Unternehmen tragen die Verantwortung, eine Kultur und Infrastruktur zu schaffen und zu pflegen, die eine reibungslose Kommunikation ermöglicht. Kommen sie dieser Aufgabe nur halbherzig nach, ist auch das Ergebnis nur halbherzig: Kommunikationsblockaden entstehen und führen zu Frust. Mitarbeiter ziehen sich zurück in überschaubare Einheiten, in denen sie unter sich sind. Für den Moment fühlt sich das gut an; langfristig führt es zu sinkender Produktivität, Motivationsverlust, Genügsamkeit und Kündigungen – inneren oder tatsächlichen.
Dieser Beitrag richtet sich an Technische Redakteure, die sich über „die da oben im Marketing und Vertrieb“ regelmäßig die Haare raufen. Er ist auch für Mitarbeiter aus der Marketingabteilung gedacht, die Technische Redakteure nur als blassgrüne Aliens kennen. Als Manager erhalten Sie erste Handlungsempfehlungen, um Ihren Bereich oder Ihre Abteilung in Richtung einer Kollaborations- und Kommunikationskultur zu bewegen; für die Blätter am Hierarchiebaum gebe ich Anregungen, um mit „Management von unten“ Lösungen voranzubringen.
Die drei teuersten Blockaden
Störungen sind natürlicher Teil der Kommunikation, ganz gleich ob zwischen Teams, einzelnen Menschen oder in unseren eigenen Köpfen. Sie werden erst dann zur Blockade, wenn man sie nicht als nützliches Feedback, sondern als Problem bewertet.
Ein Beispiel: Ignoriert der Marketingexperte beständig Anfragen aus der Technischen Redaktion, mag es aus dessen Sicht keine Blockade sein, sondern ein Schutz seiner wertvollen Arbeitszeit. Informiert die Redaktion das Marketing nicht rechtzeitig zum Kampagnenstart über neue Datenblätter, ist das aus Sicht des Marketing eine Verletzung der Bringschuld; aus Sicht der Redaktion hätte Marketing ja auch mal nachfragen können, bevor dort die Mitarbeiter loslegen.
Bevor man sich versieht, vermischen sich Sach-, Gefühls- und sogar Politik- sowie Vertragsebenen, und die „Marketingmenschen“ und „TechDoc-Menschen“ sehen einander als „Flyerfabrik“ und „Formularfüller“. Kommunikationsmücken werden zu Elefantenhaufen und kosten Zeit, Geld und Nerven. Silos verfestigen sich, und nach einiger Zeit scheint es, als wäre es schon immer so gewesen.
Aus der Vielzahl der möglichen Blockaden habe ich für diesen Beitrag drei der teuersten ausgewählt.
Blockade 1: Wissen über „die Anderen“
Im Mail-Programm macht es ping, ein Briefing flattert in den Posteingang. Spontane Reaktionen wie „Was hat Marketing sich denn dabei wieder gedacht?“ sind typische Symptome für die teuerste und strukturell am einfachsten zu lösende Blockade: Unklarheit über Aufgaben und Leistungen der jeweiligen Abteilungen und deren Mitarbeiter lässt Potenzial brachliegen.
Oft hörte ich von Mitarbeitern in Abteilung A die Frage, was genau „die da in Abteilung B“ eigentlich den ganzen Tag machen. Nur selten abfällig gemeint, drückte sie immer aus, wie wenig man über Sinn und Zweck der Arbeit seiner Kollegen Bescheid weiß. Dies ist jedoch nicht nur ein Informationsdefizit: Es genügt nicht zu wissen, dass Kollegin A für die Technische Dokumentation von Produkt B zuständig ist. Wesentlicher ist es zu wissen, wieso diese Aufgabe wichtig ist und mit welchen Zielen Kollegin A ihre Arbeiten ausführt. Das Unwissen über Sinn und Zweck „der Anderen“ führt zu emotionalen Defiziten, und diese machen Kommunikationsstörungen zu Blockaden.
