Die Ausgangslage
Nun bekommen Sie die Aufgabe, das äußere Erscheinungsbild all dieser Bücher so zu vereinheitlichen, dass die Bücher gleichartig gestaltet sind und sich lediglich im Inhalt unterscheiden. Ungefähr so stellt sich die Aufgabe für diejenigen in der Bundeswehr, die mit der Vereinheitlichung und Digitalisierung von Technischer Dokumentation befasst sind.
Ein Blick zurück
Die Versorgung der Bundeswehr mit Technischer Dokumentation hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten bei allen Beteiligten eingespielt. Die Technischen Redakteure bei den Zulieferern sind mit den Vorschriften der Bundeswehr bestens vertraut. Sie kennen aus langjähriger praktischer Erfahrung Systematiken wie die der „Technischen Dienstvorschriften (TDv)“ für Heeresmaterial oder die „German Air Force Technical Order (GAF T.O.)“ für den Bereich der Luftwaffe. Auch die Vertreter auf Amtsseite sind im Umgang mit diesen Vorschriften seit vielen Jahren geübt. Damit bedurfte es bisher keiner langen Diskussion, um für ein neues Bundeswehr-Projekt die Erstellung und Lieferung Technischer Vorschriften abzustimmen, da die Experten ja unter sich sind.
Während kleinere Dokumentationsfirmen häufig nur auf die Vorschriften einer Teilstreitkraft (TSK) spezialisiert sind, müssen sich größere Firmen schon eher auf die unterschiedlichen Forderungen der verschiedenen Teilstreitkräfte einstellen und dafür verschiedene Experten beschäftigen. Zählen auch noch ausländische Streitkräfte zu den Kunden, müssen hier zusätzliche Spezialisten verfügbar sein. Aber die Bundeswehr steht hier nicht alleine mit ihrem TSK-spezifischen Vorgehen. Auch im Ausland forderten die Teilstreitkräfte bisher Zulieferdokumentationen nach unterschiedlichen Technischen Vorschriften.
Strategische Entwicklung fördert Standardisierung
Diese uneinheitliche Vorgehensweise war in der Zeit nationaler Rüstungsvorhaben und bei gedruckten Medien zwar unbefriedigend, es wurde jedoch allseits als gegeben hingenommen.
Ab Ende der 80er-Jahre waren zwei Veränderungen zu beobachten. Auf der einen Seite hielt die EDV Einzug. Auf der anderen Seite wurden Rüstungsprojekte zum Teil so groß und teuer, dass sich zwei oder mehr Nationen die Entwicklung teilten. Eines der ersten multinationalen Großprojekte war der damals noch so genannte „Jäger 90“, ein Projekt zwischen Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien. Da das Flugzeug und sein Triebwerk bei der Entwicklung getrennt betrachtet wurden, waren in jeder Nation jeweils ein Hauptauftragnehmer für Flugzeug und Triebwerk zu finden, also insgesamt acht Hauptauftragnehmer. Für die Technische Dokumentation dieses Vorhabens, das heute „EUROFIGHTER Typhoon“ heißt, war nun zu entscheiden, welcher Standard für die Dokumentationserstellung anzuwenden ist.
Intergalaktisch: S 1000D
Die großen internationalen Luftfahrtshows sind immer ein willkommener Anlass, um große Projekte und Abkommen zu besiegeln. Am 16. Juni 1989 wurde anlässlich der Luftfahrtshow in Le Bourget ein Memorandum zwischen hochrangigen NATO Luftwaffenoffizieren und dem Präsidenten der AECMA (Association Européenne des Constructeurs de Matériel Aérospatial) unterzeichnet. Das Memorandum vereinbart die Anwendung der von der europäischen Luftfahrtindustrie entwickelten Spezifikation S 1000D für Technische Dokumentation für zukünftige bi- oder multinationale Rüstungsvorhaben. Der Jäger 90 wurde damit zum ersten großen S 1000D Projekt. Hatte man damals nur die Absicht bekundet, mit diesem Standard einen Trend für die Zukunft setzen zu wollen, kann man heute, fast 15 Jahre später sagen, dass dieses Projekt gelungen ist.
Dabei hat sich die „S 1000D“, wie sie inzwischen offiziell bezeichnet wird, nicht nur in Europa in weit über 100 Projekten etabliert. Seit Anfang 2000 hat es eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den europäischen AECMA-Repräsentanten mit Partnern in den USA gegeben. Als Ergebnis folgte die Ausgabe 2.0 der S 1000D im November 2003, erstmalig als gemeinsame Veröffentlichung der AECMA und der amerikanischen AIA (Aerospace Industries of America).
