Unsichtbares greifbar machen

Text: Britta Loew

Wissensmanagement und Technische Kommunikation haben eine Schnittmenge. Wie groß ist sie und wie können Technische Redakteurinnen und Redakteure fachlich davon profitieren?

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 07:43 Minuten

In Ihrem Unternehmen erstellen Sie Technische Dokumentation? Haben Sie eine entscheidende Rolle? Oder kommen Sie sich eher wie ein Sonderling vor, der zwischen Konstrukteuren, Ingenieuren oder Entwicklern geduldet wird? Bestimmt haben Sie das Gefühl, dass man Ihnen außer Schreiben wenig anderes zutraut.

Und dann sitzen Technische Redakteurinnen und Redakteure auch noch am Ende der Produktionskette, können erst dokumentieren, wenn das Produkt fertig ist. Das passiert im Terminplan allerdings selten genug. Wir sind die stillen Kompensatoren des mangelnden Zeitmanagements anderer Abteilungen und erledigen das notwendige Übel, ohne das ein Produkt gesetzlich nicht vollständig ist.

Dabei ist es essenzielle Arbeit, die die Technische Redaktion leistet. Was wir machen, ist Wissen zu dokumentieren. Besonders, wenn es über die einfache Produktbeschreibung hinausgeht. Wenn wir Best Practices, How-tos verfassen oder Prozesse dokumentieren, machen wir intrinsisches Wissen sichtbar. Damit gemeint ist Wissen, das sonst nur in den Köpfen weniger Kolleginnen und Kollegen steckt.

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Wissen wird auch auf der Jahrestagung sichtbar und greifbar gemacht.

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Vor Jahren tauchte das Schlagwort „Wissensmanagement“ auf. Nach einem Hype äußerten sich kritische Stimmen, etwa: „Die ursprüngliche Idee des Wissensmanagements in den 1990er Jahren war es, das gesamte organisationale Wissen zu konservieren. In erster Linie wurden dafür technische Lösungen kreiert, die überwiegend durch Experten gefüllt wurden und bei denen der Mensch und soziale Aspekte kaum Berücksichtigung fanden. Aus heutiger Sicht ist es deshalb kaum verwunderlich, dass dieser Weg meist von vornherein zum Scheitern verurteilt war.“ [1]

Mit dem Schlagwort „Wissensmanagement“ kam etwas Neues ins Spiel. Allerdings fehlte eine fachliche Grundlage für ein ernstzunehmendes Managementthema. So wie es vielen Implementierungen von Neuerungen gegangen ist, scheint es auch auf das Wissensmanagement zuzutreffen: Nach dem Hype folgte der Tiefpunkt. Anschließend ging es mit einer realistischeren Einstellung wieder aufwärts [2]. Abbildung 1 zeigt diese Entwicklung beispielhaft.

Aufmerksamkeit und Zeit bestimmen den Zyklus eines Hypes.

Abb. 01 Der Zyklus eines Hypes [3].

In der Informationsgesellschaft ist Wissensmanagement der Schlüssel für viele Unternehmen, sich Wettbewerbsvorteile zu sichern. Es wird immer deutlicher, dass Informationen oder Wissen eines der wichtigsten Güter ist – auch von kleineren Herstellern. Um ihre strategischen und operativen Ziele zu erreichen, müssen sie notwendiges Wissen und Kompetenzen sicherstellen. So können sie diese Faktoren nutzen, entwickeln und bereitstellen.

Mit dem abstrakten Medium „Wissen“ verhält es sich wie mit Geld, oder um es frei nach dem Unternehmer Henry Ford zu sagen: Der oberste Zweck des intellektuellen Kapitals ist nicht, mehr Wissen zu schaffen, sondern zu bewirken, dass sich das Wissen der Verbesserung des Unternehmens widmet.

