Zeit und Wissen sind das Ziel

Text: Mareike von der Stück

Jeder wünscht sich bestimmt kompetente Mitarbeiter und Kolleginnen. In der Normensprache ist dies nicht nur ein Wunsch, sondern eine Anforderung.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 08:45 Minuten

Die Dokumentationsnorm DIN EN IEC/ IEEE 82079-1, kurz „82079-1“, formuliert ausführlich ihre Grundsätze hinsichtlich des Zwecks von Nutzungsinformation und Informationsqualität. Auch zu weiteren Aspekten nennt die Norm Grundsätze, die Informationen sind aber deutlich reduzierter. Der Abschnitt 5.4 sammelt in wenigen Zeilen eine Vielzahl an Themen, die teilweise in eigenen Kapiteln aufgegriffen werden. Teilweise tauchen sie verteilt an unterschiedlichsten Stellen der Norm auf oder bleiben in der Luft hängen. Dieser Artikel widmet sich – deshalb sehr kleinteilig – der Anforderung aus Buchstabe a) „[Diese Verfahren müssen] so geplant werden, dass ausreichend kompetente personelle Ressourcen zur Informationsentwicklung bereitgestellt werden […]“

Ausreichend Kompetenzen

Wenn die 82079-1 im Abschnitt 5.4 darauf hinweist, dass Informationsentwickler und -entwicklerinnen kompetent sein müssen, kann dies als Vorgriff verstanden werden. Und zwar darauf, dass mit Edition 2 (Ausgabe von 2019) die erforderlichen beruflichen Kompetenzen erstmals einen eigenen Platz erhalten haben: das Kapitel 10.

Das Kapitel enthält eine Liste mit aufgabenbezogenen Kompetenzen. [1] Aufgrund der breiten Anwendbarkeit der 82079-1 ist diese Liste nur grob und beispielhaft zu verstehen. Wichtiger ist deshalb die Anforderung im gleichen Kapitel, dass „Organisationen […] ihren Prozess zur Inhaltserstellung analysieren, die zur Erzielung der erforderlichen Ergebnisse durchzuführenden Aufgaben identifizieren, die zur erfolgreichen Durchführung dieser Aufgaben erforderlichen Kompetenzen evaluieren und die Aufgaben und Verantwortlichkeiten an Personen übergeben, die über diese Kompetenzen verfügen.“ [2]

Dieser Auszug zeigt, dass es um die individuellen Aufgaben der jeweiligen Technischen Redaktion geht – ausgearbeitet zum Beispiel in einer Liste oder Matrix. Neben der Betrachtung der anfallenden Tätigkeiten kann die Aufgabenliste der 82079-1 als Checkliste unterstützen. Ebenso kann der umfangreiche Kompetenzrahmen der tekom als Hilfestellung dienen. [3] Zudem eignen sich beide Hilfsmittel, die Aufgaben direkt mit den benötigten Kompetenzen zu versehen. Überspringen Sie diesen Schritt nicht! Nur durch die Nennung der benötigten Kompetenzen je Aufgabe erhalten Sie einen dokumentierten Überblick darüber, für welche Aufgaben ähnliche oder die gleichen Kompetenzen erforderlich sind. Tabelle 01 zeigt Beispiele für diese Zuordnung.

Tabelle mit einem Überblick von Aufgaben und Kompetenzen.
Tab. 01 Quelle Mareike von der Stück

Scheuen Sie sich nicht, die Aufgaben in Häppchen aufzuteilen. Listen Sie deshalb nicht nur „Betriebsanleitung erstellen“ auf, sondern das, was dazugehört: Text erstellen, Grafiken erstellen, Zeitplanung und Verlaufskontrolle oder auch Recherche. Überlegen Sie zudem, ob Sie die Neuerstellung und Pflege von Nutzungsinformationen separat betrachten wollen. Hier können deutliche Argumentationshilfen für einen Kapazitätsaufbau liegen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein wesentlicher Teil der Arbeitslast auf der Aktualisierung liegt, bei Diskussionen über zusätzliche Kapazitäten aber immer nur die Erstellung für neue Produkte betrachtet wird.

Die Frage der Kompetenz beschäftigt Technische Redaktionen in der Regel auf zweierlei Weise:

  • Welche Kompetenzen benötige ich in welchen Mengen in meiner Redaktion, um meinen laufenden Aufgaben gerecht zu werden?
  • Welche Kompetenzen benötige ich in meiner Redaktion, um meinen Aufgabenbereich zu professionalisieren, zu erweitern oder zu spezialisieren?

