Anleitungen richtig kürzen

Text: Roland Schmeling

Viele Technische Dokumentationen könnten kürzer und zugleich verständlicher sein. Auch beim Kürzen ist ein systematisches und regelbasiertes Vorgehen gefragt. Wie sollte eine Technische Redaktion daher vorgehen?

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 07:27 Minuten

Kürze gilt als ein zentrales Qualitätsprinzip für Anleitungen. Das gilt umso mehr mit zunehmendem Bedarf an mobilen, multimedialen und mehrkanaligen Informationen. Dennoch stecken in den meisten Anleitungen umfangreiche Kürzungspotenziale – inhaltliche und mediale, aber auch textliche und formale. Was ist also zu tun, um das Qualitätsprinzip auf Anleitungsinhalte richtig anzuwenden?

Die Erfahrung in unseren Beratungsprojekten zeigt, dass Kürzungspotenziale normalerweise im zweistelligen Prozentbereich liegen, in Einzelfällen deutlich über 50 Prozent. Dabei bedeutet Kürzen nicht sofort eine Kosteneinsparung. Die Kosten für das Kürzen selbst und die Kosten für erneute Übersetzungen und Publikationen müssen gegengerechnet werden.

Langfristig betrachtet lohnen sich jedoch Kürzungsprojekte fast immer:

  • alte Zöpfe abschneiden
  • gärende Diskussionen beenden
  • Anleitungen moderner und anwenderfreundlicher gestalten
  • Inhalte wiederverwendbar machen
  • neu erstellte Texte durch das aufgebaute redaktionelle Wissen von vornherein kürzer formulieren

Und ganz nebenbei sinken die Haftungsrisiken für entfallene, überflüssige Inhalte, ebenso die internen Kosten für Pflege, Prüfung und Freigabe.

Warum sind Kürzungen nötig?

Die Gründe sind schnell ausgemacht, warum Inhalte entstehen, die Kürzungspotenzial besitzen. Die Historie vieler Informationen ist nicht dokumentiert und darum nicht nachvollziehbar. Bestehende Inhalte, an die sich eine Organisation irgendwann gewöhnt hat, müssen oft aufwendig diskutiert werden. Erst dann können sie umfassend gekürzt werden. Ein typisches Beispiel dafür sind Sicherheitskapitel. Sie besitzen häufig nahezu unbrauchbare und im Endeffekt rechtlich nicht wirksame Texte. Solche Texte wachsen schnell unkontrolliert an.

Unzureichende Kenntnis und als Wahrheit empfundene Vermutungen über rechtliche Anforderungen tragen ebenfalls zu überflüssigen Inhalten bei. Problematisch ist beispielsweise die Haltung, mit möglichst vielen Hinweisen „auf Nummer Sicher“ zu gehen. Damit erreicht man oft das Gegenteil.

Hinzu kommt fehlendes Fachwissen über minimalistische Textproduktion. Auch mangelt es an der Bereitschaft, in gute, reduzierte Informationen zu investieren. Bestehende ungenügende Texte und Bilder werden allzu häufig nicht hinreichend hinterfragt und unbesehen erneut genutzt. Langfristig spart jedoch nur die Wiederverwendung qualitativ hochwertiger Informationen Geld.

Wie teuer ist ein Satz?

Kennen Sie die Kosten, die ein geschriebener Satz im Laufe seines Lebenszyklus durchschnittlich verursacht? Sie setzen sich aus folgenden Faktoren zusammen:

  • Recherche des Inhalts und Redaktion
  • Qualitätssicherung und Review
  • Pflege (nicht zu unterschätzen)
  • Verwaltung und Publikation
  • Übersetzungen, ebenfalls mit Qualitätssicherung, Review, Pflege, Verwaltung und Publikationskosten

Im Rahmen eines Projekts haben wir beispielsweise Kosten von 50 Euro ermittelt, die einem Unternehmen durchschnittlich durch einen Satz entstehen. Und wie wird ein Technischer Redakteur vor diesem Hintergrund seinen Arbeitserfolg beurteilen? „Heute war ein guter Tag. Ich habe viel Text produziert.“ Oder eher: „ich habe viele Sätze vermieden“?

Gerade die minimalistische Textproduktion bietet die Chance, Nichtleser für die Nutzung guter Anleitungen zurückzugewinnen, die Informationsqualität zu steigern und letztlich auch rechtlich wirksamere weil bessere Inhalte zu erzeugen.

Wo muss gekürzt werden?

