Mit Struktur zum Verständnis

Text: Matthias Schulz

Wie keine andere Norm für die Technische Redaktion macht die neue IEC/IEEE 82079-1 Vorgaben zur Zielgruppe. Die Vorgaben umzusetzen, etwa in der Struktur eines Handbuchs, bedeutet zunächst mehr Aufwand. Am Ende zahlt er sich aber aus.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 08:34 Minuten

Die Norm IEC/IEEE 82079-1 Edition 2 ist gerade eben (Mitte Mai) als Europanorm angenommen worden. Jetzt scheint es sicher, dass auch die deutsche Fassung noch dieses Jahr erscheinen wird. In der gründlich aufgeräumten Norm steht fast jede ihrer Forderungen im Zusammenhang mit der Zielgruppe. Das gilt auch für die Struktur von Nutzungsinformation und die Verständlichkeit.

So findet sich in Abschnitt 5.2.3 von IEC/IEEE/EN 82079-1 (hier kurz EN 82079-1) eine frappierend einfache Anforderung von weitreichender Bedeutung: „Nutzungsinformationen müssen in Hinblick auf die erwarteten Aufgaben und Ziele der Zielgruppe nutzbar und für sie relevant sein.“ (Die deutsche Fassung von EN 82079-1 verwendet Information in der Einzahl und der Mehrzahl. Persönlich halte ich dies für falsch und verwende das Wort nur in der Einzahl, außer in Zitaten aus der Norm.)

Daraus lassen sich für mindestens drei Aspekte der Anleitungserstellung Schlussfolgerungen ableiten (Abb. 01):

  1. die Auswahl und Strukturierung der Inhalte
  2. die verständliche Gestaltung von Texten und Illustrationen
  3. die Auswahl des Mediums und der Informationsmittel

Betrachtet man etwa Betriebsanleitungen für Maschinen, dann stellt man fest, dass sie fast immer nach den so genannten Lebensphasen gegliedert sind (von Transport und Installation, über Betrieb hin zur Demontage und Entsorgung). Fast immer hält die Branche auch standhaft am „Buchdenken“ fest und präsentiert alle Inhalte zu diesen Lebensphasen in einem einzigen Band. Das führt zu „Hand“büchern von mitunter 500 und mehr Seiten, und zwar ungeachtet der zur Erstellung genutzten Mittel. Auch Firmen, die ein Redaktionssystem einsetzen, weichen kaum von diesem Konzept ab. EN 82079-1 empfiehlt in Kapitel 8.1 jedoch etwas anderes. Es heißt dort: „Lange und komplexe Nutzungsinformationen müssen klar in geeignete Teile unterteilt werden und eine konsistente Darstellung aufweisen. Nutzungsinformationen sollten in Kapitel oder Abschnitte unterteilt werden, wenn deutlich unterscheidbare Zielgruppen angesprochen werden sollen, z. B. Installateure und Reparaturtechniker.“

Übersicht mit den Aspekten Aufgaben und Ziele, Nutzen sowie Relevanz

Abb. 01 Auswirkung der Zielgruppenorientierung auf Struktur und Verständlichkeit. Quelle Matthias Schulz

Diese Anforderungen sind berechtigt; denn sehr umfangreiche Anleitungen, die den gesamten Lebenszyklus abbilden, enthalten meist einen unbefriedigenden Mix aus Information für unterschiedliche Zielgruppen. In kaum einem Kapitel der Anleitung fällt das so sehr auf wie im Kapitel „Sicherheit“. Meist enthält es Sicherheitshinweise für alle Zielgruppen, jedoch in einer unbefriedigenden Zusammenstellung. Darin dominiert als Ordnungskriterium für Inhalt und Struktur nicht die Zielgruppe, sondern meist erneut die Lebensphase oder (noch schlimmer) die Art der Gefährdung.

Handbücher für die Zielgruppe

In einem sehr umfangreichen Handbuch lässt sich der Zugang zur Information erleichtern, wenn man die einzelnen Kapitel den Zielgruppen zuordnet. Einige Hersteller versuchen dies im Inhaltsverzeichnis durch spezielle Hervorhebungen (farbliche Hinterlegung oder eine zusätzliche Spalte, die die jeweilige Zielgruppe angibt). Das ist jedoch kaum mehr als Kosmetik. Die eigentliche Zielgruppen-Mixtur bleibt meist erhalten.

