Grundsätzlich zugänglich!

Text: Roland Schmeling

Sowohl gedruckte als auch digitale Nutzungsinformationen müssen zugänglich sein. Auf dem Weg zum Kunden haben sie dabei einen Hindernis-Parcours zu überwinden. Wie lässt sich die Zugänglichkeit sicherstellen? Und haben gedruckte Informationen einen Vorteil?

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 11:54 Minuten

Zugänglichkeit oder Barrierefreiheit? Worüber reden wir genau? Der Grundsatz der IEC/IEEE 82079-1:2019 (kurz „82079-1“), der weltweit wichtigsten Grundlagennorm für die Technische Kommunikation, übersetzt „Accessibility“ aus dem englischen Original der Norm als „Barrierefreiheit“ (Inf. 01).

Zugänglichkeit nach DIN EN IEC/IEEE 82079-1

5.3.8 Barrierefreiheit

Nutzungsinformationen müssen für die Zielgruppen im Nutzungskontext und während der vorgesehenen Lebensdauer des unterstützten Produkts zugänglich (z. B. technisch verfügbar und leserlich) sein.

3.1 Barrierefreiheit

Umfang, in dem Produkte, Systeme, Dienstleistungen, Umgebungen und Einrichtungen durch Menschen aus einer Bevölkerung mit den weitesten Nutzererfordernissen, Merkmalen und Fähigkeiten genutzt werden können, um identifizierte Ziele in identifizierten Nutzungskontexten zu erreichen

Anmerkung 1 zum Begriff: Nutzungskontext umfasst die unmittelbare Nutzung oder die durch Assistenztechnologien unterstützte Nutzung.

Inf. 01  Quelle DIN EN IEC/IEEE 82079-1

Barrierefreiheit bedeutet allgemein, Rahmenbedingungen zu schaffen, um allen Menschen einen gleichberechtigten, uneingeschränkten Zugang zu allen Lebensbereichen zu gewähren. Für Nutzungsinformationen bedeutet dies, dass unter Berücksichtigung aller persönlichen Funktions- und Fähigkeitseinschränkungen der Zugang zur Information weitgehend ohne fremde Hilfe möglich ist.

Die Forderung nach Barrierefreiheit suggeriert ihre Umsetzbarkeit. Angesichts der Vielzahl und Unterschiede persönlicher Einschränkungen ist jedoch vollständige Barrierefreiheit praktisch nicht erreichbar. Teilweise wird darum von „barrierearm“ gesprochen. Dies trifft jedoch nicht den Kern der Sache: Was die Norm zu Recht fordert, ist nicht, dass etwas nicht oder wenig da ist (nämlich Barrieren), sondern dass etwas da ist, nämlich die Nutzungsinformation. Diese Information muss nach dem Grundsatz der Zielgruppenorientierung für alle Zielgruppen zugänglich sein. Menschen mit persönlichen Einschränkungen sind so weit mitgemeint, wie sie Teil der Zielgruppe sind.

Der Kern der Sache

Nicht Barrierefreiheit um jeden Preis ist das Thema, sondern die Zugänglichkeit und Verfügbarkeit der Informationen für die Zielgruppen. Diese können häufig abgegrenzt werden, speziell bei Produkten zur industriellen oder professionellen Verwendung: Eine Chirurgin wird über hinreichende visuelle Fähigkeiten verfügen, ein Goldschmied über eine ruhige Hand und eine Tischlerin über eine gewisse Kraft. Informationen für einen sehbehinderten Chirurgen bereitzustellen, könnte sich als wenig sinnvoll herausstellen – vorbehaltlich der Entwicklungen durch verstärkte gesellschaftliche Aktivitäten zu Inklusion und Teilhabe.

Als integraler Teil der Zugänglichkeit haben die Methoden und Techniken der Barrierefreiheit ihre Berechtigung und Bedeutung und schaffen auch für Menschen ohne Einschränkungen einen Nutzen, etwa durch eine bessere Maschinenlesbarkeit und Erschließung der Inhalte. Dazu später mehr.

Der Parcours der Zugänglichkeit

Immer wieder erstaunt es mich, wie viel auf dem Weg der Information vom Ersteller zum Nutzer schieflaufen kann: Informationen auf der Webseite sind veraltet oder Inhalte für frühere Produktversionen sind „verschwunden“. Veraltete Dokumente wurden nicht entsorgt, sondern werden weiter geliefert. Informationen werden wegen unerwarteter technischer Probleme nicht korrekt dargestellt. Oder der mitgelieferte Link zeigt „Error 404“.

