In einer Fachzeitschrift für Technische Kommunikation einen Beitrag über das Erzählen von Geschichten oder auch „Storytelling“ zu veröffentlichen, ist etwa so gewagt, wie einem Wüstenstaat Sand zu verkaufen. Aber weil ich einen Kollegen kenne, der zumindest Letzteres geschafft hat, beantwortete ich die Anfrage des Chefredakteurs Gregor Schäfer trotzdem positiv. Wenn die Sandkörner für gewisse Anwendungen zu klein sind, braucht es eben Sand aus dem Ausland. Und wenn Botschaften aus der Technikwelt nicht wie gewünscht beim Publikum ankommen, kann vielleicht ein Ausflug in das Reich der Geschichten weiterhelfen. Zumindest kann der Versuch keinen großen Schaden anrichten.
Zur Einstimmung möchte ich die männlichen Leser gleich um Entschuldigung bitten, dass ich sie mit einem „Frauenfilm“ wie „Pretty Woman“ belästige. Aber wie Umfragen zeigen, hat es dieses Hollywoodmärchen geschafft, auch in den Köpfen vieler Männer bleibende Erinnerungsspuren zu hinterlassen. Daher stelle ich Ihnen, geschätzte Leserinnen und Leser, gleich folgende Fragen: Was ist Ihnen von der allerersten Szene in Erinnerungen geblieben? Also wie beginnt der Film? Und was flimmert über die Leinwand oder den Bildschirm, bevor der Abspann kommt und die Story zu Ende ist? Sollten Sie zur Minderheit gehören, die „Pretty Woman“ noch nie gesehen hat, dann empfehle ich Ihnen, das irgendwann nachzuholen. Denn obwohl der 1990 erschienene Film in die Jahre gekommen ist, bleibt er eine Mustervorlage für Storytelling.
Es zählt nur die Geschichte
Falls Sie inzwischen dachten, der Film beginne damit, dass Richard Gere, alias Edward Lewis, im Lotus seines Anwalts durch die Straße kurvt, liegen Sie ebenso falsch wie diejenigen, denen gleich eine Szene mit Julia Roberts, alias Vivian Ward, in den Sinn kommt. Richtig ist, dass wir uns zu Beginn des Films in einer schönen Villa aufhalten und sehen, wie ein Mann ein paar Frauen einen Zaubertrick vorführt und folgende Worte sagt: „Ladys! Egal, was sie euch sagen. Es geht immer nur um Geld.“ Ja, mit dieser düsteren Behauptung beginnt einer der populärsten Filme der letzten Jahrzehnte. Und sollten Sie diesen Auftakt vergessen haben, befinden Sie sich in bester Gesellschaft. Denn selbst Mehrfachseher sind der festen Überzeugung, ihr Lieblingsfilm habe einen poetischeren Auftakt.
Aber Menschen sind eben eigenartig. Auch solche, die sich vorwiegend in einer technisch angehauchten Welt aufhalten. Menschen sehen nicht die Wirklichkeit, sondern legen sich Geschichten so zurecht, dass sie stimmig sind. Daher blenden sie auch die letzte Szene aus. Die gehört nämlich nicht Julia Roberts und Richard Gere auf der Feuerleiter, sondern einem Nobody, der über die Straße eilt und sagt: „Willkommen in Hollywood! Wovon träumen wir? Irgendwann kommt jeder mal hierher. Das ist Hollywood, das Land der Träume. Manche Träume erfüllen sich und andere nicht.“
Und? Was lernen wir daraus? Nicht mehr und nicht weniger als die wichtigste Botschaft von Storytelling. Und die lautet: Erzählen Sie Ihrem Publikum keine Wahrheiten, sondern Geschichten, an die es glauben kann und will.
