Doppelt hält einfach besser

Text: Markus Nickl

Gleich zwei Normen sind über Einfache Sprache erschienen. Was sie bringen und wie die Technische Redaktion davon profitieren kann.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 07:34 Minuten

In letzter Zeit hat Einfache Sprache in der Öffentlichkeit viel an Aufmerksamkeit gewonnen. Das hat zum einen damit zu tun, dass sie Probleme zu lösen verspricht, die viele Menschen angehen. Zum anderen spielt es eine Rolle, dass zu Einfacher Sprache zwei Normen erarbeitet wurden, die für mehr Klarheit sorgen. Da Einfache Sprache auch für Technische Redaktionen relevant ist, lohnt sich ein genauerer Blick auf die beiden neuen Normen.

Zwei Normen fürs Einfache?

In der ersten Jahreshälfte 2024 sind mit DIN ISO 24495-1 „Einfache Sprache – Teil 1: Grundsätze und Leitlinien“ und DIN 8581-1 „Einfache Sprache – Anwendung für das Deutsche – Teil 1: Sprachspezifische Festlegungen“ gleich zwei Normen zur Einfachen Sprache erschienen. Diese Doppelung mag auf den ersten Blick verwirren. Sie ist aber bei genauerem Hinsehen durchaus nachvollziehbar. Denn die beiden Normen stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern sie ergänzen sich auf verschiedenen Ebenen.

DIN ISO 24495-1 ist die autorisierte, ins Deutsche übersetzte Fassung der internationalen Norm ISO 24495-1 (an der wiederum der deutsche DIN-Arbeitskreis für Einfache Sprache mitgewirkt hat). Die Norm regelt allgemeine Aspekte der Einfachen Sprache. Die ISO 24495-1 ist also (im Prinzip) weltweit anwendbar. Das DIN (bzw. die Arbeitsgruppe „Einfache Sprache“ im DIN) hat allerdings beschlossen, diese Norm für deutschsprachige Anwenderinnen und Anwender leichter zugänglich zu machen und eine Übersetzung des englischen Originals ins Deutsche beauftragt.

Wozu aber die zweite Norm? Bei Einfacher Sprache geht es – und das wird sicher niemand überraschen – ganz primär um Sprache. Dies unterscheidet diese Normen somit ein Stück weit von anderen Normen. Denn natürlich sind Sprachen je nach Zielland anders. Eine Norm muss also auf diese sprachlichen Unterschiede eingehen, sobald sie konkretere Regeln für Einfache Sprache bieten möchte. Eine Norm für Plain English kann deshalb nicht einfach auf das Deutsche, Französische oder auch Japanische übertragen werden. Sie muss vielmehr der jeweiligen Einzelsprache Rechnung tragen.

Deshalb regelt die Norm DIN 8581-1 die konkrete sprachliche Ausgestaltung der Einfachen Sprache speziell für das Deutsche. Sie nimmt Stellung zu vielen stilistischen, grammatischen und lexikalischen Eigenheiten des Deutschen und zeigt, wie sich durch die richtige Wahl der sprachlichen Mittel eine klare und einfache Kommunikation erreichen lässt.

Die beiden Normen ergänzen sich also gegenseitig. DIN ISO 24495-1 regelt allgemeine Aspekte der Einfachen Sprache, die sich weltweit und unabhängig von der konkreten Einzelsprache umsetzen lassen. DIN 8581-1 setzt diese allgemeinen Regeln um und konkretisiert sie für das Deutsche. Sie konzentriert sich dabei auf die genauen Formulierungen, während DIN ISO 24495-1 ihren Schwerpunkt auf den Schreib- und Publikationsprozess legt.

Wer sind die Zielgruppen?

An wen richten sich nun die beiden Normen? Auch hier gibt es eine Besonderheit im Vergleich zu manchen anderen Industrienormen. Denn die Zielgruppe der Normen für Einfache Sprache ist sehr breit bemessen. Zielgruppe sind alle Menschen, die professionelle Sachtexte verfassen und die sich an einen breiten Adressatenkreis richten müssen.