Der Weg der Informationen vom Hersteller zum Nutzer ist ein Hindernislauf, ein Parcours, der zu überwinden ist. Tabelle 01 erläutert die Stationen und die Hürden sowie mögliche Ursachen bei der digitalen Bereitstellung.

Tabelle mit Hindernissen und Lösungen für den Zugang zu Produktioninformationen.
Tab. 01 Quelle Roland Schmeling

Maximale Zugänglichkeit

Maximal zugänglich sind Nutzungsinformationen, die sich am richtigen Ort bzw. zum richtigen Zeitpunkt anbieten:

  • Beschriftungen auf der Oberfläche von Hardware
  • Eingebettete Informationen, integriert in die Benutzeroberfläche von Software
  • Meldungen einer Software, die erscheinen, wenn sie benötigt werden.

Beschriftungen auf der Hardware-Oberfläche sind durch die Oberfläche selbst begrenzt. Sprachen können oft nicht in beliebiger Zahl angebracht werden, was den Grundsatz der Verständlichkeit untergräbt. Sprachneutrale Symbole auf der Produkt­oberfläche sind zwar zugänglich, aber oft nicht hinreichend verständlich; man denke nur an viele Symbole der ISO 7010, zu denen entweder keine Verständlichkeitsuntersuchungen vorliegen oder die eine Verständlichkeitsprüfung nach ISO 9186-1:2007 nicht bestanden haben. Entsprechende Hinweise zu den einzelnen Symbolen sind auf der „ISO Online Browsing Platform“ verfügbar.

Eingebettete Informationen dürfte jeder kennen, der ein Smartphone hat. Die Einstellungen enthalten häufig kurze Nutzungsinformationen zu den einzelnen Elementen der Software-Oberfläche. Dass diese Informationen besser zugänglich sind als eine separate Online-Hilfe, in der die Elemente der Software-Oberfläche erklärt werden, liegt auf der Hand. Ähnlich verhält es sich mit Meldungen einer Software, also mit Informationen nach dem Push-Modell.

Mit dem Grundsatz der Zugänglichkeit bevorzugt die 82079-1 ausdrücklich eingebettete Informationen und Push-Informationen. Entsprechend muss sichergestellt sein, dass diese Nutzungsinformationen und ihr Erstellungsprozess auch die übrigen Anforderungen der Norm erfüllen. Dies ist in der Praxis nicht immer der Fall, insbesondere wenn diese Informationen in der Verantwortung einer Software-Entwicklung liegen und damit über andere Prozesse erstellt werden als die umfassenden Nutzungsinformationen, die von der Technischen Redaktion verantwortet werden.

Die rechtliche Bedeutung

Nicht zugängliche Nutzungsinformationen können rechtliche Anforderungen in keiner Weise erfüllen. Die Frage ist daher, in welchem Ausmaß Nutzungsinformationen gehalten sein müssen, damit sie zugänglich sind.

Rechtsnormen befassen sich etwa mit folgenden Fragen:

  • Was muss gedruckt beigefügt sein?
  • Welche Anforderungen sind an die gedruckte Form zu stellen?
  • Unter welchen Voraussetzungen können Informationen ausschließlich digital bereitgestellt werden?
  • Welche Anforderungen sind an die digitale Form zu stellen?

Mitten in der digitalen Transformation verändern sich die Anforderungen laufend und in verschiedene Richtungen. Darum lohnt sich ein Blick auf Entwicklung und Status der Rechtsanforderungen und Rechtspraxis. An dieser Stelle beschränke ich mich auf Anforderungen im EU-Markt, und zwar in den Jahren 2012, 2016, 2017, 2019 (2014), 2019/2021 und 2023.

Der risikobasierte Ansatz

2012: Für Medizinprodukte für die professionelle Verwendung ermöglicht die Verordnung 207/2012 den weitgehenden Verzicht auf gedruckte Informationen. 2021 wird mit der Verordnung 2021/2226 diese Verordnung an die neue Medizinprodukte-Verordnung angepasst und damit bestätigt.

