Einfache Sprache klingt nach einfacher Arbeit. Doch leider muss ich Sie etwas enttäuschen: Um Texte in gute Einfache Sprache „übersetzen“ zu können, zum Beispiel produktbegleitende Unterlagen, müssen Sie ein Thema zu einhundert Prozent verstanden haben. Sie müssen sich genau klar gemacht haben, für wen Sie schreiben und was für Ziele Sie erreichen wollen. Redaktionelle Erfahrung halte ich für ebenso wichtig, denn viele Regeln der Einfachen Sprache sind identisch mit Empfehlungen für guten Schreibstil. Eine schlechte Struktur kann Texte unverständlich machen, also ist je nach Textart eine strategische Herangehensweise und eine logische Struktur für gute Texte notwendig. Voraussetzungen für gute Übersetzungen in Einfache Sprache:
- Gewisser Kenntnisstand im Themengebiet (zum Beispiel Gesundheit, Barrierefreiheit, Maschinenbau oder Informatik)
- Zielgruppe für Text klar definiert
- Gewisser Kenntnisstand über die Zielgruppe und deren Verhalten
- Ziel des Autors, der Autorin klar definiert (ersetzen Sie Autor bei Bedarf gern mit Auftraggeber oder Chefin)
- Textart klar definiert
- Struktur des Textes klar definiert
Diese Grundvoraussetzungen sind wichtig für spätere Entscheidungen: Was kann ich weglassen, was sollte ich hervorheben, welche Informationen sind nur nebensächlich?
Respektvoller Ton
Auch die Art, wie ich schreibe, kann Einfluss auf das Verständnis und die Akzeptanz haben. Schreibe ich zum Beispiel motivierend, lösungsorientiert, aufrüttelnd, warnend, schockierend oder mit erhobenem Zeigefinger? Die Facebook-Leaks haben gezeigt, dass hitzige Diskussionen für die Verweildauer und somit die Werbeeinnahmen für Facebook sehr lukrativ sind, für ein friedliches Zusammenleben sind sie hingegen nicht besonders förderlich. [1] Die Tonalität von Texten hat also Einfluss auf das Verhalten von Menschen. Auch im Entwurf der DIN 8581-1 Einfache Sprache geben wir den Hinweis, dass ein respektvoller Ton für die Akzeptanz eines Textes hilfreich ist. (Momentan Kapitel 5.2.1 Respektvoller Ton)
Ein Beispiel: Ich soll einen Text in Einfacher Sprache schreiben, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu motiviert, häufiger zur Gesundheitsvorsorge oder zur betrieblichen Gesundheits- und Sozialberatung zu gehen. Also versuche ich, mehr über die Zielgruppe und deren Verhalten in Bezug auf Gesundheit, Vorsorge und Sozialberatung herauszufinden. Meine Recherche zeigt, dass etwa 50 Prozent der Frauen und nur etwa 20 Prozent der Männer zu Vorsorgeuntersuchungen gehen. Ich habe ebenfalls herausgefunden, dass Männer im Durchschnitt etwa fünf Jahre weniger leben, die Volkskrankheit Diabetes bei ihnen fast doppelt so häufig auftritt, das Herzinfarktrisiko ist bei ihnen fast fünfmal so hoch und Männer begehen etwa dreimal so oft Suizid. Ich recherchiere ebenfalls zu den Gründen für dieses Ungleichgewicht und weiß nun, dass Vorsorge häufig mit Schwäche oder Krankheit verbunden wird. Also werde ich den Text nun entsprechend anlegen: Ich würde Argumente vorbringen, die Männer besser ansprechen, Frauen aber nicht außer Acht lassen. Gute Argumente wären dann für mich beispielsweise, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Verantwortung gegenüber sich und der Familie haben oder dass Leistungsfähigkeit und Gesundheit zusammengehören: „Wer gesund und leistungsfähig bleiben will, sollte sich daher um seine Gesundheit kümmern und zur Vorsorge und Gesundheitsberatung gehen.“ Das ist noch keine Einfache Sprache, sondern soll nur die Vorgehensweise veranschaulichen. Außerdem würde ich lösungsorientiert, sachlich und nicht mitleiderregend argumentieren. „Sie pflegen Ihre alten Eltern zu Hause? Wir bieten Informationen, Unterstützung und Beratung.“
Respektvolle Ansprache
Ebenfalls im Kapitel „Stil“ des Norm-Entwurfs gibt es das Kapitel „direkte Anrede“. Dazu möchte ich Sie etwas fragen: Würden Sie Ihre Kinder oder Partner als „außergewöhnliche Belastung“ bezeichnen? In der Steuererklärung müssen Sie das, wenn Sie Kosten für Kinder oder Partner in Ausbildung steuerlich geltend machen wollen. Es gibt viele solcher Beispiele (Tab. 01).
