Aftersales als Profit-Center

Text: Mathias Maul

Sinnvoll umgesetzt ist Aftersales mehr als nur die Abteilung, die Schmiermittel und Servicetechniker liefert. Mit einer produktiven Kommunikationskultur wird Aftersales zum zukunftsfähigen Profit-Center. Ein Teil davon sind die Informationsprodukte der Technischen Redaktion.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 07:44 Minuten

„Da ist was abgebrochen!“ – die Tochter zeigte auf das Hinterrad ihres E-Rollers: Eine scharfe Bruchkante, wo vorher eine Bremse war. Die Reparatur gestaltete sich schwierig, „der Hersteller hat keine Informationen, keine Technischen Dokumentationen. Ich habe alles im Internet durchforstet, nichts gefunden. Echt ärgerlich“, erzählte mir ihr Vater im Interview für diesen Artikel. Die Werkstatt in der Nachbarschaft winkte ab, „dieses Modell kennen wir nicht“, ein Schlosser veranschlagte 300 Euro: 100 über dem Neupreis, natürlich ohne Gewährleistung. Der bremsenlose Roller wurde zum Fall fürs Recycling.

Aftersales ist beim E-Roller ebenso wichtig wie beim E-Auto, es stärkt die Kunden- und Markenbindung, stabilisiert den Gewinn, unterstützt die Kreislaufwirtschaft und wird sowohl beim Roller als auch Auto oft vernachlässigt oder schlicht als Abteilung „angedockt“. In diesem Artikel plädiere ich – unterstützt von zwei Branchenkennern – für einen umfassenden Aftersales und dessen nachhaltige und damit profitable Umsetzung.

Grüne Wiese

„Das Spielfeld Aftersales, das ist eine Idee mit einer ungenauen Umrandung“, so Bernd Waterkamp. Er stieg Anfang der 90er Jahre als Technischer Redakteur beim Ingenieursdienstleister EDAG ein und leitete dort zuletzt die Aftersales-Businessunit. „Kurz gesagt, früher sorgte der Aftersales für Ersatzteile, Reparaturen und Service. Schmiermittel, Schrauben, Werkstätten. Heute ist der Umfang viel komplexer, lange nicht nur bei Fahrzeugen. Aber die Strukturen in den Firmen sind oft noch die alten. Es gibt keine klaren Prozesse und Zuständigkeiten und keine Karrierepfade, viele sind Quereinsteiger. Und die Unternehmen sehen Aftersales noch nicht als den Profit-Treiber, der er ist, sondern eher als Anhängsel.“

Bernd Waterkamp
Als Technischer Redakteur und als Führungskraft im Bereich Aftersales kennt Bernd Waterkamp das Potenzial gelingender Aftersales-Prozesse.
Foto Bernd Waterkamp

Schon die Metaphorik des Begriffs Aftersales ist wenig nützlich. Sie lädt dazu ein, in Phasen zu denken: Produkt, Presales, Sales, Aftersales ... fertig. Auf dem Papier sieht das hübsch aus, in etwa wie ein Projektplan: Aha, hier ist diese Person zuständig, dort ist der Handover, dann kommen die Kunden in die Werkstatt, die meldet an die Entwicklung zurück, und das Marketing weiß auch Bescheid für die nächsten LinkedIn-Posts und das Recruiting. All das könnte, genau wie in Projektplänen, so schön sortiert bleiben, wären da nur nicht diese Menschen, die die schönen Pläne immer wieder durchkreuzen!

Der Leserschaft der Fachzeitschrift ‚technische kommunikation‘ muss ich die Probleme aus Unternehmenssicht sicher nicht weiter erklären; wenn wir auf Aftersales schauen, lohnt es sich, den Kunden in den Fokus zu holen.

Das Mädchen mit dem Roller aus der Einleitung ist die Tochter von Wolfgang Buschan, Berater bei EFS Consulting in Wien mit Schwerpunkt Aftersales. Lange arbeitete er für Scania. „Da ist jede Downtime die Zeit, wo der Kunde kein Geld mit dem Fahrzeug verdienen kann. Der Druck ist noch viel höher als im Pkw-Bereich“ … und sicher deutlich höher als beim E-Roller einer Schülerin. Doch das Prinzip ist dasselbe. „Die drei klassischen Säulen Presales, Sales und Aftersales sieht der Kunde natürlich nicht, aber hinter den Kulissen führen sie dazu, dass er in der Customer Journey einfach in ganz viele Löcher hineinfällt. Man muss ein Verständnis füreinander haben, um optimiert zu arbeiten und den Kunden zufriedenzustellen.“

Wolfgang Buschan
ist bei EFS Consulting in Wien beschäftigt mit dem Schwerpunkt auf Aftersales. Zuvor arbeitete er für den Hersteller Scania.
Foto Marc-Antonio Manuguerra

