Wie man Softwarenutzer begeistert

Text: Gertrud Grünwied

UX-Writing erweitert die Softwaredokumentation und verspricht ein besseres Verständnis für Softwareoberflächen zu erzielen. Der Einstieg in UX-Writing gelingt mit einer neuen Sichtweise auf die Nutzer. Gefragt sind zudem die Fähigkeiten der Technischen Redaktion.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 16:37 Minuten

Bisher galt für Texte auf Benutzeroberflächen „je weniger, desto besser“. Man wollte die Oberflächen nicht überlasten, Nutzer nicht von der Funktionalität ablenken und das schnelle, überfliegende Lesen unterstützen. Und nun entdeckt man gerade, dass einige Worte mehr – an den richtigen Stellen und zum richtigen Zeitpunkt – die Usability deutlich verbessern können. Über einen menschlichen und motivierenden Sprachstil lässt sich sogar ein Nutzererlebnis schaffen. Wie geht das? Die Antwort nennt sich UX-Writing. Die Abkürzung UX steht für User Experience. Gemeint ist damit der Prozess des Schreibens wie auch das Ergebnis.

Schlechte Erfahrungen prägen

Im digitalen Leben ist „Formularerfahrung“ nötig. Das sagt man zumindest. Aber sind Sie nicht auch schon über ein einziges Häkchen gestolpert, haben es falsch interpretiert und hatten damit Ärger? Ein Beispiel: Stellen wir uns vor, Sie haben in einer Behördenanwendung Ihr Passwort vergessen. Das System bietet Ihnen den Button „Passwort vergessen“ an. Sie klicken auf den Button und erwarten umgehend eine E-Mail mit einem Initialpasswort. Aber nein, stattdessen wird Ihr Zugang komplett gesperrt. Es kommt noch schlimmer: Sie haben mit diesem Klick versehentlich das ganze Authentifizierungsverfahren via Postversand neu ausgelöst. Wäre da nicht ein erklärender Satz bei diesem Button hilfreich gewesen? In der Praxis schlagen viele derartige Nutzeraktionen fehl, und Nutzer würden es den Unternehmen danken, wenn aussagekräftige Informationen nicht einfach gestrichen würden.

Darum geht es

Dieser Beitrag richtet sich an alle Autoren im Softwarebereich. Dazu zählen User Assistance Developer, Technische Redakteure und UX-Designer, außerdem an alle, die sich für eine nutzerorientierte Benutzerführung interessieren. Relevant sind alle Arten von Software, Apps, Webseiten und digitalen Produkten.

Zunächst geht es los mit der Definition von UX-Writing aus meiner Sicht als Technische Redakteurin und Usability/UX-Expertin. Weiterhin beschäftigt sich der Beitrag mit Erfolgs-Merkmalen von UX-Writing, angereichert mit Beispielen. Am Ende steht ein praktischer Stilleitfaden mit den wichtigsten Regeln, außerdem ein Vergleich von Technischer Dokumentation und UX-Writing.

Eine detaillierte Definition

Um UX-Writing festzulegen, gilt es, mehrere Aspekte zu beleuchten, dargestellt in den folgenden Abschnitten:

  • Wo wird UX-Writing angewendet?
  • Wie interdisziplinär ist UX-Writing?
  • Was versteht man unter dem Schlüsselkonzept der Nutzermotivation?
  • Und nicht zuletzt: Was bedeutet Textverständlichkeit bei UX-Writing?

Anwendung von UX-Writing

Wörter und Texte auf Oberflächen zählen zur User Assistance (UA), wenn sie den Nutzer während der Interaktion mit der Software unterstützen. Es kann sich um vielfältige Elemente handeln:

  • Titel von Dialogfenstern, Registern oder von Blöcken sowie Feldbezeichnern
  • Orientierungstexte auf Startseiten und Willkommensseiten
  • Beschriftungen von Bedienelementen wie Buttons, Menüs, Listen oder Links
  • Blindtexte in Eingabefeldern
  • kurze beschreibende, anleitende oder konzeptionelle Hilfetexte
  • Starthilfen zum Einstieg in die Software
  • Tipps, Hinweise und Meldungen sowie Feedback