Auch wenn die Federführung über die S 1000D beiderseits des Atlantiks jeweils im Bereich der Luftfahrtindustrie liegt, ist die Ausgabe 2.0 inhaltlich so umstrukturiert und erweitert worden, dass sie sowohl für jede Technische Dokumentation von Material verwendet werden kann als auch für jede nicht-technische Dokumentation. Auf dieser universellen Verwendbarkeit basiert die Entscheidung, dass mit Beginn des Jahres 2004 auch die amerikanischen Streitkräfte ihre erste Technische Dokumentation nach S 1000D erstellen. Es ist somit nicht übertrieben, wenn in der Einleitung zur S 1000D mit Stolz von einem „intergalaktischen“ Standard gesprochen wird.
Rationalisierung durch S 1000D
Die Vorteile der Verwendung eines einheitlichen Standards für Technische Dokumentation in den NATO-Staaten liegen auf der Hand. Auf militärischer Seite gewinnt die Fähigkeit zu internationaler Interoperabilität an Bedeutung. Eine einheitlich strukturierte Technische Dokumentation, die idealerweise noch einheitlich in englischer Sprache vorliegen sollte, stellt hier einen kleinen Beitrag dar.
Auf industrieller Seite verspricht diese Einheitlichkeit im Rüstungsbereich ein erhebliches Einsparpotenzial. Die Technischen Redakteure müssen nur noch einen Dokumentationsstandard kennen, wenn sie im nationalen oder internationalen Rüstungsgeschäft tätig sind.
Mit Blick auf die zunehmende Bedeutung des Internets und seinen Einfluss auf den Alltag ist ein universeller Standard wie S 1000D sicher auch als Web-Standard für Technische Dokumentation vorstellbar. Damit könnten mittelfristig auch firmen- beziehungsweise produktspezifisch-proprietäre Dokumentationen ersetzt werden.
Neben diesen Vorteilen einer Vereinheitlichung führt das Prinzip der S 1000D zu einer deutlich schlankeren, aktuelleren und kostengünstigeren Technischen Dokumentation. Informationen werden dazu in kleinen, in sich geschlossenen Informationseinheiten als so genannte Datenmodule erstellt und in einer zentralen Datenbank gespeichert und gepflegt. Auf diese Weise kann auch die Verteilung und Nutzung dieser Dokumentation durchgängig digital und damit frei von Medienbrüchen erfolgen, zum Beispiel durch Nutzung des Internets, was weitere Einsparungen mit sich bringt.
Die S 1000D in der Bundeswehr
Die geschilderte Zukunft ist teilweise noch in einiger Ferne. Dennoch gibt es neben dem genannten Vorhaben EUROFIGHTER, das in diesen Wochen als erstes großes, rein nach S 1000D dokumentiertes Waffensystem in die Nutzung geht, eine Reihe von weiteren Waffensystemen, die nach S 1000D dokumentiert werden. Grundsätzlich ist hier zu differenzieren zwischen Neuvorhaben, die direkt mit der S 1000D starten, und Vorhaben, die nach den bisher üblichen Standards dokumentiert sind und ihre Dokumentation heute umstellen. Nicht zu vergessen ist die große Menge von handelsüblichem Material in der Bundeswehr, das gängigen Industriestandards unterliegt.
Mit Recht stellt sich die Frage, warum die Bundeswehr ein so großes Interesse hat eine Technische Dokumentation einheitlich nach S 1000D zu erhalten. Der Hintergrund liegt in der Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung zur Einführung einer „Standard-Anwendungs-Software-Produkt-Familie (SASPF)“ auf der Basis der Software SAP R/3. Damit werden eine Vielzahl von historisch und inhomogen gewachsenen logistischen Verfahren zur Datenverarbeitung ersetzt. Diese zukünftig einheitlich anzuwendende Datenverarbeitung benötigt homogene Daten in definierten Formaten. Da wesentliche Datenanteile zur Materialbewirtschaftung und Materialerhaltung in der Technischen Dokumentation enthalten sind, muss auch diese in einheitlicher, digitaler Form vorliegen. Der Standard dafür heißt S 1000D.
Das bedeutet für die Bundeswehr:
- neues Wehrmaterial wird nur noch nach S 1000D dokumentiert;
- vorhandene Technische Dokumentation wird nach S 1000D konvertiert;
- Technische Dokumentation für handelsübliches Gerät wird, falls nötig, nach PDF dokumentiert und nach den Regeln der S 1000D für PDF kodiert.
