Über die Vorzüge eines Mobiltelefons muss man nichts mehr sagen, die kann jeder selber erfahren. Und wer mit den Grundfunktionen noch nicht zufrieden ist, hat reichlich Auswahl unter den zusätzlich angebotenen Apps. Derzeit bietet Apple etwa 1,96 Millionen Apps an, Google sogar 2,46 Millionen [1]. Viele davon sind hilfreich, etwa für Verkehrsinformationen, Ernährung, Wetter oder Online-Banking. Manche sind sogar die einzige Möglichkeit, um Geschäfte zu tätigen. So heißt es bei einem Anbieter „und ist nur über die HVB Mobile Banking App abschließbar“. Insofern ist es nachvollziehbar, dass man viel Zeit mit dem Mobiltelefon verbringt.
Ein schleichender Übergang
Der Übergang von einem sinnvollen zu einem suchtähnlichen Umgang mit diesem Gerät kommt schleichend und oft unbemerkt daher. Dieser Fluch ist aber derart häufig geworden, dass unterschiedliche Krankheitsbilder definiert werden können. Folgende Bezeichnungen sind dafür zu finden:
- Digitale Demenz1
- Digitale Depression
- Digitale Erschöpfung
- Digitale Sucht
- Digitaler Burnout
- Digitaler Stress
- Handy-/Smartphonesucht
(1 Digitale Demenz besagt, dass durch die häufige Nutzung digitaler Medien Kinder und Jugendliche nicht den Intelligenzquotienten erreichen, der im Prinzip möglich wäre. Bei Erwachsenen findet ein beschleunigter Verfall von Kompetenzen statt. Diese Beschreibung ist allerdings umstritten.)
Die Gegenmaßnahmen lauten:
- Digital Detox
- Digital-Diät
- Digitale Balance
- Digitale Entgiftung
- Digitales Fasten/Digitalfasten
Für Erwachsene ist es bereits schwierig, den Übergang von normal zu suchtähnlich zu erkennen. Aber für Kinder und Jugendliche ist es noch schwieriger. Deswegen bieten Krankenkassen für diese Zielgruppe Tests an. Regelmäßig und verstärkt führen die Krankenkassen Studien durch (Inf. 01).
Studien und Umfragen |
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Segen und Fluch gleichzeitig
Oft liegen Segen und Fluch eng beieinander. Das machen zum Beispiel die Internetauftritte der Krankenkassen deutlich. So preist die Innungskrankenkasse (IKK) Apps aus dem Bereich E-Health an. Als besondere Vorteile werden genannt, dass „jeder (…) seine Gesundheitsdaten jederzeit erfassen und von überall auf der Welt darauf zugreifen“ kann.
Selbst die Nacht soll nicht mehr digitalfrei sein. Es werden Fitness-Tracker am Handgelenk empfohlen, damit der wertvolle Schlaf besser beobachtet und kontrolliert werden kann. Die IKK bietet Apps an, mit denen man sein Gesundheitsmanagement „rund um die Uhr, schnell und unkompliziert“ betreiben kann. Für sich selber wirbt sie mit digitalen Extras: „Wir unterstützen Ihr Gesundheitsmanagement mit unseren Apps. Damit Sie alles Wichtige regeln können: rund um die Uhr, schnell und unkompliziert.“ [2]
Krankenkassen werben also mit einem 24-Stunden-Service. Das steht aber nicht im Einklang mit den Empfehlungen zur Suchtbekämpfung, nämlich das Handy nur zu bestimmten Zeiten eingeschaltet zu lassen. Auch kann dieser Service dazu verleiten, dass es ständig betriebsbereit ist. Das bedeutet, 24 Stunden auch für andere erreichbar zu sein, was sich als Stressfaktor erwiesen hat.
In den USA kam es zu einer besonderen Entwicklung. Unter dem Motto „Simsen statt schießen“ haben die Ökonominnen Lena Edlund und Cecilia Machado herausgefunden, dass die Einführung des Handys Leben gerettet hat, wahrscheinlich das von etwa 2.900 Menschen innerhalb von zehn Jahren. Die Erklärung ist überraschend: Vor der Verbreitung des Handys wurden Rauschmittel auf der Straße verkauft. Dealer und Drogenabhängige trafen sich an Orten, die die Polizei nur schlecht überwachen konnte. Eskalierte ein Streit, dann kam es leicht zu einem Schusswechsel. Als der Drogenhandel über Mobiltelefone organisiert wurde, nahmen die Schießereien und damit die Todesopfer ab. Inzwischen hat sich die Entwicklung umgekehrt. Denn Drogen sind jetzt leichter und billiger verfügbar: „In dem Maße, in dem Morddelikte zurückgingen, schoss die Zahl derer, die an einer Überdosis starben, in die Höhe“ [3].
