Zehn Fragen zu iiRDS

Wie bewährt sich iiRDS in der Praxis, etwa bei einem Hersteller von Messgeräten? Welchen Nutzen hat der Standard und wo liegen seine Potenziale? Thomas Ziesing und Ulrike Parson haben die Antworten.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 07:19 Minuten

Der intelligent information Request and Delivery Standard (iiRDS) definiert einheitliche Metadaten für alle Informationsprodukte. Damit vereinfacht er den Informationsaustausch, zum Beispiel zwischen einem Hersteller und seinen Lieferanten. Aber auch innerhalb des Unternehmens kann iiRDS die Informationsprozesse verbessern. Ein Beispiel für den Einsatz von iiRDS ist der Schweizer Hersteller Endress+Hauser.

1. Wie sind Sie auf iiRDS gestoßen und seit wann beschäftigen Sie sich mit iiRDS?

Thomas Ziesing (Endress+Hauser): Wir sind über die tekom auf das Thema aufmerksam geworden. Uns erschienen der Ansatz und die Möglichkeiten von iiRDS so interessant, dass wir dem Konsortium 2018 als Gründungsmitglied beigetreten sind. Seitdem arbeiten wir im Konsortium an der Weiterentwicklung mit.

2. Warum haben Sie sich für iiRDS entschieden?

Thomas Ziesing: Wir sehen das größte Potenzial in der Offenheit und Erweiterbarkeit von iiRDS. Als einer der führenden Anbieter von Messgeräten, Dienstleistungen und Lösungen für die industrielle Verfahrenstechnik hat Endress+Hauser in der Vergangenheit hinreichend Erfahrungen mit Standards zur Beschreibung und Klassifikation seiner Produkte sammeln können. Zu diesen Standard zählen NE100 und ECLASS. Häufig sind wir auf das Problem gestoßen, dass sich darin bestimmte Aspekte und Features, ja teilweise ganze Gerätetypen, nicht oder nicht vollständig abbilden lassen.

Zudem sind viele dieser Standards auf die Anforderungen oder Bedürfnisse einer Branche zugeschnitten. Da Endress+Hauser aber in unterschiedlichsten Branchen tätig ist, stellt uns dies häufig vor Probleme und erzeugt erhöhten Aufwand

In iiRDS sehen wir die Möglichkeit, unsere Informationen umfassend und holistisch abbilden zu können. Zudem bieten die Kombinierbarkeit und Kooperation mit anderen Industriestandards, etwa ECLASS, aus unserer Sicht Möglichkeiten, alle unsere Metadaten in einem einzigen Modell abzubilden und dadurch unsere Prozesse zu optimieren. Auch Bestrebungen zur internationalen Standardisierung als Prozessmodell für den Austausch von Informationen kommt unseren Aktivitäten im Bereich Digitalisierung und Industrie 4.0 entgegen.

Ulrike Parson (parson): iiRDS bietet ein standardisiertes Informationsmodell für Technische Dokumentation, das sich unabhängig von der technischen Implementierung hervorragend als Blaupause für unternehmensspezifische Metadatenmodelle eignet. Und dieses Wissen kann von jedem Unternehmen kostenfrei genutzt werden, da iiRDS ein Open-Source-Standard ist.

Über die Technische Redaktion

In fünf „Product Centern“ sind über 40 Mit­arbeitende in eigenen Technischen Redaktionen tätig. Sie erstellen derzeit mit COSIMA Enterprise Betriebsanleitungen, Kompakt­anleitungen, Sicherheitsanweisung, Einbau­anleitungen und anderes; vorrangig in Form von Printdokumenten. Diese werden in bis zu 30 Sprachen zur Verfügung gestellt.

Inf. 01 Quelle Endress+Hauser

3. Für welche Produkte setzen Sie iiRDS ein?

Thomas Ziesing: Zurzeit arbeiten wir an einem Projekt, in dem wir die Erstellung, Verwaltung und Bereitstellung von Informationen der Technischen Kommunikation komplett neu konzipieren. Dabei werden diese Informationen in topicorientierten Informationseinheiten erfasst und in einem übergreifenden Informationsmodell gespeichert. Über ein graphbasiertes Produktmodell werden diese Informationseinheiten dann mit den Kontexten verbunden, für die sie gültig sind. Ziel ist es, zukünftig in der Lage zu sein, bestellcodespezifische Dokumentation zu erzeugen und diese Informationseinheiten kontextorientiert anderen Anwendungen zur Verfügung zu stellen.

iiRDS dient dabei als Ontologie für Strukturierung und Klassifizierung der Inhalte und wird das Auslieferungsformat für die Bereitstellung sein.

4. Wie verwenden Sie iiRDS in der Technischen Redaktion?

Thomas Ziesing: In dem bereits erwähnten Projekt werden die Inhalte der Technischen Dokumentation topicbasiert in Informationseinheiten erstellt. Diese Informationseinheiten sind DITA-basiert. Sie werden automatisch mit den Metadaten angereichert, die sie durch ihre Zuordnung zum Informationsmodell und Produktmodell erhalten. Da iiRDS die zugrunde liegende Ontologie ist, orientieren sich die Metadaten daran.