Dabei geht es gleichermaßen um die Kompetenzen des bestehenden Personalstamms und um die Anforderungen an Bewerber und Bewerberinnen, die zukünftig Teil des Redaktionsteams werden sollen. Die Übersicht über Aufgaben und erforderliche Kompetenzen erleichtert die Planung von Weiterbildungsmaßnahmen, Formulierung von Stellenausschreibungen sowie Einarbeitungs- und Ausbildungsplänen für neue Kollegen und Kolleginnen.

Planung mit Kompetenzen

Aus einer Übersicht mit benötigten Kompetenzen und vorhandenen Kapazitäten lassen sich – je nach Aufbau der Matrix – folgende Informationen ablesen:

  • Welche benötigten Kompetenzen sind aktuell nicht vorhanden?
  • Welche benötigten Kompetenzen sind nicht in der erforderlichen Kapazität vorhanden? Es empfiehlt sich, die erforderliche Kapazität nicht nur daran zu bemessen, was im störungsfreien Betrieb benötigt wird, sondern auch welche Redundanzen und Backups vorgehalten werden sollen für Ausfälle wie Krankheit oder Kündigung.
  • Welche Kapazität wird sich in der nahen oder mittleren Zukunft reduzieren, beispielsweise durch Renteneintritt oder Elternzeit?

Ein Beispiel für eine Matrix zeigt Tabelle 02.

Entscheidungsmatrix als Tabelle.

Tab. 02 Quelle Mareike von der Stück

Mit diesen Informationen lassen sich Entscheidungen für Weiterbildung und Personalaufstockung gezielter treffen. Beispiele:

Eine vorhandene Kompetenz ist einer benötigten Kompetenz so ähnlich, dass sie mit geringem Aufwand erworben werden kann. Hierbei kann es einfacher sein, eine bereits vorhandene Mitarbeiterin für die benötigte Kompetenz weiterzubilden. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass mit der zusätzlichen Kompetenz nicht gleichzeitig die vorhandene Kapazität steigt. Je nachdem, ob die zusätzliche Kompetenz als Backup oder für den Normalbetrieb benötigt wird, kann zusätzlich zur Weiterbildung des bestehenden Personals eine Neu­einstellung notwendig sein.

Für die benötigte Kompetenz ist fundiertes Wissen über die eigenen Produkte oder gute Kenntnis der internen Prozesse erforderlich. In diesem Fall kann eine interne Stellenausschreibung gegenüber einer externen Stellenausschreibung priorisiert werden.

Eine fehlende Kompetenz wird in ihrer angedachten Kapazität nicht dauerhaft benötigt, zum Beispiel zur Beurteilung rechtlicher Fragestellungen, in der initialen Erstellung von Anforderungskatalogen oder zur Implementierung eines Redaktionssystems. Hier kann ein grundlegender Wissensaufbau kombiniert mit externer Unterstützung helfen.

Die fehlenden Kapazitäten konzentrieren sich auf einen eng eingegrenzten Kompetenzbereich, der es ermöglicht, auch Personen ohne einschlägigen Hintergrund in der Technischen Redaktion einzustellen. Dies ist zwar ohnehin gängige Praxis, jedoch häufig mit dem Gedanken, diese Personen zu maximal qualifizierten Redakteuren weiterzubilden. Wenn der Fokus auf benötigten Kompetenzen liegt, ist dies nicht unbedingt erforderlich. Vielmehr können Aus- und Weiterbildung sich auf die benötigten Kompetenzen konzentrieren, ohne ein Idealbild eines Technischen Redakteurs anzustreben.

Eine genaue Betrachtung von Aufgaben und Kompetenzen ermöglicht es, die Anforderungen an Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen differenziert zu stellen und ihre Neigungen und Talente einzubeziehen. Es ist möglich, sich von dem Wunsch nach einer perfekten Fachkraft zu lösen, die sämtliche Kompetenzen des tekom-Kompetenzrahmens abdeckt. Trotzdem oder gerade deswegen lässt sich eine gut funktionierende Redaktion mit arbeitsteiligen Prozessen, klar zugeordneten Aufgaben und attraktiven Weiterbildungsperspektiven leiten.