Erst Reiz, dann Sucht
Laut den Krankenkassen kann man bei übermäßigem Gebrauch eines Mobiltelefons streng genommen nicht von Sucht sprechen [4]. Denn es fehlt dafür eine Diagnose. Auch die Bezeichnung als Krankheit taucht nicht auf. Letzteres wahrscheinlich deswegen, weil die Krankenkassen ein Digital Detox prinzipiell finanzieren müssten. Die momentan praktizierte Freiwilligkeit wäre damit ausgehebelt.
Man spricht aber von suchtähnlichem Verhalten, so dass auch Suchtberatungsstellen sich der Abhängigkeit vom Mobiltelefon annehmen. Laut dem Neurologen Dr. Volker Busch ist der Griff zum Handy so verlockend, „weil das menschliche Gehirn darauf programmiert sei, Reize aus der Umwelt zu erkennen und schnell darauf zu reagieren – das rettete den Menschen früher häufig das Leben. Im Körper wird daher das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet. Jeder Griff zum Handy ist ein kurzer Dopamin-Kick.“ Man fühlt sich also besser und greift intuitiv öfter zum Mobiltelefon. Das ist nicht nur problematisch im Privaten, sondern auch im Berufsleben und damit für die Unternehmen. Während der Arbeitszeit wird man durch Telefonanruf oder E-Mail aus einem Arbeitsvorgang gerissen. „Wer für eine Minute beim konzentrierten Arbeiten gestört wird, braucht danach fünf bis acht Minuten, bis er wieder reinkommt.“ [5]
Verzicht in kleinen Schritten
Die Bezeichnung „Digital Detox“ ist kein modisches Trendwort, sondern wurde bereits 2013 in die Online-Ausgabe des Oxford Dictionary aufgenommen. Dort ist folgende Definition zu finden: „digital detox (n): a period of time during which a person refrains from using electronic devices such as smartphones or computers, regarded as an opportunity to reduce stress or focus on social interaction in the physical world: break free of your devices and go on a digital detox“ [6].
Die englische Bezeichnung hat sich durchgesetzt, deutsche Bezeichnungen wären digitales Entgiften, digitales Entschlacken oder auch digitales Fasten. Gemeinsam ist dieser Bewegung, dass es sich dabei nicht um ein schnelles Entgiften handelt. Vielmehr ist es ein Prozess mit dem Ziel, den Handy-Konsum dauerhaft zu ändern und regelmäßige Auszeiten zu nehmen. Anders als zum Beispiel bei Alkohol- oder Drogensucht wird nicht darauf hingearbeitet, für immer den Zustand zu beenden, das heißt, dauerhaft offline zu gehen. Das wäre heute kaum durchführbar und auch nicht sinnvoll. Unterschiede gibt es bei den Formen, wie Digital Detox durchgeführt werden kann:
- Tourismus – Urlaubsreisen im Hotel, Camp, begleitete Kreuzfahrt
- Seminare
- Selbsthilfe mit persönlicher Unterstützung
- Selbsthilfe ohne persönliche Unterstützung – Ratgeberliteratur, Vorschläge aus dem Internet, Videos, Apps
Um die Rückfallgefahr zu minimieren, bieten „Digital Detox Locations“ ihre Unterstützung an. Es gibt zahlreiche weitere Angebote. Aus Platzgründen ist aber nur eine beispielhafte Auswahl möglich.
Im Urlaub mit Hotel
Das Mobiltelefon ist laut Bitkom das elektronische Gerät, das am häufigsten mit in den Urlaub genommen wird (87 Prozent), gefolgt vom E-Book-Reader (76 Prozent), Navigationsgerät (70 Prozent), mobile Spiele-Konsole (46 Prozent), Tablet (44 Prozent) sowie Laptop (29 Prozent) [7]. Über die tatsächliche Nutzung fehlen Angaben.