Tabelle 1 (PDF) gibt eine Übersicht über Kürzungsansätze. Dabei dürften nicht alle Ansätze auf Zustimmung stoßen. Aber wer beim Kürzen vorankommen will, muss bereit sein, alles – wirklich alles – auf den Prüfstand zu stellen.
(PDF) gibt eine Übersicht über Kürzungsansätze. Dabei dürften nicht alle Ansätze auf Zustimmung stoßen. Aber wer beim Kürzen vorankommen will, muss bereit sein, alles – wirklich alles – auf den Prüfstand zu stellen.

Die folgenden zwei Beispiele fokussieren den Text. Mit Blick auf die Übersetzungskosten bieten sich hier häufig erhebliche Einsparpotenziale.

Wo steckt das Kürzungspotenzial?

Tabelle 2 zeigt ein Beispiel, das aus der Anleitung eines Fahrzeugherstellers stammt. Der Text wurde leicht verändert, dabei aber nicht verlängert. Der Text hat über 100 Wörter. Eine formale Kürzungsanalyse ergibt beispielsweise:

  • In Absatz 2 könnte die direkte Anrede entfallen. In Absatz 2 könnte das spitzfindige Detail „die Komponenten des“ entfallen, da es für den Kunden keine Rolle spielen dürfte, ob die Komponenten des Bordcomputers in Bereitschaft sind oder der Bordcomputer insgesamt.
  • Die Tatsache, dass sich die Warn­leuchte BC in der Kontrollanzeige befindet, könnte als bekannt oder hinreichend naheliegend voraussetzbar sein.
  • Die Absätze 5 bis 7 sind Gegenteile der Sachverhalte aus den Absätzen 2 und 3; eine bessere Kombination der Formulierungen nach dem Muster „Warnleuchte leuchtet: ja/nein“ könnte die Wortwiederholungen vermeiden.
  • Inhaltlich werden in dem Text stets Fahrzeugzustände mit Zuständen der Warnleuchte BC und der Frage, ob eine Störung vorliegt, in Beziehung gesetzt. Das durchgängige Inhalts­muster legt eine Tabellenstruktur nahe, die in der Regel zu kürzeren Texten führt.
  • Absatz 1 könnte entfallen, da der Inhalt nicht operationalisierbar ist. Auch wenn der Satz vielleicht ein Informationsbedürfnis von Autofahrern oder -besitzern widerspiegelt: Benötigt wird er nicht.

Wie sieht das Ergebnis aus?

Tabelle 3 stellt eine erste Verbesserung dar. Der Text kommt mit 44 Wörtern anstatt mit über 100 Wörtern aus und vermittelt einen Eindruck über das Kürzungspotenzial.

Das Kriterium der Operationalisierbarkeit wirft jedoch auch die Frage auf: Muss der Anwender überhaupt wissen, wie das Fahrzeug fehlerfrei funktioniert? Gibt es eine – realistische – Anwendungssituation, in der diese Information zu einem konkreten Verhalten des Anwenders führt? Wenn wir davon ausgehen, dass der Anwender nur im Störungsfall handeln muss, genügen Informationen zur Erkennung des Störungsfalls. Dann können auch Satz 2 und 3 des Originaltextes entfallen.

Der Anwendungsfall lautet also: Der Anwender hat Zweifel über die korrekte Funktion der Warnleuchte BC. Er sucht Informationen dazu.

In diesem Beispiel hat die Tabelle lediglich noch 28 Wörter. Der übrige Text umfasst 23 Wörter und enthält Informationen, die im Originaltext noch nicht einmal enthalten waren. Fazit: Halb so viel Text, doppelt so viel Information – weniger Kosten, mehr Wert.

Um zu diesem Ergebnis zu kommen, sind zwar einige systematische Überlegungen erforderlich. Das Ergebnis ist jedoch übertragbar auf andere Warnleuchten und andere Produktvarianten (sprich: Fahrzeugtypen) in Form einer wiederverwendbaren Informationsstruktur. Im Funktionsdesign wird diese Struktur „Sequenzmuster“ genannt:

  • Titel: Name der Warnleuchte
  • Zweck: Zweck der Warnleuchte, mit Formulierungsmuster „Die XXleuchte zeigt …“
  • Störungsfälle: Zustände der Warnleuchte im Störungsfall
  • Verhalten: Bedeutung des Störungsfalls
  • Maßnahme: Tätigkeiten im Störungsfall

An diesem Beispiel lässt sich gut erkennen, dass das Vorgehen bei einer Kürzung dem Vorgehen bei einer Standardisierung sehr ähnlich ist. Die Erkenntnisse einer tiefgreifenden, systematischen Kürzung haben nahezu zwangsläufig Auswirkungen auf die Informationsstandardisierung.