User Assistance funktioniert nach dem Push-Prinzip, sie wird also systeminitiiert angezeigt. Sie ist stets kontextbezogen und oft mit der eigentlichen Softwarefunktionalität verzahnt, so dass Texte gleichzeitig auch eine Funktion auslösen bzw. auslösen können. Heutige Systeme verfügen vermehrt über die Möglichkeit, Sprache auditiv auszugeben. Die UX-Texte müssen sich daher nicht nur lesen, sondern auch anhören lassen. Dafür müssen sie für die Sprachausgabe geeignet sein [1].

Zum Anwendungsbereich von UX-Writing zählen bislang nicht Sekundärhilfen wie Online-Hilfen, Video-Tutorials oder auch FAQs. Diese Informationsprodukte gehören nicht unmittelbar zum Bedienvorgang. An dieser Stelle soll ein in der Literatur verwendetes Synonym für UX-Writing erwähnt werden: Microcopy [2, 3]. Gemeint sind sämtliche Wörter oder Sätze einer Benutzeroberfläche, die direkt mit den Handlungen eines Nutzers zusammenhängen. Microcopy darf man übrigens nicht mit Copywriting verwechseln, wie es in der Werbung vorkommt.

Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit

Das UX-Schreiben steht nicht für sich alleine. Im Prinzip arbeiten UX-Writer mit allen Bereichen zusammen, die am Produktentwicklungsprozess beteiligt sind:

  • UX-Research bezeichnet die Nutzer- und Nutzungsforschung. Sie ist zusammen mit UX-Writing essenziell, um den Informationsbedarf (UX-Writing-Content) zu ermitteln. Auch die psychologischen Hintergründe von Aufmerksamkeit und Motivation gehören in diesen Bereich. Weiterhin zählt das Testen mit Nutzergruppen dazu, um etwa die beste Textvariante durch Nutzerbefragungen zu ermitteln. Eine empirische Studie dazu findet sich in der Fachliteratur [4].
  • UX-Design steht für Interaktions- design wie auch für visuelles Design. Zu letzterem gehört die Textgestaltung. Das äußere Erscheinungsbild von UX-Texten wie Typographie, Abstände und Hervorhebungen ist in das Produkt­design eingebettet. Für Designer ist es eine gestalterische Herausforderung, die oft etwas längeren UX-Texte auf dem geringen Platz am Desktop oder für ein mobiles Gerät visuell zu gestalten.
  • Usability stellt mit seinen Forderungen nach Effektivität und Effizienz den pragmatischen Teil während der Softwarebedienung dar. UX-Texte müssen demnach nicht nur Nutzen haben, sondern auch einfach zu nutzen sein (lesen und verstehen). Usability fördert die Zufriedenheit des Nutzers und bildet damit eine direkte Schnittmenge zur User Experience (UX). In einem Usability-Test müssen natürlich auch die UX-Texte geprüft werden.
  • Technische Dokumentation oder User Assistance, wie sie im Software­bereich oft genannt wird, ist für sämt­liche Benutzerinformationen zuständig. Dazu zählen neben Oberflächentexten und Hilfen auch Video-Tutorials, FAQs, Chatbots oder E-Learning. Die Technische Redaktion selbst erstellt zudem Terminologie­konzepte und koordi­niert Übersetzungen und Lokali­sierungen von Software und Benutzer­informationen. Nutzer erwarten eine konsistente Terminologie auf Oberfläche und Dokumentation. Oberflächentexte und Dokumentation müssen gemeinsam betrachtet werden, um Inkonsistenzen, Redundanzen und Widersprüche zu vermeiden.
  • Marketing möchte Leser durch guten Content zu einem Abschluss bzw. zum Kauf bewegen. Man spricht von Content Marketing. In Bezug auf UX-Writing gibt das Marketing das Corporate Design einschließlich der übergreifenden Nutzeransprache vor, die im Einklang mit dem Auftritt der Marke sowie des speziellen Produkts und seines Anwendungsfalls stehen muss. Marketing bestimmt ebenso die Terminologie mit.