Ausreichend personelle Ressourcen

Die Überlegungen, wie Redaktionsarbeit anhand von Kompetenzen betrachtet und geplant werden kann, basieren zunächst auf der Annahme, dass in der Redaktion ausreichende personelle Kapazität vorhanden ist. Alternativ kann diese Kapazität einfach aufgebaut werden. Dies ist jedoch nicht immer der Fall. Viele Redaktionen sind überlastet oder fühlen sich so, auch ohne dass sie vom Fachkräftemangel betroffen sind. Die Gründe sind unterschiedlich:

  • Der Aufwand, angemessene Nutzungsinformationen für die eigenen Produkte bereitzustellen, wird systematisch unterschätzt. Etwa weil davon ausgegangen wird, dass „ohnehin nur das Nötigste“ geliefert wird, weil es „rechtlich nun mal sein muss“; oder weil nach der Anschaffung eines Expertenwerkzeugs wie einem Redaktionssystem erwartet wird, dass das gleiche Ergebnis mit weniger Personal erreichbar ist.
  • Keine Redundanzen: Kompetenzen sind jeweils nur bei einzelnen Mitarbeitenden vorhanden. Prozesse verlangsamen sich oder kommen zum Erliegen, wenn diese Personen erkranken oder aus anderen Gründen ausfallen.
  • Die Aufgaben der Technischen Redaktion sind nicht klar definiert oder nicht klar abgegrenzt. Neben der Erstellung von Nutzungsinformationen werden naheliegende oder völlig fremde Aufgaben in der Redaktion platziert, ohne die Aufwände dafür zu berücksichtigen. Naheliegende Aufgaben können dabei Terminologiearbeit oder Aufgaben aus dem Übersetzungsmanagement sein. Zu den fremden Aufgaben kann beispielsweise das Lektorat von Marketingunterlagen, die Erstellung von anderen Dokumenten oder das Zuliefern von Grafiken für Verwendungszwecke in anderen Abteilungen gehören.

Der eingangs zitierte Satz aus der 82079-1 bezieht jedoch genau diese Passung mit ein: „ausreichend kompetente personelle Ressourcen“ meint nicht (nur), dass die personellen Ressourcen ausreichend kompetent sein müssen. Vielmehr haben ausreichende Ressourcen vorhanden zu sein. Um zu einer besseren Übereinstimmung von Kapazitäten im Team und Aufgabenumfang zu kommen, empfehlen sich folgende Maßnahmen:

  • Konzentration auf die Kernaufgaben
  • klare Abgrenzung und Regelung von Aufgaben, die über die Kernaufgaben hinausgehen
  • Einfordern von Kapazitäten, die dem tatsächlichen Aufgabenumfang entsprechen
  • Einbinden anderer Abteilungen bei naheliegenden Aufgaben
  • Einbinden von Dienstleistern

Welche Maßnahme passend ist oder welche Kombination sich für eine Redaktion eignet, lässt sich nur beantworten, wenn die Situation klar ist. Zunächst gilt es, sich einen Überblick über die Art der Aufgaben zu verschaffen:

  • Was gehört zur Technischen Redaktion?
  • Welche Aufgaben davon sind das Tagesgeschäft, welche Aufgaben unterstützen das Tagesgeschäft, und welche Aufgaben übernimmt Ihre Abteilung zusätzlich?
  • Welche von den zusätzlichen Aufgaben sind naheliegend, und in welche Aufgaben sind Sie „hineingerutscht“ oder liegen aus historischen Gründen in Ihrer Abteilung, ohne einen sachlichen Hintergrund zu haben?

Als Basis für diese Übersicht können Sie die Aufgabenliste oder -matrix verwenden, die Sie zur Ermittlung der Kompetenzen genutzt haben. In der Übersicht der klassifizierten Aufgaben zeigen sich normalerweise schon die ersten Ansatzpunkte, um Personalkapazität und Aufgabenumfang in ein passenderes Verhältnis zu setzen. (Tab. 03)

Tabelle mit Beispielen für Aufgaben und Klassifikationen.
Tab. 03 Quelle Mareike von der Stück

Fremde Nebenaufgaben sind solche aus anderen Unternehmensbereichen. Wenn das Unternehmen möchte, dass die Technische Redaktion das Lektorat für die Informationsprodukte anderer Abteilungen übernimmt, oder wenn die Technische Redaktion diese Aufgaben gerne und bewusst in den eigenen Aufgabenbereich integrieren möchte, müssen hierfür entsprechende Ressourcen bereitgestellt werden. Es kann jedoch nicht erwartet werden, dass die Abteilung diese Aufgaben „einfach so“ mitmacht. Diese Aufgaben sind Dienste, die die Redaktion zusätzlich zu den Kernaufgaben zur Verfügung stellt. Sie müssen daher eingeplant werden.

