Eine umfassende Neuregelung

Text: Roland Schmeling

Die neue Medizinprodukte-Verordnung sollte am 25. Mai 2020 nach dreijähriger Übergangsfrist in Kraft treten. Aufgrund der aktuellen Pandemie wurde jedoch eine Verschiebung um ein Jahr beschlossen. Fest steht aber schon jetzt, dass die neue Verordnung gravierende Veränderungen mit sich bringt.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 02:14 Minuten

Im März 2010 nimmt die französische Behörde für Arzneimittelsicherheit „Afssaps“ Brustimplantate des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) vom Markt. Der Grund ist, dass die Implantate reißen können. Das Unternehmen meldet später Insolvenz an.

Weltweit waren laut Neue Zürcher Zeitung vom 23. März 2017 rund 500.000 Frauen von den Implantaten betroffen. Der Fall erzeugte viel Aufmerksamkeit in den Medien. In den Folgejahren beschäftigt er zahlreiche Gerichte. In der Kritik steht dabei auch der TÜV Rheinland als Benannte Stelle (aktuelles BGH-Urteil AZ: VII ZR 151/18). Die Politik hat mit der nun vorliegenden Medical Device Regulation, MDR, reagiert. In Deutschland heißt sie Medizinprodukte-Verordnung.

In den Erwägungsgründen der MDR heißt es: „Zur Verbesserung von Gesundheit und Sicherheit sollten Schlüsselelemente des derzeitigen Regulierungskonzepts, beispielsweise die Beaufsichtigung der Benannten Stellen […] und Marktüberwachung erheblich gestärkt und Bestimmungen zur Gewährleistung von Transparenz und Rückverfolgbarkeit in Bezug auf Medizinprodukte eingeführt werden.“ Dementsprechend wurden die Anforderungen gegenüber der bisherigen Medizinprodukte-Richtlinie (MDD 93/42/EWG), die im Wesentlichen von 1993 stammt, deutlich verschärft.

Die aktuelle Situation

Die Umsetzung der Verordnung läuft bislang nicht rund. Sorge bereiten weiterhin die bisher sehr geringe Anzahl an neuzertifizierten Benannten Stellen, die Unsicherheiten bei der Umsetzung sowie die damit verbundene Versorgungssicherheit: Für Produkte, die nicht rechtzeitig zertifiziert werden, könnte es Lieferengpässe geben. In Zahlen: In Deutschland sind bisher nur vier benannte Stellen akkreditiert, in ganz Europa sind es gerade mal elf. Zum Vergleich: Für die bisherige Medizinprodukte-Richtlinie sind 56 benannte Stellen gelistet. Guidance-Dokumente gibt es praktisch nicht, etwa einen umfangreichen Guide, wie er zur Maschinenrichtlinie verfasst wurde.

Hilfreich sind Übergangsfristen für Produkte, die weitgehend unverändert sind. Im zweiten Corrigendum zur MDR vom November 2019 wurde etwa für Softwareprodukte, die bisher in die Klasse I fielen und unter der MDR wegen der Regel 11 höher klassifiziert werden, die Übergangsregelung verbessert.
Wegen COVID-19 hat am 3. April 2020 die Europäische Kommission einen Vorschlag zur Verschiebung des Anwendungsdatums der EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) um ein Jahr angenommen. Die Mitgliedstaaten, Gesundheitseinrichtungen und Wirtschaftsakteure sollen die Möglichkeit erhalten, die Coronavirus-Pandemie vorrangig zu bekämpfen. Das europäische Parlament hat am 17. April die Verschiebung beschlossen. Die dadurch gewonnene Zeit muss nun genutzt werden.

Die Rolle der Gebrauchsanweisung

Bei aller Aufmerksamkeit, die die MDR auf sich zieht, sollten Hersteller nicht übersehen, dass abhängig vom Produkt parallel auch andere Rechtsvorschriften anwendbar sein können, insbesondere REACH/CLP, Euratom, Biozide, WEEE/RoHS und die Maschinenrichtlinie. Die Gebrauchsanweisung (Instruction for Use; IfU) ist Teil des Produkts und muss zahlreichen Anforderungen genügen, damit das Medizinprodukt auf dem Markt bereitgestellt werden darf. Auch für Produkte, die weitgehend unverändert bleiben, wird eine Änderung der IfU aufgrund der veränderten Rechtslage zumeist erforderlich sein.

Links zum Weiterlesen

https://ec.europa.eu/growth/sectors/medical-devices/new-regulations_en
https://ec.europa.eu/growth/tools-databases/nando/
https://www.bvmed.de/de/bvmed/publikationen/medizinprodukte-inforeihe/poster-uebersicht-mdr-flowchart-2017
https://www.bvmed.de/de/recht/eu-medizinprodukte-verordnung-mdr/dokumente-zur-implementierung-der-mdr
https://www.johner-institut.de/blog/regulatory-affairs/gebrauchsanweisungen/
https://www.nzz.ch/meinung/auswirkungen-der-neuen-medizintechnik-regulierung-der-eu-wenn-die-politik-ein-monster-gebiert-ld.153215
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=OJ:L:2020:130:TOC

Spezial in Recht und Normen, Ausgabe 03/20