Die Motivation der Nutzer erkennen

Maßgeblich für das Benutzer-Engagement ist der Gedanke, den Nutzer zur anhaltenden Nutzung eines Produkts zu motivieren. So fordert es die 2019 aktualisierte Usability-Norm ISO 9241-110 [5]. Generell ist es wichtig, bei Usability und UX die Nutzersicht und nicht die Systemsicht einzunehmen. Nutzer müssen durch das Wording auf den Benutzeroberflächen erkennen können, dass sie belohnt werden. Beispiele dafür sind:

  • Sie sparen mit der Software Kosten, Zeit und Ärger.
  • Sie erhalten Detailinformationen, Hilfe, lernen so ihre Software kennen und sie richtig zu nutzen.
  • Ihre eingegebenen Daten sind sicher und geschützt.
  • Sie können die Abläufe selbst steuern und kontrollieren.
  • Die Software wird alle ihre Erwartungen erfüllen und sie werden den vollen Nutzen daraus ziehen.
  • Sie werden Freude bei der Arbeit mit der Software haben.

Demgegenüber stehen Argumente aus Systemperspektive, wie etwa viele Softwarefunktionen aufzuweisen, stets einsatzfähig und robust gegen Abstürze zu sein. Diese Vorteile mögen alle sachlich richtig sein, stellen aber keinen wirklichen Gewinn für die Nutzer dar.

Modelle definieren Verständlichkeit

Technischen Redakteurinnen und Redakteuren ist das „Hamburger Verständlichkeitsmodell der Textverständlichkeit“ vertraut oder auch dessen Weiterentwicklung: das „Karlsruher Verständlichkeitskonzept“. Bemerkenswert ist, dass die beiden Konzepte durchaus Aspekte der Motivation und Emotionalität enthalten, die für UX-Writing relevant sind. Diese Modelle gehören zu den sprachlichen Grundlagen und bilden sozusagen einen Standard.

Auch wenn sich der Begriff UX-Writing nach den bisherigen Ausführungen nicht eindeutig festlegen lässt, sollen die wesentlichen Merkmale identifiziert und zu einer geschlossenen Definition zusammengefasst werden, dargestellt im folgenden Kasten (Inf. 01).

Definition von UX-Writing

UX-Writing ist eine interdisziplinäre Kommunikationsstrategie für interaktive Systeme, bei der praktische (Usability!) und emotionale (UX!) Nutzerbedürfnisse erkannt und in eine sprachliche Schnittstelle (schriftliche und akustische Form) umgesetzt werden, die ein positives Nutzungserlebnis bewirkt.

Inf. 01 Quelle Gertrud Grünwied

Den Erfolg erkennen

Was muss passieren, damit UX-Writing funktioniert? Vorweg: Die Kriterien dafür sind nicht fest vorgegeben, sondern sind sehr variabel. Sie sind abhängig von der Nutzungssituation, der Komplexität der Software und dem Zeitpunkt innerhalb des Softwareprozesses. Das macht den Unterschied zur kontrollierten Fachsprache der Technischen Dokumentation aus, die klare Regeln hat.

UX-Writing und kontrollierte Fachsprache verbindet die Nutzerorientierung, also das Einbeziehen der Vorkenntnisse und Absichten der typischen Nutzer. Die passende Wahl der Merkmale im konkreten Fall ist also komplex. In den weiteren Abschnitten finden Sie Methoden zur Vorgehensweise. Zunächst sollen die wichtigsten Merkmale vorgestellt und mit Beispielen veranschaulicht werden. Diese Merkmale lassen sich nach der Definition (inf. 01) grob in zwei Gruppen einteilen:

  • Usability-Merkmale → praktische Nutzerbedürfnisse
  • Motivations-Merkmale → emotionale Nutzerbedürfnisse

Gruppe 1 – Usability

Da Usability den pragmatischen Teil innerhalb der User Experience (UX) darstellt, müssen die Texte zunächst effektiv und effizient gestaltet sein. Das heißt, Nutzer möchten schnell, mit wenig Aufwand und vollständig ihr Ziel erreichen. Hierbei lassen sich die typischen „Verständlichkeitsmacher“ anwenden: Nutzen, Prägnanz, Kürze, Kompaktheit, Klarheit und Eindeutigkeit.