In vielen Fällen geht das Problem noch tiefer: Nicht, dass die eine Hand nicht wüsste, was die andere macht – sie weiß gar nicht, dass es überhaupt noch andere Hände gibt. Diese anderen Hände sind innerbetriebliche Abteilungen ebenso wie externe Dienstleister: Die von Abteilungen eigens budgetierten Agenturen können keine optimale Arbeit liefern, wenn unternehmensintern nicht jedem klar genug ist, wer was kann, wer wen wann weshalb wofür eingesetzt hat und welche Ergebnisse erzielt wurden.
Vielleicht kann der Blog-Beitrag, an dem das Marketing gerade schreibt, mit Hilfe der Technischen Redaktion verbessert werden? Oder die nötigen Inhalte liegen dort schon vor und können verwertet werden? Vielleicht arbeiten die Übersetzer in der Redaktion mit Persona-Definitionen, die das Marketing noch nie gesehen hat. Vielleicht weil dort noch keiner auf die Idee gekommen ist, dass Übersetzer und Lokalisierungsexperten mit Persona-Definitionen arbeiten? Und vielleicht hat eine Agentur für Technische Kommunikation schon eine Lösung für ein Problem parat, mit dem das Marketing täglich kämpft?
Diese Fragen nicht beantworten zu können, weil es keine Informationsinfrastruktur zwischen den Abteilungen gibt, ist ein Problem; ein größeres ist es, wenn man sich die Fragen gar nicht stellen kann. So wird es schwierig bis unmöglich, sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsam etwas zu leisten, das allen nützt.
Blockade 2: Keine Strategie
Durch den medialen Einfluss des Content-Marketings hat sich die gängige Definition von Content in Richtung „Texte, Bilder und Videos, die dem Marketing dienen“ verschoben. Tatsächlich umfasst Content alle konkreten medialen Einheiten wie Text oder Bild, die unternehmensintern und -extern Information vermitteln und zielgerichtet Aktionen auslösen können. Kommentare in der CRM-Datenbank und Meeting-Protokolle sind damit ebenso Content wie Blog-Beiträge, Quellcode mitsamt Kommentaren, außerdem Helpdesk-Wissensdatenbanken, Tweets und Facebook-Posts. Zusammengefasst:
- Externer Content vermittelt neben Information vor allem Vertrauen: die Grundlage aller Geschäftsbeziehungen. Die Broschüre, die ein Vertriebsmitarbeiter beim Kunden lässt, ist stellvertretend für Mitarbeiter, Produkt und Unternehmen.
- Interner Content strukturiert das Unternehmen. Er ist greifbares, reproduzierbares und messbares Ergebnis von Kommunikationsprozessen und damit ein ideales Vehikel, anhand dessen Workflows optimiert werden können.
Viele Unternehmen begreifen Content jedoch als Kostenstelle und nicht als bereichsübergreifendes Profit-Center. Daher entkoppeln sie Content-Prozesse von anderen wertschöpfenden Geschäftsprozessen. Symptomatisch ist, dass die Wirkung von Content oft anhand von „vanity KPIs“ bewertet wird. Die sehen gut aus, haben aber wenig geschäftliche Relevanz, zum Beispiel Pageviews oder Anzahl der Facebook-Likes. Die Wirkung von internem Content hingegen wird selten gemessen, wenn überhaupt.
Mangelndes Bewusstsein über manifeste Kommunikation (= Content) führt zur Abwertung der Rolle der Content-Strategie, und dies wiederum sorgt regelmäßig für Kommunikationsblockaden. Denn ohne sich eingängig mit den wertschöpfenden Aspekten von Content zu befassen, können Störungen weder umfassend gemessen noch behoben werden.
HUMANE CONTENT-WORKFLOWS: PRINZIPIEN |
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Inf. 01 (Quelle: Mathias Maul)
Blockade 3: Kompetenz ist unersetzbar
Alle Mitarbeiter und Agenturen sollten mit wenig Aufwand alle wesentlichen Informationen über die Arbeit und Ergebnisse der Kollegen haben. Doch sogar in Unternehmen der Hochtechnologie werden noch heute Flipchart-Fotos aus Meetings in „Word“-Dateien gepackt und als Protokolle an den E-Mail-Verteiler verschickt. Die Schäden durch Zeit-, Geld- und vor allem Potenzialverlust aufgrund solch archaischer Abläufe sind enorm.
