Neue Wörter bilden

Text: Markus Nickl

Wie groß der deutsche Wortschatz ist, lässt sich schwer sagen. Denn jeden Tag kommen Wörter hinzu, etwa Zusammensetzungen. Nicht nur sie stellen die Technische Redaktion vor Herausforderungen.

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Lesedauer: 04:13 Minuten

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie eigentlich neue Wörter entstehen? Oder auch warum neue Wörter entstehen? Egal wie, neue Wörter zu schaffen, ist eine Kernfunktion der Sprache. Grund genug, sich einmal das Vorgehen genauer anzusehen, mit dem wir den Wortschatz erneuern.

Wozu brauchen wir neue Wörter?

Eigentlich könnte man meinen, dass es im Deutschen genug Wörter gibt. Das Duden Universalwörterbuch spricht davon, dass der deutsche Wortschatz etwa 300.000–500.000 Wörter beträgt. [1] Nun ist die Frage, wie groß der Wortschatz ist, insgesamt nur schwer zu beantworten, aber als grober Wert haben die Duden-Angaben sicherlich ihre Berechtigung. Obwohl der deutsche Wortschatz also ziemlich umfangreich ist, kommen dennoch täglich neue Wörter hinzu. Warum ist das so?

Zum einen entstehen ständig neue Produkte, Abläufe, Situationen. Die Corona-Pandemie hat das sehr eindrücklich gezeigt: Ob „Coronawelle“, „Impfverweigerer“ oder „boostern“ – fast täglich tut sich (auch sprachlich) leider irgendetwas Neues. [2]

Des Weiteren bilden wir neue Wörter, um Sachverhalte präziser darzustellen. Das ist besonders oft in der Fachsprache so. Dort versuchen wir einen Begriff möglichst eindeutig darzustellen und grenzen ihn vom allgemeinsprachlichen Begriff dann oft auch durch eine neu gebildete Bezeichnung ab. Umgekehrt gibt es auch den Fall, dass durch ein neues Wort sprachlich etwas verschleiert werden soll: „Pushback“, das Unwort des Jahres 2021, ist so ein Beispiel.

Zu guter Letzt spielt auch der Wille zu Innovation und der Ausdruck von Kreativität eine Rolle bei Wortneubildungen. Besonders oft sieht man das in der Sprache der Werbung, die durch überraschende, neue Ausdrücke Aufmerksamkeit erzielen möchte. Aber auch in der Literatur oder in Liedtexten schaffen wir immer wieder neue Wörter.

Wie entstehen neue Wörter?

Es gibt also eine Menge Bedarf an neuen Wörtern und viele gute (und nicht so gute) Gründe dafür. Aber wie kommen wir zu diesen neuen Wörtern? Eine der wichtigeren Quellen ist hier die Entlehnung von Wörtern. Es handelt sich dabei wirklich um eine Neubildung und nicht nur eine einfache Übernahme. Denn sobald ein Wort aus einer Fremdsprache entlehnt wird, wird es in das System der deutschen Sprache eingegliedert, erhält etwa ein Genus oder Konjugationsformen. Entlehnung ist also immer auch Anpassung und damit Neubildung. Daneben gibt es aber auch die Neubildungen aus dem derzeitigen Bestand des Wortschatzes, also die Wortbildung im engeren Sinn. Wortbildung kann mit verschiedenen Verfahren umgesetzt werden. Die beiden wichtigsten sind die Kombination von zwei oder mehreren selbstständigen Wörtern (Zusammensetzung) und die Veränderung eines bestehenden Wortes (Ableitung). Das klingt in dieser Form noch relativ abstrakt, aber ein Beispiel macht schnell klar, wo hier der Unterschied liegt:

  • Zusammensetzung: Bau-Teil; Voll-Last; Redaktion(s)-Leit-Faden
  • Ableitung: Teil-ung; be-lasten; ein-fädeln

Gerade die Wortbildung durch Zusammensetzungen beherrschen wir Deutschen in Vollendung. Nicht ganz zu Unrecht sind wir in anderen Ländern berüchtigt dafür, dass wir extrem lange Zusammensetzungen bilden können. Sehen wir uns diese Form der Wortbildung also noch ein wenig genauer an (und heben uns andere Formen für die nächste Ausgabe auf).

