Nur noch digital?

Text: Claudia Klumpp Roland Schmeling

Die Europäische Kommission überarbeitet derzeit die Maschinenrichtlinie. Was bereits feststeht: Aus der Richtlinie wird eine Verordnung. Absehbar ist auch, dass die digitale Anleitung an Aufmerksamkeit gewinnt. Ist sie bald der neue Standard?

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 04:24 Minuten

Die aktuelle EG-Maschinenrichtlinie 2006/42 wurde am 9. Juni 2006 veröffentlicht. Blickt man auf die technische Entwicklung der letzten 15 Jahre, dann gibt es zahlreiche Gründe, die Richtlinie zu überarbeiten. Für die Europäische Kommission zählen folgende dazu [1, S. 21]:

  • Neu entstehende Risiken durch neue Technologien, insbesondere Vernetzung und KI, die durch die Maschinen­richtlinie bislang nicht abgedeckt sind.
  • Überlappungen der Maschinen­richtlinie mit anderen produkt­sicherheitsrechtlichen Vorschriften, die Unsicherheiten erzeugen.
  • Unzureichende Regeln für Maschinen mit besonders hohem Risiko
  • Digitale Betriebsanleitungen sind bislang nicht ausdrücklich zulässig, was zu enorm umfangreicher Papierdokumentation mit hohen Kosten und Umweltschäden führt.
  • Die Maschinenrichtlinie ist noch nicht mit dem New Legislative Framework vereinheitlicht, was Inkonsistenzen zu anderen Richtlinien erzeugt.
  • Unterschiedliche Auslegungen der Maschinenrichtlinie in den Mitgliedstaaten

Die Situation bei den Herstellern

In Europa gehen die Kosten für den Druck von Betriebsanleitungen in die Milliarden [1, S. 42]: 82.239 Unternehmen aus dem Maschinenbau geben zwischen 6,63 und 26,5 Milliarden Euro für den Druck aus. Laut einer öffentlichen Befragung zur neuen Maschinenverordnung möchten über 60 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer Betriebsanleitungen nur noch in digitaler Form. Rechnerisch ergibt sich daraus ein jährliches Einsparpotenzial von etwa vier Milliarden bis zu 16,6 Milliarden Euro. Je nach Berechnung liegt das Potenzial sogar mehrfach darüber. Nicht zu vergessen, dass mit dem Umstieg auf die digitale Betriebsanleitung auch Umweltimmissionen verringert werden.

Bedenkt man, dass den Unternehmen zusätzliche Kosten durch Bearbeitung, Verpackung, Flächen und Geräte, Logistik und Versand entstehen, dürften die Einsparungen von Maschinenherstellern schnell in die Millionen gehen.

Der Entwurf der Kommission

Die Europäische Kommission hat die Bereitstellung von Betriebsanleitungen in digitaler Form als ein Thema für die Überarbeitung der aktuellen Maschinenrichtlinie erkannt. Am 21. April 2021 ist ein erster Entwurf für die neue Maschinenverordnung erschienen. In Anhang III (1.7.4) steht eine Regelung für Betriebsanleitungen in digitaler Form (Inf. 01).

Zudem folgt der Entwurf dem Aufbau des Kommissionsbeschlusses 768/2008 und damit dem New Legislative Framework (NLF). Damit findet eine Angleichung an die neueren Europäischen CE-Richtlinien statt. Auch die Sprachregelung zu den Pflichten des Herstellers wurde übernommen: „7. Manufacturers shall ensure that the machinery products are accompanied by the instructions and information set out in section 1.7 of Annex III in a language which can be easily understood by end-users, as determined by the Member State concerned. Such instructions and information shall be clear, understandable, intelligible and legible.“

Auszug Anhang III (1.7.4)

„Die dem Maschinen­produkt beiliegende Betriebsanleitung muss eine „Original­betriebs­anleitung“ oder eine „Übersetzung der Originalbetriebsanleitung“ sein; im letzteren Fall ist der Übersetzung die Original­betriebs­anleitung beizu­fügen.

Abweichend von den vor­stehenden Bestimmungen kann die Wartungsanleitung, die zur Verwendung durch vom Hersteller oder von seinem Bevollmächtigten beauftragtes Fachpersonal bestimmt ist, in nur einer Amtssprache der Union abgefasst werden, die von diesem Fachpersonal verstanden wird.

Die Anweisungen können in digitaler Form bereitgestellt werden. Auf entsprechenden Wunsch des Käufers beim Kauf des Maschinenprodukts müssen diese jedoch kostenlos in Papierform geliefert werden.