Will man konsequent zielgruppenorientierte Nutzungsinformation umsetzen, sollte man mehrere Handbücher erstellen, die nur bestimmte Zielgruppen ansprechen – im Idealfall jeweils nur eine. Dies ist ohne weiteres möglich, wenn die Zielgruppen klar voneinander abgegrenzt sind oder mehrere Lebensphasen einer Zielgruppe zugeordnet werden können, zum Beispiel Installation und Instandhaltung (Abb. 02). Wichtig zu verstehen: Wenn etwa die Maschinenrichtlinie eine „Betriebsanleitung“ fordert, bedeutet dies keineswegs, dass alle geforderten Inhalte in einem Handbuch enthalten sein müssen.

Aufteilung eines Handbuchs nach den Anforderungen einer Zielgruppe.

Abb. 02 Vergleich eines Handbuchs für mehrere Zielgruppen und von verschiedenen Handbüchern für mehrere Zielgruppen. Quelle Matthias Schulz

Liefert man zu einem Produkt (einer Maschine) mehrere zielgruppenspezifische Handbücher, dann ist jedes dieser Handbücher Teil der „Betriebsanleitung“ im rechtlichen Sinne. Es ist auch nicht gefordert, dass die „Betriebsanleitung“ einen bestimmten Titel trägt. Wählt man diese Lösung, sollte jedoch in jedem der Handbücher eine Übersicht enthalten sein. Die Übersicht zeigt, welche Handbücher es gibt, was sie enthalten und für wen sie gedacht sind (Tab. 01).

Vier Teile für unterschiedliche Zielgruppen.

Tab. 01 Quelle Matthias Schulz

Wenn man von einem umfangreichen „Mixtur-Handbuch“ zu mehreren zielgruppenspezifischen Handbüchern übergeht, kann man nicht nur die Information für die jeweilige Zielgruppe spezifisch zusammenstellen. Vielmehr können auch erst dann die zur Darstellung gewählten Mittel an deren Bedürfnisse angepasst werden. Zielgruppen mit hoher fachlicher Qualifikation benötigen möglicherweise nur Übersichten, Zeichnungen und grundlegende Anweisungen. Mehrere Schritte eines Handlungsablaufs können für sie zusammengefasst werden, da man Kenntnis der erforderlichen Details voraussetzen kann. Die Zielgruppenorientierung erlaubt es auf diese Weise, auch das Minimalismusprinzip anzuwenden und daher nur erforderliche Information einzuschließen.

Ist die Anleitung hingegen für eingewiesene Personen ohne spezifische Fachqualifikation gedacht, müssen Abläufe detailliert in allen Einzelschritten beschrieben werden – ein Beispiel in Tabelle 02. Für das Fachpersonal sind Öl- und Ölfilterwechsel ein bekannter Ablauf zur Vorbereitung der Demontage des Zylinderkopfes. Die Vorgehensweise kann als bekannt vorausgesetzt werden. Für angelerntes Personal ohne Fachqualifikation wäre die Anweisung „Öl- und Ölfilterwechsel“ hingegen nicht mehr als die Überschrift für eine detaillierte Schritt-für-Schritt-Handlungsanweisung.

Detaillierungsbeispiel für das Wechseln von Öl und Ölfilter.

Tab. 02 Quelle Matthias Schulz

Besonders interessant ist die Aufteilung auf mehrere Handbücher bei den oft sehr umfangreichen Sicherheitskapiteln. Die Fülle an Sicherheitshinweisen erschlägt so manchen Leser. Wenn man jedoch mehrere Handbücher erstellt, lassen sich die Sicherheitshinweise den Zielgruppen zuordnen. Statt alle zu zwingen, alles zu lesen und dann selbst zu entscheiden, was tatsächlich auf die eigene Tätigkeit zutrifft, können die Sicherheitshinweise für die jeweilige Zielgruppe und deren Aufgaben zusammengestellt werden. So muss jeder weniger lesen und die sicherheitsbezogenen Hinweise kommen mit größerer Wahrscheinlichkeit bei denen an, die sie betreffen.

