Gesetz mit Fragezeichen

Text: Jens-Uwe Heuer-James

Der deutsche Gesetzgeber will der digitalen Anleitung den Weg ebnen. Zumindest drückt es das neue Produktsicherheitsgesetz so aus. Oder hat er womöglich nur für ein großes Missverständnis gesorgt?

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 05:15 Minuten

Fast vollständig unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich im Juli 2021 im Produktsicherheitsrecht eine Neuordnung vollzogen. Um die Praxis zu vereinfachen, gibt es nun ein neues Gesetz mit dem treffenden Namen Marktüberwachungsgesetz (MÜG). Dessen Inkrafttreten hat zu einer Anpassung des Produktsicherheitsgesetzes (ProdSG) geführt. Anlass dieser Entwicklung ist das Wirksamwerden der Marktüberwachungsverordnung der EU (Verordnung (EU) 2019/1020). Dabei handelt es sich um komplexe Vorgänge. Gewissermaßen als Zusatz hat es für die Technische Dokumentation eine möglicherweise relevante Gesetzesänderung gegeben. Sie ist Thema dieses Artikels und bezieht sich auf die Form der dem Produkt beizugebenden Benutzerinformationen. Dabei ist es wichtig, noch einmal den Ausgangspunkt für die Diskussion um die Form der Benutzerinformation klarzustellen, insbesondere natürlich in Bezug auf die digitale Benutzerinformation.

Ausgangspunkt EU-Recht

Die überwiegende Zahl an Produkten unterliegt der CE-Kennzeichnung und den dazu einschlägigen Regelwerken. Auf dieser Ebene ist immer wieder die Frage nach der Form der Benutzerinformation gestellt worden. Die bisher dazu vorherrschende Auffassung: Die Forderung nach der Papierform kommt in diversen Erläuterungen zu den Vorschriften („Guidance Documents“) zum Ausdruck. Dass diese Forderung nicht zukunftsweisend ist, liegt auf der Hand und dringt langsam auch in das Bewusstsein des europäischen Gesetzgebers.

Ein sicherlich ermutigendes Signal ist der Vorschlag für die Maschinenverordnung, nach der ausdrücklich die digitale Information erlaubt wird. Allerdings: Allein die Diskussion dieses Verordnungsentwurfs zeigt auch, dass dies nicht die einhellige Meinung in der EU widerspiegelt. Vielmehr ist in den Reihen der Mitgliedstaaten und namhafter Stakeholder Widerstand gegen die digitale Welt deutlich wahrnehmbar.

Auch wenn das Produktsicherheitsrecht in Brüssel gemacht wird, hat der deutsche Gesetzgeber in § 3 Abs. 4 ProdSG festgelegt, dass soweit erforderlich Bedienungshinweise in deutscher Sprache dem Produkt beizugeben sind. Hinsichtlich dieser Formulierung haben in letzter Zeit die Gerichte geurteilt. In den Urteilen wird die Ansicht vertreten, durch die Formulierung habe der Gesetzgeber die Form der Anleitung nicht vorschreiben wollen. Die Begründung in den jeweiligen Urteilen hierzu ist aus juristisch-fachlicher Sicht freundlich gesagt „dürftig“. Greifbare Argumente lassen sich aus den Ausführungen der Urteile nicht herauskristallisieren. Es hat zuweilen den Anschein, als seien die Gerichte der Auffassung „das ist so, weil es so ist“. Damit ist wenig gesagt und viel Verwirrung gestiftet. Diese Verwirrung lässt sich noch steigern, sieht man in das neue Produktsicherheitsgesetz.

Neufassung des ProdSG

In § 6 ProdSG sind Anforderungen an die Bereitstellung von Verbraucherprodukten auf dem Markt formuliert. Diese Regelung hat eine sehr lange Tradition und fand sich bereits im GPSG. In aller Deutlichkeit: Dieser Ansatz widerspricht bereits dem europäischen Recht. Zu allen CE-Richtlinien bzw. -Verordnungen wird vertreten, dass diese sich gerade nicht zwischen dem B2B-Bereich und dem B2C-Bereich unterscheiden. Vielmehr ist die Regelung ohne Unterschied sowohl auf Produkte für den gewerblichen Einsatz als auch auf Verbraucherprodukte anzuwenden.

Diese Aussage ist so deutlich und vielfach wiederholt, dass man schon verwundert sein darf, warum der deutsche Gesetzgeber nun meint, immer noch zwischen Produkten und Verbraucherprodukten differenzieren zu wollen. Zumal die Anforderungen des § 6, insbesondere in Hinblick auf Rückrufmanagement und ähnliche Verpflichtungen, im Prinzip schon durch das Richtlinienwerk des New Legislative Framework überholt worden sind und sich bereits seit langem inhaltlich im europäischen Recht widerspiegeln.

