Machbares entdecken

Text: Mathias Maul

Kunden mit nervigen Ansprüchen, verspätete Kolleginnen und Kollegen und dann noch die Familie, die alles liegen lässt – wie kann ein Mensch ändern, was aussichtslos scheint?

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 03:26 Minuten

Ziel von Brain Dump in Ausgabe 01/22 war herauszufinden, was in unserem Hirn vorgeht, und durch diese systemische Beobachtung schon erste Veränderungen zu ermöglichen. Im Artikel schrieb ich beiläufig, dass Sie nur direkt beeinflussen können, was „in Ihnen selbst geschieht, nicht in Anderen.“

Entsprechende Gesundheit vorausgesetzt, können wir ausschließlich unsere Gedanken und unseren Körper direkt kontrollieren. Außerhalb unseres Selbst beginnt eine Grauzone: Auf eine Kaffeemaschine habe ich in der Regel mehr Einfluss als auf meinen Teenie-Sohn; auf einen mir wohlgesonnenen Kollegen mehr als auf den nörgelnden Kunden. Die Größe des Einflussbereiches variiert mit Kontext und Tagesform, konstant bleibt nur der Kern: Wir können direkt nur uns selbst steuern.

Wenn ich einem Team oder Klienten diese grundlegende Einsicht präsentiere, kommt sie einer Kröte gleich, die zum Mittagessen auf dem Teller sitzt. Denn dummerweise macht diese Einsicht manche Probleme noch größer: Wer ein Problem hat und keine Mittel, es zu lösen, hat schon zwei. Dann ist es hilfreich, dass wir uns (a) unseres Einflussbereichs bewusst werden und uns konsequent und konsistent (b) nur auf das konzentrieren, was wir ändern können.

Das ist gleichzeitig eine Grundfertigkeit für die Anwendung aller Tools meiner Beiträge und ein Tool für sich: Mit ein paar Tricks können wir Änderungen auch außerhalb unseres Einflussbereiches bewirken.

Reduktion aufs Machbare

Wenn’s um uns selbst geht, ist die Sache – theoretisch zumindest – klar. Wir drehen unsere eigenen Schrauben (mit oder ohne externe Unterstützung) selbstverantwortlich, bis alles läuft. Was aber tun, wenn wir etwas verändern wollen, auf das wir keinen direkten Einfluss haben? Dann hilft es, systematisch nach einer Stelle zu suchen, ab der Einfluss möglich wird.

Ein Beispiel: Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen regelmäßig zu spät zu Meetings, sind unkonzentriert und nicht gut vorbereitet. Als Führungskraft wollen Sie Ihre Ziele effizient erreichen und sind genervt davon, Ihren Leuten hinterherzurennen.

Werden Sie sich klar, was genau das Problem ist: das Verhalten der Mitarbeiter? Die vorgegebene Meeting-Struktur? Die schwierigen Abstimmungen mit anderen Abteilungen? Danach: Was genau soll anders sein? Falls es mehrere Aspekte sind – was ist der kleinstmögliche Schraubendreher, der den größten Effekt haben kann?

Zeichnen Sie ein Kreuzchen auf ein Blatt Papier: Punkt A, Sie selbst. Dann Punkt B: Etwas, auf das Sie großen Einfluss haben. Dann einen Kreis durch B mit A als Mittelpunkt, der Ihren Einflussbereich symbolisiert. Dann fragen Sie sich: Wo auf dem Papier liegt Punkt C, das zu Ändernde? Die Silo-Probleme mit anderen Abteilungen oder ein Kunde, der schier Unmögliches fordert? Markieren Sie Punkt C auf dem Blatt.

Schätzen Sie dessen Lage ehrlich ein – wie viel Einfluss haben Sie wirklich? – und legen Sie ruhig neue Blätter an, wenn nötig. (Zur Erinnerung: Sobald andere Personen beteiligt sind, liegen diese immer außerhalb der direkten Kontrolle.)

Nähern Sie sich nun von C ausgehend sehr langsam an Punkt A an, ähnlich der Rückwärtsplanung bei Projekten. Was muss geschehen sein, bevor C „gelöst“ ist? Was davor, und was dann davor? Vielleicht markieren Sie die Etappen mit kleinen Strichen auf der Linie. Beobachten Sie sich dabei genau, das heißt, achten auf inneren Monolog, Dialog und Gefühle.

Irgendwann kommen Sie an eine Stelle, an der Sie merken: Ah! Genau das kann ich direkt beeinflussen. Von dort aus kann die Arbeit dann losgehen. Konzentrieren Sie sich nur auf das Beeinflussbare. Im Zweifel rücken Sie lieber noch weiter in Richtung A, bevor Sie mit der Arbeit loslegen.

Es kann vorkommen, dass diese Stelle passgenau mit Punkt A ist – das ist die allgemeine Abbruchbedingung dieser Art von Rückwärtsplanung: mit und an sich selbst zu arbeiten. Im genannten Beispiel wäre das zum Beispiel angebracht, wenn Sie bemerken, dass das eigentliche Problem weniger am Verhalten der Kollegen hängt, sondern am selbst gemachten Druck, mit dem Sie nach Effizienz streben. (Aber … hängt der nicht am Chef, der immer schnelle Ergebnisse verlangt? Zeit fürs nächste Diagramm.)

Kontrollfeld selbst gebaut

Mit etwas Übung und vor allem Spieltrieb können Sie den Prozess in Ihren mentalen Autopiloten integrieren. Eine Mitarbeiterin eines Teams baute sich während des Trainings ein inneres Kontrollfeld mit zwei Leuchten, eine war orange, die andere grün. Wann immer sie mit einem neuen Problem konfrontiert war, konzentrierte sie sich darauf. Grün bedeutete „direkte Kontrolle möglich – los!“, bei orange versuchte sie die Reduktion aufs Machbare wie oben beschrieben. Ein anderer Klient hatte einen inneren Radarschirm, auf dem er sich selbst und Aspekte eines Problems oder einer Aufgabe sah.

Doch es muss gar nicht so komplex sein. Je häufiger Sie hinterfragen, was Sie wirklich (direkt) beeinflussen können und was nicht, umso leichter werden Sie ein Gefühl dafür entwickeln. Und diese Frage können Sie sich jeden Tag stellen – die Kontrolle darüber haben Sie allein. 

Mehr über Brain Dump

„Den Kopf entwickeln“, Artikel von Mathias Maul in Ausgabe 01/22, S. 54–55.

 

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