Als Namen der Sprache, mit der die Leserinnen und Leser1 dieses Blattes arbeiten, schlage ich einfache Sprache vor. Er ist in Übersetzungen internationaler Texte gebräuchlich und wird über kurz oder lang in einer Norm als „plain language“ bekannt werden.
Technische Kommunikation verwendet oft schon jetzt eine einfache Sprache. Die Praxis, Veröffentlichungen, Studiengänge, Schulungen und Prüfungen zeigen es. Man nutzt jedoch selten diesen Namen. Warum nicht „Leichte Sprache“, sondern nur – umgangssprachlich – einfache Sprache mit kleinem e?
1Ich verwende künftig das allgemeine Maskulinum, um den Text lesbar zu halten.
Leichte Sprache ist keine Lösung
Die Leichte Sprache nutzt zu Recht das große L. Sie ist eine Art Eigenname für ein Projekt, das zunächst von einer Arbeitsgruppe in Kassel ins Leben gerufen wurde. Heute kümmern sich darum das „Netzwerk Leichte Sprache“ und die „Lebenshilfe“, besonders deren Gruppe in Bremen. Manchem erscheint es als einträgliche Mode; sie hat so auch in der akademischen Welt begeisterte Begleiter gefunden. [1]
Dieser Ansatz widerspricht allem, das wir über die kognitive Verarbeitung von Text wissen. Er behauptet, das Verstehen hänge vor allem von der äußeren Erscheinung eines Textes, seiner Struktur und der Wortwahl ab. Damit unterscheidet er zum Beispiel nicht zwischen Lesekompetenzen und den Wissensständen der Leser.
Viele Autoritäten, in erster Linie die Bundesregierung, haben für das Deutsche die Leichte Sprache zu dem erklärt, was englisch „plain language“ oder spanisch „lenguaje claro“ heißt: einfache Sprache. Das führte zu Irritationen. Ziel der Leichten Sprache war nämlich, Dokumente und Texte für Klienten mit kognitiven Beeinträchtigungen oder Defekten des Zentralen Nervensystems zugänglich zu machen. Ursachen sind genetische Besonderheiten, Schäden, die sich um die Geburt ereignet haben, Krankheit, Unfall oder Verletzung auch lange nach der Geburt.
Als Drohung schwebt dieser Zustand über jedem, denn eine Krankheit oder ein anderes Ereignis kann das Sprach-, Lese- oder Schreibvermögen zerstören. Leichte Sprache mag dann helfen, obgleich sie auch für diesen Zweck nicht die beste vorstellbare Lösung ist.
Leichte Sprache führt oft dazu, dass Leser ohne kognitive Beeinträchtigung sich falsch eingeschätzt fühlen und einen solchen Text ablehnen. Verstehens- oder Leseschwierigkeiten vieler Menschen sind eben von anderer Art als die der Zielgruppe für Leichte Sprache. Deswegen ist es auch nicht sinnvoll, beide gleich zu behandeln.
Einfache Sprache
„Einfach“ ist ein missverständliches Wort. Jemand behauptet, etwas sei einfach, ein anderer ist vom Gegenteil überzeugt. Nun also „einfache Sprache“ – das muss Ärger schaffen.
Ähnliche Wörter helfen auch nicht weiter: „klare“ oder „deutliche“ Sprache. Diese Bezeichnungen sind gleich gut oder schlecht, weil sie nicht eindeutig sind. Deswegen legen wir uns fest:
- Es geht hier ausschließlich um Sachtexte. Zwar bietet der Markt genügend Werke in einfacher Sprache, vom Schulbuch bis zur Belletristik, das ist aber nicht Thema dieses Artikels.
- Wenn Experten derselben Disziplin füreinander schreiben, nutzen sie keine einfache Sprache, sondern eine Fachsprache für die fachinterne Kommunikation.
- Einfache Sprache erfüllt ihren Zweck nur in der fachexternen Kommunikation: Experte an Laie.