Dennoch: § 6 ProdSG ist auch im geänderten ProdSG erhalten geblieben. Allerdings hat sich der Wortlaut von § 6 Abs. 1 Nr. 1 geändert: „Der Hersteller, sein Bevollmächtigter und der Einführer haben jeweils im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit bei der Bereitstellung eines Verbraucherproduktes auf dem Markt der Verbraucherin oder dem Verbraucher die Information zur Verfügung zu stellen, die diese oder dieser benötigt, um die Risiken, die mit dem Verbraucherprodukt während der üblichen oder vernünftigerweise vorhersehbaren Gebrauchsdauer verbunden sind und die ohne entsprechende Hinweise nicht unmittelbar erkennbar sind, beurteilen und sich gegen diese schützen zu können.“

Es wäre dem Verfasser des Artikels an dieser Stelle sehr angenehm, wenn er die Leserinnen und Leser direkt fragen könnte, was sich denn nun im Ergebnis geändert hat. Dem Verfasser selbst ist es jedenfalls so gegangen, dass sich auch bei mehrmaliger Lektüre inhaltliche Änderungen nicht unbedingt erschlossen haben. Der eigentliche Sinn dieser Neufassung ergibt sich in der Tat erst dann, wenn man sich mit der Begründung zum Gesetzesentwurf auseinandersetzt (vom 10. Februar 2021). Dort findet sich auf Seite 71 als Begründung zu oben zitierter Nr. 1 folgende, für die Technische Redaktion nun äußerst interessante Formulierung:

„Wenn in der bisherigen Fassung von ‚Sicherstellen‘ gesprochen wurde, soll an dieser Formulierung nicht festgehalten werden. Sicherstellen wird in der Literatur dahingehend definiert, dass der Informationspflichtige eine Hinweisform wählt, bei der nach menschlichem Ermessen davon ausgegangen werden kann, dass die Hinweise beim Verbraucher ankommen (…). Aufgrund einer sich stark wandelnden Informations- und Kommunikationstechnologie kann das Zurverfügungstellen der einschlägigen Informationen auch anders als durch das physische Mitgeben der Information (zum Beispiel in Papierform) am Produkt erfolgen (…).“

Dazu wird nun in ersten Publikationen vertreten, aufgrund der Gesetzesbegründung sei klar, dass für Verbraucherprodukte nunmehr auch Benutzerinformationen in digitaler Form zur Verfügung gestellt werden dürfen.

Ist tatsächlich alles klar?

Zunächst ist festzustellen: Eigentlich ist die Anforderung an „Recht und Gesetz“, dass der Gesetzgeber solche Formulierungen wählt, bei der aus dem Gesetzestext selbst dem Normadressaten der Inhalt klar und deutlich gemacht wird. Allein aus der Verwendung des Begriffes „zur Verfügung zu stellen“ zu schließen, damit sei nun auch die Tür zur digitalen Welt aufgestoßen, scheint bei genauerer Betrachtung doch ein wenig vermessen. Allerdings entspricht es leider der Praxis, dass der Gesetzgeber den Grundsatz an Recht und Gesetz nicht immer vollständig präsent hat, wenn es um den Entwurf neuer Regelungen geht. So hat sich in der Tat eingebürgert, auch die Entwurfsbegründung mit hinzuzuziehen, um sich den Sinngehalt einer neuen Regelung zu erschließen.

Dies erweist sich hier als „hakelig“, so setzt sich der Entwurfsverfasser zunächst mit der Begrifflichkeit „Sicherstellen“ in Abgrenzung zu „Zurverfügungstellen“ auseinander. Für die Praxis eine eher akademische Diskussion, deren Schlussfolgerungen zudem im Ergebnis nicht recht überzeugen wollen. Aufschlussreicher ist dagegen der Hinweis darauf, dass nun auch andere Formen außer der Papierform den Erfordernissen genügen könnten. Bleibt die Frage: Unter welchen Umständen soll dies der Fall sein? Dies beantwortet der Gesetzgeber in der Begründung zum Entwurf gerade nicht.

Damit steht die Technische Dokumentation einmal mehr vor der Situation, dass Leitplanken fehlen. Eine Ampel zeigt lediglich Gelb. Unklar bleibt, wann und unter welchen Umständen sie auf Grün schaltet.

Mehr Arbeit für die Anwälte

Viel schwerwiegender ist allerdings folgendes Problem, was sich aus dem eingangs dargestellten Zusammenhang ergibt: Wenn ein Verbraucherprodukt zugleich einer europäischen Regelung untersteht, kann schlicht und ergreifend der deutsche Gesetzgeber die an dieser Stelle bestehenden Erfordernisse nicht durch eigenmächtige Maßnahmen außer Kraft setzen. Wenn also mit der noch herrschenden Auffassung für die CE-Regelungen vertreten wird, die Papierform sei beizugeben, dann würde eine Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 ProdSG, die die digitale Dokumentation erlaubt, dem widersprechen. Damit wäre sie ohne weiteres rechtswidrig wegen des Widerspruchs zum europäischen Recht. Außerdem stellt sich die spannende Frage, warum denn nur bei Verbraucherprodukten die digitale Information möglich sein soll. Doch dazu äußert sich der deutsche Gesetzgeber nicht.

Ergebnis: Es mag ein sehr begrüßenswerter Wille vorhanden gewesen sein, das Tor zur digitalen Welt aufzustoßen. Allerdings ist der Gesetzgeber wohl gescheitert.

Die nun geschaffene Regelung wird vor allem für eine Berufsgruppe spannend werden – die Rechtsanwälte. Sie werden in Zukunft ausführlich über diese Formulierung zu streiten haben. Dabei ist schon eins sicher: Zu einem klaren Ergebnis wird man nicht kommen. Es gilt leider einmal mehr: „Der Vorhang zu und alle Fragen offen“.

Beitrag über Recht und Normen in Ausgabe 02 2022 der technischen kommunikation.