Nach dem Sale ist vor dem Sale

Berater wie ich zitieren gern die Meister im Zufriedenstellen von Kunden, etwa Steve Jobs oder Jeff Bezos. Sie waren mit ihrem Credo nicht die einzigen, sicher aber die einflussreichsten: „Fange mit der Customer Experience an, dann denke, plane und arbeite von dort an rückwärts.“

Wohlgemerkt: Gemeint ist das Erlebnis des Kunden mit dem Produkt während der gesamten Customer Journey. Was viele Unternehmen stattdessen tun? Sie schauen nur auf die – hoffentlich – wenigen Punkte in der Customer Journey, an denen das Auto nicht anspringt oder die Schmiermittelpumpe stottert. So kann Aftersales nur die Abteilung in der Besenkammer bleiben, und weil noch Platz ist, steckt man die Technischen Redakteure gleich dazu.

Verzeihung, war das zu hart? Liebe Redakteure, seid euch sicher: Sobald eure Geschäftsleitung oder euer Vorstand die Gewinne wittern, ist der Weg frei heraus aus der Besenkammer und hin zu einer wirklich verbindenden Funktion. Denn ein gut integrierter Aftersales-Prozess kann viel mehr als Wartung und Instandsetzung. Er nutzt die Zeit, die ein Kunde mit dem Produkt verbringt, voll aus, um das Vertrauen in den Hersteller zu erhöhen, die Marke zu stärken, und senkt damit nachhaltig Kosten für Vertrieb, Werbung und Recruiting.

Wellen und Chancen

Auf der tekom-Jahrestagung 2023 warnte ein Referent vor diversen „Wellen“, die auf die Branche zukämen: das Recht auf Reparatur, Richtlinien zur Produkthaftung, die Notwendigkeit zur Digitalisierung von Betriebsanleitungen, der allgemein steigende Marktdruck, unfaire Kunden. Dies alles ist nichts Neues, weder in Bezug auf Dringlichkeit, Schwere oder die natürlicherweise unklare Rechtslage, bis erste Auslegungen in Form von Urteilen vorliegen.

Wichtiger noch: All dies ist nur dann ein Problem, so lange die Technische Redaktion eher als Kostentreiber denn als Profit-Center gesehen wird. Oder, wie Bernd Waterkamp es ausdrückt, „die Redaktionen haben keine Lobby, viele Potenziale werden einfach nicht gehoben.“ Wer aber angesichts des Potenzials von Aftersales diese Einstellung beibehält, wird sicher auch den Einkauf oder die Buchhaltung als Beiwerk wegrationalisieren wollen.

Dabei mangelt es nicht an Chancen, die als Alternativen zur Angst-Mentalität in greifbarer Nähe liegen: die Trends zur Kreislaufwirtschaft, zur umfassenden Digitalisierung, zur Predictive Maintenance, Produkt-Personalisierung, Over-the-air-Support. Scania, so berichtete Wolfgang Buschan im Interview, wurde wegen seiner Nachhaltigkeitspläne belächelt. Heute ist das Unternehmen Branchenvorbild in nachhaltigen Transportlösungen und der einstige CEO nun unterwegs, die Stahlerzeugung CO2-neutral zu machen.

Auf diesen Wellen zu surfen, anstatt sich wetternd von ihnen überrollen zu lassen, bringt neben kurzfristigen wirtschaftlichen Vorteilen natürlich auch längerfristige – beileibe wichtigere – positive Auswirkungen auf Klima und Gesellschaft. Aftersales kann den Zeitgeist in die alltägliche Realität holen und so von einer Anhängsel-Abteilung zum Schmiermittelverkauf zur Grundlage des differenzierten Geschäftserfolgs werden. Und diese Differenzierung ist umso wichtiger in Zeiten, in denen Produkte immer vergleichbarer und billiger werden, egal ob E-Roller oder E-Auto, und man Kunden am besten mit Qualitätsversprechen überzeugen kann. Es liegt an den Unternehmen, diese Versprechen zu geben und zu halten.

Die Redaktion verbindet

„Der Stellenwert von Aftersales wächst signifikant, es gibt eine immer frühere Einbindung in den Entwicklungsprozess. Die Entwicklungszyklen werden schneller, die Mensch-Maschine-Interaktion wichtiger. Die Domänen verschmelzen, und das heißt natürlich, dass besser zusammengearbeitet werden muss“, so Bernd Waterkamp. „Es braucht einfach offene Kommunikation in allen Abteilungen, über die Ebenen hinweg. Wenn es das nicht gibt, bleibt Aftersales eine Insel. Die Technische Dokumentation ist ein wichtiges Bindeglied, bei den Redakteuren fließen alle Infos zusammen“ … wenn sie diese Infos denn bekommen, möchte ich hier hinzufügen. Die Beratungsarbeit zeigt, dass technische und organisatorische Silos mitten im Informationsfluss stehen.