Wenn die Betriebsanleitung in digitalem Format bereitgestellt wird, muss der Hersteller

(a) auf dem Maschinen­produkt und in einem Begleitpapier angeben, wie auf die digitalen Anweisungen zugegriffen werden kann;

(b) klar beschreiben, welche Version der Betriebsanleitung dem Maschinenproduktmodell entspricht;

(c) diese in einem Format bereitstellen, das es dem Endverwender ermöglicht, die Anweisungen herunterzuladen und sie auf einem elektronischen Gerät zu speichern, sodass er jederzeit, insbesondere bei einem Ausfall der Maschine, darauf zugreifen kann. Diese Anforderung gilt auch für ein Maschinenprodukt, bei dem die Bedienungsanleitung in die Software des Maschinenprodukts eingebettet ist.“

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELLAR:1f0f10ee-a364-11eb-9585-01aa75ed71a1

Inf. 01  Quelle Europäische Kommission

Auswirkungen auf Richtlinien

Wegen der großen Bedeutung der Maschinenrichtlinie kann man annehmen, dass die Regelungen auf andere CE-Richtlinien Einfluss haben. So ist zum Beispiel bislang nicht klar, ob das Wort „accompanied“ (deutsch: „beigefügt“) in den Richtlinien des NLF die Papierform impliziert. Dazu gehört auch die Niederspannungsrichtlinie.

Da der Text der Maschinenverordnung offenbar keine Vorgabe macht, das „Beifügen“ einer Anleitung mit der Erlaubnis der digitalen Form zu verbinden, dürfte damit die Interpretation des Wortes „accompanied“ klarer werden. Weniger deutlich ist im Entwurfstext jedoch bislang der Aspekt, ob dem Produkt ein Datenträger beigefügt werden muss oder ein Download genügt.

Aufgrund der herausragenden Stellung der Maschinenrichtlinie ist zu hoffen, dass im Hinblick auf die anderen CE-Richtlinien ein Umdenken stattfindet. Eine logische Konsequenz wäre zum Beispiel die diesbezügliche Anpassung der rechtlich nicht bindenden, aber gleichwohl aussagekräftigen Guidance Dokumente zu den Richtlinien (einschließlich einer Änderung des Blue Guides).

Die nächsten Schritte

Verschiedene Gremien diskutieren nun den Entwurf der Europäischen Union. Der Weg durch das Europäische Parlament ist zudem lang. Fest steht schon jetzt, dass das Thema „Betriebsanleitung in digitaler Form“ umstritten ist. Zum einen von der Industrie, die damit hadern dürfte, dass zur digitalen Form eine kostenlose Papierversion bereitgestellt werden muss, wenn dies auch erst auf Anfrage des Kunden passieren soll. Zum anderen vom Verbraucherschutz, der kritisieren könnte, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher eine Anleitung auf Papier aktiv einfordern müssen. Fraglich ist aber, ob die Argumente der Verbraucherschützer im Sinn umweltbewusster Konsumenten sind. Seitens der Mitgliedstaaten gibt es ebenfalls Widerstand. Schließlich müssen die Staaten sicherstellen, dass die Marktaufsichten über die erforderliche Technik und Kompetenz verfügen, digital vorliegende Anleitungen zu prüfen.

Doch bereits jetzt zeigt sich ein Umdenken der Europäischen Union und damit der Wille, digitale Anleitungen ausdrücklich zu ermöglichen: In sämtlichen Änderungsoptionen der Kommission ist die Digitalisierung der Anleitungen vorgesehen.

Die Vorarbeit der tekom

Bereits 2016 hat die tekom mit ihrer Richtlinie „eDok“ die Europäische Kommission auf dieses Thema aufmerksam gemacht [2]. Einige Jahre später hat der Fachverband zusammen mit Vertretern weiterer Verbände ein Positionspapier zu diesem Thema initiiert und veröffentlicht [3]. Anschließend haben sich tekom und tekom Europe in vielen Gesprächen und Diskussionen für die digitale Betriebsanleitung eingesetzt, etwa Stake­holder-Feedback-Runden, Public Consultations der Europäischen Kommission zur Überarbeitung der Maschinenrichtlinie und in einem direkten Gespräch mit dem für die Überarbeitung der Maschinenrichtlinie zuständigen Policy Officer der Europäischen Kommission. Diese Arbeit trägt jetzt Früchte.

Links und Literatur zum beitrag

[1]    Impact Assessment SWD (2021) 82 final vom 21. April 2021.

[2]    https://www.tekom.de/die-tekom/publikationen/fachbuecher/detail/bereitstellung-von-nutzungsinformationen-in-elektronischer-form-edok

[3]    https://www.tekom.de/technische-kommunikation-das-fach/wichtige-normen-der-technischen-kommunikation/standard-titel

 

Titelmotiv Ausgabe 04 2021 der technischen kommunikation