgrund der Informa­tionsflut müssen sich Texte scannen lassen. Dieser Trend nimmt zu. Ihre Anwenderin oder Ihr Anwender ist ungeduldig und möchte den gewünschten Inhalt schnell finden. Unterstützen Sie sie mit einer klaren Struktur.

Wenn Sie bereits ein Redaktionssystem einsetzen, sind Sie bei Textgliederung und Modularisierung Ihrer Inhalte auf einem guten Weg. Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht und sich mit Informationsmodellen beschäftigt. Über DocBook oder auch DITA sind die formalen Strukturdefini­tionen und ihre elektronische Umsetzung definiert.

Wenn Sie bei der Dokumentationserstellung ein Layoutprogramm verwenden, müssen Sie nicht auf Struktur verzichten. Mit Informationsmodellen wie Funktionsdesign oder Information Mapping können Sie Ihre Dokumente gliedern und semantische Strukturierungen bis zur Satz- und Wortebene vornehmen.

Chancen durch die Technik?

Durch die technische Unterstützung haben Redakteurinnen und Redakteure mehr Zeit für andere Themen: Sie können ausführliche Recherchen durchführen, ihre Zielgruppe genauer unter die Lupe nehmen, anwendungsorientierte Beschreibungen verfassen und für eine interessantere Aufbereitung mit Fokus auf Bildunterstützung und Layout sorgen.

Schreiben für die Technische Kommunikation kann man lernen. Mit den grundlegenden Regeln der Kommunikationstheorie werden Gebrauchstexte zum Erfolg. Der Rest ist Übungssache. Denn sich kurz und einfach fassen, braucht Zeit und Erfahrung. Halten Sie sich an KISS (keep it simple and stupid). So können Sie endlich alle Inhalte anpacken, auf die Ihre Anwenderin und Ihr Anwender wartet.

Links und Literatur zum Beitrag

[1] BITKOM, Fraunhofer (Hrsg.) (2014): Studie „Industrie 4.0 – Volkswirtschaftliches Potenzial für Deutschland“.

[2] https://iirds.org

[3] Thurmann, Neil (2017: Print hat beim Leser Priorität. https://www.uni-muenchen.de/forschung/news/2017/thurman_print.html

[4] Nielsen, Jakob (1997): Concise, SCANNABLE, and Objective: How to Write for the Web. https://www.nngroup.com/articles/how-users-read- on-the-web/

[5] tekom (Hrsg.) (2013): Regelbasiertes Schreiben. Deutsch für die Technische Kommunikation. 2., erweiterte Auflage. Stuttgart: Gesellschaft für Technische Kommunikation – tekom Deutschland e.V.

[6] Liesem, Kerstin (2015): Ludwig-Reiners-Schema. In: Professionelles Schreiben für den Journalismus. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

[7] Seibicke, Wilfried (1969): Wie schreibt man gutes Deutsch? Eine Stilfibel. Mannheim, Wien, Zürich: Dudenverlag.

Zum Weiterlesen

Weissgerber, Monika (2011): Schreiben in technischen Berufen. Der Ratgeber für Ingenieure und Techniker: Berichte, Dokumentationen, Präsentationen, Fachartikel, Schulungsunterlagen (2., überarbeitete und erweiterte Auflage). Erlangen: Publicis Publishing.

Prevezanos, Christoph (2013): Technisches Schreiben für Informatiker, Akademiker, Techniker und den Berufs­alltag. München: Carl Hanser Verlag.

Ebel H. F., Bliefert C., Greulich W. (2006): Schreiben und Publizieren in den Naturwissenschaften (5. Auflage). Weinheim: Wiley-VCH Verlag GmbH

PwC, Strategy & (Hrsg.) (2015): Industrie 4.0 – Österreichs Industrie im Wandel.

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