Warnhinweise als Sicherheitsrisiko

Text: Johannes Dreikorn

Ein Warnhinweis wird zum Sicherheitsrisiko? Richtig gelesen. Und das gilt nicht nur, wenn sich in einer Anleitung ein Warnhinweis an den anderen reiht. Auch die Position kann irritieren. Um gegenzusteuern, muss die Technische Redaktion grundsätzliche Entscheidungen neu treffen.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 09:12 Minuten

Eigentlich sind Warnhinweise dazu da, Leben zu retten und Material zu schonen. Trotzdem schaffen es die GEFAHR- und VORSICHT-Kästen regelmäßig, Anleitungen unverständlich und unlesbar zu machen. Und sie treiben Technische Redaktionen in den sprichwörtlichen Wahnsinn, wenn diese trotz Einhaltung aller Normen den eigenen Content nicht mehr verstehen. Woran liegt das? Und wie kann man es gezielt besser machen?

Sicher sind Ihnen selbst schon solche Anleitungen in die Hände gekommen. Passagenweise sind Kapitel zugepflastert mit auffällig formatierten Warnhinweisen. Wenn es sich dabei um ein billigst erstandenes Haushaltsprodukt handelt, möchte ich mich darüber nicht beklagen. Schließlich entscheide ich mit meinem Kaufverhalten selbst dafür, auf Qualität zu verzichten.

Ein Beispiel aus der Industrie

Auch im Bereich hochqualitativer Industrieprodukte – also die Art Produkte, mit der wir es im tekom-Umfeld normalerweise zu tun haben – trifft man immer wieder auf dieses Phänomen. Ein besonders eindrückliches Beispiel zeigt Abbildung 01. Es stammt aus einer echten Betriebsanleitung. Zu Trainings- und Vortragszwecken habe ich es anonymisiert. Auf wenig mehr als einer Seite eines anleitenden Kapitels bekommen wir es mit insgesamt fünf Warnhinweisen zu tun. Drei Warnhinweise stehen als Vorabinformationen am Anfang des Kapitels. Der vierte Warnhinweis ist der Handlungssequenz vorangestellt. Der fünfte schließlich macht auf eine Gefahr aufmerksam, die direkt mit Handlungsschritt fünf verbunden ist.

Zugegeben, ein wirklich krasses Beispiel. Aber als Berater bekomme ich es regelmäßig mit Anleitungen zu tun, die an derselben Problematik kranken. Und die wirkliche Problematik liegt nicht darin, dass diese Anleitung „al Gusto“ erstellt worden wäre. Das sieht man auch an diesem Beispiel gut: Jedes Stück Text folgt einem expliziten Standard. Die Überschrift ist – weil Handlungskapitel – verbal formuliert. Die Warnhinweise folgen exakt dem SAFE-Prinzip. Handlungsvoraussetzungen und -schritte sind konsistent nach demselben Muster formuliert. Da arbeitet eine Technische Redaktion erkennbar mit einem Redaktionsleitfaden. Die Regeln könnten direkt der tekom-Leitlinie „Regelbasiertes Schreiben“ entsprungen sein.

Konform und trotzdem gefährlich

Obwohl wir jedem einzelnen dieser Elemente absolute Norm- und Standardkonformität zusprechen können, kommt in der Gesamtheit etwas komplett Unverständliches und Unanwendbares heraus. Zentrales Problem dabei sind die Warnhinweise. Wir werden gleich sehen warum.

Vorab gilt es einen Punkt festzuhalten: Diese Art, Warnhinweise einzusetzen, ist unterm Strich ein Sicherheitsrisiko. Wenn sicherheitsrelevante Texte unverständlich sind – man muss ja fast sagen systematisch unverständlich –, ist Gefahr im Verzug. Die Warnhinweise schützen hier weder die Produktanwenderinnen und -anwender, noch erbringen sie für den Produkthersteller den Nachweis, dass er seinen gesetzlich geforderten Instruktionspflichten nachgekommen ist.

Die Abhilfe wird sicher nicht in einem „noch mehr“ liegen. Oder einem „noch genauer“ nach dem Motto „wir müssen uns nochmal über eine bessere Klassifikation unserer Warnhinweise Gedanken machen“. Nein – einen Ausweg aus diesem Dilemma wird man nur finden, wenn man seine redaktionellen Verfahren und Standards zur sicheren Anwenderinstruktion auf den Prüfstand stellt und neu justiert.

Das bedeutet nicht, dass es keine Warnhinweise mehr geben darf. Aber die Warnhinweise werden einen anderen Stellenwert bekommen. Warum und wie – darum geht es in den nächsten Abschnitten.

