Grammatikalischer Basisentscheid

Text: Markus Nickl

Der, die, das? Wieso, weshalb, warum ist die deutsche Sprache beim Genus von Substantiven so kompliziert? Kinder erfahren es in der Sesamstraße, Erwachsene lesen einfach diesen Beitrag.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 03:45 Minuten

Nachdem uns das Verb in den vergangenen Ausgaben beschäftigt hat, wenden wir unseren Blick auf das Substantiv und beginnen mit einer vergleichsweise exotischen Kategorie: dem Genus. Für Muttersprachler drängt sich das Genus einfach auf; wir können gar nicht an ein Substantiv denken, ohne automatisch zu wissen, welches Genus es hat. Erst wenn wir eine Zweitsprache lernen, die ebenfalls Genera besitzt, fällt uns auf, wie komplex diese Kategorie der Grammatik eigentlich ist.

Was ist das Genus?

Das Genus ist das so genannte grammatische Geschlecht – und damit beginnen auch schon die Probleme. Denn das grammatische Geschlecht hat nur am Rande mit dem natürlichen Geschlecht zu tun: „sächlich/Neutrum“, „weiblich/Femininum“ und „männlich/Maskulinum“ passen als Kriterium nur schlecht zu den Wörtern, die sie kennzeichnen. Was macht die „Anleitung“ weiblicher als das „Handbuch“ und den „Wartungsplan“? Ich weiß es nicht und ich vermute mal, es geht Ihnen ähnlich. Sogar wenn Personen bezeichnet werden, stimmen grammatisches Geschlecht und natürliches nicht immer überein: „Das Mädchen“ ist weiblich, „das (tekom-)Mitglied“ weiblich oder männlich und „die Geschäftsführung“ ist in vielen Unternehmen eher männlich. Genus und Geschlecht haben also nicht viel miteinander zu tun.

Vermutlich wäre es wohl besser gewesen, wenn die antiken Grammatiker gar nicht versucht hätten, Genus über das Geschlecht zu erklären. Allerdings ist das Genus eine grammatische Kategorie, für die sich auch keine andere systematische Bedeutung finden lässt. Wir wissen schlicht und einfach nicht, was sich unsere Vorfahren gedacht haben, als sie zum Beispiel dem Löffel ein maskulines Genus gegeben haben, der Gabel ein feminines und das Messer als Neutrum einsortiert haben. Logisch ist das nicht, aber normalerweise haben wir als Muttersprachler auch kein Problem damit. Und es sieht auch nicht so aus, als ob das Genus aussterben würde, wie es im Englischen geschehen ist. Wir müssen uns also auf absehbare Zeit auch weiterhin mit den drei Genera herumschlagen.

Was lässt sich vorhersagen?

Bei vielen Substantiven– auch sehr häufigen – lässt sich das Genus nicht vorhersagen. Wenn man Deutsch lernt, muss man deshalb zu jedem Substantiv auch das Genus lernen (zum Beispiel, indem man sich das Substantiv immer zusammen mit dem Artikel merkt).

Einige lernerleichternde Regeln gibt es dann aber doch. Das Deutsche ist ja bekannt für seine vielen Zusammensetzungen. Bei solchen Wörtern lässt sich das Genus immer anhand des Basisworts erkennen. „Das Gerät“ führt zu „das Montage-, Mess-, Haushaltsgerät“; demgegenüber ist „der Gerätewagen“ maskulin wegen „der Wagen“.

Auch durch Endungen lässt sich das Genus eines Wortes bestimmen. Wörter auf „-heit/-keit“, „-ung“, „-schaft“ und „-sal“ sind immer feminin (deshalb „die Mannschaft“, obwohl man bei „Mann“ ja eher auf ein maskulines Genus tippen würde). Wörter auf „-chen“, „-lein“ „-tum“ und „-nis“ sind Neutrum (deshalb „das Mädchen“). Wörter auf „-ling“, „-ler“ und „-erich“ („Wegerich“, „Wüterich“, „Gänserich“) sind maskulin. Damit lässt sich schon eine ganze Menge des deutschen Wortschatzes abdecken. Neben den Endsilben gibt es außerdem einige klangliche Regelmäßigkeiten: Zum Beispiel sind Substantive, die auf -e enden (wie „Ruhe“, „Milde“ oder „Eile“), meistens feminin. Allerdings gibt es hier auch Ausnahmen, etwa „das Auge“.

Abkürzungswörter beziehen ebenso wie die Zusammensetzungen ihr Genus von dem Basiswort der Wortfügung, aus der sie entstanden sind. Deshalb heißt es „der LKW“ (Last-Kraft-Wagen) aber „das AKW“ (Atom-Kraft-Werk) und die UKW (Ultra-Kurz-Welle). Manchmal ist das Basiswort allerdings nicht mehr offensichtlich und das kann zu Unterschieden führen. In manchen Gegenden Deutschlands sagt man zum Beispiel „der Radio“. Das klingt für Hochdeutschsprecher zunächst einmal recht fremd. Der Grund für diesen Unterschied ist aber einfach: Das Hochdeutsche leitet Radio von „das Radio(gerät)“ ab, die regionalen Varianten von „der Radio(apparat)“. Beide Varianten sind also in sich logisch.

Was hilft das?

Zugegeben, zunächst einmal hatte ich gedacht, dass Probleme mit dem Genus in der Praxis kaum zu Diskussionen führen. Deswegen hat es mich überrascht, dass solche Fragen durchaus im Expertenrat der tekom gestellt werden. Dabei geht es oft darum, welcher Artikel nun bei einem Fremdwort der korrekte ist. Auch bei Abkürzungen kann das Genus zum Problem werden, und das betrifft in manchen Fällen sogar Unternehmensnamen. Nehmen wir zum Beispiel die fiktive Firma „Europäischer Maschinenbau (EMB) AG“. Ist das nun „der EMB“ oder „die EMB“? Je nachdem, welches Bezugswort man wählt („Maschinenbau“ oder „AG“) wird die Antwort unterschiedlich ausfallen. Oft folgen erbitterte Diskussionen darüber, was nun richtig ist. Die Antwort ist klar: Beide, denn die Entscheidung für Femininum oder Maskulinum beruht auf unterschiedlichen Grundlagen.

Das ist sicherlich die wichtigste Erkenntnis, wenn es um das Genus geht. Es gibt hier nur in den wenigsten Fällen ein Richtig oder Falsch. Zumindest bei regionalen Varianten lässt sich zwar eine eindeutig korrekte feststellen (nämlich die in der jeweiligen Region gebräuchliche). Ansonsten sollte man aber die Verfahren anwenden, die wir oben angesprochen haben: Herausfinden, was das Basiswort einer Abkürzung ist, bzw. entscheiden, an welches deutsche Wort sich ein englischer Begriff anschließen lässt. Möglicherweise wird es keine eindeutige Antwort geben. Denn das Genus ist eine rein grammatische Kategorie. Wenn wir also Abkürzungen entwickeln oder Fremdwörter entlehnen, dann schaffen wir Sprache neu und müssen eine weitgehend willkürliche Entscheidung treffen. In solchen Fällen ist das Genus zu bestimmen dann letzten Endes eine terminologische Festlegung. 

Das Genus eines Wortes bestimmten - eine komplizierte Aufgabe.