Die Norm wendet sich also ebenso an Journalisten und Journalistinnen wie an die Technische Redaktion, sie spricht Sachbearbeiter und Sachbearbeiterinnen in Behörden ebenso an wie die Gesetzgebung, und sie richtet sich gleichermaßen an die Wissenschaft wie an das Marketing und viele andere Bereiche des öffentlichen Lebens.

Neben den Schreibenden fokussiert die Norm Menschen, die Schreibleistungen beauftragen. Ihnen bietet die Norm eine Richtschnur und einen einheitlichen Qualitätsstandard, der beispielsweise in Ausschreibungen zugrunde gelegt werden kann.

Übrigens: Oft wird Einfache Sprache als eine Schreibtechnik missverstanden, die sich hauptsächlich an Menschen mit kognitiven Einschränkungen richtet. Zwar profitieren auch diese Menschen von Einfacher Sprache. Doch für diese Zielgruppe gibt es eine eigene Schreibtechnik, die so genannte „Leichte Sprache“. Sie nimmt auf kognitive Einschränkungen besonders Rücksicht.

Für Leichte Sprache wird derzeit ebenfalls ein Standard erarbeitet, der in einer Vorabfassung als E DIN SPEC 33429:2023-04 „Empfehlungen für Deutsche Leichte Sprache“ zur öffentlichen Kommentierung vorliegt. Einfache Sprache richtet sich dagegen an alle Menschen, die Sachtexte lesen und bearbeiten müssen.

Einfache Sprache im Detail

Was haben die beiden Normen inhaltlich zu bieten? DIN ISO 24495-1 stellt vier Grundsätze für Einfache Sprache auf:

  • Grundsatz 1: relevant
    Die Leser und Leserinnen erhalten, was sie brauchen.
  • Grundsatz 2: auffindbar
    Die Leser und Leserinnen können leicht finden, was sie brauchen.
  • Grundsatz 3: verständlich
    Die Leser und Leserinnen können leicht verstehen, was sie finden.
  • Grundsatz 4: hilfreich
    Die Leser und Leserinnen können die Informationen leicht verwenden.

Diese Grundsätze führen zu weiteren Leitlinien, die sie ausdifferenzieren. Zum Beispiel bedingt der Grundsatz „relevant“ eine Zielgruppenanalyse für Texte in Einfacher Sprache. Er zeigt aber auch, dass die Auswahl eines passenden Dokumenttyps notwendig ist. Der Grundsatz 4 wiederum hat zur Folge, dass Dokumente während ihres gesamten Lebenszyklus (und nicht nur bei der Erstellung) evaluiert werden müssen.

Wie diese Leitlinien umzusetzen sind, schreibt die Norm allerdings nicht vor. Welche Form der Zielgruppenanalyse für ein Dokument vorgenommen wird und welchen Umfang diese Zielgruppenanalyse annimmt, bleibt also den Autoren und Autorinnen überlassen. Das kann je nach Dokument von einem kurzen Nachdenken („Für wen schreibe ich das eigentlich? Was wollen diese Leute wissen?“) bis zu aufwendigen Nutzeranalysen und User-Personas ganz unterschiedlich gelöst werden.

Die Grundsätze für Einfache Sprache sind zwar sehr breit gespannt. Sie decken aber sämtliche Aspekte des Schreibens ab und sind dann in den Leitlinien weiter ausdifferenziert. Sicher war es auch eine gute Entscheidung, die konkrete Umsetzung der Leitlinie den Anwendern und Anwenderinnen der Norm zu überlassen. Denn die Norm deckt, wie wir bereits gesehen haben, eine Vielzahl von Zielgruppen und Kommunikationssituationen ab. Welcher Aufwand für Einfache Sprache getrieben werden kann und welcher Aufwand notwendig ist, hängt deshalb von zahlreichen Rahmenbedingungen ab und sollte nicht pauschal vorgeschrieben werden.