Reiseveranstalter wollen dem Trend entgegenwirken und bieten Digital-Detox-Urlaub an – weltweit. Neben „den schönsten Naturlandschaften Deutschlands“ werden insbesondere Portugal, Polen, Tschechien, Indien, Estland, Italien, Spanien und Slowenien angeboten sowie viele „weitere traumhafte Destinationen“, heißt es bei einem Veranstalter. Auf der Rangliste der „beliebtesten Hotels für Ihre digitale Auszeit“ steht Mallorca an der Spitze. Sechs Nächte inklusive Einzelzimmer und Vollpension kosten ab 2.250 Euro. Es könnte allerdings sein, dass solche Angebote Menschen wenig bringen, denen es am Willen fehlt. Denn als Anmerkung für alle Digital-Detox-Angebote steht: „Jeder Gast entscheidet sich dabei bewusst und selbstständig dafür, Digital Detox durchzuführen und auf die Benutzung von Handy und Internet zu verzichten.“ [8]
Aufmerksamkeit und Initiative sind bereits bei der Buchung gefragt. Denn von Buttons wie „spezielle digitale Detox-Optionen“ landet man bei traumhaften Destinationen, wie zum Beispiel Indonesien. Dort wird aber Wellnessprogramm angeboten wie Yoga, Meditation oder traditionelle balinesische Massage – ohne Digital Detox. Und nicht selten findet man bei solchen Reiseangeboten als Ausstattungsmerkmal „WLAN kostenlos“ [9].
Auf dem Meer und im Camp
Auch die Kreuzschifffahrt hat Digital Detox als Geschäftsmodell entdeckt. Wenn eine Gruppe von 20 Personen mit dem Merkmal Burnout zusammenkommt, dann wird sie von einem Facharzt begleitet. Er bietet ein 15-minütiges individuelles Einzelgespräch an – im Rahmen einer Seereise von acht Tagen. Außerdem gehören ein Fachvortrag über das jeweilige Krankheitsbild von einer Stunde dazu sowie eine Begleitung des Arztes bei mindestens einem Landausflug. Geographische Ziele wären beispielsweise Madeira oder Gran Canaria. Auf solchen Reisen soll eine „Sensibilisierung des digitalen Burnouts“ erreicht werden. An den Tagen auf See ist prinzipiell kein WLAN vorhanden. Inklusive Anreise kostet die Kreuzfahrt ab etwa 2.856 Euro [10].
In Camps geht es hingegen weniger luxuriös zu, wie schon die deutsche Übersetzung „Ferienlager“ signalisiert. Die Ausgestaltung variiert allerdings stark. Die meisten Camps setzen auf gemeinsame Aktivitäten, auf die Unterbringung in Mehrbettzimmern in Hütten oder auch auf die Gemeinschaftsdusche in einem Haupthaus. Die Preise liegen bei knapp 300 Euro für drei Nächte inklusive Programm und Vollverpflegung [11].
Der krasse Gegensatz dazu ist die Einzeltherapie mit Selbstfindungsphase. Es wird zunächst gemeinsam mit den Campleitern das konkrete Anliegen besprochen. Dann tritt man allein in einem Zelt den Rückzug zur Natur an. Dort ist man mit seiner Frage alleine und sucht nach Antworten. Während dieser Zeit darf man nichts essen, nur Wasser trinken und muss so lange an dem Platz ausharren, bis man eine stimmige Antwort gefunden hat – bis zu vier volle Tage [12].
An einem Tag Fasten lernen
Die Krankenkassen weisen im Internet auf Tagesseminare hin. Einen Tag lang soll es möglich sein, sich aufs Abschalten zu konzentrieren, in sich zu gehen, durch Austausch mit anderen Teilnehmern die Handy-Nutzung zu reflektieren sowie Strategien und neue Gewohnheiten zu entwickeln. Dazwischen soll auch noch Zeit für gemeinsame Unternehmungen sein. Eine davon ist Shinrinyoku. Das japanische Wort steht für „Waldbaden“. Ein Seminar dauert von 10:00 bis 16:30 Uhr und fällt recht kurz aus. Die An- und Abreise ist am gleichen Tag möglich. Die Gruppengröße ist begrenzt, meist liegt sie bei acht Personen. Die Kosten betragen etwa 200 Euro, inklusive einem (ayurvedischen) Mittagessen, Pausensnack und Seminarunterlagen [13].