Logisches Denken bestimmt wenig
Da dieser Ratschlag Wissenschaftlern und technikaffinen Menschen erfahrungsgemäß ebenso aufstößt wie Journalisten, ist ein kleiner Ausflug ins Reich der Hirnforscher angesagt. Aber, vorgeschriebene Zeichenzahl sei Dank, ich verschone Sie weitgehend mit Fachvokabular und lasse lieber Altmeister Goethe zu Wort kommen. Denn das deutsche Multitalent hat vor bald 200 Jahren das Wesentliche bereits auf den Punkt gebracht, indem er dem Teufel Mephisto folgende Worte in den Mund legte: „Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben.“ Damit nahm Goethe vorweg, was Neurowissenschaftler mit ihren Hightech-Geräten heute beweisen. Der Mensch ist kein rationales Wesen. Seine Entscheidungen werden nicht vorwiegend von der Vernunft getroffen, sondern von den unbewusst arbeitenden Hirnarealen. Und die lieben Fakten nicht besonders, sondern überlassen deren Verarbeitung lieber der Ratio, um damit unsere gewählten Verhaltensmuster zu legitimieren.
Aber wie bringt man diese Erkenntnis in Köpfe von Menschen, die sich der Technik verschrieben haben und oft der Überzeugung sind, logisches Denken regiere die Welt? Das ist nicht einfach, wenn man bedenkt, dass Lernen durch Einsicht maßlos überschätzt wird. Viele Möglichkeiten bleiben nicht. Denn dummerweise funktioniert das Gehirn nach dem Motto: Ändern, nur wenn nötig. Und da dieses Prinzip den Praxistest schon vor zwei Millionen Jahren bestanden hat, wird die Evolution kaum daran rütteln.
Wenn „gut zureden“ wenig bringt, bleibt eigentlich nur noch die Wahl zwischen belohnen oder bestrafen. Oder zwischen Verführung und Leidensdruck. Bezeichnenderweise sind beide Methoden mit starken Gefühlen verbunden, was schon eine gute Voraussetzung ist, die unbewusst arbeitenden Hirnareale zu erreichen. Verführen ist natürlich weit schicker, als mit Drohgebärden aufzuwarten. Aber Leidensdruck kann die Bereitschaft, sich verführen zu lassen, immerhin erhöhen. Wenn ich als Pubertierender wiederholt die Erfahrung mache, dass meine Nebenbuhler mit ihren Storys mehr Erfolg bei den Girls haben, versuche ich es vielleicht auch mal mit dieser Masche. Zumal sich das Risiko in überschaubaren Grenzen hält.
Die Auseinandersetzung mit dem Gehirn
Wirkungsvoll wäre natürlich auch der Leidensdruck, den Ausbildungsinstitute ausüben. Aber eine Sichtung der gängigen deutschsprachigen Unterrichtswerke stimmt wenig hoffnungsvoll. Als revolutionär gilt nämlich bereits der Hinweis, der Mensch verhalte sich auch emotional. Doch einen Schritt vorwärts kommen wir erst, wenn es heißt: „Der Mensch verhält sich auch rational.“ Das ist keine Wortklauberei, sondern ein fundamentaler Unterschied in der Sichtweise des real existierenden Menschen. Wer den Erfolg von „Pretty Woman“ nicht einordnen kann, wird weiterhin Mühe bekunden, für seine Botschaften beim Publikum Applaus zu ernten. Und wer nicht applaudiert, sei es innerlich oder durch Klatschen, wurde emotional nicht berührt.
Natürlich müssen Sie die neusten technischen Features eines bewährten Produkts nicht in ein Märchen verpacken. Selbstverständlich verlangt niemand von Ihnen, Kundendokumentationen als spannende Soap Opera zu liefern. Aber wann immer Sie das Wahlverhalten Ihrer Adressaten beeinflussen wollen, sollte Storytelling zumindest eine Option sein. Denn die wirklichen Kräfteverhältnisse im menschlichen Gehirn nur zu erwähnen oder abzunicken, reicht nicht mehr länger aus, um bei zeitgemäßen Kommunikationsstrategien vorne dabei zu sein. Schon gar nicht, wenn es die Konkurrenz besser macht.