Nur wenn man sich um sein Geld kümmert, hat man welches. So ist es auch mit Wissen. Unternehmen müssen sich ihr intellektuelles Kapital bewusst machen, es pflegen, konservieren, verwalten und ausbauen. Damit sind wir bereits mitten im Wissensmanagement und auch bei den Technischen Redakteuren. Denn wer ist in einem Unternehmen prädestiniert, Wissen zu schöpfen, festzuhalten und bereitzustellen? Technische Redakteure sind die besten Wissensarbeiter: Sie wissen, wie man recherchiert, intrinsisches Wissen externalisiert und Architekturen aus Informationen baut. Außerdem haben sie die Werkzeuge und das Verständnis für das richtige Medium, mit dem sich Wissen für Kunden und Mitarbeiter bereithalten lässt.

Die passenden Plattformen

Jedes Jahr im November kann man in Stuttgart zwei spannende Veranstaltungen besuchen: die tekom-Jahrestagung und die Wissensmanagementtage. Es ist schade, dass die Veranstaltungen zeitgleich sind. Schließlich haben sie thematisch einiges miteinander zu tun. Es gibt viele Wissensmanagementthemen, denen sich die Technische Redaktion im Alltag stellen muss. Auf den Wissensmanagementtagen begegnete man Ausstellern, die auch auf der tekom-Jahrestagung gut platziert wären. Eine Auswahl von Themen der Wissensmanagementtage 2019:

  • KI und maschinelles Lernen für besseren Zugang zu Informationen
  • Lösungen für intuitiven, zentralen Wissenszugang
  • begleitendes Change-Management
  • E-Learning, Blended Learning, Workplace Learning
  • Digital Workspace für vernetztes Wissen
  • Digitale Fachbibliothek
  • Lernmanagement und Talentmanagement
  • Kollaboration und Kommunikation
  • Dokumentenmanagement

Die Position Technischer Redakteure

Als Informationsarchitekten, die Wissen so aufbereiten, dass Kunden und Mitarbeiter es optimal vermittelt bekommen, sind Technische Redakteure klassische Wissensarbeiter. Bereits 1968 führte Peter Drucker Idee und Fachbegriff der Wissensarbeit ein: „Wissensarbeit produktiv zu machen ist die große Managementaufgabe dieses Jahrhunderts, so wie es die große Aufgabe des vergangenen Jahrhunderts war, manuelle Arbeit produktiv zu machen.“

Technische Redakteure als Wissensarbeiter stehen vor den Aufgaben, Spezialwissen aus der Entwicklungs- oder Konstruktionsabteilung nach Relevanz zu filtern und so aufzubereiten, dass die Zielgruppe es verstehen und richtig einordnen kann. Am Ende hilft ihre Wissensarbeit dem Anwender, selbst neues Wissen aufzubauen. Und worin besteht die Schnittmenge zwischen Technischer Dokumentation und Wissensmanagement bzw. wie kann das eine vom anderen profitieren?

Hilfreiche Methoden

Technische Redakteure, die an der Verbesserung ihrer Produktdokumentation arbeiten, können sich vom Wissensmanagement Anregungen holen. Denn es stellt Methoden bereit, Wissen in Organisationen zu dokumentieren, sichtbar zu machen, zu teilen, zu vermehren und gewinnbringend einzusetzen. Unter „Organisationen“ wird jede Art von sozialem System verstanden. Dieser gemeinsame Nenner trifft auf Unternehmen genauso zu wie auf Schulen, Familien oder auch Vereine. So lässt sich auch eine Abteilung innerhalb eines Unternehmens als Organisationseinheit betrachten, auf die bestimmte Wissensmanagementmethoden angewendet werden können, um Verbesserungen auf verschiedenen Ebenen zu erzielen.

Die Methoden des Wissensmanagements sind vielfältig. Wer sich einen umfassenderen Einblick verschaffen möchte, dem sei das Buch „Werkzeugkasten Wissensmanagement“ von Angelika Mittelmann empfohlen – Books on Demand, Norderstedt.

Tabelle 01 zeigt Methoden, die für die Technische Redaktion besonders interessant sind.

Die Tabelle nennt Methoden und erläutert sie.