Mit Worten Nutzen stiften – dahinter steckt die Anforderung, dass eine Information nützlich, aussagekräftig und somit hilfreich sein sollte. Der Text sorgt so für eine optimale Benutzerassistenz. Dies kann in einer Software an verschiedenen Stellen sein, zum Beispiel informativer Titel, erläuternde Felderklärung oder sprechende Workflow-Schritte. Der Text sollte dabei ausreichend ausführlich gestaltet sein. Wenn nötig, können auch ganze Sätze helfen, wie Abbildung 01 zeigt. Dennoch sollte der Text nicht unnötig ausschweifend sein, um das Prinzip von Kürze und Prägnanz einzuhalten.

Beispiel von Amazon Kindle.

Abb. 01 Felderläuterung in "Kindle"-Software. Quelle Amazon

Prägnant, kurz und kompakt beschriften – die Felder und Elemente benötigen stets eine Beschriftung, um deren Bedeutung erkennen zu können. Gleichzeitig sollten Redundanzen vermieden werden. Gerade aber bei prinzipiell hilfreichen Blindtexten in Feldern sind diese manchmal redundant zum Feldbezeichner. Eine Lösung bieten Felder mit „springenden Blindtexten“. Der Blindtext (Abb. 02) wandelt sich zum Feldbezeichner, sobald der Nutzer auf das Feld klickt (Abb. 03). So bleibt die Feldfunktion auch während der Eingabe ersichtlich.

Screenshot mit einem Beispiel von eBay.

Abb. 02 Blindtext in "eBay". Quelle eBay

Screenshot mit einem Beispiel von eBay.

Abb. 03 Gesprungener Blindtext in "eBay". Quelle eBay

Alles klar und eindeutig? Für Beschriftungen und Oberflächentexte gilt es in besonderem Maße, Mehrdeutigkeiten zu vermeiden. Der Leser sollte sich nicht „Ja, aber ...?“ fragen müssen. Es muss vermieden werden, ihn zu verunsichern oder für falsche Annahmen zu sorgen. In vielen Fällen ist dies einfach umzusetzen, da die Terminologie standardisiert ist (Feldbezeichner wie zum Beispiel „Geburtsdatum“, „E-Mail-Adresse“ oder Button-Beschriftungen wie „Adresse hinzufügen“, „Reservieren“). Schwieriger wird es, wenn die Software mit ungenauen Oberbegriffen Interpretationsspielräume schafft, wie zum Beispiel „Authentifizierungsfehler“ anstelle „Falsches Passwort“. In der Informatik werden gerne sogenannte „mächtige“ Funktionen und Meldetexte verwendet, die in mehrere Richtungen verwendet werden können. Für den Leser ist dies jedoch mit „Trial & Error“ verbunden.

Gruppe 2 – Motivation

Dank Motivation soll der Nutzer zum Lesen und Handeln bewegt werden, bis er die Aufgabe erfolgreich gemeistert hat. Bei den motivationalen Merkmalen sollen die Wörter und Texte die emotionale Ebene ansprechen. Man könnte auch sagen, die Merkmale verleihen dem Produkt Tiefe. Anzumerken ist, dass es hierbei um die textgenerierte Motivation geht, also nicht um die bereits vorhandene Motivation des Nutzers. Der Einsatz motivierender Elemente ist stark von der Software und der Zielgruppe abhängig. Im Folgenden sollen einige Stilmittel aufgeführt werden, die motivationsfördernd sind. Aber Achtung – für den Umgang mit den Merkmalen benötigt man Fingerspitzengefühl.

