Attribute oder die Teile der Teile

Text: Markus Nickl

Sätze sollen kurz sein, damit sie verstanden werden. Das stimmt aber nicht ganz, wenn ein Satz Attribute unterschiedlicher Ebenen aufweist und damit komplex wird. Wie erkennt man das Problem und was lässt sich dagegen tun?

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 04:13 Minuten

Nachdem wir in Ausgabe 04/19 Struktur und Systematik in die Satzteile gebracht haben, sehen wir uns nun die innere Struktur dieser Satzteile genauer an. Denn hier kann sich eine gehörige Portion Komplexität verstecken. Im schlimmsten Fall wird die Zielgruppe unserer Technischen Dokumentation damit überfordert. Daher ist es gut zu wissen, wie Satzteile intern organisiert sind und wie komplex sie sein können.

Innere Komplexität

Sehen wir uns einen Beispielsatz aus einer Anleitung auf seine Satzteile hin an: „So vermeiden Sie die Berührung mit der ungeschützten Haut.“ Anhand der Verschiebeprobe, die wir Ihnen in Ausgabe 04/19 vorgestellt haben, können wir erkennen, dass der Satz einen optionalen Bestandteil hat: „so“. Außerdem enthält er zwei notwendige Bestandteile: „Sie“ und „die Berührung mit der ungeschützten Haut“. Optionale Bestandteile bezeichnen wir als Angaben. In diesem Fall ist es eine Angabe der Art und Weise, also eine Modal­angabe. Notwendige Bestandteile nennen wir Ergänzungen. Hier stehen sie im Nominativ und im Akkusativ. Abbildung 01 veranschaulicht den Satz und seine Teile.

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Abb. 01 Grafische Darstellung unseres Beispielsatzes aus einer Anleitung. Quelle Markus Nickl

Attribute erster und weiterer Ordnung

Um die Komplexität zu verstehen, müssen wir uns den Beispielsatz noch genauer ansehen. In der Akkusativergänzung steckt ja eine deutlich größere Menge an Information als in den beiden anderen Satzteilen. Es wäre deshalb wünschenswert, wenn wir die internen Beziehungen in diesem Satzteil genauer bestimmen könnten. Tatsächlich lässt sich solch eine Hierarchie aufstellen.

Zentrales Element in dieser Akkusativergänzung ist „Berührung“, der Artikel „die“ ist ihm beigeordnet. „Mit der … Haut“ bestimmt „Berührung“ näher; „ungeschützten“ bezieht sich auf „Haut“. So erhalten wir eine Hierarchie der abhängigen Teile in dem Satzteil. Auch sie lässt sich grafisch darstellen – Abbildung 02.

Abbildung 02 macht zum einen die innere Struktur des Satzteils deutlich. Sichtbar wird aber auch, dass die Attribute in diesem Satzteil nicht gleichrangig sind. Es ergibt sich eine Struktur von Abhängigkeiten mit Attributen auf unterschiedlicher Ebene. In diesem Beispiel sind es nur zwei Attribut-Ebenen, die zu beachten sind. Ich habe aber auch Sätze gefunden, in denen Attribute fünf oder sechs Ebenen tief verknüpft waren.

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Abb. 02 Grafische Darstellung der Attribute und ihrer Ebenen. Quelle Markus Nickl

Kleiner Attribute-Zoo

Solche komplexen Attributebenen kommen meist in langen Sätzen vor. Möglich werden diese tiefen Verschachtelungen jedoch nicht nur durch die Satzlänge. Eine ganze Reihe von Wörtern und sprachlichen Fügungen kann als Attribut genutzt werden. Dadurch ergeben sich umfassende Beziehungsstrukturen. Und noch schwieriger wird die Situation dadurch, dass Attribute je nach ihrer Art vor oder nach dem Kern des Satzteils stehen können. Tabelle 01 zeigt, welche sprachlichen Elemente als Attribute taugen.

Quelle Markus Nickl

Tab. 01 Quelle Markus Nickl

Nicht zu den Attributen gehören übrigens Artikel (zum Beispiel „das User-Interface“), Pronomina mit Artikelfunktion (zum Beispiel „diese Programmierung“, „unsere Lösung“) und Präpositionen (zum Beispiel „in Notfällen“). Sie sind dem jeweiligen Bezugswort gleichgeordnet.

Was hilft das nun?

Komplexe Attributstrukturen sind meiner Erfahrung nach eines der häufigeren Probleme in Technischen Dokumentationen. Oft werden sie mit „Nominalisierung“ und „Satzlänge“ kritisiert. Und ein Körnchen Wahrheit steckt auch in dieser Kritik: Der Kern der komplexen Wortgruppe ist oft ein nominalisiertes Verb und komplexe Wortgruppen führen zu längeren Sätzen. Manche Sätze enthalten aber wenige Nominalisierungen und sind auch vergleichsweise kurz. Dennoch verursachen komplexe Attribuierungen dort wahrnehmbare Verständnisschwierigkeiten. Ein weiterer Beispielsatz:

  • „Dass Microsoft die wenig gepflegte und im Vergleich zur Powershell vor allem funktional stark eingeschränkte CMD.exe so gut wie abschafft, ist eigentlich längst überfällig.“

Und seine Überarbeitung:

  • „Microsoft schafft die CMD.exe so gut wie ab. Das ist eigentlich längst überfällig. Die CMD.exe wurde wenig gepflegt und war vor allem im Vergleich zur Powershell funktional stark eingeschränkt.“

Die zweite Formulierung löst die komplexe Attribuierung des Ausgangssatzes auf. In diesem Fall gelingt dies sogar, ohne den Text nennenswert zu verlängern. Oft ist eine kurze Umformulierung aber auch nicht möglich; verständliche Texte müssen manchmal ausführlicher sein. Einige Autorinnen und Autoren kritisieren solche Umformulierungen und behaupten, dass ihre ursprüngliche Variante verständlicher – weil kürzer – sei. In diesen Situationen habe ich schon oft festgestellt, dass sich besonders Fachleute mit technischem Hintergrund leichter überzeugen lassen, wenn man die komplexen Beziehungen des Ausgangssatzes einmal aufzeichnet. Wie das bei unserem Beispielsatz aussieht, zeigt Abbildung 03.

Die Komplexität des ursprünglichen Satzes macht Abbildung 03 schnell deutlich. Dabei ist der Satz in seiner Grundstruktur an sich recht einfach: „Die Abschaffung ist überfällig.“ Man erkennt auch, dass der Satz eine ungleichmäßige Informationsverteilung aufweist. Der Großteil der Aussage steckt im Vorfeld, die restlichen Felder sind im Vergleich dazu schwach besetzt. Diese ungleiche Verteilung und die gesamte Komplexität des Satzes entsteht offensichtlich dadurch, dass die Nominativergänzung (in alter Terminologie das „Subjekt“) durch einen umfangreichen Ergänzungssatz ausgetauscht wurde. Die Visualisierung der Attributstruktur kann also dazu beitragen, sprachliche Diskussionen von der ästhetischen Ebene („Ich finde, das klingt so aber besser.“) auf eine strukturell-funktionale Ebene zu heben („Die Informationsverteilung im Satz ist ungleich. Die Abhängigkeiten sind zu komplex.“). Und das kann uns in der Technischen Redaktion ja nur recht sein.

Mit diesem Beitrag schließen wir das Grammatik-Thema „Satzlehre“ ab. In der nächsten Ausgabe wenden wir uns dann Wörtern und Wortarten zu.

Attribute oder die Teile der Teile