Tab. 01 Quelle Britta Loew

Wissenslandkarte – um das Wissen einer Organisation transparent zu machen, empfehlen sich Wissenslandkarten. Sie geben einen Überblick über das im Unternehmen vorhandene Wissen, indem sie Wissens­träger und Wissensquellen darstellen und Wissenslücken sichtbar machen. Mit dieser Methode könnte eine Technische Redaktion verdeutlichen, an welchen Stellen innerhalb der Organisation welche Informationen zur Produktdokumentation gebraucht werden. Eventuell könnte die Wissenslandkarte als Grundlage für eine detaillierte Zielgruppenanalyse dienen.

Lessons Learned – eine inzwischen sehr etablierte Methode zur Wissensentwicklung, bei der abgeschlossene Projekte in einem Workshop aufgearbeitet werden. Dadurch wird Gelerntes konserviert und Fehler bewusst gemacht, um sie in Zukunft vermeiden zu können. Als Teile eines Projektteams können Technische Redakteure durchaus profitieren, indem Vorgehensweisen bewertet und verbessert werden, ebenso die Formen der Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen.

Open Space Technologie (OST) – eine einfache Methode, mit der man eine Besprechung effektiver und produktiver gestalten kann. Es gibt Open-Space-Meetings mit zwölf bis 20 Teilnehmern, aber auch Open-Space-Konferenzen mit bis zu 2.000 Teilnehmern. Alle Veranstaltungen haben gemeinsam, dass das Leitthema vorher bekannt ist, die detaillierte Agenda aber erst in Zusammenarbeit mit den Teilnehmern erarbeitet wird. Die Methode bietet eine grobe Struktur der Durchführung von Problemlösungsprozessen an und wird vor allem bei komplexen Problemen eingesetzt. Sie eignet sich auch gut, wenn in einer Organisation Veränderungen eingeleitet werden.

Community of Practice (CoP) – Personen schließen sich zusammen, die voneinander lernen wollen, da sie ähnliche Aufgaben haben. Normalerweise üben die Personen auch den gleichen Beruf aus. Die Grundidee ist, dass für den Wissenserwerb die Teilnahme an einer Gemeinschaft entscheidend ist, da in ihr das Wissen konstruiert wird. Zu den Wegbereitern dieser Methode gehört Etienne Wenger [4].

Wissensdatenbank – eine Sammlung expliziten Wissens, das in schriftlicher Form strukturiert und digital abgelegt wird. Der Zugriff erfolgt meist über eine Suchmaschine. Man spricht auch von Wissensbasis oder Knowledge Base.

Mikroartikel – die Idee der Mikroartikel haben Susanne Mingers und Helmut Willke Ende der 1990er-Jahre entwickelt. Es ist eine Möglichkeit, persönliches Lernen mit dem eines Systems zu verbinden. Ein Mikroartikel hat das Ziel, Wissen und dessen Kontext möglichst knapp zu dokumentieren.

Wissensbilanz – eine Methode, um das intellektuelle Kapital einer Organisation zu bewerten und darzustellen. Das intellektuelle Kapital besteht aus dem Humankapital, dem Strukturkapital und dem Beziehungskapital.

Wissensmanagement ist keine neue Erfindung. Vielmehr macht es bewusst, was ungenutzt ist. In der heutigen Informationsgesellschaft ist das Wissen eines Unternehmens ein entscheidender Erfolgsfaktor. Ein Unternehmen mit effektivem Wissensmanagement erzielt Wettbewerbsvorteile. Nicht nur durch Wissensvorsprung und Transparenz, sondern auch weil die Informationskultur des Unternehmens bewusst gestaltet wird.

Wissensmanagement hilft, folgende Fragen zu beantworten:

  • Wie kann ein Anwender die Information suchen, die ich ihm anbiete?
  • Wie führe ich Recherchegespräche?
  • Wie halte ich Informationen aktuell?
  • Wie lassen sich Informationen intelligent bereitstellen?
  • Auf welcher Plattform?
  • In welcher Form?