Es gibt sie auf wenigstens drei Niveaus:
- Hoch – der Experte eines Faches schreibt für vergleichbare Experten anderer Gebiete. Beispiel: Informatischer Text für Leser aus BWL, Medizin …
- Mittel – Texte für die gebildete Allgemeinheit, Beispiel: Wissenschaftsjournalismus.
- Niedrig – Fachtexte für jedermann; Beispiele: Behörde an Bürger, Anleitungen für Konsumgüter …
Wer einfacher Sprache unterschiedliche Niveaus zubilligt, gewinnt ein starkes Instrument. Jetzt kann ein Autor fast jeden Text der fachexternen Kommunikation in einer einfachen Sprache schreiben. Ausnahmen sind dann nur noch das Feuilleton, die Religion und andere Gebiete, die mancher in Randbereichen des Sachlichen sehen mag.
Stilistisch hervorragend
Viele Querschläger aus dem Internet lassen das Schlimmste befürchten. „Einfache Sprache ist …“, und dann geht es los. Bestimmt wird eine Sprachvarietät, ohne zwischen Niveaus zu unterscheiden. Dieses eingeengte Konstrukt ist der Leichten Sprache nicht unähnlich, wenn auch mächtiger und besser lesbar.
Das kann man so sehen, niemand verbietet es. Jeder darf einfache Sprache definieren, nichts anderes lege ich vor. Weil das so ist, sieht mancher Ansatz sonderbar aus, wenn er Regeln formuliert. Denn Regeln kann nur verkünden, wer das Recht und die Macht dazu hat.
Andere müssen sich damit begnügen, Empfehlungen zu geben. Regierungen, Firmen und Organisationen können diese Empfehlungen dann in Regeln umwandeln, wenn sie ihnen einleuchten.
Dieses Denken passt zu der wissenschaftstheoretischen Haltung des Kritischen Rationalismus: Ich habe meine Überlegungen oft berichtigt und erst dann veröffentlicht, als mir keine vernünftigen Gründe einfielen, die ihnen widersprachen. Was nicht heißt, dass es solche Gründe nicht gibt. Jemand muss sie nur finden und meine Gedanken widerlegen. Ich suche selbst danach und werde ab und zu fündig. Wissenschaft ist auch ein Prozess ständiger Kritik und führt so zu neuen Erkenntnissen und Beiträgen.
Ein vorerst unverändertes Beispiel ist die Stilfrage: Von zwei großen Stilisten der deutschen Sprache – Johann Christoph Adelung und Eduard Engel – kann man lernen, dass der Stil eines Sachtextes niemals gut sein kann, wenn man an der Sache oder dem Leser vorbeischreibt. [2]
Verstehen die Leser, für die ich schreibe, was ich schreibe, ist der Stil zunächst in Ordnung. Ohne Schwulst, Überflüssiges, gelehrtes Geschwurbel, Wichtigtuerei und dergleichen. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, lohnt erst der Unterschied zwischen stilistischen Niveaus. Man kann schließlich auch das Einfache und Verständliche mehr oder weniger elegant formulieren. Das mag einer dann als guten oder schlechten Stil bezeichnen.
Verstehen, eine Kurzfassung
Wenn jemand Gelesenes versteht, hat das Konsequenzen. Zunächst selten sichtbare, nichts, das sich in irgendeiner Weise bemerkbar machen muss. Und doch ist Wichtiges geschehen.
Im Langzeitgedächtnis des Lesers hat sich etwas verändert: Neues kam hinzu, Bekanntes wurde bearbeitet oder verlor seine Stellung.
Wer aus einem Text auftaucht, ist ein anderer als er beim Hineinspringen war. Der Vorgang ist bedeutend.
Schritt für Schritt wächst das Wissen. „Neu“ und „bekannt“ bezeichnen in diesem Prozess die entscheidenden Eigenschaften. Im Langzeitgedächtnis, dem lebenslangen Wissensspeicher, muss alles Neue sich auf das Bekannte stützen. Sonst ist es nicht neu, sondern unverständlich.
