Germany's next Grammatikmodell

Text: Markus Nickl

Grammatik soll Strukturen der Sprache verdeutlichen und ein System schaffen, um zu erklären, warum wir Sätze und Texte auf welche Art bilden. Dazu ist ein Grammatikmodell notwendig. Ein passendes Modell für die Technische Redaktion zu finden, ist aber nicht so einfach.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 04:20 Minuten

Sehen wir uns drei verschiedene Modelle an. Was leisten sie als Grundlage, um Grammatik zu verstehen? Welches Modell eignet sich für die Technische Redaktion am besten?

Die Aufgabe eines Modells

Um Sachverhalte zu verstehen, braucht man einen Rahmen, in den sich das Beobachtete einordnen lässt. Gleichzeitig ist ein Modell immer einfacher als die beobachtete Realität. Die Folge ist, dass bei jedem Modell bestimmte Dinge bewusst ausgeblendet sind.

Was muss nun ein Grammatikmodell für die Technische Redaktion mitbringen? Das sind vor allem drei Aspekte:

  • Es muss die Standardfälle der deutschen Sprache abdecken. Die Sprache in der Technischen Redaktion ist meist reduziert und standardisiert; Ausnahmefälle sind eher selten und können zunächst einmal ausgeblendet bleiben.
  • Es muss Sachverhalte klar und eindeutig benennen. Grammatik hat das Problem, dass der Untersuchungsgegenstand (Sprache) gleichzeitig auch das Untersuchungswerkzeug ist. Deshalb sollten Fachbegriffe ganz besonders klar und unverwechselbar sein.
  • Es muss leicht erlernbar und vermittelbar sein. Denn in der Technischen Redaktion haben wir nicht nur die Aufgabe, sprachliche Entscheidungen fundiert zu treffen. Wir müssen sie auch mit anderen diskutieren und Kolleginnen und Kollegen vermitteln, die weniger über sprachliche Analyse gelernt haben als wir.

Derzeit gibt es drei weit verbreitete Modelle, um Grammatik zu analysieren und zu verstehen. Mit Blick auf die Technische Redaktion sind sie unterschiedlich geeignet.

Das Modell aus der Schule

Auch der Grammatik, die wir in der Schule gelernt haben und die man noch heute in der Schule lernt, liegt ein Modell zugrunde: die Phrasenstrukturgrammatik. Sie hat als wesentliche Eigenschaft, dass die einzelnen Elemente in einem Satz als Satzglieder verstanden werden. Bestimmt erinnern Sie sich an Subjekt, Prädikat, Objekt oder auch an die Adverbialen. Positiv daran ist, dass die verschiedenen Bestandteile eines Satzes auf einige wenige Muster reduziert sind. Das sorgt für Einfachheit und Klarheit.

Die verschiedenen Satzglieder sind prinzipiell gleichwertig zueinander. Ebenso wie andere grammatische Einheiten werden sie bestimmt durch semantische, also bedeutungsmäßige Unterscheidungen: „Subjekt“ ist der Handlungsträger, „Objekt“ dasjenige, dem die Handlung widerfährt. Ein „Prädikat“ gibt wieder, was über den Handlungsträger ausgesagt wird. Das klingt zunächst einmal einleuchtend, scheitert in der Realität aber oft: „Diese Bedienungsanleitung verbleibt nach der Inbetriebnahme beim Endnutzer.“ Subjekt ist in diesem Satz „diese Bedienungsanleitung“, der Handlungsträger „Endnutzer“ ist ein Präpositionalobjekt. Außerdem stellt das so genannte Tätigkeitswort „verbleiben“ nicht wirklich eine Handlung dar. Wegen solcher semantischer Unschärfen führt der Ansatz der Phrasenstrukturgrammatik deshalb zu mehr Verwirrung als er hilft. Hinzu kommen Schwächen in der Terminologie-Bildung. Ein Beispiel: „Adjektive“ können in adverbialer Position verwendet werden, sind dann aber kein Adverb. Sie können auch in prädikativer Position verwendet werden, sind dadurch aber nicht Teil des Prädikats.

