Ein wandlungsfähiges System

Text: Haeme Ulrich

Das CMS WordPress als Werkzeug für die Technische Kommunikation – eine exotischen Verbindung. Aber dort, wo mobile Dokumentation entsteht, hat das System durchaus seine Berechtigung. Deswegen war WordPress auch ein Thema auf der tekom-Jahrestagung 2019.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 06:52 Minuten

Auf der Jahrestagung im November 2019 habe ich zweimal den Workshop „WordPress als Redaktionssystem für die mobile Dokumentation“ geleitet. Als Referent für WordPress und gleichzeitig als Experte für Publishing mit über 30 Jahren Erfahrung kenne ich beide Seiten – WordPress und klassisches Publishing. Zudem wussten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops ziemlich genau, worauf es bei den Prozessen und Systemen für mobile Dokumentation ankommt. Ein spannendes Aufeinandertreffen, von dem einige typische Fragen und Problemstellungen in diesem Beitrag beantwortet werden. Gleichzeitig ist er der Abschluss unserer WordPress-Reihe von 2019, die im Internet abrufbar ist (inf. 01).

Das System und seine Umgebung

Abbildung 01 zeigt WordPress im Multi-Channel-Einsatz. In der Mitte das Content-Management-System (CMS) mit der Datenbank für die Inhaltsverwaltung. Darum herum gängige Ausgabekanäle, die mit WordPress genutzt werden können. Neben der Ausgabe ins klassische Web (Mobile und Desktop) ist vor allem die Progressive Web App, PWA, einen Blick wert. Schließlich kann eine PWA zur mobilen Dokumentation verwendet werden.

Übersicht über acht Möglichkeiten für die Ausgabe eines Inhalts.

Abb. 01 WordPress als System für das Multi-Channel-Publishing. Quelle Haeme Ulrich

Architektur von WordPress

Statistiken geben an, dass etwa dreißig Prozent aller Websites mit WordPress gebaut sind. Würde man nur Websites auf Basis eines Systems untersuchen, wäre der Marktanteil sogar bei sechzig Prozent. Diese Verbreitung spricht für sich. Trotzdem gibt es Aufgaben, für die kommerzielle Systeme besser geeignet sind. Vorweg: WordPress verwaltet Inhalt in HTML. XML und JSON werden als Transferformat unterstützt, die Datenerfassung erfolgt jedoch ausschließlich über HTML. Das Format liegt in der MySQL-Datenbank, in der WordPress-Inhalte gespeichert werden (Abb. 02). Von dort aus kann es für andere Formate übernommen werden.

Blick in eine MySQL-Datenbank mit der Anwendung phpMyAdmin

Abb. 02 Inhalte verwaltet WordPress als HTML in einer MySQL-Datenbank. Quelle Haeme Ulrich

Eigenschaften von HTML

Warum hat HTML so eine Bedeutung? Das Format ist zwar standardisiert, für die Automation gibt es jedoch bedingt durch das einfache Datenmodell Einschränkungen. So ist es nicht möglich, das Datenformat durch eigene Elemente zu erweitern. Es sind Standard-Elemente wie <h1> bis <h6> vorhanden. Jedoch fehlt die Möglichkeit, die Sprache für die eigenen Bedürfnisse mit einem eigenen Datenmodell zu erweitern. Bei XML und JSON ist diese Erweiterung vorgesehen. Damit die Datenstruktur zu hundert Prozent eingehalten wird, kann sie bei XML und JSON über so genannte „Schemas“ validiert werden – je nach System sogar live während der Datenerfassung.

Datenverwaltung über HTML kann jedoch auch Freiheit und damit Agilität bedeuten. HTML ist sehr verbreitet. Deswegen sind unendlich viele Werkzeuge für die Bearbeitung und Verwaltung von HTML vorhanden. Außerdem gibt es eine große Szene an Frontend-Entwicklern, die sich mit HTML, PHP, CSS und JavaScript auskennen. Entwickler mit diesen Kenntnissen sind leichter zu bekommen und arbeiten häufig gerne projektbezogen als Freelancer.