Bemerkenswert an dieser Verordnung ist der risikobasierte Ansatz: Hersteller können auf gedruckte Informationen verzichten, wenn sie mit einer Risikobewertung nachweisen, „dass das Sicherheitsniveau bei der Bereitstellung elektronischer Gebrauchsanweisungen mindestens genauso hoch ist wie bei der Bereitstellung von Gebrauchsanweisungen in Papierform.“ Der Ansatz bedeutet nichts anderes, als dass die Papierform der Referenzpunkt für ein sicheres Anleitungsmedium ist: Die Lieferung in Papierform ist demnach die sichere Variante, zu der jederzeit zurückgekehrt werden kann.

Dieser Ansatz ignoriert offenbar die Vorteile, die eine digitale Bereitstellung gegenüber dem Papier hat. Dies kann man bedauern. Jedoch birgt dieser Ansatz die Chance, Nachteile, die sich für Nutzer aus dem Verzicht auf die gedruckte Fassung ergeben, durch die Vorteile digitaler Informationen mehr als zu kompensieren. Damit lässt sich nachweisen, dass die Sicherheit des Produkts sogar zunehmen kann, wenn man die gedruckte Anleitung durch eine digitale Anleitung ersetzt.

Die Verordnung liefert zudem etliche konkrete Aspekte, die in der geforderten Risikobeurteilung behandelt werden müssen. So regelt sie eindeutig, dass die Nutzer­zielgruppen, ihr Kenntnisstand und ihre Erfahrung sowie der Nutzungskontext berücksichtigt werden müssen. Darüber hinaus gibt es weitere konkrete Anforderungen:

  • Die Website ist kompatibel für die Darstellung der Nutzungsinformationen auf verschiedenen Geräten, die verwendet werden könnten.
  • Sicherheitsvorkehrungen verhindern unerlaubte Änderungen an den Nutzungsinformationen.
  • Die gedruckte Anleitung wird auf Anforderung innerhalb von sieben Werktagen bereitgestellt (Anmerkung: Die neue Maschinenverordnung sieht in einem ähnlichen Zusammenhang einen Monat vor.).
  • Angaben zu Notfallsituationen sind nicht nur digital verfügbar, sondern auch auf dem Produkt oder einem „Beipackzettel“.
  • Alle historischen Anleitungen sind auf der Website verfügbar.
  • Serverausfälle sind selten.

Die EU-Kommission ist mit dem risikobasierten Ansatz ganz auf der Linie der Herstellerverantwortung, was meines Erachtens zu begrüßen ist. Leider hat sich dieser Ansatz weder im Blue Guide noch im Guide der Maschinenrichtlinie niedergeschlagen.

Sicherheit auf Papier

2016: Der „Blue Guide“ stellt fest: „Sofern in spezifischen Rechtsvorschriften nicht anders festgelegt, müssen die Sicherheitsinformationen zwar auf Papier vorgelegt werden, aber es wird nicht verlangt, dass alle Anleitungen ebenfalls auf Papier vorliegen; sie können auch elektronisch oder in einem anderen Datenspeicherungsformat oder sogar auf einer Website bereitgestellt werden. Ist dies der Fall, muss die vollständige Gebrauchsanweisung je nach Verwendungszweck des Produkts während eines angemessenen Zeitraums nach dem Inverkehrbringen des Produkts zugänglich bleiben. Allerdings sollte Verbrauchern, die dies wünschen, immer kostenlos eine Papierversion zur Verfügung gestellt werden. […]“ (Fußnote 114 in der aktuellen Fassung, damals Fußnote 100)

2017: Der Guide zur Maschinenrichtlinie befasst sich in Version 2.1 erstmals ausführlich mit den Anhängen. In § 255 ist hier zur Form der Anleitung zu lesen: Anhang I, Abschnitt 1.7.4 der Maschinenrichtlinie „does not specify the form of the instructions. It is generally agreed that all health and safety related instructions must be supplied in paper form, since it cannot be assumed that the user has access to the means of reading instructions supplied in electronic form or made available on an Internet site.“

Diese Regelungen haben leider nicht viel zur Klärung beigetragen. Es bleibt unklar, was unter „Sicherheitsinformationen“ genau zu verstehen ist. Bei aller Unklarheit des unbestimmten Rechtsbegriffs „Sicherheitsinformationen“ sind die Angaben im Guide aber ein Silberstreif am Horizont.