Selbsthilfe mit Coach
Wer seinen inneren Schweinehund nur schwer überwinden kann, aber dennoch ein Programm anonym absolvieren möchte, der kann sich individuell begleiten lassen. Zum Beispiel stellt ein Anbieter drei Programme zu Wahl: Basis, Standard und Intensiv. Alle drei sind individualisiert, haben automatisierte Auswertungen der Stimmung und der Übungen. Standard- und Intensiv-Programm enthalten Telefonate mit immer demselben Psychologen. Allerdings unterscheidet sich die Anzahl an Telefonaten. Standard sind zwei Telefonate zu 30 Minuten pro Monat, im Intensiv-Programm vier Telefonate. Mindestens 58 Psychologen hat der Anbieter derzeit im Einsatz. Sie werden im Internet mit Bild und Arbeitsschwerpunkten aufgeführt.
Die monatlichen Kosten betragen etwa 70 Euro (Basis), 100 Euro (Standard) und 180 Euro (Intensiv). Betont wird, dass es sich dabei nicht um ein Abo handelt und die Zahlung nach drei Monaten automatisch endet.
Etliche gesetzliche und private Krankenkassen erstatten die Kursgebühren mit 80 bis zu 100 Prozent. Der Achtsamkeitskurs, so der offizielle Name, trägt das Prüfsiegel der Zentralen Prüfstelle Prävention. Eventuell wird er deswegen von den Krankenkassen mitfinanziert [14]. Dieses Siegel vergibt eine Kooperationsgemeinschaft, die Angebote nach § 20 Abs. 4 Nr. 1 SGB V prüft und zertifiziert. Folgende Krankenkassen gehören zu dieser Kooperationsgemeinschaft:
- Ersatzkassen
- Betriebskrankenkassen
- Allgemeine Ortskrankenkasse
- Innungskrankenkassen
- Knappschaft
- SVLFG (Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau. Sie umfasst Unfall-, Kranken- und Pflegeversicherung.)
Derzeit besteht eine weitere Möglichkeit der unterstützten Selbsthilfe, nämlich die Teilnahme an einer Studie zum Mobilfunkverhalten. Sie läuft unter dem Dach der Universität Bonn, wird aber von einem internationalen Team geführt. Einschränkungen sind, dass die Studie auf Englisch durchgeführt wird und nur mit Android-Geräten möglich ist. Das Mobilfunkverhalten von tausenden Nutzern soll differenziert erfasst werden. Zum einen werden die Ergebnisse als „notwendige Grundlage für einen Diskurs über die Zukunft unserer digitalen Gesellschaft“ angesehen [15]. Zum anderen soll wegen der Transparenz des individuellen Nutzerverhaltens das Bewusstsein im Umgang mit dem Handy geschärft und entsprechende reduzierende Maßnahmen eingeleitet werden. Jede Aktion mit dem Mobiltelefon wird erhoben, auch Telefonnummern und weitere Kontaktdaten. Ein spezielles Verschlüsselungssystem soll dafür sorgen, dass die Daten für das Forscherteam anonym bleiben. Die Probanden können jederzeit aussteigen.
Zahlreiche Krankenkassen bieten auch Hilfe zur Selbsthilfe an. Sie geben Tipps zum Digital Detox oder führen Interviews mit Experten und bieten damit Orientierung im Ratgeber-Dschungel. Auch auf Video-Plattformen findet sich Hilfe. Mit „Vlogs“, das sind Weblogs in Form von Videos, kann man an den Erfahrungen von Betroffenen teilhaben. In manchen Videos werden Studien erwähnt. Aber es liegt in der Natur des Mediums und des Medienkanals, dass die Quellenangaben fehlen. Insofern ist es schwierig, die Ernsthaftigkeit zu erkennen.
Ganz ohne Unterstützung
Auf den ersten Blick klingt es paradox, wenn Apps angeboten werden, um Digital Detox durchzuführen. Allerdings handelt es sich um Apps, um die eigene Nutzung eines Mobiltelefons zu analysieren, zu verringern und über einen bestimmten Zeitraum Funktionen zu sperren. Dazu zählen Flipd, Forest, Menthal, Moment, Offtime, Quality Time, Pace, Space und Stay Focused. Hilfreich sollen auch Apps sein, die beim Entschleunigen helfen, zum Beispiel mit einer Anleitung zur Meditation. So empfehlen Krankenkassen die App „7mind plus“ [16]. Einige Krankenkassen finanzieren auch die Mitgliedschaft. Pro Monat fallen etwa zwölf Euro an, jährlich 60 Euro und unbefristet einmal 150 Euro.