Das allein wäre zu einfach, um auszureichen. Kein Text gelangt auf direktem Weg an sein Ziel. Wir würden den Verstand verlieren, könnten oder müssten wir jeden Reiz speichern. Filtern oder Beschleunigen sind die von der Natur eingebauten Mechanismen.
Nach vielen Filtern übernimmt eine Einheit, die man „Zentrale Exekutive“ nennt (Abb. 01). Sie erwacht immer dann zum Leben, wenn irgendein Reizbündel die Aufmerksamkeit erregt. Ihre Aufgabe ist es, ein Arbeitsgedächtnis einzurichten und zu erhalten, solange die Aufmerksamkeit nicht abklingt. Dieses ist in das Langzeitgedächtnis eingebettet [3] und dient der Verbindung zwischen Außen und Innen. Seine Kapazität ist begrenzt.
Abb. 01 Ablauf des Lesens im Gedächtnis; der Autor steht vor der Aufgabe, für Aufmerksamkeit zu sorgen.
Quelle Arbeitsgedächtnis frei nach Cowan; Copyrighs Baumert, Alarmklingel: einfarbig, istock.com/ET-ARTWORKS
Stark vereinfacht gesagt, gelangt das Gelesene in dieses Arbeitsgedächtnis und wird dort vom Langzeitgedächtnis entnommen. Was in diesem Riesenspeicher nicht vorhanden ist, kann dabei auch nicht mithelfen. Begriffe, die fehlen, Benennungen, die das mentale Lexikon nicht enthält oder die anders als im gelesenen Text gebunden sind, führen zu Fehlern oder lassen die Verarbeitung stoppen.
Die Grenzen des Arbeitsgedächtnisses und der Umfang des mentalen Lexikons sind für die Lesekompetenz entscheidend. Daraus folgt: Ob ein Text verstanden wird, hängt davon ab, ob sein Autor diese Gegebenheiten beim Leser richtig einschätzen konnte. Hat er sich geirrt, stockt die Verarbeitung, die Aufmerksamkeit lässt nach und die zentrale Exekutive erschlafft.
Wenn das Verstehen scheitert
Redakteure sind wohl meist gute Leser. Auf ihren Schreibtischen liegen unterschiedliche Textsorten, die sie begreifen und bearbeiten.
Andere haben weder dieses Können noch die Erfahrung; schreiben müssen sie dennoch, ihre Firma, Behörde oder Organisation verlangt es. So entstehen Tag für Tag tausende Schriftstücke, die ihre Zielgruppe verfehlen.
Das ist wirtschaftlicher und politischer Unsinn; es missachtet zudem die Würde derjenigen, die mit einem Dokument nichts anfangen können.
Öffentlich spricht man meist über 6,2 Millionen [4] „funktionale Analphabeten“ oder von Menschen „geringer Literalität“. Darüber hinaus wissen wir, dass etwas über die Hälfte der erwachsenen Leser Texte nur eingeschränkt verstehen kann. Ihre Lesekompetenz erreicht nicht das mittlere Niveau der von der OECD genutzten 5 Stufen (Tab. 01). [5] Die Konsequenz:
- Sie ermüden schnell, wenn sie ungewohnte Themen oder umfangreiche Dokumente bearbeiten müssen.
- Sie lesen flüchtig oder vermeiden es.
- Sie verstehen falsch oder überhaupt nicht, wenn der Text nicht ihren Fähigkeiten entspricht.
- Sie begehen Fehler, wenn ein Dokument zu Handlungen auffordert, davor warnt oder Voraussetzungen nennt.
- Sie fordern Hilfe an, über Internetseiten, E-Mail oder Telefon.