Aber was heißt besser? Ein Anfang könnte sein, sich intensiver mit dem Thema „Storytelling“ auseinanderzusetzen. Und zwar zuerst als Sicht- und Denkweise, was nämlich sehr viel mehr ist, als eine Botschaft in eine Abenteuergeschichte zu verwandeln. Wer Storytelling als Kommunikationswerkzeug verwendet, macht sich zumindest minimal mit der Funktionsweise des menschlichen Gehirns vertraut. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie unser neuronales Netzwerk Milliarden von Informationen wahrnimmt, den verschiedenen Hirnarealen zuordnet, gewichtet, speichert und abruft. Und dabei geht er natürlich davon aus, dass diese Vorgänge in den Köpfen technikaffiner Menschen genau so ablaufen wie bei Fred Feuerstein & Co.
Wahrscheinlich anstatt wahr
Sind diese geistigen Vorarbeiten geleistet, kümmert sich ein Kommunikationsstratege neuer Prägung um die überzeitlichen und überregionalen Regeln, die jede gute Geschichte auszeichnen. Und weil er gelernt hat, dass es im Marketing um die Beeinflussung menschlichen Wahlverhaltens geht und nicht um eine Neufassung der Bergpredigt, verwechselt er „gut“ nicht mit „wahr“, „pädagogisch wertvoll“, „politisch korrekt“ oder „moralisch einwandfrei“. Oder anders gesagt: Eine Geschichte ist ein Werkzeug wie ein Hammer. Und nur die Frage, welcher Nagel damit eingeschlagen wird, sollte auf der moralisch-ethischen Ebene beantwortet werden.
Zwischenfazit: Erzählen Sie Ihrem Publikum keine Wahrheiten, sondern Geschichten, an die es glauben kann und will. Denn Wahrheit ist ein Begriff des Bewusstseins, während das Unbewusste einfach Wahrscheinlichkeiten berechnet. Auch die, ob es nützlich ist, eine Information zur Kenntnis zu nehmen oder nicht. Und weil es der evolutionäre Geniestreich schlechthin ist, komplexe Informationen in Form von Geschichten zu verarbeiten, sollten wir uns damit beschäftigen, was eine gute Geschichte ist.
Die im Folgenden aufgeführten Elemente finden sich in jeder Geschichte, die beim ausgewählten Publikum die Mehrheit erreicht. Und weil wir zufrieden sein dürfen, wenn uns mehr als die Hälfte des Publikums seine Aufmerksamkeit schenkt, können wir es locker verkraften, wenn unsere Geschichte nicht allen gefällt. Es versteht sich von selbst, dass im Rahmen eines solchen Beitrags vieles verkürzt und teilweise plakativ dargestellt werden muss. Und das präsentierte Vorgehen ist auch nur eines von vielen möglichen. Letztlich geht es einfach darum, Ihr Interesse für eine Sichtweise zu wecken, die uralt und deshalb alles andere als ein vorübergehender Trend ist.
Zeitübergreifende Themen
Wenn Sie die Aufgabe haben, ein neues technisches Produkt vorzustellen, könnten Sie zur Ansicht neigen, Produkt XY sei das Thema. Das ist zwar nicht falsch, aber aus Storytelling-Sicht nur die Hälfte der Wahrheit. Denn ein guter Geschichtenerzähler sucht immer auch nach dem Thema, das überzeitlichen Charakter hat. Technik gehört ebenso wenig dazu wie ein bestimmtes Produkt. Überzeitlich und deshalb als Ur- oder Metathema kann nur bezeichnet werden, was mit allgemein menschlichen, oft existentiellen Verhaltensmustern zu tun hat. Daher ist die Themenvielfalt von Geschichten auch nicht unendlich, sondern lässt sich auf eine überschaubare Anzahl eingrenzen.
Wie wichtig eine solche thematische Klammer ist, zeigten nicht nur wissenschaftliche Experimente, sondern auch Auswahlverfahren für das Weiterverfolgen eingesandter Drehbuchmanuskripte. Denn mit großer Wahrscheinlichkeit ist die Publikumsgunst größer, wenn es einen so genannten Masterplot wahrnimmt. Um Ihnen diese Suche etwas schmackhafter zu machen, gebe ich Ihnen eine Übersicht der Masterplots, mit denen ich arbeite. Allerdings ohne weitere Erklärungen.