Web-CMS auf HTML-Basis (wie WordPress) werden meist unter einer OpenSource-Lizenz vertrieben. Die Software an sich ist kostenlos, die Betriebskosten damit gering. Durch ihre hohe Verbreitung sind solche Web-CMS schnell betriebsbereit. So können Multi-Channel-Lösungen in einem Kostenrahmen entstehen, den auch kleine Unternehmen stemmen.

Argumente dafür und dagegen

Die folgende Aufzählung soll klären, wann sich WordPress für den eigenen Einsatz eignet und wann nicht. Sie ist allerdings subjektiv und gewiss unvollständig, reicht aber für erste Überlegungen. WordPress eignet sich:

  • Bei agilem Vorgehen, wenn mit einem Minimum Viable Product, MVP, gestartet wird, um die Lösung fortlaufend weiterzuentwickeln.
  • Wenn der Funktionsumfang von HTML reicht und nicht zwingend eine XML/JSON-Datenverwaltung notwendig ist.
  • Wenn primär die HTML-Ausgabe benutzt wird – für Web (Mobile und Desktop) sowie Apps.
  • Wenn Websites/Landingpages damit gemacht werden und somit bereits Wissen und Können im Hause sind.
  • Wenn der Web-Shop auf WooCommerce und damit bereits auf WordPress läuft.
  • Bei überschaubarem Budget und begrenzten personellen Ressourcen, wenn punktuell externe Freelancer einbezogen werden sollen.

WordPress eignet sich nicht:

  • Wenn das Datenmodell von HTML nicht ausreicht; wenn Inhalt nach eigenen XML-Schemas validiert werden soll.
  • Wenn Daten vor allem für andere Medien als Web und Apps benutzt werden (Print).
  • Wenn ungeachtet der Initialkosten eine maximal mögliche Automation erreicht werden soll.

Mit Bordmitteln erweitern

Die clevere Architektur mit „Custom Post Types“ macht aus dem ursprünglich fürs Bloggen entwickelten WordPress einen flexiblen Baukasten für ganz unterschiedliche Anwendungsfälle. „Custom Post Types“ heißt die Möglichkeit, WordPress um beliebige Inhaltstypen zu erweitern. Im Standard sind „Beiträge“, „Seiten“ und „Medien“ enthalten. Eigene Inhaltstypen könnten sein: Produkte, Produktvarianten, Funktionen – einfach alles, was strukturiert verwaltet werden soll. Die Custom Post Types werden um Felder („Custom Fields“) erweitert, um die Erfassung und Verwaltung von Inhalt zu organisieren. Schließlich wird ein eigenes Taxonomie-System über die „Custom Taxonomies“ aufgebaut, um Inhalt abzufragen und für die unterschiedlichen Ausgabezwecke dynamisch zur Verfügung zu stellen. Es ist fast wie das Spielen mit Lego: Die Grenzen setzt vor allem die eigene Kreativität.

Externe Systeme verbinden

WordPress kann auch mit anderen Systemen verbunden werden. Verbreitet ist das Shop-System „WooCommerce“, das auf WordPress aufsetzt und wie WordPress von Automattic stammt. Inhalt für WordPress kann extern verwaltet und zum Beispiel über JSON nach WordPress überführt werden. So ist es etwa möglich, ein PIM-System als Quelle für die WordPress-Ausgabe einzusetzen. Oder Inhalt kommt aus einem XML-basierenden Redaktionssystem und bestückt die Ausgabekanäle von WordPress.

Auch die andere Richtung ist möglich: WordPress wird als „headless CMS“ benutzt. Die Datenverwaltung übernimmt WordPress, die Präsentation der Daten geschieht über Drittsysteme – zum Beispiel über ein Framework für hybride Apps wie „Twixl“ (twixlmedia.com).

Für die mobile Dokumentation eignen sich Apps und mobile Webseiten. Doch App ist nicht gleich App. Der Aufwand, eine App zu erstellen und zu betreuen, hängt mit der dazugehörigen Technologie zusammen. Wir unterscheiden „Native App“, „Hybrid App“ und „(Progressive) Web App“, dargestellt in Abbildung 03.

Übersicht über die verschiedenen Apps.