Das trifft nicht nur Menschen mit geringer Lesekompetenz; es gilt auch für gute Leser, wenn sie sich in einem Thema nicht auskennen. Anleitungen, Briefe, Internettexte, Broschüren und Formulare sind häufig Kandidaten für Missverständnisse. Vertreter einer einfachen Sprache im Englischen rechnen es vor: Einzelne Unternehmen, Behörden und Organisationen sparen jährlich Hunderttausende, einige auch Millionen Dollar oder Pfund ein. Der Anfang ist die Einführung von Plain English [6], dem einfachen Englisch.
Tab. 01 S.E.: Standardfehler. Quelle OECD (2016). Annex A. Tabelle A2.1. Ausschnitt
152 zu 145
Die englische Version einer einfachen Sprache war unser Vorbild2. Wir haben untersucht, was Briten, Australier, Amerikaner und andere ihren Autoren empfehlen. Andere Vorreiter wären auch möglich gewesen, Schweden oder Finnland als Beispiel. Dazu hätten wir Hilfe in Anspruch nehmen müssen, weil wir diese Sprachen nicht gelernt hatten. Ihr Wirkungsgebiet ist zudem recht klein, und die Literatur wäre für unsere Zwecke nicht ausreichend. So aber konnten wir auf einen reichen Schatz zugreifen und auswählen, welche Empfehlungen einem Autor heute zur Verfügung stehen. Daraus ließen sich 145 Ratschläge ableiten.
Einige gelten nur für das Englische, andere finden eine Entsprechung auch im Deutschen. Vieles liest sich wie eine dürftig begründete Anweisung, und wir fanden Widersprüche, die auch im Deutschen zu erwarten sind. Einer fordert „Schreib, wie du sprichst!“, der Nächste warnt „Mach das bloß nicht!“. Manches ist wissenschaftlich gewagt und schwer haltbar.
Die englischen Empfehlungen aus 18 Büchern und Internetdokumenten halfen uns, eine eigene Liste zu erstellen, die sich vom Ausgangsmaterial erheblich unterscheidet. Wir haben 152 Empfehlungen in 12 Abschnitten zusammengefasst:
- Schreiben im Projekt
- Leser und das Thema
- Dokumentstrukturen
- Logik
- Dokumente gestalten
- Geschichten
- Funktionswörter
- Bedeutungswörter
- Sätze
- Texte
- Rhetorik
- Dokumenttypen
Empfehlungen werden nur mit Begründungen und Beispielen gegeben. Wir legen ihr Fundament bloß und laden jeden zur Kritik ein. So könnte eine deutsche Form der Plain Language entstehen. Folgend zeige ich Kurzfassungen.
Lesefähigkeit bestimmt Textqualität
Daraus ergeben sich die ersten Fragen, noch bevor ein Wort geschrieben wird. Je mehr ein Autor über die Zielgruppe weiß, desto besser ist es. Diese Gruppe ist immer gemischt. Um einen Ansatz zu haben, führen wir ein neues Konzept ein, den legitimen Leser. [7]
Nur sein Urteil über ein Dokument interessiert. Wer es sonst gelesen hat und sich dazu äußert, sollte angehört werden, wird aber bei geplanten Veränderungen nicht immer berücksichtigt.
Unter den legitimen Lesern werden einige sein, deren Lesekompetenz geringer ist als die anderer. Für einige Produkte oder Dienstleistungen sollte die geringste Lesefähigkeit den Ton angeben: Überlebenswichtige Warnungen und Verbote zum Beispiel. In anderen Fällen ist eine redaktionelle Entscheidung nötig. Sie wird Konsequenzen haben, nicht zuletzt für die Qualität der genutzten einfachen Sprache. Daraus ergeben sich die Ws: Was will und muss der Leser warum wissen, was weiß er schon, wie wichtig ist der Text für ihn, wie müssen wir vorgehen?
Struktur muss beim Finden helfen
Jahrzehntelang wird gepredigt, wie bedeutend Suchen und Finden sind. Auch wenn das nicht falsch ist, für eine einfache Sprache raten englischsprachige Experten, vorwiegend über das Finden zu reden. Der Gedanke leuchtet ein.