2019 (2014): Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ein Urteil des OLG Frankfurt vom 28. Februar 2019. Das Gericht stellt fest, dass eine E-Mail mit dem PDF der Anleitung für ein elektrisches Kinderauto die Anforderungen des Produktsicherheitsgesetzes an die Bereitstellung der Anleitung erfüllt. Das Gericht bezog sich dabei auf ein Urteil des LG Potsdam aus 2014. Das Urteil sollte nicht überbewertet werden, da es sich nur auf Deutschland bezieht. Es zeigt jedoch, dass auch eine kompetente juristische Befassung mit dem Produktsicherheitsgesetz nicht zu dem Schluss führen muss, dass eine Papierfassung der Anleitung vorzuliegen hat.

2023: Inzwischen ist die neue Maschinen-Verordnung (EU) 2023/1230 in Kraft und muss ab 20. Januar 2027 angewendet werden. Die Maschinen-Verordnung lässt ausdrücklich die digitale Betriebsanleitung zu, knüpft dies jedoch an etliche Bedingungen. Eine Auswahl:

  • Auf Maschine, Verpackung oder Begleitdokument muss angegeben sein, wie man auf die digitale Betriebsanleitung zugreifen kann.
  • Die digitale Betriebsanleitung muss offline speicherbar und ausdruckbar sein.
  • Die digitale Betriebsanleitung muss über die zu erwartende Lebensdauer des Produkts online zugänglich sein, mindestens zehn Jahre.
  • Auf Verlangen bei Kauf muss eine gedruckte Betriebsanleitung innerhalb eines Monats zur Verfügung gestellt werden.
  • Bei Produkten, die „unter vernünftigerweise vorhersehbaren Umständen von nichtprofessionellen Nutzern verwendet werden können, muss der Hersteller die Sicherheitsinformationen, die für die sichere Inbetriebnahme der Maschine […] und für […] dessen sichere Verwendung wesentlich sind, in Papierform bereitstellen.“ Diese Formulierung lässt allerdings weiterhin deutliche Interpretationsspielräume, die noch zu erörtern sein werden.

Im Hintergrund laufen bereits Gespräche, die eröffneten Möglichkeiten der digitalen Betriebsanleitung mit Hilfe einer Überarbeitung des Guides zur Maschinenrichtlinie vorzuziehen, denn: Die digitale Betriebsanleitung ist durchaus vereinbar mit der bestehenden Maschinenrichtlinie; wird der Text der Maschinenrichtlinie allein betrachtet, ohne den Guide und die entsprechende Rechts­praxis, dann tritt eher eine Verschärfung ein.

Zwei vor, einer zurück

Bei allem zugegebenermaßen langsamen Fortschritt bei der digitalen Transformation Technischer Kommunikation stoßen wir immer wieder in der Beratungsarbeit auf produktspezifische Regelungen und Normen, die – teilweise aus schwer nachvollziehbaren Gründen – gedruckte Informationen pauschal oder im Einzelfall fordern. Ein Beispiel ist das ElektroG, das die WEEE-Richtlinie umsetzt. Danach müssen Entsorgungshinweise für Verbraucher in „Schriftform“ (also gedruckt) vorliegen.

Für Hersteller bedeutet dies, dass sie sorgfältig die produktspezifischen Regelungen recherchieren, beobachten, evaluieren und umsetzen müssen, um Nachteile und Rechtsfolgen zu vermeiden. Angesichts der Vielzahl an Anforderungen, Märkten, Produkten und Veränderungen wird dies ohne ein sorgfältig aufgesetztes Anforderungsmanagement nicht effizient umsetzbar sein.

Kein Maß aller Dinge

Die Frage, ob Papier eine gute Referenz für die Zugänglichkeit von Informationen ist, ist mehr als berechtigt. Nach meiner Erfahrung sind gedruckte Informationen häufig nicht dort verfügbar, wo sie nötig sind. Die Ordner mit der Betriebsanleitung zur Werkzeugmaschine stehen weit weg im Büroschrank. Die Betriebsanleitung für die Baumaschine ist längst nicht mehr in der Fahrerkabine. Und die Anleitung zur Waschmaschine … wo war die noch gleich?

