Mehr Durchblick beim Nebensatz

Text: Markus Nickl

Im Redaktionsleitfaden steht, dass ein Hauptsatz nur einen Nebensatz haben darf. Eine sinnvolle Regel, die aber nicht ausreicht. Denn ein Nebensatz kann durchaus komplex sein und lässt sich nicht immer von einem Hauptsatz unterscheiden.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 02:51 Minuten

Die Satzlänge ist ein grobes Maß für die Komplexität von Sätzen – das haben wir uns in der letzten Ausgabe angesehen. [1] Doch welches andere Maß gibt es für die Komplexität von Sätzen? Ein wichtiges Kriterium ist, wie viele Nebensätze ein Satz enthält und wo diese Nebensätze stehen.

Drei Missverständnisse

Den Begriff Nebensatz kennen Sie vermutlich noch aus Ihrer Schulzeit. Da wurde zwischen Hauptsätzen und Nebensätzen unterschieden. Gelegentlich musste man dann noch die Art des Nebensatzes bestimmen (zum Beispiel konsekutiver Nebensatz). Zumindest bei mir hat das Ganze aber nicht unbedingt zu einem tieferen Verständnis der Sätze oder von Sprache ganz allgemein beigetragen.

Denn mit dem Begriff Nebensatz verbinden sich drei Missverständnisse. Zum einen, dass Nebensätze nicht alleinstehen können. Zum anderen, dass sie kürzer als Hauptsätze sind. Und zum dritten, dass ihr Inhalt in irgendeiner Form nebensächlicher wäre.

Dass Nebensätze nicht alleinstehen können, widerlegt der vorherige Absatz. Denn die letzten drei Sätze sind keine Hauptsätze, sondern Nebensätze. Dennoch stehen sie für sich allein. Zugegeben, wenn man einen Nebensatz ohne dazugehörigen Hauptsatz verwendet, dann klingt das umgangssprachlich und irgendwie gesprächsartiger. Möglich ist das aber durchaus. Dass Nebensätze in irgendeiner Form kürzer als Hauptsätze sind, stimmt nicht. Das zeigt wiederum der vorherige Satz. Der Hauptsatz ist dort nur „stimmt nicht“; der Rest ist ein Nebensatz. Nebensätze können dabei fast beliebig komplex werden und übrigens auch selbst wieder Nebensätze enthalten.

Sie sehen, dass sich die beiden ersten Missverständnisse leicht ausräumen lassen. Vermutlich werden Sie auch schon bemerkt haben: Der vorhergehende Satz zeigt, dass auch das dritte Missverständnis eben ein Missverständnis ist. Denn der Hauptsatz besteht aus „Sie sehen“ – keine wirklich tiefgehende Aussage.

Deutliche Merkmale

Hauptsätze und Nebensätze haben also erst einmal nichts mit Wichtigkeit oder Komplexität zu tun. Die Bezeichnung ist wie so oft in der Grammatik ein wenig unglücklich. Woran lassen sich aber dann Nebensätze zuverlässig erkennen?

Gehen wir dazu etwas zurück, und zwar zu Ausgabe 03/19. [2] Damals hatten wir uns angesehen, wie das Verb bzw. die Verben einem Satz Struktur verleihen. Hier liegt auch der Schlüssel für die Bestimmung von Nebensätzen. Nebensätze sind Sätze, bei denen das finite Verb am Ende des Satzes steht. Wenn sie in einen übergeordneten Satz integriert sind, nehmen sie dort die Funktion eines Satzglieds ein.

Diese Funktion als Satzglied bildet auch eine Basis für die Einteilung der verschiedenen Nebensätze. Sie können als Ergänzung funktionieren, als Angabe oder als Attribut. Das bedeutet, sie können entweder direkt von dem Verb des übergeordneten Satzes abhängen (Ergänzungs- oder Angabesatz) oder ein Satzglied näher spezifizieren:

  • Ergänzungssatz: „Dass die Prüfung durchgeführt wurde, ist im Prüfprotokoll vermerkt.“
  • Angabesatz: „Das Prüfprotokoll wurde aktualisiert, damit die aktuellen Prüfungen vermerkt sind.“
  • Attributsatz: „Das Prüfprotokoll, das die aktuellen Prüfungen erfasst, ist heute versandt worden.“

Was tun damit?

Nebensätze tragen deutlich zur Komplexität eines Gesamtsatzes bei. Deshalb legen viele Redaktionsrichtlinien fest, dass pro Satz nur ein Nebensatz verwendet werden soll. Das ist zwar eine sinnvolle Regel, allerdings reicht sie alleine nicht aus. Denn Nebensätze können fast beliebig komplex werden. Die Regel sollte deshalb kombiniert werden mit einer Regel, die etwa die Satzlänge begrenzt oder mit einer Regel, die die Komplexität von Satzgliedern beschränkt.

Gelegentlich finden sich auch Regeln, die eingeschobene Nebensätze verbieten. Dies ist allerdings bei Attributsätzen oft nur schwer zu umgehen, da sich diese ja direkt an das Satzglied anschließen, das sie bestimmen. Eine solche Regel ist deshalb für Technische Redakteure und Redakteurinnen, die weniger schreiberfahren sind, oft kaum durchzuhalten. Im Zweifelsfall sollte man deshalb auf solche Regeln besser verzichten.

Literatur

[1] Nickl, Markus (2023): Wann ist der Satz ein Satz? In: technische kommunikation, H. 5, S. 32 – 33.

[2] Nickl, Markus (2019): Was steht wo im Satz? In: technische kommunikation, H. 1, S. 42 – 43.

Oder im Internet: https://technischekommunikation.info

Eine Person blickt durch ein Loch.