Modernisierungsinitiativen entstehen häufig auf Teamebene, weil auf operativer Ebene die Probleme besonders schmerzhaft sind. Also installiert man „mal eben schnell“ ein Wiki oder legt (noch) einen Account bei Trello an. Wenn Sie können, zählen Sie mal durch: Wie viele Wikis sind auf den Servern Ihres Unternehmens installiert? Nur ein paar Mausklicks, und schon ist das Intranet um einen Platz zur Kollaboration reicher, den man so lange benutzt, bis der Schmetterling zur nächsten Blüte flattert. Dutzende verwaiste Installationen von Wikis, Foren, Chat-Systemen und Microblogging-Diensten verkapseln wertvollen Content, weil sie es nicht schaffen, die Teamgrenze zu überspringen oder nach kurzer Zeit durch das Neueste vom Neuen ersetzt werden ... weil es neu ist.
Auch bei größer angelegten, teamübergreifenden Initiativen ist mir nie ein Fall begegnet, in dem die bloße Installation eines Tools bestehende Blockaden gelöst hätte. Denn je größer die Initiative, desto weniger Zeit und Herz wird darauf verwendet, das Wieso, Weshalb und Warum eines neuen Tools zu kommunizieren und dafür Sorge zu tragen, dass es jeder gerne benutzt.
Content ist manifeste Kommunikation. Wenn dessen Erstellung und Steuerung im Argen liegt, ist eine heterogene Content-Tool-Landschaft Teil des Problems: Technische Redakteure denken in XML. Einen Marketer schüttelt es im ganzen Körper, wenn er den Broschürentext in XML liefern und dazu noch Software benutzen soll, mit der er sich unkreativ fühlt. Die so entstehenden Emotionsdefizite verstärken die Informationsdefizite und tragen zu Kommunikationsblockaden bei. Sie versucht man gerne zu lösen, indem einfach noch ein Tool installiert wird. Und dann? „Achhh, ich hab’ das Log-in vergessen. Egal, dann maile ich’s schnell mal als Meeting_30.06.17_FINAL.docx rum.“
Blockaden lösen – in 99.273 Schritten
Menschlich-kommunikative Störungen lassen sich nur beschränkt durch Ingenieurswissen lösen, denn das Wissen um die Ursachen zeigt nicht automatisch den Weg zur Lösung. Ganz im Gegenteil kann übermäßiges Analysieren eine Veränderung behindern oder sogar sabotieren. Und weil Blockaden stark systemisch miteinander verknüpft sind, gibt es keine einfachen Wenn-Dann-Lösungsregeln. Das gilt beim „Debuggen“ von innerbetrieblichen Blockaden genauso wie bei innerpsychischen Produktivitäts- oder Kreativitätsblockaden.
Wählen Sie aus den folgenden Maßnahmen also zunächst eine aus, die Ihnen für den Beginn am sinnvollsten erscheint, und wenden Sie die Maßnahme konsequent an. So lange, bis Sie sicher messen können, ob und welche Verbesserungen sich einstellen.
Grundlegende Prinzipien
Zunächst möchte ich auf drei generelle Change-Prinzipien eingehen. Sie helfen vor allem dann, wenn Sie „für so etwas eigentlich gar keine Zeit“ haben. Prägen Sie sich diese Prinzipien ein und überlegen Sie jeden Tag, wofür Sie nützlich sind, auch wenn es nur für Minuten ist:
- Systeme sind nicht nur gekoppelt, sie sind verstrickt. Auch in kleinen Unternehmen lässt sich das ganze Ausmaß der Dynamik zwischen Personen, Teams und Abteilungen nur erahnen. Durch die vielen undurchsichtigen Abhängigkeiten kann nur der Versuch zeigen, welche Wirkung es hat, wenn man an einem Teil des Systems wackelt.
