Wenn in Seminaren oder Workshops das Thema geschlechtsneutrale Sprache ansteht, dann ist ein Gegrummel kaum zu überhören. Das Thema ist vielen lästig, wobei von der totalen Ablehnung jeder Änderung bis zur radikalen feministischen Position alle Meinungen vertreten sind, interessanterweise bei Männern wie bei Frauen.
Immer mitgedacht?
Eine beliebte Möglichkeit, sich um eine geschlechtsneutrale Sprache zu drücken, ist eine Generalklausel: „Aus Gründen der Verständlichkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für beide Geschlechter.“ Oder noch kecker: „Bei Verwendung der männlichen Formen sind die Frauen immer mitgemeint.“ Aber sind sie das tatsächlich? Und verstehen sich Frauen wirklich einbezogen? Natürlich hat sich inzwischen herumgesprochen, dass Genus und Sexus etwas Verschiedenes sind: Genus eine sprachliche Kategorisierung, Sexus eine biologische Kennzeichnung. Aber beim generischen Maskulinum wie „der Benutzer“ oder „der Leser“, bleibt trotzdem unklar, ob nur Männer oder Männer und Frauen angesprochen sind.
Untersuchungen mit unterschiedlichen Methoden belegen, dass beim Lesen generischer Maskulina häufiger an Männer als an Frauen gedacht wird [1]. Werden Personen danach gefragt, wer ihr beliebtester Maler oder Sportler sei, dann werden beim generischen Maskulinum kaum Frauen genannt, dagegen bei geschlechtsneutralen Formulierungen signifikant mehr.
Orientierung am Adressaten
Sprache dient der Kommunikation und die Adressatenorientierung ist ein Grundprinzip professioneller Kommunikation. Deshalb ist das Anliegen der feministischen Linguistinnen, Frauen sprachlich sichtbar zu machen, durchaus berechtigt und wird sich wohl auch im Sprachgebrauch durchsetzen. Eine Reihe von Untersuchungen führt zu dem Ergebnis, dass sich Leserinnen durch die männlichen Formen weniger angesprochen fühlen. Beispiele: Frauen werden von Stellenanzeigen, die das generische Maskulinum verwenden, weniger zu einer Bewerbung motiviert. Weibliche Personen zeigen ein größeres Interesse an einem Beruf, wenn er geschlechtsneutral beschrieben wird.
Leserlich und verständlich
Oft wird das Argument vorgebracht, dass unter ungewohnten und umständlichen Formulierungen Leserlichkeit und Verständlichkeit leiden. Die deutsche Sprache macht es auch gutwilligen Gendern nicht leicht, vor allem die Pronominalisierung (wer hat seinen Lippenstift liegen lassen) oder Komposita (Rednerinnenpult) stellen Schreibende vor verzwickte Aufgaben. Auch dazu liegen Untersuchungen vor, deren Ergebnisse sich so zusammenfassen lassen: Zwischen Texten mit generischem Maskulinum und unterschiedlichen Alternativformulierengen gibt es keine Unterschiede in der subjektiven Verständlichkeit. Ungewohnte Sprachformen vermindern allerdings die Lesegeschwindigkeit, zum Beispiel beim Binnen-I (RedakteurIn) oder neu geschaffenen Wörtern wie Frauschaft (statt Mannschaft). Das spricht gegen radikale Formulierungen.
Neue Sprachregelungen
Die notwendige Adressatenorientierung und die gleichbleibende Verständlichkeit sind zwei starke Argumente, sich um eine geschlechtsneutrale Sprache zu bemühen, gerade auch bei Technischen Dokumentationen, in deren Zielgruppen meist auch Frauen sind. Inzwischen hat der Duden Empfehlungen ausgesprochen, die auf drastische Eingriffe in die Sprachgewohnheiten verzichten [2]: Doppelnennungen (Dozent/-innen), Abwechseln in festen Wendungen (Damen und Herren, Herren und Damen), substantivierte Partizipien (Dozierende, Gewählte) oder auch sexusindifferente Wörter (Fachkraft; Person).
Eine nützliche Hilfe ist das Genderwörterbuch auf geschicktgendern.de. Der erhöhte Aufwand beim Schreiben lässt sich nicht leugnen, aber nach kurzer Zeit hat man sich an andere Formulierungen gewöhnt. Auch dieser Text ist geschlechtergerecht formuliert.
Der Wandel unserer Sprache
Abschließend soll daran erinnert werden, dass sich die Sprache kontinuierlich wandelt: Lautverschiebungen, Rechtschreibreformen, Übernahmen von Lehnwörtern, grammatische Änderungen wie derzeit das Verschwinden des Genitivs. Wer die Sprache vor Veränderungen schützen möchte, der oder die steht deshalb auf verlorenem Posten, denn der Sprachgebrauch nimmt auch Zeitströmungen und Mentalitäten auf. Die nächste Herausforderung steht schon vor der Tür: Wie soll man Transgender sprachlich einbeziehen, die sich weder als Frau noch als Mann einordnen? Vorschläge wie Asterisk (Lehrer*innen) oder Gendergap (Lehrer_innen) sollen signalisieren, dass es zwischen männlich und weiblich noch weitere Geschlechtsidentitäten gibt. Auf Facebook kann man zwischen 60 wählen.
Literatur zum Beitrag
[1] Alle Quellenangaben zu den referierten Untersuchungen stehen unter dem Wikipedia-Stichwort „Generisches Maskulinum“: https://de.wikipedia.org/wiki/Generisches_Maskulinum
[2] Hennig, Mathilde (Hg). (2016): Das Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle. Berlin: Dudenverlag. Stichwort: geschlechtergerechter Sprachgebrauch, S. 387–395.