Tab. 01 Quelle Werner T. Fuchs
„What’s the story?“ Wenn Ihr Publikum die Antwort auf diese elementare Frage erkennt, haben Sie einen der wichtigsten Schritte zu einer guten Geschichte bereits hinter sich. In der Praxis werden Sie sehen, dass meist mehrere Plots in Frage kommen. Ihre Aufgabe wird es dann sein, sich für einen Masterplot zu entscheiden und die ausgeschiedenen Kandidaten eventuell auf Nebenschauplätze zu verbannen. Die Erfahrung zeigt, dass die Suche nach dem „Urthema“ nach anfänglichen Schwierigkeiten immer schnell geht. Aber das ist ja bei jeder neuen Methode so.
Kindheit, Pubertät und Ersterlebnisse
Irgendwann im Laufe Ihrer Arbeit sollten Sie sich mit der Prägungsstärke Ihrer Kommunikation auseinandersetzen. Denn es gibt Geschichten, an die sich unser autobiografisches Gedächtnis besser erinnert als an andere. Und wenn es uns gelingt, Assoziationen an solche prägenden Geschichten in Gang zu setzen, wird unsere eigene Botschaft eher wahrgenommen und gespeichert.
Am stärksten bleiben im autobiografischen Gedächtnis Geschichten aus der Kindheit, der Pubertät und von Ersterlebnissen haften. Erinnere ich den Leser an den Zeltstangensalat beim ersten Campingurlaub, habe ich ihn bereits für meine einfache Gebrauchsanweisung zum Produkt XY eingestimmt. Und wenn Sie sich nun fragen, was mit all denen ist, die nie auf einem Campingplatz waren, dann kann ich das verstehen. Aber zu den seltsamen Eigenschaften des menschlichen Gehirns gehört eben auch, dass es nur einen sanften Anstoß braucht, um aus einer fremden eine eigene Geschichte zu machen. Camping-Abstinenten werden also automatisch an ein vergleichbares Erlebnis erinnert.
Nostalgie nutzen
Beim Publikum Erinnerung aus prägenden Zeitfenstern aufzurufen, ist vielleicht die einfachste Möglichkeit, einer Geschichte mehr Gewicht zu geben. Deshalb sollten wir diese Möglichkeit unbedingt nutzen. Zumal es so einfach ist, dass wir dies immer schaffen. Dem Einwand, in der Kindheit heutiger Senioren habe es noch keine Smartphones, Suchmaschinen oder Navigationsgeräte gegeben, liegt das gleiche Missverständnis wie beim Campingurlaub zugrunde. Denn bei der Suche nach Geschichten aus der Kindheit, Pubertät oder von Ersterlebnissen geht es nicht darum, deckungsgleiche Erfahrungen zu finden. Vielmehr muss man sich überlegen, welche grundsätzlichen Verhaltensmuster und Handlungen in diesen Zeitfenstern verortet werden können. Technik ist ja „nur“ ein Mittel zum Zweck. Und daher ist es auch nicht notwendig, unglaubwürdige Geschichten zu konstruieren. Oft reicht schon ein einziges Wort, um verschüttete Emotionen von früher zu wecken.
Nochmals: Ob wir einer Geschichte unsere Aufmerksamkeit schenken, hängt in hohem Maße davon ab, wie sehr sie uns an Erlebnisse unserer Kindheit, unserer Pubertät oder bei Ersterfahrungen erinnert. Welche mentalen Konzepte vermitteln Kinderbücher, Essgewohnheiten oder Schulerlebnisse? Welche Redewendungen unserer Eltern verknüpften wir mit Belohnung oder Bestrafung? Wann freundeten wir uns auch mit eckigen Formen an? Wie entstanden die Prototypen angenehmer Duftnoten? Und was erlebten wir in unserer ersten eigenen Wohnung? Das Unbewusste bewertet Signale auch nach dem Kriterium, ob sie in prägenden Lebensabschnitten konstituierende Wirkung hatten. Wer diese Codes oder Zeichen kennt, baut sie gezielt in seine Kommunikation ein.