Es sind reale Beispiele, wie Menschen oder Organisationen auf eine reine Funktion reduziert werden. Haben Sie die Möglichkeit, dann ist eine persönliche und menschliche Ansprache, zum Beispiel mit „Sie“ oder mit dem jeweiligen Namen, die bessere Wahl. Denn die respektvolle Ansprache ist ebenfalls ein Baustein für gelungene Kommunikation.
Eigentlich sollten ein respektvoller Ton und eine respektvolle Ansprache für alle Texte Standard sein. Jeder Text gewinnt, wenn sich Autoren und Autorinnen darüber Gedanken machen, wenn sie Texte schreiben. In der Einfachen Sprache wird die Zielgruppenorientierung allerdings auf ein neues Level gehoben. Im Entwurf steht unter 4.1 „Die Inhalte eines Textes müssen gebrauchsfreundlich und konsequent auf die Zielgruppe ausgerichtet sein.“ Auch in der kürzlich veröffentlichten ISO 24495-1:2023 Plain language – Part 1: Governing principles and guidelines ist die Zielgruppenorientierung Grundvoraussetzung für Texte in Einfacher Sprache. Nicht ohne Grund, denn Kommunikation gelingt besser, wenn auf die Bedürfnisse, das Wissen, Verhalten und Können der Zielgruppe eingegangen wird.
Einstieg mit zählbaren Regeln
Es gibt einige Regeln der Einfachen Sprache, die sich für den Anfang leicht umsetzen lassen:
- Pro Satz höchstens 20 Wörter nutzen. (Im Entwurf der DIN 8581-1 Einfache Sprache steht die Empfehlung von 15 Wörtern pro Satz, die maximale Anzahl von 25 Wörter pro Satz darf allerdings nicht überschritten werden.)
- Pro Satz möglichst nur ein Komma setzen – Aufzählungen sind eine Ausnahme. (Diese Regel kommt im Entwurf der DIN 8581-1 Einfache Sprache in diesem Wortlaut nicht vor. Andere Regeln deuten allerdings darauf hin: Vermeidung von Schachtelsätzen, keine Einschübe, komplexe Informationen auf mehrere Sätze verteilen.)
Ob Sie diese zwei Regeln eingehalten haben, können Sie leicht durch einfaches Zählen erkennen. Es gibt auch einige Webseiten, die diese zählbaren oder generischen Regeln für Einfache Sprache prüfen können (Inf. 01).
Verständlichkeit prüfen |
Im Internet finden sich Seiten, die grob eine Rückmeldung geben können, wie einfach oder wie schwer ein Text zu verstehen ist. Eine Auswahl:
Inf. 01 Quelle Conny Lopez |
Nach einiger Zeit werden Sie sicher ein Gefühl für zu lange Sätze entwickeln und brauchen nicht mehr zählen, so ist es mir ergangen. Manchmal gehören viele Informationen aber einfach zusammen und sollten nicht getrennt werden. Ich habe dann drei Möglichkeiten, lange Sätze in kleinere Informationshäppchen aufzuteilen: Doppelpunkte, Aufzählungen mit Bulletpoints/Spiegelstrichen oder Tabellen.
Meine Lieblingsregel lautet: „Aktive Sprache nutzen und Passivkonstruktionen vermeiden.“ Auch diese Regel lässt sich durch die Suche nach dem Signalwort „werden“ leicht umsetzen. Durch Passivkonstruktionen werden Sätze oft uneindeutig, da nicht klar ist, wer genau gemeint ist. Probieren Sie zu Hause einmal aus, ob der laut ausgesprochene Satz „der Müll muss rausgebracht werden“ zum gewünschten Ziel führt.
Natürlich gibt es auch notwendige und sinnvolle Passivkonstruktionen. Sie sollten die „Erleidensform“ immer dann einsetzen, wenn die handelnde Person oder der Verursacher nebensächlich sind. Wenn zum Beispiel die Parlamentswahl im Vordergrund stehen soll, dann ist der Satz „heute wird ein neues Parlament gewählt“ in Ordnung.