Ein Beispiel für eine naheliegende Aufgabe ist die Übersetzung. Das Übersetzungsmanagement wird oft als Kernaufgabe der Technischen Redaktion betrachtet, unabhängig davon, dass auch in anderen Abteilungen Inhalte entstehen, die zu übersetzen sind. Wenn im Unternehmen kein Bewusstsein darüber vorhanden ist, dass an unterschiedlichen Stellen Übersetzungen benötigt werden, kann dies zu vielfachen, sich unterscheidenden Übersetzungsprozessen in den betroffenen Abteilungen führen. Glücklich schätzt sich, wer in einem Unternehmen arbeitet, in dem das Übersetzungsmanagement zentral in der Technischen Redaktion abgewickelt wird. Aber ist das tatsächlich ein Glück? Nur dann, wenn die personellen Ressourcen dem Aufkommen an Übersetzungen angepasst sind und die Redaktion nicht mit gleichbleibender Personenstärke zusätzliche Arbeitslast trägt.

Wenn die weitere Übernahme von naheliegenden oder fremden Aufgaben keine Option ist, weil eine Ergänzung des Teams nicht vorgesehen oder möglich ist, kann eine andere Aufgabenverteilung angestrebt werden, entweder intern oder mit externer Unterstützung. Das Lektorat aus dem Beispiel kann ohne Weiteres zurück an den Vertrieb gegeben werden. Die Aufgaben rund um das Übersetzungsmanagement sind so vielfältig, dass eine eigene Abteilung oder eine Ausstattung der Technischen Redaktion mit den nötigen Ressourcen, Kompetenzen und Befugnissen sinnvoll wäre. Wo dies nicht geht, kann ein enges Zusammenspiel mit dem Übersetzungsdienstleister helfen: Minimale Anteile des Übersetzungsmanagements bleiben im Unternehmen und in der Redaktion. Mit größeren Anteilen wird der Dienstleister beauftragt. Dazu können auch das Anstoßen von Lektoraten in Landesgesellschaften, die Entscheidung über zielsprachliche Terminologie oder der Export und Import von Daten in die Software-Systeme des Unternehmens gehören; Aufgaben, die üblicherweise in der Regie des Unternehmens selbst liegen. Ein solches Vorgehen kann als Übergangslösung helfen. Sie verschafft dem Unternehmen Zeit, bis das Übersetzungsmanagement in benötigter Kapazität aufgebaut ist.

Zum Schluss bleibt die Frage, ob die verbleibenden Kern- und Unterstützungsaufgaben zur vorhandenen Personalkapazität passen oder nicht. Hapert es hier, liegt grundsätzlich etwas im Argen: entweder bei der Effizienz, durch ungeeignete oder fehleranfällige Prozesse oder fehlende Toolunterstützung oder auch durch fehlende Sichtbarkeit der Abteilung und ihrer Bedarfe im Unternehmen. Eine erste Verbesserung kann das Einbinden eines Dienstleisters sein. Das verschafft der Technischen Redaktion Luft, um sich um die tieferliegenden Ursachen der Überlastung zu kümmern. Wählen Sie die Aufgaben für den Dienstleister so aus, dass die Personen, die Sie für die Ursachensuche und -behebung benötigen, möglichst gut entlastet werden. Dabei hilft die Übersicht und Klassifikation der Aufgaben sowie die Zuordnung zu den benötigten Kompetenzen. Wenn Sie beispielsweise Mitarbeiterin 2 und Mitarbeiter 4 aus Tabelle 02 für diese interne Aufgabe benötigen, entfallen sämtliche Kapazitäten für die Aufgabe 2. Diese Aufgabe würde dann vollständig an einen Dienstleister übergeben. Für die Aufgabe 1 müssen Sie prüfen, ob die angenommene, benötigte Kapazität 3 bereits einen Backup-Plan beinhaltet und ob die Teammitglieder MA 1 und MA 3 die Arbeit der Mitarbeiterin 2 mit auffangen können. Andernfalls ist auch dies eine Aufgabe, mit der ein Dienstleister beauftragt werden kann.

Links und Literatur zum Artikel

[1] DIN EN IEC/IEEE 82079-1, Kap. 10.2 Aufgabenbezogene Kompetenzen.

[2] DIN EN IEC/IEEE 82079-1, Kap. 10.1 Allgemeines.

[3] Kompetenzrahmen der tekom: www.tekom.de/technische-kommunikation-das-berufsfeld/kompetenzrahmen

Sprinter laufen ins Ziel.