Das Entdecken digitaler Freiräume
Digital Detox Locations sind handyfreie Zonen, zum Beispiel Hotels, Restaurants oder auch Konzerte. Sie geben die Möglichkeit, ohne eine Begründung das Handy auszuschalten. Manche Restaurants locken mit einem Preisnachlass, wenn beim Essen das Mobiltelefon aus ist. Für Hotels, die bislang unter einem Funkloch zu leiden hatten, entsteht ein neues Geschäftsmodell. Sie vermarkten sich als „Offline-Hotel“ oder „Black-Hole-Hotel“.
Angebote findet man im Internet zur Genüge, aber Vorsicht ist geboten. Selbst explizit als „Digital Detox“ bezeichnete Appartments erfordern oftmals, sich vom WLAN oder kompletten Stromnetz abtrennen zu wollen [17].
Akzeptanz von Digital Detox
Angebote gibt es also genug. Anders scheint es mit der Akzeptanz zu sein. Deutlich wird dieses in einer Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Darin sehen die Befragten kaum Gründe, die Handy-Nutzung auch nur für einen Monat auszusetzen – weder für eine Gehaltserhöhung von 10 Prozent, noch für 1.000 Dollar oder einen Gratisurlaub an ihrem Traumziel. Rund vier Prozent der Befragten würden sogar lieber einen Monat ins Gefängnis gehen, als ein Jahr lang auf das Mobiltelefon zu verzichten [18].
Diese Einstellungen könnten sich ändern, wenn immer mehr seriöses Wissen über den Umgang mit digitalen Technologien und Medien und deren Auswirkungen verfügbar ist. Ein Beitrag dazu könnte die Entscheidung des Bayerischen Wissenschaftsministeriums vom Juni 2019 sein. Darin werden einem Verbund vier Jahre lang rund 3,35 Millionen Euro für Forschung zum Thema „Gesunder Umgang mit digitalen Technologien und Medien – ForDigitHealth“ bereitgestellt [19].
Die Position der Technischen Redaktion
Eine völlige Abstinenz vom Mobiltelefon wird auch bei suchtähnlichem Verhalten nicht empfohlen, lediglich ein bewusster und kontrollierter Umgang damit. Aber bei gefährdeten Personen fördert bereits der Anblick eines Handys die Sucht. Eine relevante Frage ist deshalb, ob bestimmte berufliche Tätigkeiten überhaupt ohne Handy möglich sind. Eine Blitzumfrage unter Führungskräften und Mitarbeitern in der Technischen Redaktion sollte darüber Auskunft geben. Die Ergebnisse sind aufgrund der willkürlich ausgesuchten Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie der Anzahl der Unternehmen nicht repräsentativ. Die Umfrage wurde lediglich durchgeführt, um eine Tendenz zu erkennen. Die Fragen an Mitarbeiter und Führungskräfte waren identisch:
- Benutzen Sie für Ihre berufliche Tätigkeit ein Handy?
- Wenn ja, wofür?
- Wenn ja, wäre das Handy unbedingt nötig, oder könnten Sie diese Tätigkeiten auch anders/ohne Handy durchführen?
Führungskräfte erhielten zusätzlich folgende Fragen:
- Wie sieht es mit Ihren Mitarbeitern aus – benötigen diese ein Handy für ihre Arbeit?
- Wenn ja, wofür?
- Wenn ja, wäre das Handy unbedingt nötig oder könnten sie diese Tätigkeiten auch anders/ohne Handy durchführen?
Um die Aussagen der Führungskräfte über ihre Mitarbeiter verifizieren zu können, wurden genau diese befragt – ohne die Chefs auf diesen Sachverhalt hinzuweisen.