Neues an Bekanntes andocken
Wenn es nichts Neues unter der Sonne gibt und alle guten Geschichten schon einmal erzählt wurden, sollten wir diesen Befund nutzen. Zumal uns die Drehbuchschreiber Hollywoods vormachen, wie einfach das geht. Und Menschen wie Steven Spielberg haben wir es auch zu verdanken, dass selbst das Publikum technisch orientierter Botschaften die Kerngeschichte aus der Bibel, Grimms Märchen oder den griechischen Sagen noch immer kennt. Aber auch Fernsehformate wie GNTM, GZSZ und wie sie alle heißen, sind dank ihrer Reichweite gute Andockstellen für eigene Geschichten. Beim Storytelling zählt der Publikumsgeschmack ohnehin mehr als der künstlerische Wert. Halten Sie sich also besser an die Bestsellerlisten als an Geheimtipps. Solche Listen finden Sie in Publikumszeitschriften oder natürlich im Internet.
An einer guten Andockstelle können Botschaften völlig unterschiedlicher Art anlegen, wie ein Beispiel aus meiner persönlichen Geschichtensammlung zeigt. Als ein österreichischer Student mich als Verfasser von „Tausend und eine Macht. Marketing und moderne Hirnforschung“ suchte und einfach „1001 Macht“ in die Suchmaschine eingab, erschien an erster Stelle weder Autor noch Buchtitel, sondern das Angebot einer Wiener Domina. Das weist nicht nur auf einen prall gefüllten Bildungsrucksack der Mistress hin, sondern zeugt auch von einem profunden Verständnis für Storytelling. Denn weckt die Geschichte eines Produkts passende Assoziationen zu bereits bekannten Geschichten, spricht sie ein größeres Publikum an und erhält höhere Glaubwürdigkeit. Zudem steht die berühmte orientalische Erzählsammlung „Tausendundeine Nacht“ ja nicht nur für die Macht der Erotik, sondern auch für die Notwendigkeit, Geschichten zu erzählen. Denn durch die Rahmenerzählung wird klar, dass wir Menschen Geschichten brauchen, um überleben zu können.
Titel als Lockvogel und Wegweiser
„Wir sind Papst!“ Diese legendäre Schlagzeile der Bild-Zeitung zur Wahl von Kardinal Ratzinger wurde von der linken TAZ mit „O Gott!“ gekontert. Einen guten Titel zu finden, bringt nicht nur die Hälfte der Ernte ein, sondern hilft auch bei der Überprüfung, ob man die eigene Geschichte begriffen hat. Denn wo eine Kernaussage fehlt oder auf Nebenschauplätzen verloren geht, sind gute Titel eher Zufallsprodukt. Da dieser Beitrag kein Schnellkurs für Texter sein soll, belasse ich es bei diesen wenigen Zeilen zu einer griffigen Headline.
Helden und Bösewichte
Verinnerlichen wir, dass in jeder guten Geschichte ein Held vorkommt, dem sich irgendwann ein Bösewicht in den Weg stellt, erzählen wir auch die Geschichten unserer Produkte, Dienstleistungen und Ideen anders. Wir müssen uns lediglich noch von der Idee befreien, dass diese Rollen nur von Menschen eingenommen werden können. Aber das sollte uns leichtfallen, wenn wir an all die Reklamefiguren denken, die Werbegeschichte schrieben. Oder an Comics und Walt Disney. Und weil jeder Held und Bösewicht auch Helfer hat, können wir die Regel eher einhalten, dass es in einer guten Geschichte nur einen Helden und nur einen Hauptfeind gibt.