Eigentlich wäre die Phrasenstrukturgrammatik das geeignete Modell, um es für die Technische Redaktion einzusetzen. Denn wir kennen diese aus der Schule und könnten auf diesem Wissen aufbauen. Durch die schon angedeuteten inhärenten Widersprüche und Ungereimtheiten halte ich sie aber nicht wirklich für gut geeignet. Denn warum sollte etwas, das in der Schule schon flächendeckend nicht geklappt hat, im Arbeitsalltag unter Zeit- und Kostendruck besser vermittelbar sein?

Das Modell mit Tiefgang

Ein anderes verbreitetes Grammatikmodell ist die generative Transformationsgrammatik. Sie wurde von Noam Chomsky ab den fünfziger Jahren entwickelt und kontinuierlich verfeinert. Im Kern des Grammatikmodells steht der Gedanke, dass sich die Einheiten auf der Textoberfläche durch verschiedene Umformungen aus einfacheren sprachlichen Tiefenstrukturen herleiten. Textoberfläche meint den Satz und die Satzglieder, die wir lesen.

Das Grammatikmodell ist gut erforscht und bereits auf eine Vielzahl von Beispielen und Sprachen angewendet worden. Es zielt darauf ab zu erklären, was sich in einem Text beobachten lässt und woher diese Strukturen sich ableiten. Diese psychologische Komponente ist allerdings kaum belegt. Für den Alltagsgebrauch in der Technischen Redaktion schafft das Verfahren darüber hinaus zusätzliche Probleme ohne einen entscheidenden Gewinn als Ausgleich: Man muss nicht nur erklären, was man beobachtet. Es muss auch noch abgeleitet werden, was sich in einer vermuteten Tiefenstruktur vollzogen hat.

Das Modell mit dem Verb

Das dritte Modell eignet sich eher für die Arbeit in der Technischen Redaktion: die Dependenz- oder auch Valenzgrammatik. Das Modell stellt das Verb ins Zentrum der Analyse und betrachtet es als Anker. Normalerweise kann ein Verb nicht alleine stehen und braucht verschiedene Partner, um einen sinnvollen Satz zu bilden. Außerdem kann es durch optionale Elemente ergänzt werden, zum Beispiel Angaben zu Zeit, Ort oder Art des Geschehens. Vom Verb hängen also alle weiteren Satzteile direkt oder indirekt ab. Dazu ein Beispiel aus einer Anleitung: „Sie können die Li-Batterien nach Gebrauch zur fachgerechten Entsorgung dem Hersteller zurückgeben.“ Der verbale Kern besteht aus den Teilen „können“ und „zurückgeben“. „Zurückgeben“ braucht notwendigerweise drei Bestandteile, um einen kompletten Satz zu bilden:

  • jemand, der etwas zurückgibt („Sie“)
  • etwas, das zurückgegeben wird („die Li-Batterien“)
  • jemanden, an den es zurückgegeben wird („dem Hersteller“).

Diese notwendigen Partner des Verbs bezeichnet man als Ergänzungen. Das Verb hat in diesem Fall also drei Bindungsstellen, die in diesem Grammatikmodell analog zur Chemie als drei Valenzen bezeichnet werden.

In unserem Beispiel kommen außerdem noch zwei optionale Elemente hinzu: eine zeitliche Einordnung („nach Gebrauch“) und eine Zwecknennung („zur fachgerechten Entsorgung“). Solche fakultativen Satzbestandteile bezeichnet man als Angaben. Angaben und Ergänzungen lassen sich natürlich noch weiter klassifizieren und tiefer analysieren. Denn solche Satzglieder können weit komplexer werden als in diesem Beispiel. Vergleichen Sie: „Sie können die Li-Batterien nach Gebrauch zur fachgerechten Entsorgung an jede geeignete Stelle, die behördlich zugelassen ist, zurückgeben.“ Hier übernimmt die Formulierung „an jede geeignete Stelle, die behördlich zugelassen ist“ dieselbe Funktion wie „dem Hersteller“ – mehr darüber in der nächsten Ausgabe der ‚technischen kommunikation‘.

Zum Abschluss noch ein Tipp: Haben Sie einen Satz, der so richtig unübersichtlich ist? Dann versuchen Sie doch einmal herauszufinden, wo in diesem Satz die Verben sind. Anschließend analysieren Sie, was von diesen Verben abhängt. Sie werden sehen, dass der Satz wesentlich leichter zu durchschauen ist. Gerne können Sie mir einen solchen Satz auch zusenden, damit wir ihn uns in einer der nächsten Ausgaben gemeinsam ansehen können.

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