Die Informationseinheiten werden zukünftig nicht nur in Informationsprodukten wie einer Betriebsanleitung zur Verfügung gestellt. Sie sollen auch über die Metadaten einzeln und gezielt angesprochen und ausgeliefert werden, um zum Beispiel in einer App oder Website verwendet werden zu können. iiRDS wird dabei als Transportformat dienen: Die Informationseinheiten werden als iiRDS-Pakete an ein Content-Delivery-Portal übertragen. Endanwender und Apps können die Informationen aus dem Portal über Metadaten finden und zur weiteren Verwendung abrufen.

5. Haben Sie externe Unterstützung hinzugezogen?

Thomas Ziesing: Für die fachliche und inhaltliche Beratung haben wir bei diesem Projekt die parson AG hinzugezogen. parson ist wie Endress+Hauser iiRDS-Konsortiumsmitglied und bringt große Kompetenz in diesem Bereich wie auch bei DITA mit. Diese hilft uns sehr.

Unser technischer Partner ist Empolis, ebenfalls ein iiRDS-Konsortiumsmitglied. Hier verwenden wir deren Knowledge-Graph-Komponente zur Strukturierung und intelligenten Verknüpfung zusammen mit dem CCMS, mit dem wir die Inhalte erstellen.

6. Welche weiteren Abteilungen sind in die Umsetzung von iiRDS eingebunden?

Thomas Ziesing: Das Projekt in der Technischen Kommunikation ist ein Pilot. Mit ihm wollen wir die Möglichkeiten von iiRDS testen und demonstrieren. Grundsätzlich ist denkbar und auch geplant, dieses Konzept auf andere Informationsarten auszuweiten.

Ulrike Parson: In unserem iiRDS-Projekt fließen schon jetzt Informationen aus verschiedenen Unternehmensabteilungen zusammen. Die Produktdaten kommen aus unterschiedlichen Systemen wie einem PIM und einem Softwarekonfigurationssystem. Das Informationsmodell wird von den Technischen Redaktionen gepflegt, und das Produktmanagement ist für die Bestelloptionen der Produkte verantwortlich. Das Projekt hat deshalb auch die große Aufgabe, Daten aus verschiedenen Quellen zu harmonisieren. (Abb. 01)

Thomas Ziesing: Speziell im Umfeld der Digitalisierungsaktivitäten besteht großes Interesse an diesen harmonisierten Produktdaten und Dokumentationsinhalten, die passend zum Bestellcode zusammengestellt werden können. Zum einen planen wir die Einbindung dieser Inhalte in eigene Applikationen und zum anderen die Auslieferung der Technischen Dokumentation in einer Verwaltungsschale für den digitalen Zwilling. Das entsprechende Submodell „Intelligent Information for Use“ beruht ebenfalls auf dem iiRDS-Konzept. [1]

Elemente eines Projekts mit dem Standard iiRDS.
Abb. 01 Technische Elemente und Schnittstellen des iiRDS-Projekts. Quelle Ulrike Parson und Thomas Ziesing

7. Binden Sie auch Ihre Lieferanten ein und falls ja, wie läuft die Zusammenarbeit inzwischen ab?

Thomas Ziesing: Derzeit arbeiten wir noch nicht operativ mit iiRDS. Wir sind aber bereits in Gesprächen mit einem unserer Kunden, einem Anlagenbauer. Er ist sehr an unserem Konzept interessiert und möchte iiRDS-Pakete in seine Engineering-Prozesse einbinden. Vor allem, weil er darin erhebliches Potenzial sieht, seine Prozesse zu vereinfachen und zu optimieren. Ich erwarte, dass solche Kooperationen zunehmen werden, sobald das Projekt abgeschlossen ist und wir die Inhalte der Technischen Dokumentation in Form von topicorientierten Informationseinheiten bereitstellen können.

8. Wie haben sich mit Einführung von iiRDS die Abläufe in der Technischen Redaktion verändert?

Thomas Ziesing: Mit der Umsetzung des Projekts werden sich die Abläufe in der Technischen Redaktion fundamental ändern. Der Grund ist, dass von der dokumentorientierten Erstellung und Verwaltung von Inhalten auf eine topicorientierte Erstellung und Verwaltung auf Basis eines Informationsmodells und von Produktmodellen umgestellt wird.

Die Technischen Redakteure werden nicht mehr im Kontext von Dokumenten, sondern auf Basis von Redaktionsaufträgen arbeiten. In einem Redaktionsauftrag werden passend zur Produktvariante die Inhalte für einen bestimmten Themenbereich zusammengestellt, etwa für die Inbetriebnahme des Produkts. Die Zusammenstellung erfolgt mit Hilfe des Knowledge-Graphen. Darin werden Produktmodell und Informationsmodell verwaltet. Dabei werden bereits vorhandene Informationseinheiten aufgrund der zugeordneten Metadaten automatisch ermittelt und fehlende Informationseinheiten angelegt. Die Strukturen dieser Informationseinheiten sind DITA-basiert.