Die Struktur eines Dokuments muss von der Art sein, dass legitime Leser auf Anhieb finden, was sie wissen müssen. Ohne Wenn und Aber. Nur dann ist es einfach zu lesen.
Das Suchen ist die Aufgabe des Autors, der dem Leser das Finden erleichtert.
Geschichten erzählen
In Ausgabe 05/19 dieser Zeitschrift spricht sich Virginia Kilpert dafür aus, Inhalte in Geschichten zu verpacken – eine mutige Stimme inmitten der Technischen Redakteure.
Sie hat recht. Eine Geschichte ist die älteste Form der Wissensvermittlung. Sie gehört in das Konzept einer einfachen Sprache.
Dabei muss es nicht eine vollständige Erzählung sein, mit Anfang, Hauptteil und Ende. Manchmal reichen Sprachbilder wie jenes aus der Bibel: „Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“
Personen, Orte und verstehbare Interessen können Bilder erzeugen, die den Weg in das Langzeitgedächtnis bereiten.
Zwar findet wohl jedes Sprachbild einen Leser, der gekränkt ist, man kann diese Folge aber einschränken durch sorgfältige Auswahl des Materials.
Rhetorik nutzen
Entfernte Verwandte dieser Sprachbilder sind die Instrumente der Rhetorik. „Bloß nicht benutzen!“, lautet das gängige Vorurteil vieler Experten.
Ein Blick in Boulevardzeitungen zeigt anderes. Sie sind auch für geringe Lesekompetenz verständlich und gerade deswegen voller Metaphern, Ironie, Übertreibungen und anderer Mittel.
Die Rhetorik gibt es, gerade weil man mit ihr Ziele erreichen kann. Sie fällt nur bei dem unangenehm auf, der nichts davon versteht und sie dennoch nutzt. Das hat sie mit Gewürzen gemein: vom perfekten Gericht bis zum ruinierten ist vieles möglich.
Abb. 02 Steigern als rhetorisches Mittel - Empfehlung, Begründung und Beispiele. Quelle Andreas Baumert (2018b), S. 165, Empfehlung 141, Rhetorik.
Technik einfach kommunizieren
Das Schlüsselkonzept könnte ein Redaktionsleitfaden sein [8]. Darunter kann man eine Kombination aus Dateien, Datenbanken, Software und Gedrucktem verstehen. Der Leitfaden, den manche anders nennen, kann zu jedem unserer 12 Abschnitte Aussagen treffen und Regeln einführen. Überlegungen zum Verstehen, zur Rolle des Arbeitsgedächtnisses werden im Leitfaden zu einer Regel, 2 Beispiele:
- 1. Den Abstand zwischen Hilfs- oder Modalverb und dem Vollverb muss der ungeübte Leser auf einen Blick erkennen. Die 6 Wörter im voranstehenden Satz könnten auch als Zahl ausgedrückt sein, „darf höchstens x Wörter betragen“. Das gilt auch für Verben mit abtrennbarer Vorsilbe „aufgehen“, „untergehen“ …
- 2. Wenn Wörter dem Leser wahrscheinlich unbekannt sind, muss man sie ersetzen oder erklären. Die Erklärung kann umfangreich sein, dennoch gibt es nur zwei Lösungen: Verzicht oder Erklärung. Das Dokument kann dadurch umfangreicher werden, doch ohne Orientierung am Wissensstand des Lesers ist einfache Sprache nicht zu haben.
Die Norm am Horizont
Heute, im Januar 2020, arbeitet man in der ISO, der Internationalen Standardisierungs-Organisation, an einer Norm für einfache Sprache: plain language.
Führende Organisationen [9] für einfaches Englisch haben diesen Prozess lange vorbereitet. Schließlich hat Standards Australia den offiziellen Antrag an die ISO gestellt, und nun scheint es voranzugehen.
