Erfahrung aus der Praxis

Text: Kurt Frech

Wie verändert die MDR den Stellenwert der Technischen Redaktion?

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 02:49 Minuten

Technische Redaktionen in Medizintechnikunternehmen waren die Anforderungen aus den europäischen Normen und Richtlinien in der Vergangenheit vergleichsweise gering: Die Medizinprodukterichtlinie aus den 1990er Jahren ließ große Interpretationsspielräume, und selbst nach Inkrafttreten der Änderungsrichtlinie 2007 waren die Vorgaben für Medizinprodukte deutlich weniger streng als etwa für Pharmaprodukte.

Das ändert sich jetzt. Die im Anhang I. Kapitel III, Abschnitt 23 der MDR geforderten Angaben sind umfassend – und dennoch oft mit einem „gegebenenfalls“ relativiert. Das sorgt bei Technischen Redakteuren für Sorgenfalten; verursacht werden diese Unschärfen wohl durch den weitreichenden Geltungsbereich der Verordnung von der Pinzette bis zum Computertomographen.

Grundsätzlich gilt aber, dass viel mehr Informationen in den Gebrauchsanweisungen aufgeführt sein müssen, dass auch für weit mehr Produkte als bisher überhaupt Gebrauchsanweisungen anzufertigen sind und dass diese zudem in den Amtssprachen all jener europäischen Ländern vorliegen müssen, in denen das Produkt vertrieben wird.
Herausforderung durch Sprachenvielfalt

Gerade die Ausweitung auf rund 25 Sprachen allein für Europa bringt für die Technische Redaktion große Herausforderungen mit sich: Man ist gut beraten, wenn man das Terminologiemanagement sehr ernst nimmt. Denn Übersetzer, insbesondere der kleinen osteuropäischen Sprachen sehen sich vor der Aufgabe, für Termini geeignete Entsprechungen in ihrer Sprache zu finden oder zu erfinden. Operateure in Bulgarien oder in Litauen mögen die vielfältigen Instrumente, die der deutsche Erfindergeist zu Wege gebracht hat, in der Vergangenheit irgendwie benannt haben. Aber jetzt ist der Zeitpunkt, an dem die Spezialprodukte in diesen Sprachen getauft werden – und zwar am besten auf der Basis einer soliden Definition in der Terminologiedatenbank.

Es hat sich gezeigt, dass es gut war, schon in der Vergangenheit die bereits existierenden Vorgaben der Medizinprodukte-Richtlinie und all die mitgeltenden Regularien ernst zu nehmen.

Viele Redaktionen in der Medizintechnik haben die Umstellung auf MDR-Konformität als Anlass genommen, ein Redaktionssystem einzuführen. Dies erleichtert die einheitliche Dokumentenerstellung erheblich, vor allem aber das Management der neuen Vielsprachigkeit.

Kooperation unverzichtbar

Aber ein Redaktionssystem allein ist kein Allheilmittel. Die Informationen aus anderen Abteilungen müssen in brauchbar strukturierter Form verfügbar sein, und die Zuständigkeiten für die Datenbereitstellung müssen klar definiert sein, damit die richtigen Informationen überhaupt zur Redaktion fließen können. Eine enge Zusammenarbeit zwischen den Informationen liefernden Abteilungen (Entwicklung, Produktmanagement, Klinische Bewertungen, Aufbereitung) und der Technischen Redaktion war schon früher hilfreich, ist aber unter den MDR-Bedingungen unverzichtbar. Jegliche Änderungen müssen künftig – auf nachvollziehbare Weise – umgehend in die Gebrauchsanweisungen gelangen. Ohne klare Zuständigkeiten, ohne elektronische Workflows und Redaktionssystem ist dies kaum mehr zu gewährleisten.

Die Vollständigkeit einer Gebrauchsanweisung wurde in der Vergangenheit oftmals nur nach Menge abgeprüft. Wenn etwas fehlte, konnte man es ja im Korrekturumlauf ergänzen. Dieser Ansatz ist unter den neuen Bedingungen zum Scheitern verurteilt. Nicht nur die Dokumente, sondern auch die Prozesse und Zuständigkeiten müssen einer formativen Evaluation unterzogen werden. Als sehr hilfreich kann sich dabei ein System-Audit-Verfahren erweisen.

Redaktionelle Führungsaufgabe

Ohne Automatisierung und Systematisierung, ohne formative Evaluation und systematische Neukonzeption von Prozessen ist die Umstellung bei vielen Unternehmen nicht zu leisten. Dies verursacht nicht selten schmerzhafte Änderungen von Jahrzehnte alten Verhaltensmustern, bringt aber auch Chancen für die Weiterentwicklung der Technischen Redaktion. Denn all die notwendigen neuen Prozesse helfen letztlich nicht nur der Technischen Redaktion, sondern dem gesamten Unternehmen. Wenn es der Technischen Redaktion gelingt, sich als Eigner dieser Prozesse zu positionieren, steigt ihr Wert im Unternehmen.

Nicht zu unterschätzen sind die Nebeneffekte, die durch saubere automatisierte Prozesse und modularisierte Informationen erzielt werden können: Nicht nur Europa, auch die USA, Brasilien und viele asiatische Länder verschärfen ihre Anforderungen an Gebrauchsanweisungen. Die Technische Redaktion kann punkten, wenn sie gestärkt aus der MDR-Umstellung hervorgeht und in den nächsten Jahren ganz nebenbei zum Beispiel länderspezifische Anforderungen erfüllt, die aus allen Teilen der Welt an sie herangetragen werden.

Bei alldem darf die Redaktion die Gebrauchstauglichkeit nicht aus dem Blick verlieren, denn die vielen neu geforderten Detailangaben könnten im schlechtesten Fall den Anwender mehr verwirren – das wäre genau das Gegenteil der MDR-Zielsetzung. Usability-Tests von Gebrauchsanweisungen werden in der Zukunft eine noch wichtigere Rolle im Redaktionsprozess spielen.  

 

Spezial zur MDR in Recht und Normen, Ausgabe 03/20.