Einen Helden ins Zentrum ihrer Geschichte zu setzen, fällt Verfassern technischer Artikel oder von Werbebotschaften besonders schwer. Denn wo alles irgendwie wichtig ist, hat man schnell das Gefühl, der Aufgabe nicht gerecht zu werden, wenn ein Aspekt besonders hervorgehoben wird. Aber es ist nun mal so, das unser Unbewusstes nach Führung lechzt und wissen möchte, wer den Kampf gegen den Drachen aufnimmt und das Problem löst. Selbst wenn die Vernunft sagt, dass es nie nur einer ist, der am Schluss triumphieren darf. Trotzdem: Ist es die Schönheit, die Schnelligkeit, die Einfachheit oder der Preis, dem die Heldenrolle gebührt?
Das gleiche Problem müssen wir bei der Suche nach dem Widersacher, dem Feind lösen. Wer steht dem Kauf eines Produkt, einer Idee oder einer Dienstleistung am meisten im Wege? Ist es die Akzeptanz bei der eigenen Peer-Group, das Handling oder die Kompatibilität? Oder sind es böse Fremdwörter oder wissenschaftliche Exkurse? Erheben Sie Walt Disney zu einem Ihrer Vorbilder und haben Sie keine Angst davor, das Gute und Böse zu benennen. Ihr Publikum wird es Ihnen danken. Nur den direkten Konkurrenten sollten Sie nicht auf die Bühne bitten. Denn erstens zeugt das nicht von großem Selbstbewusstsein und zweitens tut man dem Feind damit nur einen Gefallen. Den hat Steve Jobs Microsoft bezeichnenderweise nie gemacht.
Kulissen und Requisiten
Greifen Sie eher zu einer Packung Aufschnitt, auf der „90-prozentig fettfrei“ steht oder kaufen Sie lieber „Aufschnitt mit 10 Prozent Fett“? Halten Sie den Nachrichtensprecher im Anzug für vertrauenswürdiger oder den Mann im Freizeitlook? „What you see is all there is“, sagte der Nobelpreisträger Daniel Kahneman und zieht daraus die Schlussfolgerung, dass wir eine Aussage eher akzeptieren, wenn den unbewusst arbeitenden Hirnarealen auch passende Bilder präsentiert werden.
Wie wichtig passende Kulissen und Requisiten auch in der Technischen Kommunikation sind, können Sie leicht auf YouTube sehen. Denn sehr zur Freude von technisch weniger versierten Erdenbürgern gibt es immer mehr Gebrauchsanweisungen als Video. Doch selbst hervorragend gemachte Produkte duften manchmal nach langweiligen Schulstunden, weil der Hintergrund verdrängte Erinnerungen weckt oder ein zufällig sichtbares Objekt in eine andere Geschichte führt. Aber auch in textbasierter Kommunikation lässt sich mit sorgfältig ausgewählten Wortkulissen eine Atmosphäre schaffen, die der Kernaussage noch mehr Gewicht gibt.
Anfang und Ende
Der Energiesparmodus des menschlichen Gehirns ist auch dafür verantwortlich, dass wir dem Anfang und dem Ende einer Geschichte besondere Aufmerksamkeit schenken. Weil die schnelle Einschätzung einer Gefahr den evolutionären Zielen dient, sind wir beim Anfang einer Geschichte mehr bei der Sache. Und am Schluss wollen wir natürlich wissen, ob unsere Einschätzung richtig war oder nicht. Vor allem wollen wir aber, dass der Cowboy am Schluss in die Sonne reitet, die Prinzessin ihren Prinzen findet und die Welt besser ist, als uns die Medien täglich verklickern. Aber wir akzeptieren es auch, wenn sich der Geschichtenerzähler für ein offenes Ende entscheidet.
Von Pretty Woman haben wir gelernt, dass wir dem Publikum keine Wahrheiten erzählen sollen. Vielmehr möchte das Publikum Geschichten erfahren, an die es glauben kann und will. Aber weil Anfang und Ende von Pretty Woman ziemlich missglückt sind, können wir von Pretty Woman vielleicht noch etwas Wichtigeres lernen. Wir müssen nicht alles perfekt machen, damit unsere Botschaft ankommt.