Die Kunst der Zusammensetzung

Zusammensetzungen folgen im Wesentlichen immer demselben Prinzip. Sie werden aus zwei bestehenden Wörtern gebildet. Das zweite Wort in der Zusammensetzung ist das so genannte Grundwort. Es legt die Grundbedeutung fest und auch all die grammatischen Kategorien, die wir in den letzten Ausgaben kennengelernt haben. Ein „Bauteil“ ist zunächst einmal ein Teil (Bedeutung), und es ist „das Teil“ und nicht etwa „der Bau“. Das Wort vor dem Grundwort – hier also „Bau“ – ist das so genannte Bestimmungswort. Es modifiziert die Bedeutung des Grundworts und trägt nichts zur Grammatik bei.

Bei zwei Wörtern ist das noch relativ übersichtlich. Komplex wird es bei Zusammensetzungen, vor allem deshalb, weil wir das Verfahren rekursiv anwenden können:

  • Leit + Faden → Leitfaden
  • Redaktion + Leitfaden → Redaktionsleitfaden
  • Redaktionsleitfaden + Autor → Redak­tionsleitfadenautor
  • Redaktionsleitfadenautor + Gruppe → Redaktionsleitfadenautorengruppe

Das kann im Prinzip immer so weitergehen, und dann wird es schnell unüberschaubar für Leute, die des Deutschen nicht so sehr mächtig sind. Deshalb ist es sinnvoll, sich bei der Bildung von Zusammensetzungen ein wenig zurückzuhalten.

Vielleicht ist Ihnen bei dem Beispiel oben aufgefallen: Nicht immer werden einfach nur die beiden Spenderwörter miteinander kombiniert. Zwischen den Elementen einer Zusammensetzung kann zusätzlich ein so genanntes Fugenelement stehen. Aus sprachhistorischer Sicht ist das meist eine alte Flexionsendung. Heute trägt das Fugenelement aber nichts mehr zur Bedeutung bei: Ein „Länderkennzeichen“ ist eben kein Kennzeichen für mehrere Länder, sondern nur für ein Land.

Der offizielle Begriff für „Länderkennzeichen“ ist konsequenterweise „Nationalitätszeichen“. Hier ist das Bestimmungswort zwar im Singular; das Wort enthält aber dennoch ein Fugen-s (das wiederum aber keine alte Flexionsendung ist). Aber wie schon gesagt: Fugenelemente bedeuten im Allgemeinen gar nichts, und deshalb kommt es auch vor, dass dieselbe Zusammensetzung mit und ohne Fugenelement verwendet wird.

Und die Technische Kommunikation?

Auf den ersten Blick scheint Wortbildung nur wenig mit unserer Branche zu tun zu haben. Allerdings werden Wortbildungsmechanismen schnell zum konkreten Problem, wenn man ein wenig in die Terminologie einsteigt: Heißt es nun „Absenkungsvorrichtung“ oder doch „Absenkvorrichtung“? Beides ist im Prinzip möglich. Sobald man sich aber für eine Variante entschieden hat, gilt es, konsequent zu sein: „Umlenkvorrichtung“ oder „Ablenkvorrichtung“.

Daneben empfiehlt es sich, im Redaktionsleitfaden Regeln für den Umgang mit Wortbildungen festzuhalten. Aus wie vielen Teilen soll eine Zusammensetzung maximal bestehen? Und wie geht man damit um, wenn zum Beispiel eine Industrienorm auch längere Begriffe festlegt?

Auch die Verwendung von Fugenelementen kann Schwierigkeiten bei der terminologischen Konsistenz verursachen. So heißt es zum Beispiel „Dreiwegemischer“. Dennoch liest man immer wieder auch „Dreiwegmischer“ (analog zu „Einweghandschuhe“). Achtet man hier nicht auf die Wortbildung, so entsteht schnell terminologischer Wildwuchs in der Technischen Dokumentation. Wortbildungsfragen tauchen also im Redaktionsalltag auf. Deshalb wollen wir auch in der nächsten Ausgabe noch ein wenig genauer auf diesen Bereich der Sprache eingehen. 

Links und Literatur zum beitrag

[1] Duden. Deutsches Universalwörterbuch. 6., überarbeitete und erweiterte Auflage. Dudenverlag, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 2007, ISBN 3-411-05506-5, S. 13.

[2] Institut für deutsche Sprache (2021): Stellungnahmen zur Sprache in der Coronakrise. https://www.ids- mannheim.de/sprache-in-der-coronakrise 

Zusammensetzungen in der deutschen Sprache.