Die Befragung zeigt ein einheitliches Bild: Führungskräfte nutzen alle ein Handy und können sich auch nicht vorstellen, die damit durchgeführten Aktivitäten auf andere Art und Weise zu erledigen. Es wurden zusätzliche Kommentare abgegeben wie „Ich benutze mein Handy sehr intensiv.“ „Auf die Nutzung kann ich nicht verzichten.“ „Ohne Handy würde mich das zehn Jahre zurückwerfen.“ „Ohne Handy ginge alles höchstens zeitverzögert und wird dann leicht vergessen.“ Etliche haben entweder zwei Handys oder zwei SIM-Karten und schalten das Diensthandy nach Feierabend aus. Die Problematik der ständigen Verfügbarkeit taucht aber auch in diesem kleinen Kreis bereits auf, wie ein Kommentar zeigt: „Die tägliche telefonische Verfügbarkeit durch den Job hat mich u. a. dazu gebracht, im privaten Bereich kein Handy mehr zu benutzen.“
Technische Redakteure gaben an, kein Handy für ihre beruflichen Aufgaben zu benötigen – das ist deckungsgleich mit den Aussagen der Führungskräfte. Für ein Unternehmen wurde angegeben, dass sich eine WhatsApp-Gruppe von Kollegen gebildet habe und man auf diese Kommunikation untereinander nicht verzichten wolle. Eine Person wies explizit darauf hin, dass sie im beruflichen Rahmen kein Handy annehmen würde, weil sie es sowohl als „massiven Störfaktor“ als auch als „Einschränkung des Privatlebens“ ansieht: „Meistens geht nämlich auch damit einher, dass eine entsprechende Erreichbarkeit rund um die Uhr erwartet wird.“
Es gab Ausnahmen, bei denen in der Umfrage Übereinstimmung herrschte: Beim Arbeiten im Home-Office wird erwartet, dass ein Kontakt über Mobiltelefon möglich ist. Das gilt auch bei Abwesenheit vom Arbeitsplatz, wenn Kundenkontakt zum Aufgabenbereich gehört. Im letzten Fall wird ein Teamhandy als Lösung angeboten. Beim Verlassen des Arbeitsplatzes kann es der Mitarbeiter einfach ausleihen.
IT-Mitarbeiter wurden in dieser Umfrage zwar nicht angesprochen. Nahezu alle Führungskräfte sagten aber, dass IT-Mitarbeiter untereinander per Handy vernetzt sein müssten, auch zwischen unterschiedlichen Standorten. So sei eine schnelle Reaktion bei Problemen möglich.
Auf Grundlage der Umfrage heißt das: Eine Technische Redakteurin oder ein Redakteur wird keiner Gefährdung ausgesetzt. Besteht aber eine Suchtgefährdung, wäre zu überlegen, ob man eine Berufung in eine Führungsposition überhaupt annehmen sollte. Und wenn ja, sich frühzeitig mit Digital Detox auseinandersetzen.
Weitere Überzeugungsargumente
In Frankreich ist vor einiger Zeit das Sachbuch „La civilisation du poisson rouge“ erschienen, auf Deutsch „Die Zivilisation des Goldfischs“. Geschrieben hat es Bruno Patino, Redaktionsleiter des Fernsehsenders ARTE Frankreich. Nachdem das Buch am Markt eingeschlagen hat, hat die Süddeutsche Zeitung sich ebenfalls des Themas angenommen. Sie zeigte die unterschiedlichsten Gefahren, die bei unreflektierter Nutzung eines Mobiltelefons entstehen, angefangen von der Veränderung der Wahrnehmung über gefährliche Rechtswidrigkeiten bis hin zu Todesfällen bei Versuchen zu sensationellen Selfies [20]. Spätestens nach dem Lesen dieses Zeitungsartikels sollte klar sein, dass ein bewusster und kontrollierter Umgang mit dem Handy unverzichtbar ist. Dann steht auch dem Segen der Technik nichts mehr im Weg.
Literatur zum Beitrag
[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/208599/umfrage/anzahl-der-apps-in-den-top-app-stores/ [7. August 2019].
[2] https://www.ikk-classic.de/gesund-machen/digitales-leben/fitness-tracker-app
[3] Hulverscheidt, Claus (2019): Simsen statt schießen. In: Süddeutsche Zeitung, digitale Ausgabe. http://sz.de/14565605
[4] AOK Baden-Württemberg (2019): https://www.aok.de/bw-gesundnah/vorsorge-und-gesundheit/2019/handysucht-was-tun/
[6] https://www.huffpost.com – Eine Online-Zeitung, Lizenznehmer war BurdaForward; 31. März 2019 eingestellt.
[8] www.fitreisen.de
[9] www.fitreisen.de/digital-detox-4315/
[10] https://aerzte-begleitete-kreuzfahrten.de/kreuzfahrten-gegen-burn-out.html
[11] www.camp-breakout.com/tickets-19/
[12] www.transaktionsanalyse-online.de/detox-camp/
[13] www.thedigitaldetox.de/digital-detox-seminare/
[14] www.selfapy.de/achtsamkeit/
[15] https://menthal.org
[16] www.7mind.de
[18] https://www.presseportal.de/pm/112066/3638753
[20] Adorján, Johanna (2019): Voll drauf. In: Süddeutsche Zeitung, digitale Ausgabe. http://sz.de/1.4556088