Flexible Hilfestellung

Text: Markus Nickl

Welche Aufgabe haben Hilfs-, Modal- und Vollverben? Wie verwende ich sie und was leisten sie in einer Technischen Dokumentation?

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 04:05 Minuten

Vielleicht sind Ihnen aus der Schule noch die so genannten Hilfsverben vertraut. Aber was macht eigentlich ein Verb zum Hilfsverb und wie erkennt man es? Die Antwort liegt wie so oft weder in den Verben selbst noch in deren Bedeutung, sondern in deren Verwendung und damit letztlich in der Grammatik.

Tatsächlich gibt es nur eine Handvoll Wörter, die Hilfsverben sein können; drei um genau zu sein: „sein“, „haben“ und „werden“. Zum Hilfsverb werden sie erst dadurch, dass eines oder mehrere von ihnen mit einem anderen Verb – dem Vollverb – kombiniert werden. Diese Kombination sorgt dafür, dass wir die verschiedenen Flexionsformen des Verbs bilden können. Ein Beispiel zeigt der folgende Info-Kasten (Inf. 01).

Zwei Beispielsätze aus einer Technischen Dokumentation.

Inf. 01 Quelle Markus Nickl

Jedes Hilfsverb kann allerdings auch als Vollverb verwendet werden: „In den Gefahrenbereichen sind Störungen erwartbar.“ „Der Inhalt des Probenbehälters wird heiß.“ Eine gute Daumenregel, um Hilfsverben zu erkennen, ist folgende: Ist das Verb das einzige Verb in einem Satz, dann ist es auf jeden Fall das Vollverb; gibt es mehrere Verben, dann steht das Hilfsverb vor dem Vollverb.

Tabelle zur Flexion von Hilfsverben.

Tab. 01 Quelle Markus Nickl

Welches Verb bildet nun welche Flexionsform? Tabelle 01 zeigt zweierlei:

  1. Nicht immer ist ein Hilfsverb nur für eine Flexionsform zuständig.
  2. Flektierte Formen der Hilfsverben („hatten“ = Präteritum; „würden“ = Konjunktiv) sind für die Bildung mancher Gesamtflexionsformen zuständig.

Einige Flexionsformen entstehen übrigens erst durch die Kombination mehrerer Hilfsverben. Futur II bildet sich zum Beispiel aus der Kombination von „werden“ und „haben“ (bzw. „sein“ bei einigen Spezialverben): „Herr Meier wird diese Aufgabe morgen um diese Zeit bereits erledigt haben.“ Auch die Passivformen verschiedener Tempora entstehen durch die Kombination mehrerer Hilfsverben.

Abtönen der Verbbedeutung

Als ob das nicht ausreichen würde, haben wir eine weitere Möglichkeit, zusätzliche Verben in Sätzen unterzubringen. Modalverben sind eine kleine Gruppe von Verben, die syntaktisch bemerkenswert sind, weil sie – wie die Hilfsverben – dazu beitragen, die Verbalklammer im Satz zu bilden. Tabelle 02 zeigt eine komplette Liste der Modalverben.

Tabelle mit allen Modalverben der deutschen Sprache.

Tab. 02 Quelle Markus Nickl

Die Beispiele machen deutlich, dass es inhaltlich bei den Modalverben immer darum geht, die Bedeutung des Vollverbs abzutönen. Sie zeigen an, dass etwas möglich, wünschenswert, empfehlenswert oder verpflichtend ist. In der Technischen Kommunikation kann diese Abtönung allerdings schnell zu Missverständnissen führen. Denn oft stellen wir aus Höflichkeitsgründen etwas als möglich oder empfehlenswert dar, was in Wahrheit verpflichtend ist.

Neben den eigentlichen Modalverben gibt es ein paar, die in der traditionellen Grammatik keine sind, die aber ebenfalls die Verbbedeutung abtönen und sich auch syntaktisch so ähnlich verhalten wie Modalverben. Die häufigsten davon sind „lassen“, „brauchen“ und „werden“. Wer aufgepasst hat, wird jetzt vielleicht sagen: „Moment mal, war ‚werden‘ nicht eben noch ein Hilfsverb?“ Und hat damit auch Recht, wie das folgende Beispiel zeigt:

  • „Der Kollege wird das morgen bearbeiten.“
  • „Der Kollege wird das im Moment wohl bearbeiten.“

Wie man sieht, kann der zweite Beispielsatz kein Futur sein. Denn das Geschehen findet gerade im Augenblick statt. Außerdem modifiziert das „werden“ die Bedeutung – weg von der Aussage, hin zur Vermutung. Wir hatten uns dieses Phänomen schon in Ausgabe 05/20 kurz angesehen. Nun ist auch klar, worin der grammatische Unterschied liegt. Ähnliches gilt auch für die beiden anderen Beispiele „lassen“ und „brauchen“, die als Vollverb oder vergleichbar zu Modalverben verwendet werden können:

  • „Der Kollege lässt ihm seine Ruhe.“
  • „Die Kollegin lässt eine Pizza kommen.“
  • „Die Kollegin braucht eine Gehaltserhöhung.“
  • „Der Kollege braucht sich nicht beklagen.“

Es zeigt sich, sobald diese Wörter in Kombination mit anderen stehen, verlieren sie ihre engere Bedeutung und dienen (nur noch) dazu, das Vollverb in seiner Bedeutung abzuwandeln.

Die dritte Gruppe

Zum Schluss bleiben die Vollverben. Sie stellen sozusagen die Normalform der Verben dar. Innerhalb dieser großen Gruppe lassen sich verschiedene Unterscheidungen treffen. Oft beruhen die Unterschiede auf der Bedeutung der Verben. Vielleicht erinnern Sie sich aus dem Grammatikunterricht zum Beispiel an die kausativen Verben, also Verben des Verursachens wie „schwärzen“ oder „fällen“. Solche semantischen Unterscheidungen können zwar gelegentlich grammatische Auswirkungen haben. In manchen Sprachen wie etwa dem Estnischen gibt es sogar eigene Flexionsendungen, die diese Bedeutung ausdrücken. Im Normalfall sind solche Unterscheidungen aber für das grammatische Verständnis eines Satzes irrelevant.

Verben richtig auseinanderhalten

Wenn man sich Sätze genauer ansieht, dann ist es oft gar nicht so leicht, die Verben und ihre Funktion im Satz auseinanderzuhalten. Das Deutsche hat durchaus Fälle, in denen fünf Verben aufeinanderfolgen – bedingt durch die Kombination aus Hilfsverben, Modalverb und Vollverb. Aber es ist ja nicht so, als ob nach der Lektüre dieses Beitrags das nicht „hätte vermutet worden sein können.“

Mit diesem Beitrag schließen wir die kleine Reihe über die Konjugation ab, also die Flexion des Verbs. Natürlich gibt es noch eine Menge weiterer Aspekte in der Verbflexion, die wir ausklammern müssen. Die wesentlichen Punkte für die Technische Kommunikation haben wir aber angesprochen und können uns in der nächsten Ausgabe das Substantiv genauer ansehen.

Literatur zum Weiterlesen

Nickl, Markus (2020): Die Starken und die Schwachen. In: technische kommunikation, H. 4, S. 35–37.

Nickl, Markus (2020): Zeitenwende in der Grammatik, H. 5, S. 27–28.

Nickl, Markus (2020): Passiv aktivieren, H. 6, S. 34–35.

Weitere Beiträge zur Sprache: https://technischekommunikation.info/fachartikel/sprache/

Grammatik in der Technischen Kommunikation.