- Besser konsequente, kleine und konkrete Schritte von unten als große Pläne von oben. Definieren Sie nicht die Unternehmensvision oder -mission zum x-ten Mal neu, sondern schauen Sie konsequent auf die Menschen, die an den Blättern der Hierarchiebäume ihre Arbeit machen. Vertrauen Sie darauf, dass sich Änderungen an diesen Stellen automatisch auf Team-, Abteilungs- und Bereichsebene ausdehnen werden, vor allem dann, wenn Mitarbeiter die Teams wechseln.
- Verantwortung fließt in alle Richtungen. Fordern Sie Verantwortung ein, von oben und unten sowie zentral und dezentral. Dokumentieren Sie alle Maßnahmen so, dass sie für alle Beteiligten transparent sind (Meetings sind dafür der am wenigsten geeignete Ort). Arbeiten Sie mit Push-Maßnahmen (zum Beispiel aus gelösten Tickets generierte Digest-E-Mails) oder schaffen Sie neue Kanäle: Wie wäre es zum Beispiel mit einem Statusmonitor neben der Kaffeemaschine im Pausenraum, der über die API Ihres Ticketing-Tools die neuesten Erfolge der Kommunikationsverbesserung zeigt?
VERÄNDERUNGSEBENEN |
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Dies ist ein vereinfachtes Schema, um Veränderungsprozesse zu strukturieren. Die Veränderung ist typischerweise umso stabiler, je konsequenter die Change-Prozesse auf den untersten Ebenen initiiert und durchgeführt werden. Mission-Statements setzen auf den obersten Ebenen an und müssen damit vage genug sein, um alle anderen Ebenen zu enthalten, und bewirken: nichts. Die Arbeit an konkreten Kontexten und Verhaltensweisen ist durchaus aufwendiger als das Formulieren von großen Sätzen, bringt dafür auch schnell messbare Ergebnisse.
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Inf. 02 (Quelle: Gregory Bateson/Robert Dilts; zusätzlich Beispiele in Klammern)
Maßnahme 1: Terminologie als Brücke
„Nein, die Terminologie der Technischen Redaktion reicht uns nicht, wir haben unsere eigene gemacht.“ Dieser reale Fall eines Marketingteams mit Sonderterminologie ist nur eines von vielen Beispielen: Ein Team optimiert seine Arbeit, ohne dass andere Teams oder Abteilungen davon profitieren können.
Dabei ist Terminologie ein einfaches – und in vielen Unternehmen wenigstens in Grundzügen angelegtes – Mittel, um eine erste Brücke zwischen Marketing und Technischer Redaktion zu schlagen. Bei Festlegung und Pflege der Terminologie sollten natürlich beide Bereiche beteiligt werden: Schon die dann unvermeidliche Diskussion über Termini kann der Beginn einer fruchtbareren Kommunikation sein.
Maßnahme 2: Content wertschätzen
Die Wirkung von Content ist plan- und messbar und überschreitet von Natur aus Abteilungs- und Bereichsgrenzen. Wer dies versteht, für den ist der Schritt vom Kostenfaktor zum Unternehmenswert klein. Jeder, der Content verfasst, muss wissen, wer ihn in welchen Kontexten rezipiert, was die beabsichtigten Reaktionen sind und welche Ziele erreicht werden sollen. Dies unternehmensübergreifend zu planen und zu steuern ist Aufgabe der Content-Strategie: Die Kopplung von Geschäftsprozessen mit einem lebendigen, zielgerichteten System aus Inhalten.
Durch strategischen Umgang mit Content schaffen Unternehmen die Grundlage zum unternehmensweiten Content-Re-Use und Re-Purposing und verbessern nahezu nebenbei die Kommunikation zwischen Teams, Abteilungen und Bereichen. Wenn Ihr Unternehmen noch keine Stabsstelle für Content-Strategie hat, sind Mitarbeiter aus den Lokalisierungsteams oft die erste Wahl, um diese Aufgabe zu übernehmen. Das Hineindenken in Nutzer und Kontexte gehört zu deren Kerngeschäft, und sie bekommen typischerweise Input aus allen Abteilungen. Beides macht sie besonders geeignet, um contentstrategische Arbeit zu leisten.