Der Vorteil gedruckter Informationen ist zweifellos, dass sie ohne weitere technische Hilfsmittel nutzbar sind. Darauf stellt schließlich der Guide zur Maschinenrichtlinie in § 255 ab – wie bereits erwähnt. Dem gegenüber stehen die Vorteile von Informationen, die online bereitgehalten und zusätzlich lokal gespeichert sind, so dass für ihre Nutzung keine Internetverbindung erforderlich ist.

Gleichwertigkeit der Medien

2019/2021: Die IEC/IEEE 82079-1 fordert Zugänglichkeit und betrachtet dabei ausdrücklich die Medien als gleichberechtigt. Auch die ISO 20607 über Betriebsanleitungen von Maschinen legt in Abschnitt 7 fest, dass die Betriebsanleitung in der mit dem Kunden vereinbarten Form bereitgestellt werden muss, wobei die gesetzlichen Anforderungen des Landes zu berücksichtigen sind, in dem die Maschine auf den Markt gebracht oder erstmals in Betrieb genommen wird. Als „Veröffentlichungsformen“ kommen dabei neben der gedruckten Fassung infrage: ein mitgeliefertes Speichermedium, ein Zugriff auf einen externen Speicherort mittels der Maschine (einschließlich einer Webseite), ein Zugriff auf einen internen Speicherort (ggf. im Anschluss an einen entsprechenden Download) oder in der Maschine implementierte visuelle oder auditive Techniken. Allerdings ist stets zu beachten, dass diese aufgelisteten Normen gesetzliche Rahmenbedingungen nicht außer Kraft setzen.

Nochmals Barrierefreiheit

Dezember 2016: Im Amtsblatt der Europäischen Union wurde die EU-Richtlinie (EU) 2016/2102 veröffentlicht über den barrierefreien Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen. Die Richtlinie verpflichtet öffentliche Stellen zu barrierefreien Webangeboten. Das heißt, dass sich Verwaltungen und Gerichte, Polizeistellen, öffentliche Krankenhäuser, Universitäten und Bibliotheken um die Barrierefreiheit ihrer Internetseiten und seit 2021 der Apps kümmern müssen. Ausgenommen sind öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten und in Teilen Schulen, Kindergärten und Krippen.

Im Juli 2018 hat Deutschland die Richtlinie durch das Behindertengleichstellungsgesetz – BGG umgesetzt. Die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) 2.0 wurde im Mai 2019 angepasst. Ähnliche Umsetzungen finden sich in den übrigen Mitgliedstaaten der EU.

Einzelheiten sind in der harmonisierten Norm EN 301549 definiert. Sie gibt in Kapitel 9 (Web) die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1 auf Konformitätslevel A und AA als verpflichtende Kriterien der Barrierefreiheit wieder. In Kapitel 9.5 sind zusätzlich die AAA-Kriterien aufgelistet, die Empfehlungscharakter haben: Webseitenanbieter werden ermutigt, die Relevanz der AAA-Erfolgskriterien für ihr Projekt zu prüfen. Zusätzlich können für Webseiten Einzelanforderungen aus den EN-Kapiteln 5, 6, 7, 11, 12 verpflichtend sein. Einen Überblick gibt die EN im Annex A, Tabelle A.1 (PDF).

Obwohl die Verordnung für Hersteller von Produkten im Allgemeinen erstmal nicht anzuwenden ist, baut sich dennoch ein gewisser Druck auf. Beispielsweise wenn Betreiber von Produkten Personen mit Einschränkungen beschäftigen, müssen diese Personen Zugang zu den Informationen der entsprechenden Produkte haben. Die Betreiber dieser Produkte haben also ein – zunehmendes – Interesse an der Barrierefreiheit der Nutzungsinformationen, wenn nicht sogar eine entsprechende Verpflichtung. Ein Hersteller von Software, die in einer öffentlichen Verwaltung eingesetzt wird, ist bereits heute betroffen.

Interessanterweise wurde über Barrierefreiheit im Zusammenhang mit gedruckten Informationen wenig diskutiert. Gewiss: Schriftgrößen, Kontraste und Haltbarkeit der gedruckten Informationen sind durchaus ein Thema; dass beispielsweise jedoch erst digitale Formate sehbehinderten Menschen den eigenständigen Zugang zu vielen Informationen ermöglichen, wurde in der Diskussion um die neue Maschinenverordnung und dem teilweise sturen Beharren auf gedruckten Informationen für Verbraucher seitens einiger Stakeholder nicht hinreichend gewürdigt.