Der passende Tonfall

Das Ziel von UX-Texten ist es, genau den Tonfall und die Ausdrucksweise zu finden, die die Nutzer kennen und erwarten. Die Nutzer sollen sich sozusagen wohlfühlen. Dabei können bestimmte Elemente der Alltagssprache sowie Jargon eingesetzt werden. Alltagssprache ist gesprochene Sprache und gilt generell als unpassend für sachliche Texte. Viele Elemente der Alltagssprache wirken in User-Assistance-Texten störend etwa: klappen, schiefgehen, extra. Es gibt jedoch in der Alltagssprache sogenannte Abtönungspartikel wie zum Beispiel nun, mal, ja, vielleicht, doch, bloß. Sie schwächen den Tonfall einer Aufforderung ab und lassen den Text weniger wie eine strenge Ansage klingen: „Haben Sie vielleicht versehentlich das Passwort …?“ oder „Klicken Sie sich einfach mal durch“ oder „Sie arbeiten derzeit in Ihrer ganz persönlichen Testumgebung“ oder „Nur noch ein Schritt“ (Abb. 04).

Screenshot mit einem Beispiel von Adobe Sign.

Abb. 04 Abtönungspartikel in "Adobe Sign". Quelle Adobe

In mündlichen Vorträgen sind Abtönungspartikel beliebt, um Inhalte lebhaft zu erklären. In schriftlichen Texten können sie helfen, eine emotionale Bindung zum Leser aufzubauen. Auch wenn sie als Füllwörter keine sachliche Bedeutung transportieren, entsteht eine Nähe zum Leser. Es ist jedoch Vorsicht angebracht, denn der Text wirkt durch ungeschickten Einsatz der Partikel schnell betulich und umständlich.

Es mag vielleicht verwundern, aber auch Terminologie, die eine Zielgruppe von einer anderen unterscheidet, kann auf Softwareoberflächen lebendig und ausdrucksstark wirken. Man spricht von Jargon oder Slang. Ausprägungen sind beispielsweise Computerjargon („Hype“, „Buzzword“, „Social Proof“ oder „Nerd“). Oder es handelt sich um Netzjargon, der von den meisten Digital Natives in Chats, Blogs und Userforen verwendet wird und der Akronyme und Abkürzungen enthält, zum Beispiel: AFK für Away from Keyboard, was so viel heißt wie „ich bin gerade mal abwesend“. Oft stammen die Worte aus dem Englischen. Wichtig ist, dass die Wörter auch von den Lesern verstanden werden. Zudem verschwinden Jargon-Ausdrücke schnell wieder und sind vorbei, sobald sie „normal“ sind.

Oftmals verwendet Alltagssprache oder Jargon auch eine bildhafte Sprache. Der Text enthält dann ein Sinnbild oder eine Metapher. In dem Konferenztool Zoom kann man sinnbildlich gesprochen „Einen Kanal erstellen“ oder „Springen zu ...“ (einem Kontakt). Metaphern mit menschlichen Körperteilen wirken besonders ansprechend, also etwa „Hand heben“ für eine Wortmeldung.

Fragen universell einsetzbar

Fragen sind immer ein Mittel, um Aufmerksamkeit zu erwecken. So weisen mittlerweile die Titel von Formularen, Webseiten oder Dialogfeldern häufiger die Frageform auf. „Wie möchten Sie an der Audiokonferenz teilnehmen?“ lautet beispielsweise der Titel eines Einstellungsdialogs. Weiterhin sind manche Feldbezeichner als Frage formuliert. Abbildung 05 zeigt den Blindtext für das Reiseziel leicht verständlich als „Wohin reisen Sie?“. Dies hat eine andere Wirkung als das abstrakte Wort „Reiseziel“. Die dialoghafte Frage wirkt freundlich und empathisch und stärkt den Aufforderungscharakter zur Interaktion. Das Frage-Antwort-Muster setzt sich auch in dem Häkchen „Ich reise geschäftlich“ fort (anstelle „Geschäftsreise“). Die Frage selbst ist hier stumm, aber in der Antwort „Ich …“ impliziert.

Screenshot mit einem Beispiel von Booking.com.

Abb. 05 Frageform und persönliche Form in einem Reiseportal. Quelle Booking.com

Um den Dialog mit dem Kunden persönlich zu führen, bietet es sich beim Kundenservice geradezu an, mit einer Frage zu beginnen. „Wie können wir Ihnen heute behilflich sein?“ (Abb. 06). Das klingt auffordernder als etwa „Frage eingeben“ oder „Ihre Frage?“.