Tabelle 03 zeigt die Inhaltsverzeichnisse der drei Sicherheitskapitel, die in den einzelnen Handbüchern einer mehrbändigen Betriebsanleitung enthalten sind. Es fällt auf, dass nur eines der Handbücher ein größeres Sicherheitskapitel enthält, das auch grundlegende Sicherheitsinformation für den Betreiber umfasst. In jedem der Sicherheitskapitel ist das Kernstück eine zielgruppenspezifisch zusammengestellte Liste von Anweisungen für die jeweilige Personengruppe. Die Liste behandelt nur Risiken, die für die Zielgruppe und deren Aufgaben relevant sind. Auch für den Betreiber hat dies Vorteile: Er kann diese Inhalte rasch zu Schulungsinhalten für interne Sicherheitsunterweisungen umfunktionieren. Und sie eignen sich auch zur Ergänzung seiner Betriebsanweisungen.

Je nach Aufgabe variieren die Inhalte des Sicherheitskapitels.

Tab. 03 Quelle Matthias Schulz

Nach der Funktion strukturieren

Die Anforderungen an die Strukturierung in EN 82079-1 beziehen sich jedoch nicht nur auf das Prinzip der Zielgruppenorientierung, sondern vor allem auf die Funktion der Information. Welchem Zweck eine Information dient, sollte maßgeblich deren Struktur und Gestaltung bestimmen. Dahinter steckt als Prinzip das fünfstufige Textplanungsmodell, das Schreibprofis oft empfohlen wird; hier ausnahmsweise durch fünf Fragen dargestellt:

  • Für wen?
  • Zu welchem Zweck/mit welchem Ziel?
  • Welche Details sind erforderlich, um den Zweck/das Ziel zu erreichen?
  • Was ist die optimale Reihenfolge / Struktur der Information?
  • Wie lässt sich die Information am besten darstellen (Wahl der Mittel und Medien)?

Die Reihenfolge ist dabei zwingend. Erst wenn Zielgruppe, Zweck und erforderliche Inhalte festgelegt wurden, sollten Struktur und Gestaltung darauf abgestimmt werden („Form follows function“). Die vierte Frage berührt die Struktur und die fünfte die Gestaltung. Dabei hat die Gestaltung häufig vor allem den Zweck, die Struktur sichtbar zu machen – denn gestalten heißt ordnen.

Neben der Zielgruppe ist vor allem der Zweck der Information entscheidend (2. Frage/Stufe). In Anleitungen hat Information in der Regel einen von drei Zwecken:

  • Beschreibung von Dingen und Konzepten (Begriffen)
  • Anleitung zum Handeln (Schritt-für-Schritt-Anleitungen)
  • Auffinden zusätzlicher, in einer bestimmten Situation erforderlicher Information

In EN 82079-1 werden diese drei Informationsarten als grundsätzliches Konzept für die Strukturierung von Informationen empfohlen (Tab. 04). Dieses Informationsmodell ist nicht neu, doch wird es erstmals einer breiten Fachöffentlichkeit zur Anwendung empfohlen.

Beschreibende, anweisende und referentielle Information.

Tab. 04 Das Informationsmodell der EN 82079-1. Quelle Matthias Schulz

Handlungsanleitungen strukturieren

Insbesondere für Handlungsanleitungen präsentiert die Norm in Kapitel 8.3.4 ein detailliertes Umsetzungskonzept. Tabelle 05 illustriert es an einem Beispiel. Demnach werden Handlungsanweisungen am besten in drei Hauptabschnitte gegliedert:

  1. Einleitung mit Zweck, erforderlichen Voraussetzungen und Mitteln sowie Warnungen und Information zu Vorsichtsmaßnahmen
  2. Handlungsschritte abwechselnd mit dem jeweiligen Ergebnis des Schritts
  3. Information zum Resultat, zur Überprüfung des Resultats und ggf. zu weiterführenden Aufgaben