Griffige Schreibweise
Grundsätzlich ist es besser, einfache und gängige Worte zu nutzen, statt seltene, veraltete oder wenig bekannte beziehungsweise Fremdwörter (Tab. 02). Bedenken Sie jedoch unbedingt die Zielgruppe. Im heutigen Büroarbeitsumfeld ist ein „Teams-Call“ vielen Menschen bekannt, doch Ihre Großeltern kennen diesen Begriff vermutlich nicht. Schreibe ich einen Text für Anglerinnen und Angler, brauche ich nicht erklären, dass ein Blinker ein Köder aus Metall ist, der sich beim Einholen der Angel dreht. In einigen Jahren müssen wir jüngeren Menschen bestimmt erklären, was die Wörter Telefonzelle, Telefonhörer oder Kassette bedeuten. In meinen Workshops zeigt sich jedenfalls oft, dass das Wort „Bandsalat“ unter jungen Menschen nahezu unbekannt ist.
In journalistischen Lehrbüchern für guten Schreibstil und in der Verständlichkeitsforschung gilt der Grundsatz, dass Texte prägnant sein sollen. Verzichten Sie daher auf Füllwörter und nutzen Sie Wörter mit weniger Silben (Tab. 03). Diesen Grundsatz finde ich sehr gut, da die Aufmerksamkeit oft mit der Zeit abfällt, Texte dadurch kürzer und griffiger werden.
Mehr ja als nein
Menschen können negativ formulierte Informationen schlechter und nur langsamer verarbeiten. Bei dem Satz „Geben Sie mir bitte nicht die Hand“ denken wir zum Beispiel erst an „Hand geben“ und danach, dass ich das nicht tun soll. Deswegen ist es sinnvoll, positiv zu formulieren (Tab. 04).
In Spanien sind mir Schilder aufgefallen, die „links abbiegen verboten“ signalisieren (Abb. 01). Immer, wenn ich so ein Schild sehe, muss ich kurz nachdenken – okay, ich darf nicht links, also muss ich rechts oder geradeaus. Da sind unsere Schilder in Deutschland besser, die „vorgeschriebene Fahrtrichtung rechts“ signalisieren (Abb. 02).
Abb. 01 (l.) Das Verbot verzögert das Verstehen; Abb. 02 (r.) Das Gebot verbessert das Verstehen. [1, 2]
Vorsicht vor bildlicher Sprache
Vermeiden Sie Sprichwörter, Metaphern und Vergleiche, denn sie setzen Wissen und Erfahrung voraus. Außerdem müssen Leser und Leserinnen das Sprichwort, die Metapher oder den Vergleich auch noch in den Kontext setzen, was zusätzliche Denkleistung erfordert. Besser ist es, direkt und konkret zu sagen oder zu schreiben, um was es geht. Hier ein Selbsttest: Wissen Sie, was es bedeutet, wenn jemand im Englischen sagt „Dog eat dog“, also ins Deutsche übersetzt „Hund frisst Hund“? So ergeht es vermutlich vielen Menschen in Deutschland, die Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache lernen. Auflösung: Der Stärkere gewinnt.
Für Menschen im Autismus-Spektrum kann bildliche Sprache regelrecht eine Sprachbarriere sein. Wer zum Beispiel „wirf mir mal die Limo rüber“ sagt, muss damit rechnen, dass eine Flasche geflogen kommt. Versuchen Sie daher, möglichst sachlich zu schreiben, bildliche Sprache nur als redundante Information anzubieten und nur Vergleiche zu nutzen, die ohne Vorwissen verständlich sind (Tab. 05).
Abk. mögl. vermeiden
Abkürzungen sind in Deutschland sehr beliebt. Die Musikgruppe „Die fantastischen Vier“ (Fanta 4) haben mit ihrem Lied „MFG“ 1999 sogar einen Charthit gelandet. [4] Bei Wikipedia gibt es Listen von Abkürzungen nach Themengebieten, alphabetisch oder nach Ländern sortiert. [5] Doch Abkürzungen und Kurzwörter sollten in Einfacher Sprache möglichst immer ausgeschrieben werden. Denn erstens müssen Leser und Leserinnen die Bedeutung der Abkürzung erst einmal kennen und zweitens gibt es sehr oft mehr als eine Bedeutung für Kurzwörter. BRK kann zum Beispiel Behindertenrechtskonvention oder Bayerisches Rotes Kreuz bedeuten (Tab. 06). Lange Wörter ständig auszuschreiben, ist lästig und braucht viel Platz – das sehe ich ein. Versuchen Sie stattdessen, das lange Wort zusammen mit der Abkürzung in Klammern und fett dahinter zu schreiben: zum Beispiel Behindertenrechtskonvention (BRK). Dann können Leserinnen und Leser durch die Fettung schnell nachsehen, was die Abkürzung bedeutet, falls sie später noch einmal im Text auftaucht. Ist der Text etwas länger, können Sie das Wort mit der Abkürzung in Klammern dahinter gerne auch mehrmals schreiben.