Inkompatible Informationsstrukturen

Werfen wir einen genaueren Blick auf das Beispiel in Abbildung 01. Auch wenn wir es oft spontan so formulieren: Das Problem mit dieser Art „Zuviel“ an Warnhinweisen ist kein primär optisches. Natürlich lenken die Warnhinweise unseren Blick und ziehen alle Aufmerksamkeit auf sich.

Auszug aus einer Anleitung zur Montage einer Anlage.
Abb. 01 Eine Anleitung aus dem Anlagenbau. Quelle Johannes Dreikorn

Dieses optische Phänomen ist aber nur zweitrangig. Die wirkliche Problematik liegt darin, dass Warnhinweise nach dem SAFE-Prinzip in ihrer fixen Informationsstruktur oft nicht kompatibel sind mit den Kontexten, in denen sie stehen. Es treffen unterschiedliche Arten der Informationsaufbereitung aufeinander. Bildlich gesprochen entsteht ein strukturelles Gegeneinander.

Abbildung 02 zeigt schön, wie es dazu kommt. Es geht um den Warnhinweis, der direkt in der Handlungsanweisung steht. Die eigentliche Handlungssequenz aus den Schritten 1. bis 5. folgt erst einmal einem ganz einfachen Muster, das intuitiv nachvollziehbar ist:

1. Tu dies. > 2. Tu das. > 3. Tu jenes …

In dieses Muster schaltet sich nun der Warnhinweis ein – mit seiner eigenen Informationslogik:

S Schwere der Gefahr: eine erklärende Information

A Quelle der Gefahr: eine weitere erklärende Information

F Folge bei Missachtung der Gefahr: eine dritte erklärende Information

E Entkommen / Vermeiden der Gefahr: wie die „normalen“ Handlungsschritte anleitende Informationen

Beispiel für einen Warnhinweis mitten in der Instruktion.
Abb. 02 Ein Warnhinweis mitten in einer Handlungsanweisung. Quelle Johannes Dreikorn

Warnhinweise als Inseln

Diese große Menge an Erklärendem ist es, die für einen Bruch in dem eigentlich ja ganz einfachen Rhythmus der Handlungsschritte sorgt und den Lesefluss der Anwenderinnen und Anwender abbrechen lässt. Natürlich enthält auch der Warnhinweis Handlungsschritte (das „E“ aus dem SAFE-Prinzip), aber die kommen ganz zum Schluss der SAFE-­Struktur.

Wenn sich eine Person nicht die Mühe macht, das Nebeneinander von handlungsanleitenden und erklärenden Informationen bewusst aufzulösen, bleibt sie im einfachsten Fall verwirrt und im schlimmsten Fall ohne Instruktionen zurück. Wohlgemerkt: an einem sicherheitskritischen Punkt. Trotz der Warnhinweise. Oder – leider – gerade wegen der Warnhinweise.

Ein Warnhinweis „an sich“ ist nicht das Problem. Aber Warnhinweise in Anleitungen stehen ja normalerweise nicht allein. Das ist der Unterschied zu den Schildern an der Maschine. In Anleitungen stehen die Warnhinweise immer in einem Kontext. Und dort erzeugen sie das geschilderte Problem. Je mehr Warnhinweise es werden, desto stärker verschärft sich das Problem.

Undurchschaubare Zusammenhänge

Auch ein zweiter kritischer Punkt zu SAFE-Warnhinweisen hat mit dem strukturellen Aufbau zu tun. Schauen wir Abbildung 03 an. Sie zeigt zwei der aneinandergereihten Warnhinweise vom Anfang des Beispielkapitels.

Zwei Warnhinweise aus der Beispielanleitung.
Abb. 03 Mehrere Warnhinweise in Reihe. Quelle Johannes Dreikorn

Auch hier sieht man: Jeder Warnhinweis für sich genommen ist gut zu verstehen. Aber die zwei Warnhinweise miteinander zu verstehen, ist fast unmöglich. Wer weiß am Ende von Warnhinweis 2 noch, was in Warnhinweis 1 stand? Wie soll man aus den Warnhinweisen ein klares Bild gewinnen, wie die Informationen auf die nachfolgende Handlungsanweisung konkret anzuwenden sind?

Denn darum geht es doch eigentlich: Die Montage des Klimageräts ist mit Gefahren verbunden. Gefahren, die sich konstruktiv nicht vermeiden lassen. Daher ist es wichtig und vollkommen richtig, der Montageanweisung Sicherheitsinformationen voranzustellen. Die Aufbereitung als Warnhinweise macht es aber unmöglich, diese Informationen zu verstehen, zu behalten und zielgerichtet anzuwenden.