Abb. 03 Übersicht über die verschiedenen Apps. Quelle Haeme Ulrich

Die Native App wird für die jeweilige Plattform programmiert. Die Initialkosten und die Kosten für den Betrieb sind hoch. Eine native App rechnet sich meist nur, wenn die App auch das Produkt ist und nicht ausschließlich Inhalt präsentieren soll: Office, Games oder auch Videoschnitt.

Bei einer Hybrid App wird der Inhalt über eine „Runtime“ präsentiert. Meist kommt die Runtime von einem Softwarehersteller wie Twixl, während der Inhalt von der Redakteurin oder dem Redakteur selbst eingegeben wird.

Mit Web App werden Webseiten bezeichnet, die sich wie herkömmliche Apps verhalten: Sie laufen auch ohne aktive Internet-Verbindung und im Hintergrund, wenn die „Website“ nicht angezeigt wird. Als Runtime kommt hier ein Webbrowser zum Einsatz (Desktop und Mobile), der heute sowieso auf jedem Betriebssystem in einer einigermaßen aktuellen Version vorhanden ist. Sehr spannend sind die Progressiven Web Apps (PWAs) – eine Initiative und heute ein Standard für Web Apps; ursprünglich von Google, heute breit durch alle relevanten Hersteller unterstützt.

Die Kosten für eine PWA sind übersichtlich: Die Runtime (Webbrowser) ist bereits vorhanden. Entwickelt wird lediglich eine Website, die auch offline läuft. Eine praktikable Lösung, die allerdings von Apple für das Betriebssystem iOS kaum unterstützt wird. Mit dieser Maßnahme will der Softwarehersteller seinen App Store schützen und damit eine Einnahmequelle sowie einen Kontrollmechanismus. Schließlich kann eine PWA unabhängig von einem App Store installiert werden.

Apps mit WordPress

Die PWA erweitert eine responsive Website um ein „Manifest“ und um „Service Worker“. Im Manifest – eine simple JSON-Datei – werden die Metadaten der App verwaltet. Darin stehen Informationen wie Name der App, Link zum Icon, URL, um die App zu starten, Standard-Ausrichtung (Hoch- oder Querformat) oder auch Art der Darstellung (soll die App als eigene Instanz oder einfach als Browser-Tab gestartet werden).

Die Service Worker sind in JavaScript geschrieben und erweitern die responsive Website um die Offline-Lauffähigkeit (Caching), Hintergrund-Synchronisation des Inhalts sowie das Empfangen von Push-Nachrichten.

WordPress ist also ein nützliches Werkzeug für die Erstellung von Internetseiten. Was spricht also dagegen, dass WordPress auch für PWAs geeignet ist? Nichts – es braucht das „Manifest“ und die „Service Worker“, um aus dem Web-CMS ein System für mobile Apps zu machen. Dafür bieten sich einige Erweiterungen an. Das Plug-in Progressive WordPress (PWA) von Nico Martin habe ich im eigenen Einsatz – Abbildung 04. In dieser Erweiterung ist auch der Versand von Push-Nachrichten auf Basis des kostenlosen Dienstes „Firebase“ von Google vorgesehen – Abbildung 05.

Für eine Progressive Web App benötigt WordPress ein Plug-in.

Abb. 04 Mit Hilfe eines Plug-ins erzeugt WordPress eine PWA. Quelle Haeme Ulrich; Nico Martin

Integration von Firebase in WordPress

Abb. 05 Der kostenlose Pushserver "Firebase" von Google kann in progressive Web Apps verwendet werden. Quelle Haeme Ulrich

Die Idee vom Baukasten

Scheut ein Unternehmen keinerlei Investitionen und will eine hochgradige Automation erzielen, dann kommt es mit einem kommerziellen Content-Management-System auf XML-Basis weiter als mit WordPress. Hier handelt es sich vielmehr um einen flexiblen Baukasten, wie beim schon erwähnten Lego-Spielen. Baukasten heißt auch Kreativität, Eigenverantwortung sowie kontinuierliche Weiterentwicklung. Zudem vereinfachen agile Arbeitskulturen entscheidend die Einführung von WordPress. 

Das Redaktionssystem Typo3 kann vielfältige Aufgaben erledigen.