Screenshot mit einem Beispiel von eBay.

Abb. 06 Freundliche Frage bei einem Kundenservice. Quelle eBay

Auch rhetorische Fragen eignen sich, den Nutzer aktiv und aufmerksam zu halten. „Haben Sie schon einen Account?“ verbunden mit dem Link „Neuer Account“ ist nicht unbedingt nötig, wirkt aber motivierend. Diese Fragen können auch organisatorische oder strukturierende Teile in der Software abdecken: „Welche Schritte sind bereits erledigt?“ oder „wie gehts weiter?“.

Eine Methode zur Umsetzung des Frage-Antwort-Prinzips bietet das „Gesprächshafte Schreiben“ (engl. Conversational Writing). Die Idee dabei ist, dass das System wie ein Benutzer angesehen wird und eine Konversation entsteht. Bildhaft kann man sich dies wie einen Chat vorstellen, bei dem System und Nutzer in zeitlicher Abfolge abwechselnd fragen und antworten. Die „fragende“ Software könnte im einfachen Fall ein Feldbezeichner in Frageform sein. Der Nutzer antwortet dabei über eine Eingabe. Es sind auch mehrstufige Dialoge denkbar, die den Nutzer durch einen komplexen Softwareprozess führen. Die Fragen oder Antworten des Systems sind also Bestandteile des UX-Writing. Die Antworten oder Fragen der Nutzer sind deren Handlungen wie Klicken, Tippen oder Wischen. Das „Gesprächshafte Schreiben“ ist auch für andere der hier erwähnten Erfolgsmerkmale nützlich, wie etwa die persönliche Anrede, die der folgende Abschnitt beschreibt.

Auf jeden Fall persönlich

Abstrakte und unpersönliche Texte wirken wie leere Hüllen und motivieren nicht. Dagegen erweckt die direkte Ansprache Aufmerksamkeit und gehört zu den wichtigen Stilmitteln des motivierenden und verständlichen Schreibens. „Drücken Sie die Taste F3“ gilt als höfliche Aufforderung gegenüber einer erwachsenen Person oder mehreren, die man nicht kennt. Dagegen adressiert „Du“ bzw. „du“ (beides ist laut Duden möglich) Menschen, die einem vertraut sind bzw. Kinder oder Jugendliche. Inzwischen steht das „Du“ aber auch für einen lockeren Stil. Abbildung 07 veranschaulicht die persönliche Anrede in einer privat genutzten Lebensmittel-App.

Screenshot mit einem Beispiel von CodeCheck.

Abb. 07 In einer App wird das vertraute "du" verwendet. Quelle CodeCheck

Durch die persönliche Anrede werden die Texte etwas länger. Sie verbessert dafür aber auch die Nutzererfahrung. Gerade für eingebettete Hilfetexte auf Oberflächen ist es schwieriger, die Anrede in sehr kurzen Texten umzusetzen, aber dann kann es oft mit sehr wenigen Worten geschehen. Zum Beispiel kann man in einen Text zusätzlich motivierende Worte einfließen lassen, nach dem Motto „wenn du das machst, geht es schneller“.

Generell ist zu empfehlen, die Anrede gezielt einzusetzen, wie etwa bei Hinweisen, Erläuterungen oder Handlungsaufforderungen. Eine gute Möglichkeit für die persönliche Anrede bietet sich auch in Feedback-Formularen an. Es ist heute wichtig, die Nutzer zu Wort kommen zu lassen. Freundliche Aufforderungen wie „Teile Deine Ideen“ motivieren Nutzer, nicht nur Systemfehler, sondern auch Verbesserungswünsche für die Software zurückzumelden.