Unklar, falsch, mit Redundanzen

Das ist leider noch nicht genug. Es sind weitere Probleme vorhanden, die man fast zwangsweise bekommt, wenn man Warnhinweise auf diese Art zu Trägern von Sicherheitsinformationen macht. Zunächst ist es ein Redundanzproblem. Beide Warnhinweise in Abbildung 03 fordern als Entkommen das Tragen persönlicher Schutzausrüstung. Das ist rein abstrakt gesehen aus Sicht des einzelnen Warnhinweises vollkommen korrekt. Das SAFE-Prinzip verlangt das. Für Leserinnen und Leser ist unmotivierte Redundanz aber nicht nachvollziehbar und sorgt trotz einem Mehr an Informationen für ein Weniger an Verständnis.

Ähnliches sehen wir auch in Abbildung 02. Die Anweisung zur ausreichenden Belüftung steht zuerst im Warnhinweis, dann noch einmal in der normalen Handlungssequenz. Die Aufforderung, Schutzausrüstung zu tragen, gehört rein von der Handlungslogik her nicht an diese Stelle. Sie muss früher gegeben werden. Und die Aufforderung, das Kältemittel fachgerecht entsorgen zu lassen, hat in dem Montagekontext nichts verloren und ist somit schlichtweg falsch.

Das ist das Kernproblem

Nach dieser Mängelanalyse fällt die Bilanz für meine Beispielanleitung zugegeben verheerend aus. Mir ist bewusst, dass sich viele Anleitungen deutlich besser schlagen. Aber die Grundproblematiken sind allgegenwärtig: gegenläufige Informationsstrukturen, Redundanz- und Reihenfolgeprobleme – die ganze Unklarheit dadurch, was in einer Anleitung womit eigentlich gemeint ist: Das sehe ich als Berater in Anleitungen vieler Unternehmen. Auch bei Unternehmen, die redaktionell eigentlich sehr professionell aufgestellt sind.

Woran liegt das? Ein guter Kollege, der seit Jahrzehnten im Maschinenbau dokumentiert und auch als Trainer und Berater im Bereich der sicheren Anwenderinstruktion wirkt, hat mir kürzlich einen lang gehegten Verdacht bestätigt: „Viele Redaktionen bauen die Anleitungen um die Warnhinweise herum auf. Sie denken nur von den Gefahren her.“

Eine frische Perspektive

Genau das ist der springende Punkt. Und genau hier liegt die Chance, es besser zu machen. Grundlegend besser, auf eine eigentlich ganz einfache Weise. Ein Beispiel dazu in Abbildung 04. Wenn ich mit Unternehmen an dieser Problemstelle arbeite, machen wir meist Folgendes. Wir nehmen uns eine bestehende Anleitung vor (hier unsere Beispielanleitung in Abbildung 01) und bauen den gesamten Inhalt komplett aus der Handlung heraus auf. Alles, was handlungsrelevant ist, muss als Handlungsschritt formuliert werden. Warnhinweise sind im ersten Schritt als Transportmittel für Sicherheitsinformationen nicht zulässig.

Eindrücklicher Unterschied zwischen dem Original (Abb. 01) und dem ersten Optimierungsschritt (Abb. 04): Die Anzahl der Handlungsschritte steigt von fünf auf elf. Es gibt keine Reihenfolgeprobleme mehr, auch die Redundanzproblematik erledigt sich von allein.

Wenn man die Handlung zusätzlich in Schrittfolgen gruppiert, kann man nur durch Zwischenüberschriften sicherheitsrelevante Passagen herausarbeiten (Abb. 05). Noch immer fehlt ein Warnhinweis.

Zwei Strukturierungen von Handlungsanweisungen.
Abb. 04 Rein handlungsorientiert - vorerst ganz ohne Warnhinweise Quelle Johannes Dreikorn
Abb. 05 In Schrittfolgen gruppierte Handlungsanweisung. Quelle Johannes Dreikorn

Die Warnhinweise kommen schließlich als letzte „Zutat“ dazu. Abbildung 06 zeigt zwei Möglichkeiten, wie man Warnhinweise so platzieren kann, dass sie sich gut und wirksam in den Kontext integrieren: einmal ein vorangestellter Warnhinweis in SAFE-Struktur und als zweites Beispiel ein Inline-Warnhinweis bei Handlungsschritt drei. So bewirken Warnhinweise genau das, was sie sollen: Nämlich an den wirklich kritischen Stellen die Aufmerksamkeit lenken. Es geht also tatsächlich anders.