DIN 8581-1 wiederum regelt die sprachliche Gestaltung der Texte in Einfacher Sprache. Diese Norm kann ein wenig stärker ins Detail gehen, da sie sich ja nur auf das Deutsche bezieht. Sie nennt Standards und Empfehlungen zum Schreiben von Texten in Einfacher Sprache. Dabei betrachtet sie alle sprachlichen Ebenen, angefangen bei Stil und Pragmatik bis hinab zur Wortebene. Außerdem nennt sie einige Empfehlungen zur Gestaltung von Texten in Einfacher Sprache.

Anders als DIN ISO 24495-1 stellt DIN 8581-1 einige feste Anforderungen, wie Texte in Einfacher Sprache beschaffen sein müssen. So schreibt die Norm zum Beispiel eine maximale Satzlänge von 25 Wörtern vor. Oder sie bestimmt, dass nur einfache Hauptsätze und kurze Satzgefüge verwendet werden dürfen. Diese Anforderungen beschränken sich allerdings auf das Allerwesentlichste. Sie lassen Autoren und Autorinnen weiterhin viel Freiheiten, ihre Texte passend zu verschiedenen Zielgruppen und Kommunikationssituationen zu verfassen.

In der Kombination geben die beiden Normen also eine ausgewogene Mischung aus Anregungen und Hintergründen zur Verbesserung des Schreibstils und einem verlässlichen Gerüst, mit dem die eigenen Dokumente leichter überprüfbar werden.

Und die Technische Redaktion?

Auch Technische Redakteurinnen und Redakteure gehören zur Zielgruppe für Einfache Sprache. Denn natürlich erstellen auch sie regelmäßig Sachtexte für breite Zielgruppen, und viele Technische Redaktionen richten sich auch explizit an Laien. Bedeutet das nun, dass Technische Redaktionen ihre Arbeit neugestalten müssen? Gibt es womöglich sogar Konflikte zu „Gebrauchsanleitungsnormen“ wie DIN EN IEC/IEEE 82079-1 oder DIN EN ISO 20607?

Diese Befürchtungen sind zum Glück überflüssig. Die Normen für Einfache Sprache sind in allen Belangen kompatibel zu den bestehenden Anleitungsnormen. Etablierte Prinzipien der Technischen Redaktion wie etwa Minimalismus werden zwar nicht explizit in den Normen benannt. Die Grundsätze und Leitlinien der Norm sind aber durchaus kompatibel dazu. So impliziert zum Beispiel Grundsatz 1: „Relevanz“ auch die Prinzipien des Minimalismus, da der Grundsatz enthält, dass nur funktionale sprachliche Elemente eingesetzt werden, die den Kommunikationsvorgang unterstützen.

Den Bedürfnissen der Technischen Kommunikation stehen die Normen also nicht entgegen. Das war auch schon durch die institutionelle Einordnung des Einfache-Sprache-Projekts zu erwarten. Denn bei DIN ist der Arbeitskreis Einfache Sprache der Arbeitsgruppe Technische Kommunikation zugeordnet. Dies hatte sich im Projektverlauf als hilfreich erwiesen, da viele Erkenntnisse und Konzepte aus der Technischen Kommunikation in die Arbeit für die Einfache Sprache einfließen konnten.

Inhaltlich bieten die beiden neuen Normen für Technische Redaktionen also wenig Überraschungen. Das entlastet zunächst einmal, denn die Normen bedeuten keinen unmittelbaren Handlungsbedarf für Redaktionen. Umgekehrt heißt das aber nicht, dass die Normen zur Einfachen Sprache nicht für die Arbeit in der Technischen Redaktion nützlich sind.