Was ist jetzt zu tun? Barrierefreiheit umzusetzen, erfordert mindestens die folgenden Schritte:

  • Zielgruppen genau analysieren; mit welchen spezifischen Einschränkungen ist zu rechnen?
  • Einschlägige Standards analysieren; dazu gehören insbesondere die WCAG 2.1 und die EN 301549 „Accessibility requirements for ICT products and services“.
  • Barrierefreiheit von Anfang an integrieren und konzeptionell berücksichtigen; Barrierefreiheit erfordert zu einem großen Teil klare und durchgängige Informationsstrukturen.
  • Wissen um die Umsetzung von Barrierefreiheit aktuell halten; die Technologien und Anforderungen entwickeln sich rasch weiter.

Ein guter Ratgeber

Vor inzwischen sieben Jahren haben wir als siebenköpfiges Team von Autoren und Autorinnen, unterstützt von knapp 20 Vertretern und Vertreterinnen aus Industrie, Hochschulen und Dienstleistung, die tekom-Richtlinie „eDok“ entwickelt. Die Empfehlungen dieser Richtlinie wurden auch der EU-Kommission vorgestellt, um die Entwicklung der genannten Rechtsgrundlagen zu beeinflussen, bereits mit verschärftem Hinweis auf die Notwendigkeit, Klarheit über zu druckende Informationen für den Maschinenbau herzustellen.

Bei allen Veränderungen der Rechtsgrundlagen und Rechtspraxis haben die Empfehlungen der tekom-Richtlinie bis heute ihre Gültigkeit behalten. Daher hier die wesentlichen Schritte:

  • Zielgruppen, ihre Tätigkeiten und Nutzungskontexte analysieren
  • Informationen und Produkt gemeinsam entwickeln; Informationen in das Produkt integrieren oder eng mit dem Produkt verzahnen
  • Spezifische Anforderungen aus dem Recht für Produktsicherheit sowie Inverkehrbringen analysieren und einhalten
  • Ein Medienkonzept entwickeln und dabei geeignete Normen und Standards nutzen, um die Anforderungen umzusetzen
  • In einer Risikobeurteilung das Medienkonzept prüfen und optimieren, so dass Risiken durch unzureichende Zugänglichkeit der Informationen auf ein akzeptables Niveau gesenkt werden; das Niveau an Sicherheit muss mindestens so hoch sein wie bei Bereitstellung ausschließlich gedruckter Informationen.
  • Mit Usability-Tests das Medienkonzept prüfen und optimieren, insbesondere bei größeren Veränderungen, neuen Medien, Verlinkungen oder geänderter Verteilung von Informationen auf Medien
  • Einhaltung der Anforderungen des Medienkonzepts in der Umsetzung überwachen

Links und Literatur

EN 301-549 „Accessibility requirements for ICT products and services“.

(EU) 2021/2226 „e-labeling“; Durchführungsverordnung zur Verordnung (EU) 2017/745 „Medizinprodukteverordnung.

(EU) 2023/1230 „Maschinenverordnung“.

IEC/IEEE 82079-1:2019 „Preparation of information for use (instructions for use) of products – Part 1: Principles and general requirements“ und die entsprechende europäische Norm in der deutschsprachigen nationalen Fassung: DIN EN IEC/IEEE 82079-1:2021 „Erstellung von Nutzungsinformationen (Gebrauchsanleitungen) für Produkte – Teil 1: Grundsätze und allgemeine Anforderungen“.

ISO Online Browsing Platform: https://www.iso.org/obp/ui 

Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU 2022 („Blue Guide“): Amtsblatt der Europäischen Union C 247/1 vom 29. Juni 2022.

OLG Frankfurt „Kinderauto“: Aktenzeichen 6 U 181/17, mit Verweis auf LG Potsdam (Urt. v. 26. Juni 2014, Aktenzeichen 2 O 188/13 „Digitalkamera“).

Posselt, Klaas/Fröhlich Dirk (2019): Barrierefreie PDF-Dokumente erstellen. Heidelberg.

tekom-Richtlinie „Bereitstellung von Nutzungsinformationen in elektronischer Form – eDok“, 2. Auflage, 2018.

WCAG: https://www.w3.org/TR/WCAG21/ 

Eine Person tippt auf einer Braille-Tastatur.