Erst fühlen, dann machen

Text: Mathias Maul

So sachlich der Anlass einer Kommunikation auch sein mag: Wann immer Menschen miteinander zu tun haben, sind Emotionen im Spiel. Empathische Kommunikation hilft, das Gegenüber besser zu verstehen und macht Kommunizieren und Arbeiten effizienter.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 03:12 Minuten

Frühere Emotionskonzepte gingen von universellen Kategorien aus. Demnach hatte jeder eine „Schublade“ für Freude, Ärger oder auch Wut, und die Freude des einen fühlte sich so an wie die des anderen. Außerdem erlaubten diese Konzepte, aus Wortwahl, Mimik oder Gestik auf innere Zustände zu schließen. Denn wenn es „den“ Ärger gibt, so dachte man, müsse es doch auch „den“ ärgerlichen Gesichtsausdruck geben.

Belegt ist inzwischen genau das Gegenteil. Jeder Mensch empfindet Emotionen sehr individuell und drückt sie ebenso individuell aus. In der Praxis hat das eine wichtige Implikation: Sagt mir eine Person, sie sei ärgerlich, tue ich gut daran, dies gerade nicht mit meinem ganz individuellen „Ärger“ zu vergleichen.

Emotionen konstruieren

Eine der wichtigsten Aufgaben des Gehirns ist, den Energiehaushalt des Körpers zu regulieren. Dazu trifft es ständig Vorhersagen über die Zukunft: „Sieht“ es eine Situation kommen, die viel Energie bedarf (ein Rascheln im Unterholz oder eine SMS der Schwiegereltern), setzt es Cortisol frei. Mittels Glukose fährt Cortisol Körper und Geist hoch, um auf die Situation zu reagieren.

Erst danach folgt die Interpretation dieses physiologischen Zustands: Geprägt von bisherigen Erfahrungen mit ähnlichen früheren Situationen konstruieren wir Emotionen wie Nervosität („Was wollen die denn schon wieder?“) oder Ärger („Können die nicht einfach anrufen?!“). Analog geschieht das für andere physiologische Vorgänge, die wir im Nachgang als Freude, Traurigkeit oder auch Angst interpretieren. Dieses Konzept der „constructed emotion“ wurde zum Beispiel von Lisa Feldman erforscht.

Einer Stigmatisierung von Emotionen am Arbeitsplatz lässt sich so mit ein paar Erklärungen (nebst Daten) begegnen. Auch Sätze wie „Der macht mich total wütend!“ verlieren sofort an Bedeutung. Schließlich kann keiner bei anderen Emotionen „machen“. Was bleibt, ist die Unklarheit in der Praxis: Was tun, wenn die Entwicklungsabteilung trotz aller Ermahnungen das Datenblatt nicht schickt, das ich schon vorgestern gebraucht hätte? Wollen die denn schon wieder alles blockieren?

Sich und andere aktiv verstehen

Das „aktive Zuhören“ nach Carl Rogers, einem amerikanischen Psychologen, ist Standardbestandteil von Kommunikationstrainings. Empathisches Hören geht einen Schritt weiter und hilft, auch emotional in die Schuhe des anderen zu steigen und damit auf allen wichtigen Ebenen zu kommunizieren. Hier zunächst ein vereinfachtes Schema, um Sachthemen zu klären:

  • Hören Sie Ihrem Gegenüber so lange zu, bis er alles gesagt hat. Seien Sie mit voller Aufmerksamkeit dabei.
  • Oft divergiert das, was man sagt, von dem, was man meint. Melden Sie also zurück, was Sie gehört haben und fragen danach: Ist es das, was Du gemeint hast?
  • Wiederholen Sie Schritt 1 und 2 so lange, bis Sie beide einig sind, die Sache zu verstehen.

In der Theorie liest sich das ganz klar und vernünftig; in der Praxis scheinen sich oft Emotionen in den Weg zu stellen. Aufmerksames Zuhören kann sich wie Ausfragen anfühlen und entsprechende Emotionen auslösen. Oder beim Hinterfragen kann Ungeduld aufkommen. Die Lösung ist, unsere Emotionen nicht als Hindernis, sondern als ebenso wichtigen Bestandteil der Kommunikation zu nehmen wie die so genannte „Sachebene“. Konkret:

  • Wenn Sie in Äußerungen Ihres Gesprächspartners eine Emotion hören oder vermuten, sprechen Sie sie an. Ein einfaches „Das hört sich an, als wärst Du frustriert“ kann schon viel bewirken. Das klappt natürlich nur, wenn Sie ein echtes Interesse am Verstehen haben; wenn Sie es nur machen, weil ich es schreibe, wird es nicht funktionieren.
  • Falls Ihnen im Gespräch Emotionen „hochkommen“, scheuen Sie sich nicht, sie offen anzusprechen, auch wenn Ihr Gegenüber in dieser Technik nicht geübt ist. Sie können seine Reaktion auf Ihre Emotion „auffangen“.

All dies funktioniert natürlich nicht nur im persönlichen Gespräch, sondern auf allen Kommunikationskanälen, ob E-Mail, Chat oder als Ticket in einer Workflow-Software.

Es wurde bereits nachgewiesen, dass es nicht nötig ist, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kommunikation diesen Prozess kennen. Ein kleiner Info-Workshop im Team, mit Unterstützung der Artikel in dieser Kolumne, kann den Grundstein für mehr Kommunikationseffizienz legen.

Kein Meister nötig

So simpel sich dieser Prozess liest, so anspruchsvoll ist es, ihn zu meistern. Das Gute dabei ist, dass eine „Meisterschaft“ gar nicht nötig ist. Jeder noch so kleine Schritt hilft, den anderen wirklich zu verstehen. Es braucht ein wenig Übung, manchmal auch Mut, vor allem aber die Fähigkeit, auch unerwartete oder gar unliebsame Antworten des anderen aushalten zu können. Starten Sie klein – zunächst vielleicht damit, dass Sie sich selbst gut zuhören, rückfragen und empathisch mit dem Team im eigenen Kopf umgehen. 

Emotionen sind Teil der Kommunikation.