Leser kann man nicht nur mit „Sie“ oder „Du“ ansprechen, sondern auch mit „wir“. Das „wir“ ist ein Weg, auf dem der Text die Beziehung und Gemeinsamkeit zwischen dem Autor und dem Nutzer aufbaut. Bisher ist es eher unüblich, dass der Autor in einem Oberflächentext oder in einer Anleitung in Erscheinung tritt. Aber warum sollten Autor bzw. Unternehmen in der Benutzerassistenz nicht präsent sein? Wie Abbildung 08 veranschaulicht, wirkt das „wir“ auf der Fehlerseite jedenfalls menschlicher als „404, Seite nicht gefunden“.

Egal, ob „Sie“, „du“ oder „wir“ – die persönliche Anrede ist ein wichtiger Teil der Nutzeransprache, da die Handlungsbeteiligten ausdrücklich benannt werden.

Screenshot mit einem Beispiel von eBay.

Abb. 08 Persönlich formulierte Fehlerseite in "eBay". Quelle eBay

Beispiele nennen

Wie schreibt man anschaulich anstatt abstrakt? Ganz einfach: Mit Beispielen, wie es schon in den genannten Modellen der Textverständlichkeit steht. Beispiele können in Blindtexten oder als Vorgabewerte genannt werden, zum Beispiel „14 Tage“ für eine Terminwiederholung. Vor allem Anfänger benötigen Beispiele, und diese sollten daher gleich am Anfang stehen. Je spezialisierter die Nutzergruppe ist, umso weniger Beispiele werden benötigt. Wichtig: Die Beispiele müssen stets den Vorkenntnissen der Nutzer entsprechen.

Weitere Erfolgs-Merkmale

Die Reihe der Stilmittel für Usability und Motivation in der User Assistance ließe sich noch weiter fortsetzen. Beim UX-Writing können bei Bedarf zusätzlich weitere Merkmale angewandt werden:

  • Explizites Schreiben, um Vertrauen zu schaffen; gerade in datensensitiven Bereichen helfen sprachliche Zusätze wie „Sie haben die Kontrolle“ oder „Du musst noch nichts bezahlen“ (natürlich funktional umsetzbar), um Bedenken von Kunden zu zerstreuen.
  • Die UX-Texte müssen leicht übersetzbar und lokalisierbar sein. Insbesondere Texte mit bildhafter Sprache oder mit Personalpronomen (Sie, Du, Wir, Ich) sind hier zu berücksichtigen.
  • Storytelling eignet sich ebenfalls sehr gut dazu, einem technischen System eine menschliche Komponente zu geben. Zudem erzeugen Geschichten Spannung und halten die Aufmerksamkeit des Nutzers wach.

Im folgenden Info-Kasten stehen einige Tipps für gelungenes UX-Writing (Inf. 02).

Kleiner Stilratgeber für UX-Writing

 
  • Beschreiben Sie den Nutzen von Software(-funktionen), auch in ganzen Sätzen … dann fördern Sie das Verständnis des Nutzers.
  • Fassen Sie sich prägnant, kurz und kompakt … dann kann der Nutzer den Text rasch überblicken, aufnehmen und verstehen.
  • Schreiben Sie klar und eindeutig … dann kommt der Nutzer ohne Hürden zum Ziel.
  • Sprechen Sie den Nutzer direkt an … dann erwecken Sie Aufmerksamkeit und fördern die textgenerierte Motivation.
  • Stellen Sie kurze, leicht verständliche Fragen … dann sichern Sie sich seine Aufmerksamkeit.
  • Nennen Sie Beispiele … dann erhalten vor allem Anfänger gute Anhaltspunkte.
  • Nutzen Sie die Macht der Bilder in Texten … dann wird der Text anschaulich und weckt die kreative Seite des Nutzers.
  • Schreiben Sie in der Sprache der Nutzergruppe … dann wirkt der Text empathischer und fördert das Zugehörigkeitsgefühl des Nutzers.

Motto: Das Sprachregister vielfältig einsetzen.