Positivbeispiel für die Umsetzung eines Warnhinweises in einer Anleitung.
Abb. 06 Wie man Warnhinweise optimal positioniert. Quelle Johannes Dreikorn.

Handlungsspielräume nutzen

Eine Frage, die ich in diesem Zusammenhang immer wieder höre, und die Ihnen vermutlich auch auf der Zunge liegt: Ist das denn normkonform? Aus meiner Beratungspraxis kann ich darauf eindeutig mit „Ja“ antworten.

Am deutlichsten bekommen wir das attestiert, wenn Anleitungen, die wir zusammen mit Kunden konzipiert haben, durch eine externe Begutachtung oder einen Zertifizierungsprozess müssen. Manchmal gibt es tatsächlich Rückfragen, die sich aber im Gespräch mit einer Gutachterin oder einem Gutachter immer klären lassen. Ihren Segen haben unsere handlungsorientierten Sicherheitskonzepte bisher immer bekommen.

Warum ich das mit den „klärenden Gesprächen“ extra erwähne: Normen sind keine Gesetze. Und Normen – gerade auch die rund um Sicherheitsinformationen in Technischer Dokumentation – müssen ausgelegt werden und in die Wirklichkeit eines Unternehmens heruntergebrochen werden. Genau hier liegt ihr Nutzen – und auch der Gestaltungsraum für Sie und Ihre Technische Redaktion.

Einen teuren Crash vermeiden

Um das Ganze noch einmal mit dem Ausgangsbeispiel in Verbindung zu bringen (Abb. 01): Hier wurde auf Basis falsch verstandener Normkonformität eine Sicherheitsarchitektur entwickelt, die verheerende Folgen hat.

Die Folge für alle Anwenderinnen und Anwender und damit letztlich für die Kundschaft des Herstellers habe ich in diesem Artikel rekonstruiert. Und dass dieser Umgang mit Warnhinweisen auch kein Nachweis von Normkonformität und damit kein Baustein für die Rechtssicherheit ist, habe ich ebenfalls erwähnt.

Es gibt eine weitere leidtragende Partei: Das sind die Technischen Redaktionen selbst. Wer einen wie in unserem Beispiel strukturierten Datenbestand pflegen muss, verliert mit absoluter Garantie die Übersicht über den Content. Je größer die Redaktion, je variantenreicher die Produktlandschaft und je anspruchsvoller die Anwendungskontexte, desto schlimmer wird die Situation. Für die Unternehmen sind das hohe Kosten – in Zeit und Euros. Und an dieser Stelle hilft auch kein Content-Management-System. Vielmehr handelt es sich um ein grundlegendes konzeptionelles Problem, das auf dieser Ebene angegangen werden muss. In meinem Podiumsvortrag auf der tekom-Jahrestagung 2021 habe ich diese Problemstellung unter dem Motto „Content-Crash“ mit einem breiten Fachpublikum besprochen. [1]

Ein System entwickeln

Was also tun, wenn man als Technische Redaktion in diesem Dilemma steckt? Zunächst ist echte Konzeptarbeit gefragt. Es geht darum, die Punkte abzuprüfen, die ich hier im Artikel genannt habe. Natürlich muss man die Sicherheitsinformationen in Gesamtheit berücksichtigen, also etwa die Funktion und Gestaltung des allgemeinen Sicherheitskapitels. Letztlich muss es ein Konzept für alle sicherheitsbezogenen Informationen in der Technischen Dokumentation geben. Das ist das, was ich bereits als „Sicherheitsarchitektur“ bezeichnet habe.

Wenn die Architektur vorhanden ist, müssen die neuen Vorgaben in die Arbeitsprozesse implementiert werden. Redaktionsleitfaden, Prüftools und Verfahren gilt es anzupassen. Was nach meiner Erfahrung zudem wichtig ist: Die Sicherheitsarchitektur muss schriftlich fixiert werden. Und zwar so, dass man sie an unternehmensinterne Zielgruppen wie das Qualitätsmanagement oder externe Zielgruppen wie Zertifizierungsstellen weitergeben kann, sozusagen als „Technische Dokumentation zur Dokumentation“. 

Link zum Beitrag

[1] Dreikorn, Johannes (2021): Content-Crasher: Wenn Warnhinweise Texte unbrauchbar machen – und was man dagegen tun kann. https://technischekommuni­kation.info/fileadmin/Dokumente_tk/tk_3-2022/tekomH21_DreikornContentCrasher.pdf

Zwei Personen planen eine Anlage.