Argumente für Wissensmanagement:

  • Herausfinden, über welches Wissen die Organisation verfügt
  • Wissenserwerb und -entwicklung fördern
  • Wissensstand in der Organisation erhöhen
  • Motivieren, Wissen und Erfahrung zu dokumentieren
  • Suche nach Informationen erleichtern
  • Kommunikation und Austausch von Wissen verbessern
  • Prozesse und Arbeitsabläufe transparent machen
  • das Wissen scheidender Mitarbeiter in der Organisation erhalten
  • Verbesserung der Einarbeitung neuer Mitarbeiter
  • Motivation und Teamgeist steigern

An der Schnittstelle

Das Handwerk der Technischen Dokumentation kann für den Aufbau eines Wissensmanagements wertvolle Beiträge leisten. Sind es doch die Technischen Redakteure, die Experten auf dem Gebiet der Anwendung von Sprache und der Strukturierung sprachlicher Einheiten sind. Wenn explizites Wissen festgehalten und transparent gemacht wird, passiert dies immer über Sprache. Ob Terminologiemanagement oder Ontologien – das Management sprachlicher Einheiten ist ein Spezialgebiet von Redakteurinnen und Redakteuren und die Basis der Vernetzung von sprachbasierten Informationen. Das Wissensmanagement kann von der Technischen Redaktion lernen, wie Informationen methodisch und logisch aufbereitet werden, wie Inhalte klassifiziert, aggregiert und modularisiert werden. Diese Kompetenzen werden dringend bei der Erfassung, Bereitstellung und Verteilung von Wissen benötigt.

Berufliche Perspektiven

Das Wissensmanagement hat den übergeordneten Blick auf den Wissenstransfer im Unternehmen. Technische Redakteure können mit ihrem spezialisierten Wissen Beiträge leisten und selbst das Wissensmanagement als eine Erweiterung ihres Wirkungskreises sehen und sich in diese Richtung entwickeln. Die Position der Wissensmanagerin oder des Wissensmanagers ist eine perfekte Aufstiegsmöglichkeit.

Das Wissen eines Unternehmens zu verwalten, bedeutet firmenweit Einfluss zu nehmen, Umdenken durchzusetzen, neue Werte zu vermitteln und neue Prozesse einzuführen. Daher ist es wichtig, dass ein Wissensmanager eine übergeordnete Position hat. Schließlich schlummert in allen Abteilungen Wissen, das für andere Mitarbeiter oder Kunden wichtig sein kann:

  • Wissen von scheidenden Mitarbeitern
  • Wissen aus Erfahrungen einzelner, etwa beim Kunden, auf Messen oder anderen Veranstaltungen
  • Wissen für Kunden bereitstellen, um den Support zu entlasten.

Liegt das Wissen in einer Hand, dann lässt sich vermeiden, das Rad immer wieder neu zu erfinden. Die Technische Redaktion kann dabei unter der Leitung des Wissensmanagers bleiben, denn die umfassende Produktdokumentation ist ein wichtiges Zahnrad im Wissensmanagement. Jeder, der im Wissensmanagement aufgefordert ist, Wissen festzuhalten, kann von Technischen Redakteuren lernen. Bei der Frage, wie das Unternehmen das erfasste Wissen bereithält, sind ihre Erfahrungen entscheidend.

Aus den „Sonderlingen“ werden so unverzichtbare Experten. Sie können über Abteilungsgrenzen hinaus Einfluss auf die Unternehmensentwicklung nehmen. Denkbar ist, dass eine Wissensmanagerin oder ein Wissensmanager der Unternehmensführung angehört. Schließlich lässt sich Wissen gewinnbringend einsetzen, um die Unternehmensziele zu erreichen.

Links und Literatur zum Beitrag

[1] Sauter W.; Scholz C. (2015): Wissensmanagement der ersten Generation. In: Kompetenzorientiertes Wissensmanagement. essentials. Springer Gabler, Wiesbaden.

[2] https://www.pumacy.de/publikationen/studien/wissensmanagement-trendstudie/

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Hype-Zyklus

[4] https://wenger-trayner.com

[5] https://bvwb.de/kurzportraet-wissensbilanz-made-in-germany

Wissensströme werden sichtbar, auch dank der Technischen Redaktion.