Mit Technischer Redaktion verknüpft

Wo liegen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Technischer Dokumentation und UX-Writing? Eine erste offensichtliche Gemeinsamkeit ist der Fokus auf Sprache und Sprachkompetenz. UX-Writing wird nur bei sprachlichen Schnittstellen von digitalen Systemen und Software benutzt. Innerhalb der Softwaredokumentation entspricht UX-Writing den kurzen eingebetteten Hilfen, die stets kontextsensitiv sind. Weitere Formen und Medien ausführlicher Benutzerinformationen zu Software werden bislang nicht von UX-Writing abgedeckt. Allein aus Gründen der sprachlichen Konsistenz wäre es erstrebenswert, zu erforschen, wie UX-Writing in Informationsprodukten wie Online-Hilfen und Video-Tutorials eingesetzt werden könnte.

Betrachtet man die Erfolgsmerkmale von Technischer Dokumentation und UX-Writing, so überschneiden sich diese bei den Grundlagen der Textverständlichkeit. Insbesondere die pragmatischen Merkmale wie Klarheit, Einfachheit, Prägnanz, Anschaulichkeit und Nutzwert sind annähernd identisch.

Unterschiede zeigen sich in den motivationalen Elementen, denn hier gibt sich UX-Writing einen alltäglicheren, persönlicheren und weniger formalen Anstrich. Technische Dokumentation ist als Fachsprache dagegen hochgradig standardisiert und durch Richtlinien und Normen reguliert. So gibt es etwa die Leitfäden für „Kontrollierte Sprache“, die vorwiegend wegen der Wirtschaftlichkeit bei Dokumentationserstellung und Übersetzung entstanden sind. Sie legen Wortwahl, Sprachstil und Formulierungsmuster fest und schränken diese ein.

Welche Vorgehensweisen und Methoden hat UX-Writing im Vergleich zur Dokumentationserstellung? Hier ist interessant festzustellen, dass sich die Sichtweise (und damit auch die Vorgehensweise) der Technischen Dokumentation seit einiger Zeit ändert. Sie verlagert den Fokus vom System auf den Nutzer. Im Softwarebereich ist dies aktuell erkennbar an der Titeländerung der einschlägigen Normen: „Software user information“ anstelle „Software documentation“. Verbunden mit der veränderten Sichtweise verbreiten sich in der Softwaredokumentation Methoden wie Personas, Use Cases, User Stories, Customer Journey und Usability-Tests immer stärker. Diese nutzerorientierten Methoden entlang dem User Centered Design-Prozess gehörten beim UX-Writing bereits von Anfang an zum Instrumentarium.

Eine Kombination der Merkmale und Methoden von Technischer Dokumentation und UX-Writing bringt Vorteile mit sich. Die Technische Redaktion hat langjährige Erfahrung und hat dabei eine hohe Professionalität erreicht: Vorgehensweisen, Wirtschaftlichkeit, Standards und wissenschaftliche Grundlagen prägen das Berufsbild. UX-Writing ist ein aufkommendes Konzept in Zeiten der Digitalisierung und bietet kreative und attraktive Formen, um Nutzer für eine Software nicht nur zu befähigen, sondern zu begeistern.

Links und Literatur zum Beitrag

[1] Wood, Bobbie (6. September 2020): What is UX writing? https://uxwriterscollective.com/what-is-ux-writing 

[2] Podmajersky, Torrey (2019): Strategic Writing for UX. Drive Engagement, Conversion, and Retention with Every Word. Sebastopol: O´Reilly.

[3] Yifrah, Kinneret (2020): UX Writing & Microcopy. Bonn: Rheinwerk Verlag.

[4] Mayer, Benjamin (2021): UX-Writing – Fachliche Einordnung und Bedeutung für die Technische Redaktion (Bachelorarbeit) https://w3-mediapool.hm.edu/mediapool/media/fk05/fk05_lokal_1/fk05__trk/trk_bachelorarbeiten_ 1/20210301_Bachelorarbeit_UX-Writing_Mayer.pdf

[5] Grünwied, Gertrud (2020): Nutzungsfreundlichkeit von Technischer Dokumentation. In: tekom Schriften zur Technischen Kommunikation. Band 25. Perspektiven der Technischen Kommunikation. Hrsg. Hennig, J./Tjarks-Sobhani, M. S. 50–64. Stuttgart: tcworld GmbH.

Titelseite von Ausgabe 03 2021 der technischen kommunikation.