Erstellte und freigegebene Redaktionsaufträge werden zeitnah übersetzt und die enthaltenen Informationseinheiten veröffentlicht. Dadurch stehen sie in allen notwendigen Sprachen zur Verwendung in einem Content-Delivery-Portal zur Verfügung.

Die Zusammenstellung und Publikation von Informationsprodukten, wie zum Beispiel Betriebsanleitungen oder Datenblättern, erfolgt davon unabhängig, eventuell fallbasiert. Durch Mechanismen wie eine automatische Vollständigkeitsprüfung wird dabei sichergestellt, dass alle notwendigen Informationen für ein Informationsprodukt vorhanden sind. Die so generierten Informationsprodukte werden vom System mit den notwendigen Metadaten versehen und lassen sich anschließend in unterschiedlichen Ausgabeformaten publizieren.

Wir erhoffen uns so eine deutliche Beschleunigung im Erstellungsprozess, da Redaktionsaufträge früher und fokussierter gestartet werden können. Durch die höhere Granularität bei den Informationseinheiten werden wir eine größere Flexibilität bei der Verwendung erreichen, um so Inhalte in unterschiedlichen Informationsprodukten und Kontexten verwenden zu können. Das geht so weit, dass wir anstreben, auf diese Weise bestellcodespezifische Dokumentationen und Informationen ausliefern zu können. Außerdem ist die Technische Redaktion damit auf die wachsenden Anforderungen durch die Digitalisierung vorbereitet und kann zu Formaten wie der Verwaltungsschale oder dem digitalen Zwilling beitragen (Abb. 02).

Schaubild zeigt die Elemente und Schritte für den Erstellungsprozess mit iiRDS.
Abb. 02 Übersicht über den geplanten Erstellungsprozess mit iiRDS. Quelle Ulrike Parson und Thomas Ziesing

9. Welche zukünftigen Vorteile versprechen Sie sich von iiRDS?

Thomas Ziesing: Wie erwähnt, dient iiRDS als Ontologie für Strukturierung und Klassifizierung der Inhalte und wird das Format für die Auslieferung sein. Dank Offenheit und individueller Erweiterbarkeit können wir die Informationen zu unseren Geräten und Produkten ohne große Restrikt­ionen einordnen.

Auch die Möglichkeiten für die Suche und Auslieferung entsprechen unseren Anforderungen. Dadurch wird es für uns leichter, die Informationen der Technischen Dokumentation für verschiedene Anwendungsfälle ausgeben zu können.

Die Kooperation und Abstimmung mit anderen Gremien wie ECLASS oder VDI 2770 sehen wir ebenfalls als Vorteil. Dadurch wird der Austausch zwischen unterschiedlichen Systemen erheblich vereinfacht.

Ulrike Parson: Das Verwenden von Standards wie iiRDS und DITA macht das neue Dokumentationskonzept unabhängiger von der technischen Implementierung in einem konkreten Redaktionssystem. Gleichzeitig nutzen wir das Wissen, das in diesen Standards festgehalten ist, und müssen nicht alle Konzepte von Grund auf neu entwickeln. Zukünftige Ergänzungen in den Standards können wir für unser Projekt nutzen.

10. Wo sehen Sie bei iiRDS Verbesserungspotenziale?

Ulrike Parson: Ein Verbesserungspotenzial war lange die fehlende Abfrageschnittstelle für iiRDS-Inhalte. Daran arbeitet das Konsortium aber gerade. Und daher hoffen wir, diese API für die zukünftige Auslieferung der Endress+Hauser-Inhalte nutzen zu können.

Eine andere Sache ist, dass iiRDS ganz bewusst nicht die Produktdimension abbildet, zum Beispiel Produktfunktionen, Produktmerkmale und Produktvarianten. iiRDS ist ja ein Informationsmodell, kein Produktdatenstandard. Man muss das jedoch in einem solchen Projekt wie bei Endress+Hauser einkalkulieren – das Produktmodell muss unternehmensspezifisch entwickelt und mit iiRDS verbunden werden.

Über Endress+Hauser

Endress+Hauser ist ein weltweit führender Anbieter von Messgeräten, Dienstleistungen und Lösungen für die industrielle Verfahrenstechnik. Das Unternehmen bietet Prozesslösungen für Durchfluss-, Füllstand-, Druck- und Temperaturmessung, für analytische Messungen sowie Messwertregistrierung und digitale Kommunikation und optimiert so Prozesse hinsichtlich wirtschaftlicher Effizienz, Sicherheit und Auswirkungen auf die Umwelt. Die Kunden arbeiten in den unterschiedlichsten Branchen, wie Chemie, Energie und Kraftwerke, Grundstoffe, Metalle & Bergbau, Lebensmittel, Life Sciences, Öl und Gas sowie Wasser/Abwasser.

Inf. 02 Quelle Endress+Hauser

Link zum Artikel

[1] https://landkarte.interopera.de/wp-content/uploads/2023/08/Submodel-Specification-Document_Intelligent-Information-for-Use.pdf

Titelseite von Ausgabe 06 2024 der Fachzeitschrift technische kommunikation.