Tab. 06 Quelle Conny Lopez, [6]
Spinöse Expressionen
Die Überschrift bedeutet: Erklären Sie schwierige und unbekannte Wörter und nennen Sie Beispiele. Etwa so: Mobilität bedeutet, wie sich Menschen fortbewegen: zum Beispiel zu Fuß, mit dem Fahrrad, Auto, Zug, Flugzeug oder Bus. Und hier noch ein Tipp aus meiner Übersetzungspraxis: Manchmal muss ich aus unterschiedlichen Gründen schwierige oder unbekannte Wörter erwähnen, obwohl sie nebensächlich sind. Eine Erklärung dieser komplexen Begriffe oder Wörter könnte dann schon einmal einen Textabsatz einnehmen. Das führt aber zu weit vom Thema weg. Dann entscheide ich mich, entweder das Wort einfach nur anhand von Beispielen „zu erklären“ oder es unerklärt stehen zu lassen. Ich überprüfe dann, ob der Inhalt des Textes auch ohne das Wort noch verständlich ist. Im Satz „ich nehme arbiträr das nächste Taxi“ könnte ich „arbiträr“ einfach streichen, und der Satz wäre immer noch verständlich. Die Entscheidung ist also eine Abwägungssache, ob ich eine Erklärung bringe, die vom eigentlichen Thema ablenkt. Oder ob ich es verschmerzen kann, wenn ein Wort oder ein Begriff unverständlich bleibt.
Bindestriche richtig einsetzen
Zusammengesetzte Wörter können Sie mit Bindestrich schreiben. Aber wählen Sie die Bindestriche mit Bedacht. Es kann sein, dass Menschen Texte mit zu vielen Bindestrichen abstoßend finden und Texte aus diesem Grund nicht lesen wollen. Wenn Sie aber Computer-Programm, Online-Schulung oder Arzneimittel-Verpackung schreiben, so ist das oft hilfreich. Besonders Menschen, die Deutsch lernen, finden Bindestriche oft hilfreich. Sie können die Wörter aber auch auflösen: Statt „Arzneimittel-Verpackung“ können Sie auch „Verpackung eines Medikaments“ schreiben. Im Duden finden Sie eine sehr gute Erklärung zum Einsatz von Bindestrichen. [7]
Nicht das Gleiche
Vielleicht haben Sie es schon erkannt: Es gibt nicht die eine Einfache Sprache, den einen perfekten Text in Einfacher Sprache. Denn Einfache Sprache ist zielgruppenorientiert und damit veränderlich, dessen sollten sich alle bewusst sein. Denn je nach Alter, Geschlecht, Religionszugehörigkeit, Wohnort, Ausbildung, Beruf, Schulbildung, Freizeitgestaltung und weiteren individuellen Merkmalen hat jeder Mensch einen anderen Wortschatz, ein anderes Wissen, andere Erfahrungen. Ein großes Glück, denn so bleibt es immer spannend, Texte in Einfacher Sprache zu schreiben. Und: Solange KI-Textgeneratoren dumm sind, nur Text reproduzieren und neu anordnen können, wird es noch lange Menschen benötigen, die die Einfache Sprache beherrschen.
Links zum Artikel
[1] https://netzpolitik.org/2021/facebook-leaks-whistleblowerin-erhebt-schwere-vorwuerfe-gegen-facebook/#netzpolitik-pw
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Spain_traffic_signal_r302.svg
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Zeichen_209-20_-_Vorgeschriebene_Fahrtrichtung,_rechts,_StVO_1992.svg
[4] www.youtube.com/watch?v=uUV3KvnvT-w
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Listen_von_Abk%C3%BCrzungen
[6] www.abkuerzungen.de
[7] www.duden.de/sprachwissen/rechtschreibregeln/bindestrich