1. Zweck und Voraussetzungen; 2. Handlungsschritte und Ergebnis; 3. Endergebnis.

Tab.05 Quelle Matthias

Beschreibendes strukturieren

Bei beschreibender Information, die Konzepte (Begriffe) erklärt, wird es deutlich schwieriger, ein einheitliches Informationsmodell zu erarbeiten. Die Strukturierung der Information und deren Darstellung hängen hier ebenfalls vom Zweck ab. Abschnitt 8.2 von EN 82079-1 ordnet der beschreibenden Information fünf Informationsarten/Zwecke zu (es gibt jedoch viele weitere):

  • Details zur Nutzungsinformation selbst (Über diese Anleitung, Darstellungskonventionen)
  • Beschreibung und Identifizierung des Produktes und seiner Komponenten (Aufbau und Funktion)
  • Beschreibung von Bedienelementen und Anzeigen (Schalter, Hebel, Displays, Leuchten)
  • Prozessbeschreibung (Anwendungsfall oder Betriebskonzept)
  • Sicherheitshinweis (nicht zu verwechseln mit dem Warnhinweis, der Bestandteil von Handlungsanleitungen ist)

Abhängig vom Zweck lässt sich für jede Informationsart ein Ziel definieren und darauf basierend die ideale Struktur festlegen. Zum Beispiel soll die „Beschreibung und Identifizierung des Produktes und seiner Komponenten“ dem Leser helfen, das Produkt und seine Eigenschaften kennenzulernen. So kann er es anschließend erfolgreich nutzen. Dabei empfehlen sich drei mögliche Strukturierungen:

  • vom Bekannten zum Neuen
  • von dem, was vor Augen erscheint, zum Verborgenen (zum Beispiel der Funktion, dem Zweck, der Bedeutung)
  • vom Einfachen zum Komplexen

Entscheidet man sich für „von dem, was vor Augen erscheint, zum Verborgenen“, wird man jeden Abschnitt zur Beschreibung eines Produktmerkmals wie folgt aufbauen:

  • Benennen des Gegenstandes und des Ortes (Einzugstation an der Bedienseite links)
  • Abbildung (Bild der Einzugstation)
  • Erläutern der Funktion (Die Einzugstation führt der …)
  • Erläutern des Zwecks und ggf. der Bedeutung

Man wird nicht in einem Abschnitt mit der Funktion beginnen und in einem anderen mit der Abbildung. In einem Style-Guide kann man den Strukturelementen zusätzlich grammatische Formen zuweisen, so dass Abschnitte mit vergleichbarer Funktion auch vergleichbar formuliert werden. Dies hat mehrere Vorteile:

  • Der Leser gewöhnt sich an die Struktur; das erleichtert ihm die Informationsaufnahme.
  • Die Struktur führt den Technischen Redakteur bei der Bearbeitung; er spart Zeit und produziert verständlichere Informationsprodukte.
  • Es erleichtert die Wiederverwendung von Blöcken, da diese einheitlich strukturiert und gestaltet sind; dies spart Kosten für Erstellung und Übersetzung.
  • Die Strukturierung von Information optimiert somit gleichzeitig die Verständlichkeit (Folgerichtigkeit, Nachvollziehbarkeit, Relevanz im behandelten Kontext). Und sie bildet zusätzlich den Rahmen für die „handwerkliche“ Seite der Verständlichkeit: Prägnanz, Konsistenz, Einsatz der optimalen grammatischen Strukturen und Auswahl der Terminologie, Symbolik und Grafik.

Die Kundenbindung steigt

Der entscheidende Ansatzpunkt zur Anwendung von EN 82079-1 und damit zur Verbesserung der Informationsqualität von Nutzungsinformation (Anleitungen) ist die Zielgruppenorientierung. Wenn wir uns entscheiden, auf der Basis einer sorgfältigen Zielgruppenanalyse separate Informationsprodukte für jede Zielgruppe zu erstellen, eröffnen sich zahlreiche Möglichkeiten zur Optimierung von Struktur und Verständlichkeit. Wer diesen Schritt wagt, hat zwar viel Arbeit vor sich. Sie lohnt sich aber für Hersteller und Nutzer, weil die Kommunikation verbessert wird. Davon hängen auch Erfolg und Zufriedenheit bei der Produktnutzung ab. Zufriedene Kunden, die mit dem Produkt erfolgreich arbeiten können, bleiben einem Hersteller und seinen Produkten treu.

Vorgaben zur Zielgruppe in der IEEE/IEC 82079-1