Maßnahme 3: Silos lieben lernen
Sie sitzen beim Abendbrot mit Ihren Lieben. Es klingelt, Sie stehen auf und öffnen. Ein Herr im dunkelgrauen Dreiteiler sagt, er sei gekommen, um die Wände Ihrer Wohnung einzureißen. „Essen Sie nur weiter“, sagt er, räuspert sich, zieht dann einen Vorschlaghammer aus der Aktentasche und holt Schwung.
„Wir müssen die Silos einreißen!“, schallt es immer wieder aus der Change-Literatur. Aber wie mag es sich wohl anfühlen, wenn man im Silo sitzt, umgeben von den lieben Kollegen … und dann kommt ein Berater mit dem Hammer vorbei?
Mit dieser zynischen Metaphorik ist niemandem geholfen. Schließlich entstehen Silos nicht aus Böswilligkeit, sondern aus Notwendigkeit, ob geplant oder ungeplant. Innerhalb des Silos sind Kommunikationswege kurz, das Vertrauen groß. Jedes Silo ist ein Freundeskreis. Gehen Sie mit diesem Wissen durch Ihr Unternehmen, untersuchen Sie Silos und deren positive Eigenschaften und arbeiten Sie beständig daran, das Positive zu stärken. So werden die Grenzen nach und nach von alleine fallen.
Immer wieder ist es dabei sehr hilfreich, mit den Silos im eigenen Kopf zu beginnen. Herauszufinden, wieso andere Teams so arbeiten, wie sie arbeiten, ist ein erster Schritt zu mehr Verständnis. Das „Warum“ jedem Briefing voranzustellen ist der zweite, und so lange mit den Kollegen zu kommunizieren, bis Sie sicher sind, dass jeder weiß, welchen Beitrag er oder sie leistet, der dritte bis vierhundertachtundneunzigste. Und jeder einzelne lohnt sich.
Maßnahme 4: Kollaboration fördern
Blockaden, die aus mangelnder Kopplung von Geschäfts- und Content-Prozessen entstehen, lassen sich nicht punktuell lösen: Informationen müssen ständig frei fließen, und Konzepte wie Hol- und Bringschuld sind heute kaum mehr hilfreich. Content braucht Kollaboration. Der erste Schritt hierzu ist, eine Kollaborationskultur zu etablieren und zu fördern.
Mitarbeiter aus der Technischen Redaktion benutzen zur Zusammenarbeit gern „ernsthafte“ Werkzeuge wie Jira oder Pivotal Tracker, während sich Marketingmitarbeiter zu Trellos virtuellen Karteikarten hingezogen fühlen. Manche Leute hassen es zu telefonieren, andere bekommen sich selbst nur verbal organisiert. So wichtig es ist, die Präferenzen der Mitarbeiter zu würdigen und ihnen eine ideale Arbeitsumgebung zu schaffen, so wichtig ist es, die Interoperabilität zwischen Tools zu definieren, bereits vor deren Einführung Brücken zu bauen und sich zu verpflichten, sie dauerhaft instand zu halten.
Die Befürchtung der Mitarbeiter, mit der Öffnung der Silotore „mit noch mehr Informationen zugeschüttet“ zu werden, ist verständlich. Deshalb muss der Informationsaustausch informell gehalten werden mit der Minimalanforderung, dass jeder weiß, was die anderen können, was sie gerade machen und gemacht haben. Wenn Sie es dazu noch schaffen, immer wieder den Sinn und Zweck zu kommunizieren, zum Beispiel als zusammenfassenden Satz in jedem Briefing, sind Sie auf dem besten Weg, eine Kollaborationskultur zu schaffen, die allen nützt.
Auch durch aufmerksames Zuhören und nicht einfach nur Hinhören können Sie vieles erreichen – schließlich ist das eine der Kernaufgaben des mittleren Managements. Beispielsweise befürchten Mitarbeiter oft im Stillen, dass sie bei der Verwendung von Kollaborationstools in der Änderungshistorie „negativ verewigt“ werden. Daher ist es besonders wichtig, bei der Einführung solcher Tools das Weshalb zu erläutern und sehr sicherzugehen, dass wirklich jeder verinnerlicht, wie und weshalb damit die Arbeit aller erleichtert wird.