Genau deshalb ist es nicht damit getan, eine Abteilung Aftersales anzudocken oder ein neues Redaktionssystem oder Content-Delivery-Portal zu installieren. Die Unternehmensführung trägt die Verantwortung, passende organisatorische und menschlich-kommunikative Rahmenbedingungen zu schaffen, beginnend bei grundlegenden Maßnahmen wie einer sortierten Kommunikationskultur bis hinunter zu Standard-Tasks wie der Lösung doppelter oder sogar dreifacher Datenhaltung in Abteilungsfürstentümern.

Vor ein paar Jahren schrieb ich hier über das „Mauerblümchen“-Dasein, in dem sich Technische Redakteure und Redakteurinnen wähnen. Spätestens mit der Bedeutung von Aftersales in der Wertschöpfung ist diese Metapher endgültig in der Vergangenheit angekommen: Die Redaktion manifestiert die interne Kommunikation über den gesamten Produktlebenszyklus und die Customer Journey hinweg. Mit einer umfassenden Content-Strategie als Rahmen baut und hält die Technische Redaktion die Brücken zwischen Mitarbeitern im Service-Callcenter, die eine Fehlermeldung aus dem Feld erfassen; mit der Entwicklung, die mit Hilfe von Werkstattberichten die Potenziale zur Verbesserung der Produkte ausschöpft; mit der Unternehmensentwicklung, Marketing und natürlich dem Vertrieb (Abb. 01).

Kurz: Die Qualität der internen Kommunikation korreliert positiv mit der Qualität der Ergebnisse. Zudem bringt eine sinnvolle Kommunikationskultur einen weiteren, oft ungesehenen Vorteil: Resilienz. Ein Markt­ereignis kann Prozesse durcheinander werfen, so viel es will, eine feste kommunikative Basis hält es aus. Und dafür braucht es nicht einmal unbedingt jahrelange beraterische Begleitung, oft genügen kontinuierliche Impulse, die die Unternehmensführung mit der passenden Haltung vermittelt.

Schaubild zeigt bisherige Wissenssilos und deren Verbindung zu einer integrierten Strategie.
Abb. 01 Mit einer integrierten Content-Strategie kann ein Unternehmen bislang bestehende Silos (oben) auflösen und Produktinformationen in einen Prozess überführen, so dass alle Abteilungen profitieren. Quelle Mathias Maul

Die neue Menschenrichtlinie

Eine neue innere Haltung, man kann es auch Ausrichtung nennen, beginnt mit neuem Denken. Ich lege Ihnen mal einen Satz hin, den Sie sich nehmen können, wenn Sie mögen. Oder lassen Sie ihn liegen, dann nimmt ihn sich eben Ihre Konkurrenz: „Aftersales bringt genau dann Profit, wenn er aus Kundensicht über den gesamten Produktlebenszyklus gedacht und mit konsequenter Kommunikation unternehmensweit umgesetzt wird.“

Wenn Sie sich mit dem Satz angefreundet haben – vielleicht zappelt er zu Beginn ein bisschen –, geht’s zum nächsten Schritt. Denn auf das Umdenken muss ein Um-Machen folgen. Dafür hilft natürlich kein „mission statement,“ das per Dekret in die Flure gehängt wird, sondern schlicht das Tun, und sei es in kleinen und in sich orientierten Schritten. Denn die Haltung verfestigt sich nur mit dem Verhalten.

Wer Aftersales bislang nur angedockt statt systemisch umgesetzt hat, mag befürchten, dass seine neuen Pläne auf gerümpfte Nasen treffen. Deshalb ist es wichtig, dass die gesamte Geschäftsführung sicher im Boot ist, bevor die Umsetzung beginnt, vor allem, was die kommunikativen Aspekte angeht. Vielleicht sind hierfür Zugeständnisse untereinander nötig, vielleicht müssen Versäumnisse aufgearbeitet und neue Verantwortungen gefunden werden.

Angelehnt an die zurzeit viel diskutierte Maschinenverordnung plädiere ich: Finden Sie eine Orientierung im Unternehmen in Richtung von Zielen, die bedeutender sind, als immer mehr zu verkaufen. Denken Sie weit über den Produktlebenszyklus und die einzelne Customer Experience hinaus. Steuern Sie Ihr Verhalten schrittweise nach, das stabilisiert über die Zeit die Haltung.

Fast nebenbei wird das auch die dringend benötigten Mitarbeiter aus den Generationen Z und Alpha anziehen, ohne dass das Recruiting teurer werden muss. Denn Sinn-volles Arbeiten ist ganz auf ihrer Linie. Genau gesagt ist es das für uns alle, nur fällt es leichter, sich daran zu erinnern, wenn der Horizont weiter ist.

Vielen Dank an Bernd Waterkamp und Wolfgang Buschan für die offenen, kooperativen Gespräche. Fragen der Leserinnen und Leser an die Interview­partner leite ich gern weiter. Schreiben Sie mir: hi(at)maul.fyi

Aus einer Wolke fallen Geldmünzen.