Das Konzept ist, allgemeine Regeln zu formulieren, die für die meisten Sprachen auf globalen Märkten gelten. Anschließend sind die einzelnen Normungsorganisationen aufgefordert, diese Prinzipien umzusetzen: das DIN beispielsweise für das Deutsche. Wie weit dieser Ansatz reicht, ob nur für Deutschland oder allgemein für die deutsche Sprache, ist noch nicht abzusehen. Die nationalen Organisationen, in denen das Deutsche eine Landessprache ist, werden sich dazu gewiss absprechen.
Während ich diesen Artikel schreibe, überlegt man vier allgemeine Grundsätze für Dokumente in einfacher Sprache:
- 1. Der Inhalt entspricht dem, was Leser brauchen oder erwarten. Autoren müssen wissen, was in ein Dokument gehört und worauf sie verzichten.
- 2. Leser finden leicht, was sie suchen oder brauchen. Ein Dokument muss so strukturiert und gestaltet sein, dass das Finden im Vordergrund steht. Nicht das Suchen.
- 3. Sie können den Inhalt verstehen. Erfassen, begreifen und anwenden sind das oberste Gebot. Dazu werden öfter Tests nötig sein.
- 4. Sie können den Inhalt nutzen. Ein Dokument muss Leser unterstützen, die beabsichtigten Ziele zu erreichen.
Für ausgebildete Technische Redakteure sind das zunächst keine Neuigkeiten, die sie verblüffen. Auch Boulevard-Journalisten, Verfasser von Schulbüchern und andere, die beruflich fachextern schreiben, sehen darin kein Geheimnis. Interessant ist aber, dass damit jeder, den man beauftragt, in einfacher Sprache zu schreiben, nach solchen Prinzipien vorgehen sollte.
Behörden, Unternehmen, Organisationen und Verbände werden vor gewaltigen Aufgaben stehen und müssen ihr Schreibwerk überarbeiten. Bislang konnte jeder unter einer einfachen Sprache verstehen, wonach ihm gerade der Sinn stand. Das wird sich ändern, wenn ein Standard zur Verfügung steht, an dem die Dokumente aller gemessen werden können.
Links und Literatur zum Beitrag
[1] Baumert, Andreas (2018a): Einfache Sprache und Leichte Sprache. Kurz und bündig. Bibliothek der Hochschule Hannover: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:960-opus4-12348. Baumert, Andreas (2016): Leichte Sprache – Einfache Sprache. Literaturrecherche, Interpretation, Entwicklung. Bibliothek der Hochschule Hannover: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:960-opus4-6976.
[2] Baumert, Andreas (2018b): Einfache Sprache – Verständliche Texte schreiben. Unter Mitwirkung von Annette Verhein-Jarren. Spaß am Lesen Verlag, Münster, S. 23–36.
[3] Cowan, Nelson (2016): Working memory capacity. New York, London: Routledge. Baumert (2018b, 140) und Baumert, Andreas (2019): Mit einfacher Sprache Wissenschaft kommunizieren. Heidelberg: Springer, Kapitel 3.1.
[4] Grotlüschen, Anke; Buddeberg, Klaus; Dutz, Gregor; Heilmann, Lisanne; Stammer, Christopher (2019): LEO 2018 – Leben mit geringer Literalität. Pressebroschüre, Hamburg.
[5] OECD (2016): Skills Matter: Further Results from the Survey of Adult Skills, OECD Skills Studies, OECD Publishing, Paris.
[6] Kimble, Joseph (2012): Writing for dollars, writing to please. The case for plain language in business, government, and law. Durham, N.C.: Carolina Academic Press.
[7] Baumert, Andreas; Verhein-Jarren, Annette (2016): Texten für die Technik. Eine Anleitung für Studium und Praxis. 2. Aufl. Berlin: Springer, S. 89.
[8] Schubert, Klaus (2019): Einfache Sprache. In: Jörg Hennig, Marita Tjarks-Sobhani (Hg.): Verständlichkeit als Problem der Technischen Dokumentation. (tekom Schriften zur Technischen Kommunikation 24.) Stuttgart: tekom.
[9] Clarity, PLAIN und Center for Plain Language.