Medienneutral in Sprache und Schrift

Text: Markus Nickl

Häufig liegen redaktionelle Inhalte in Informationsmodulen vor, aus denen Anleitungen, Internetseiten oder mobile Anwendungen entstehen. Das Ziel ist, die Inhalte der Module so zu formulieren, dass sie einwandfrei zu verstehen sind. Egal, in welchem Informationsprodukt sie verwendet werden.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 03:19 Minuten

Medienneutrale Datenhaltung ist einer der Kernpunkte für erfolgreiches Contentmanagement in der Technischen Redaktion. Wer allerdings glaubt, dass es für medienneutrale Datenhaltung schon ausreicht, wenn die Inhalte in XML vorliegen, der sollte sich bewusst machen, dass Medienneutralität viel mit Sprache zu tun hat. Sonst drohen böse Überraschungen.

Medienneutrale Schrift?

Sprache hat immer, wenn sie verschriftlicht wird, eine mediale Komponente. Das hört sich vielleicht verwirrend an, ist uns allen aber vertraut. Denn Schrift ist an einen Schriftträger gebunden und deshalb nicht medienneutral. Vermutlich kennen Sie alle die Probleme, wenn Texte auf kleinem Raum geschrieben sind und übersetzt werden. Manche Sprachen haben mehr Platzbedarf, andere weniger. Es gibt Sprachen, die von rechts nach links orientiert sind, von links nach rechts oder von oben nach unten und noch einige Varianten mehr. Ideographische Sprachen wie zum Beispiel das Chinesische haben einen geringen Platzbedarf, aber eine hohe Zahl an verschiedenen Zeichen. Es gibt also bereits beim Schriftsystem zahlreiche Medienaspekte zu beachten.

Vergleichbares gilt auch für die Schriftarten. Wir alle kennen die unterschiedlichen Lauflängen von Schriftfonts. Manche Fonts, wie etwa Times, wurden sogar eigens entwickelt, um bei hoher Lesbarkeit mit einer geringen Lauflänge zurechtzukommen. Auch hier sind Probleme bei der Nutzung der Schriftfläche vorhanden.

Problematisch werden Fonts auch dann, wenn sie neben den Buchstabenzeichen Sonderzeichen enthalten – insbesondere, wenn die Schriftart nicht unicodefähig ist. Wechselt man die Schriftart, dann wird womöglich aus einem Pfeil, der einen Handlungsschritt einleiten soll, ein Fehlerzeichen oder ein Smiley. Besonders wenn Inhalte in andere Softwaresysteme transferiert werden, kann es zu problematischen Medienbrüchen kommen.

Ein letztes Problem im Schriftbild ist schließlich die Wortlänge. Vor allem zu Beginn der medienneutralen Datenhaltung gab es hier oft Probleme, wenn etwa Tabellenzellen lange Wörter enthielten und auf einem kleinen Display dargestellt werden sollten. Auch bei der Beschriftung von Bildern kam es immer wieder zu Schwierigkeiten. Mittlerweile lassen sich diese Probleme jedoch durch eine Kombination aus automatisierter Silbentrennung, terminologischen Maßnahmen und der Wahl geeigneter Darstellungsformen für kleine Anzeigeflächen gut in den Griff bekommen.

Medienneutraler Inhalt

Sprache ist aber auch jenseits der Schrift nicht medienneutral, und zwar immer dann, wenn sie sich auf den Text selbst bezieht. „Bitte beachten Sie die Hinweise im Kapitel ‚Sicherheit‘.“ Diese Technischen Redaktionen so vertraute Formulierung funktioniert beispielsweise in einem Webangebot nicht, weil man einzelne Webseiten im Allgemeinen nicht als Kapitel bezeichnet. Das Gleiche gilt für Begriffe wie „Einleitung“, „Fußnote“ und natürlich „Seite“.

Ebenfalls nicht medienneutral sind Verweise innerhalb des Contents: „siehe oben“ oder „unter diesem Link …“. Denn natürlich wird in einem Printprodukt kein Link produktiv eingesetzt (allerdings können natürlich trotzdem Hinweise auf Links außerhalb des Dokuments vorkommen). Und was „oben“ steht, lässt sich in den typischen Contentmodulen einer medienneutralen Datenhaltung nur schwer vorhersagen.

Medienneutrale Struktur

Damit sind wir beim Übergang zwischen Textinhalt und Textstruktur. Denn auch Textstrukturen sind nicht medienneutral. Texte sind ein Geflecht aus Beziehungen zwischen Wörtern und Sätzen. Bei medienneutraler und modularer Contentorganisation wird dieses Geflecht aufgelöst und in kleine, selbstständige Elemente geteilt. Um das sinnvoll tun zu können, muss man neben den typischen Strukturgrenzen in Texten auch den Wortschatz kennen, der das Textgeflecht herstellt.

Das Repertoire im Wortschatz, das Textbeziehungen herstellt, ist relativ komplex und lässt sich in einem kurzen Fachbeitrag nicht behandeln. Besonders zwei Wortarten stechen aber aus diesem Repertoire heraus: Pronomen und Artikel.

Artikel zeigen an, ob ein Substantiv als bekannt vorausgesetzt wird, weil es zum Beispiel zuvor im Text schon erwähnt wurde. Dafür verwenden wir den bestimmten Artikel. Für Unbekanntes bzw. vorher nicht Erwähntes verwenden wir den unbestimmten Artikel. Bei der Aufteilung in einzelne Module kann es also zu Problemen kommen, wenn sich die vorherige Erwähnung in einem anderen Modul befindet als das durch den Artikel bestimmte Substantiv.

Ähnliches gilt auch für Pronomen. Sie tragen ja schon im Namen, dass sie ein Nomen ersetzen also „pro Nomen“ stehen. Und auch hier kann es zu Problemen kommen, wenn das Nomen, auf das es sich bezieht, in einem anderen Contentmodul landet als das dazu passende Pronomen.

Was tun damit?

Ist es unmöglich, Sprache medienneutral zu formulieren? Nein, das wäre zu viel gesagt. Aber als Technische Redaktion sollte man zunächst einmal das Problem kennen, um sich beim Umstieg auf ein medienneutrales System darauf einstellen zu können. Manche Punkte lassen sich dabei durch gezielte Terminologiearbeit schnell in den Griff bekommen. Andere Punkte, die sich stärker auf die Struktur der Texte beziehen, brauchen meist eine menschliche Qualitätssicherung. Hier gilt es, im Reviewprozess diesen Prüfpunkt einzubauen und gezielt nach solchen Fehlern zu suchen. Denn medienneutral werden Texte nicht durch einen technischen Standard, sondern erst dann, wenn die Sprache medienneutral ist.

Unterschiedliche Medien nebeneinander und zeigen das Bild einer Frau.