Zum einen stellen die Normen für Einfache Sprache die Qualitätsstandards der Technischen Redaktion in einen größeren Zusammenhang. Anforderungen an Textinformationen aus der DIN 82079-1 ließen sich als Spezialregeln nur für die Technische Dokumentation verstehen. Sie schienen dadurch ungeeignet für breitere Anwendungen als Sprachstandard, etwa in Digitalisierungsprojekten, als Trainingsmaterial für KIs oder als gemeinsamer Standard für Marketing, Training und Dokumentation. DIN 8581-1 macht nun also Standards, die so auch für die Technische Redaktion gelten, für einen breiteren Adressatenkreis anwendbar. Sie bietet sich als Standard für die Spracharbeit jenseits der Abteilungsgrenzen an.

Zum anderen sind die beiden Normen eine objektivierbare Grundlage für Redaktionsleistungen, etwa bei Ausschreibungen oder für die Qualitätssicherung. Mit den Standards für Einfache Sprache erhalten Schreibtechniken aus der Technischen Redaktion zudem eine breitere Öffentlichkeit. Es ist zu erwarten, dass sich viele Menschen aus Schreibberufen mit den Qualitätsstandards für Einfache Sprache beschäftigen werden. Diese würden sich ansonsten wohl kaum mit den sprachlichen Qualitätsstandards für Technische Kommunikation beschäftigen, obwohl diese nahezu identisch sind. In Zeiten eines zunehmenden Arbeitskräftemangels entsteht so ein Reservoir an Menschen, die zumindest eine Basisqualifikation für den Quereinstieg in die Technische Redaktion besitzen.

Wie geht es weiter?

DIN ISO 24495-1 ist im März 2024 erschienen, DIN 8581-1 Anfang Mai. Die beiden Normen hatten bereits Gelegenheit, sich in der Öffentlichkeit zu bewähren. Tatsächlich wurden die Publikationen in der professionellen Community für Einfache Sprache wohlwollend aufgenommen. Das war durchaus nicht selbstverständlich, denn oft ist die breite Öffentlichkeit eher skeptisch, wenn es um sprachliche Normierung geht. Im Fall der Einfachen Sprache scheinen die Normen aber offensichtlich eine Lücke geschlossen zu haben, die vielen Menschen bisher die Arbeit erschwert hat. Besonders prominent zeigt sich das darin, dass die ARD-Tagesschau für ihr neues Nachrichtenangebot in Einfacher Sprache DIN 8581-1 zugrunde legt.

Doch wie geht es nun weiter mit der Standardisierung zur Einfachen Sprache? Die derzeitigen Arbeiten konzentrieren sich auf Normen für bestimmte gesellschaftliche Bereiche. Zurzeit sind in der internationalen Arbeitsgruppe Standards für wissenschaftliche und für juristische Texte in Arbeit. Außerdem bestehen Überlegungen, Anforderungen für Unternehmen zu definieren, die Einfache Sprache einsetzen. Diese könnten dann beispielsweise die Basis für eine Zertifizierung werden. Die Arbeit geht also auch nach dem ersten großen Wurf mit den beiden Normen weiter.

Links zum Weiterlesen

DIN ISO 24495-1:2024-03 „Einfache Sprache – Teil 1: Grundsätze und Leitlinien“ (ISO 24495-1:2023): https://www.dinmedia.de/de/norm/din-iso-24495-1/375008622

DIN 8581-1:2024-05 „Einfache Sprache – Anwendung für das Deutsche – Teil 1: Sprachspezifische Festlegungen“: https://www.dinmedia.de/de/norm/din-8581-1/377238273

E DIN SPEC 33429:2023-04 „Empfehlungen für Deutsche Leichte Sprache“: https://www.din.de/de/mitwirken/normenausschuesse/naerg/e-din-spec-33429-2023-04-empfehlungen-fuer-deutsche-leichte-sprache--901210

SRF (2024): „Deutsche ‚Tagesschau‘ sendet in einfacher Sprache“, https://www.srf.ch/news/international/angebot-ausgeweitet-deutsche-tagesschau-sendet-in-einfacher-sprache

Zeichnung von zwei jungen Frauen mit grünen Haken in der Hand.