Das nächste Beispiel eines beschreibenden Textes entstammt der Betriebsanleitung eines Maschinenherstellers. Die Tabelle zeigt eine Analyse des Originaltextes. „ÜA“ bedeutet dabei „Überflüssige Angabe“, „Inf“ zeigt ein Problem im Bereich der Informativität an. „Fkt“ bedeutet ein funktionales Problem, „Sequ“ ein Problem mit der Sequenzierung der Information.

Schon diese kurze Analyse zeigt, dass wir es mit deutlichen Kürzungspotenzialen zu tun haben. Der erste Optimierungsvorschlag verringert den Abschnitt „Unterwerkzeugklemmung“ von 63 auf 26 Wörter.

Beim Optimieren des Textes wurden dabei gezielt so genannte Thema-Rhema-Strukturen als Formulierungstechnik angewendet.

Das Grundprinzip bei dieser Formulierungstechnik ist recht einfach: Der Titel bestimmt das erste Thema. Der erste Satz im nachfolgenden Abschnitt nimmt dieses Thema am Satzanfang auf und fügt eine neue Information hinzu, das Rhema des ersten Satzes. Alle nachfolgenden Sätze beginnen nun jeweils mit einem Thema, das entweder im Titel oder in einem vorausgehenden Satz als Thema oder im Rhema bereits vorkommt. Auf diese Weise werden konsequent alle Sätze vermieden, die „aus der Reihe springen“. Im Originaltext trifft dies auf den ersten Satz zu: Der Titel kündigt Informationen zur Unterwerkzeugklemmung an. Jedoch handelt der erste Satz von der (ganzen) Maschine.

Diesen Satz wegzulassen ist auch unter dem Gesichtspunkt der Wiederverwendung wichtig. Denn der Originaltext kann in der vorliegenden Form nur für die Maschine RZ500 verwendet werden.

Auch dieses Beispiel legt die Ähnlichkeit von Kürzungen und Standardisierungen nahe: Thema-Rhema-Strukturen können beispielsweise als Formulierungsregel gezielt für Beschreibungstexte festgelegt werden. Erfahrungsgemäß werden entsprechend gestaltete Texte kürzer.

Welche Schritte helfen in der Praxis?

Aus der Erfahrung mit Kürzungsprojekten können wir folgende Empfehlungen geben:

  • Kürzen Sie regelbasiert, nicht ad hoc: Bauen Sie ein Kürzungsprojekt als Standardisierungsprojekt auf, mit entsprechendem Aufbau oder Ausbau der schreibtechnischen Regeln.
  • Analysieren Sie die Kürzungspotenziale sorgfältig und bauen Sie eine möglichst realistische Kosten-Nutzen-Betrachtung auf, damit die Potenziale nicht unterschätzt, aber auch nicht überschätzt werden. Berücksichtigen Sie dabei auch weiche Faktoren wie steigende Kundenzufriedenheit durch übersichtlicheren Inhalt und die Eignung der Informationen für mobile Geräte.
  • Definieren Sie ein Kürzungsprojekt mit entsprechenden Ressourcen. Eine Redaktion benötigt Zeit für das Erlernen der Techniken.
  • Schulen Sie die Redaktion und definieren Sie die Qualitätssicherung.
  • Bedenken Sie, dass das Kürzungsprojekt ein Veränderungsprojekt mit vielen Stakeholdern sein kann, insbesondere wenn nicht nur Formulierungen gekürzt, sondern Inhalte weggelassen werden.
  • Entwickeln Sie aussagekräftige Vorher-Nachher-Beispiele. Das hilft der Argumentation und dem Lernerfolg.
  • Entwickeln Sie klare Kriterien für die Überarbeitung von Bestandstexten. Nicht bei jedem Bestandstext lohnt sich die Überarbeitung. Definieren Sie bei Bedarf einen Überarbeitungsleitfaden.
  • Ordnen Sie Ihren Texten Qualitäts­stufen zu: Welche Texte sind bereits optimiert, welche noch nicht? Auf diese Weise können Sie Überarbei­tungen planen und optimal berichten, speziell bei modularer Arbeitsweise.

Wie lassen sich Kürzungen durchsetzen?

Wer Texte und Abbildungen einer Anleitung kürzen will, muss mit Widerstand rechnen – auch wenn die Kürzungen noch so vernünftig sind. Doch mit den passenden Argumenten kann eine Technische Redaktion ihre Ziele erreichen.