Medienneutralität ist ein weiterer Aspekt einer harmonisierten Content-Infrastruktur. Marketingmitarbeiter wollen Content am liebsten so produzieren, wie es die Technischen Redakteure machen: strukturiert, wiederverwendbar, aus einer Quelle.
Eine geeignete Technologie ist XML samt diverser Schemata, doch wie bereits erwähnt schaudert es den Marketingleuten alleine beim Gedanken daran. Harmonisierung muss nicht bedeuten, dass jeder immer dasselbe Tool benutzt, sondern dass ein neues Tool keine neuen Grenzen schafft, sondern hilft, sie überflüssig zu machen. Hilfreich kann es dann sein, dass Technische Redakteure den Marketingmitarbeitern dabei behilflich sind, das Wieso von XML zu erklären – so lange, bis sie es verstehen und zu schätzen wissen. Anschließend gilt es, Tools zu finden, die die Welten überbrücken.
Transkreation – ein Bindeglied
In vielen Unternehmen sind Technische Redaktion gemeinsam mit der Lokalisierung Teil des Bereichs Produktentwicklung – und damit auf den ersten Blick meilenweit vom Marketing entfernt. Auf dem vergangenen Kongress Localization World 34 (locworld.com) in Barcelona sprach ich mit vielen Referenten-Kollegen und Teilnehmern darüber und wurde immer wieder auf die relativ neue Disziplin Transkreation aufmerksam.
Transkreation umfasst mehr noch als Übersetzung und Lokalisierung, Content teils oder vollständig neu zu erstellen, wenn die Zielmärkte dies erfordern. Fachleute für Lokalisierung müssen sich also sehr tief in die Rezipienten und deren Nutzungskontexte hineindenken und -fühlen. Damit ist deren Arbeit strukturell sehr ähnlich zu der, die Mitarbeiter in Marketing und Vertrieb leisten.
Negativ betrachtet könnte man sagen, dass sich Technische Redaktion und Marketing gegenseitig Arbeit wegnehmen oder Mehrfachaufwände produzieren. Positiv gesehen zeigt sich ungeahntes Potenzial zur Kooperation beider Abteilungen, wenn eine entsprechende Kollaborationskultur existiert.
Kollaboration bedeutet neben dem Teilen von Informationen und Aufgaben auch das Teilen von Fähigkeiten. Betrachten Sie als Beispiel die Facette der Transkreation, die als „Lokalisierung plus Authentizität“ definiert ist: Die authentischsten und emotionalsten Mitarbeiter finden sich meist in den Marketing- und Vertriebsabteilungen und können neben den für die Transkreation wichtigen Informationen auch persönliche Skills beitragen, die in der Technischen Redaktion hilfreich sind. Wenn dann die Redakteure im Gegenzug ihre Fähigkeit zur Strukturierung beisteuern, helfen sie, in den oft überaus dynamischen Marketingabteilungen für mehr Ruhe zu sorgen: Die nächste Brücke ist gebaut.
Kleinteilig oder lieber das große Ganze
In der Analysephase neuer Beratungsmandate werfen wir gern einen Blick auf die freigegebenen Verzeichnisse. Finden wir dort Dateien à la Broschuere_v2_neu_final_DRAFT(Meier)_freigabe.ppt, dann wissen wir, dass einige Leichen im Keller liegen.
Die Symptome, die auf Kommunikationsblockaden hindeuten, sind so vielfältig wie die Menschen selbst. Leider konnte ich den Wunsch eines Kunden nicht erfüllen, seine Mitarbeiter per Handauflegen zu besseren Kommunikatoren zu machen. Das, was dem Handauflegen am nächsten kommt, ist Aktionen und Messungen mehr Bedeutung zu geben als der Analyse: Oft wirkt es wie Zauberei, wenn „es“ dann „plötzlich“ klappt. Wenn kleinteilige Schritte zu ungewohnt für Sie sind und Sie eine „große“ Leitlinie brauchen, nehmen Sie diese: Das Wir ist wichtiger als das Ich. – Kitschig? Nein, Basisarbeit.