Damit verabschiedet sich die Bundeswehr weitgehend von den bisher üblichen gedruckten Medien.
Erfahrungen mit dem Standard
Während die Aufgabenstellung einigermaßen kurz und klar zu sein scheint, ist die Umsetzung in der Praxis nicht ganz so einfach. Für neue Vorhaben werden von Beginn an die Materialgrundlagen nach AECMA Spec 1000D (für die Technische Dokumentation) und 2000M (für die Ersatzteilbeschaffung) vereinbart. Hierbei hat sich gezeigt, dass
- die Standards teilweise auslegbar sind,
- sie in unterschiedlichen Versionen vereinbart werden,
- die Kenntnisse über die Standards bei den Beteiligten sehr unterschiedlich sind,
- teilweise erhebliche Zeiträume zwischen Vertrag und Datenerstellung liegen und
- teilweise starke Abhängigkeiten zu bestimmten Verfahren der Datenverarbeitung und Werkzeugen bestehen.
Erfahrungen aus den ersten Projekten sind, dass alleine das bilaterale Erstellen und Abstimmen von so genannten „Guidance Documents“ einen erheblichen personellen und zeitlichen Aufwand bei allen Beteiligten erfordert. Das ist für komplexe Großprojekte sicher normal. Aber bei vergleichbar kleinen Projekten nimmt der Aufwand nicht ab, da die zu liefernden Daten immer gleichartig sein müssen. Ansonsten kann sie die Bundeswehr nicht verarbeiten.
Erschwerend kommt hinzu, dass auf Firmen- und auf Amtsseite von Projekt zu Projekt unterschiedliche Personen beteiligt sind. Hier sollte es das Ziel sein, dass innerhalb der Firmen über alle Projekte möglichst einheitlich vorgegangen wird, um diesen Prozess zu optimieren. Die amtliche Seite muss ebenfalls versuchen, auf der Basis von Standarddokumenten über alle Projekte mit möglichst geringem Aufwand Datenlieferungen zu vereinbaren.
Bei Vorhaben, die sich schon in der Bundeswehr im Einsatz befinden, ist im Einzelfall zu prüfen, ob und mit welchem Aufwand die vorhandene Technische Dokumentation digitalisiert werden soll. Für Vorhaben, die noch über zehn Jahre im Einsatz sind, sollte eine Konvertierung der Dokumentation nach S 1000D erfolgen, und zwar in den Formaten SGML beziehungsweise XML. Bei einer geringeren Restnutzungszeit sollte eine Konvertierung zumindest nach PDF angestrebt werden.
Konvertierung bestehender Dokumentationen
Eine Umstellung ist für jene Vorhaben einfach, die in der Vergangenheit schon in irgendeiner proprietären Form einen digitalen Datenbestand aufgebaut haben. Als erstes großes Vorhaben der Bundeswehr erfolgte die Konvertierung der Technische Dokumentation des Waffensystems TORNADO. Der Prozess nach S 1000D lief über einen Zeitraum von ungefähr vier Jahren und erfolgte ohne zusätzliche Haushaltsmittel im laufenden Änderungsdienst. Die Inhalte blieben unverändert, um eine erneute luftfahrtrechtliche Zulassung der Dokumentation zu umgehen. Eine neue Qualität stellt dabei die Umsetzung von Verkabelungs- und Leitungsdiagrammen nach S 1000D dar. Eine Darstellung der bisherigen, großformatigen Pläne als Grafik auf einem Computerbildschirm ist unbefriedigend. Hier stellt die S 1000D jetzt neue Methoden zur Verfügung, die für die Vorhaben EUROFIGHTER und TORNADO erstmalig zur Anwendung kommen. Schaltungsbilder werden nach Bedarf aus datenbankbasierten Informationen abgerufen und auf dem Bildschirm in Echtzeit in symbolisierter Form dargestellt.
Die Umstellung der bisherigen gedruckten Technischen Dokumentation der Bundeswehr in eine digitale Form ist mit Blick auf die zukünftige technische Entwicklungen unvermeidbar. Der Prozess wird alle Beteiligten auf Jahre hinaus beschäftigen. Die damit verbundenen Vorteile liegen auf der Hand und stellen einen Beitrag für eine Optimierung der Materialerhaltung bei geringeren Kosten im Bereich der Materialgrundlagen dar. Die S 1000D bietet dabei die Chance, als universeller Standard technologische Geschichte zu schreiben. Durchaus vorstellbar wäre hierbei, dass der Standard auch im rein zivilen Bereich die Zusammenarbeit zwischen Zulieferer und Auftraggeber regelt