Die digitale Transformation
iiRDS entspringt den Anforderungen und Versprechen, die die so genannte digitale Transformation mit sich bringt. Informations- und Datenflüsse in industriellen Prozessen sollen automatisiert, ohne Medienbrüche und repetitive Handarbeit, möglichst direkt ineinandergreifen. Dadurch sollen die Betriebsprozesse schneller und effizienter werden (Tab. 01).
Tab. 01 Quelle Edgar Hellfritsch
Damit dieses Ineinandergreifen funktionieren kann, müssen Schnittstellen, die vorher manuelle Eingriffe erfordert haben, auf automatisierbare Mechanismen umgestellt werden. Für die Technische Redaktion bringt das zunächst zwei Aspekte mit sich: Ihre Informationsflüsse und Arbeitsprozesse müssen sich stärker mit anderen Abteilungen im Unternehmen vernetzen. Gleichzeitig, und hier setzt iiRDS an, müssen ihre Erzeugnisse für eine digitale Bereitstellung optimiert werden. Was bedeutet das?
Ein wesentliches Ziel digitaler Bereitstellung von Informationen ist es, den Zugang zu Information maschinell zu unterstützen und damit erheblich zu erleichtern. Nutzerinnen und Nutzer sollen nicht selbst die benötigten Dokumente ermitteln und dort die richtige Stelle für das heraussuchen, was sie gerade tun wollen. Vielmehr haben sie im Idealfall genau die Information, die jetzt gerade benötigt wird, unmittelbar zur Verfügung. Ein kleines Beispiel soll das verdeutlichen: Sie identifizieren sich als Servicetechniker an einer Werkzeugmaschine, die ein Wartungsintervall erreicht hat. Die Maschine „weiß“, in welchem Betriebszustand sie sich befindet und welche Arbeiten demnach anstehen. Sie „weiß“ durch Ihre Identifikation, welche Rolle Sie innehaben und in welcher Sprache Sie unterwegs sind. Außerdem „kennt“ die Maschine ihren Hersteller, ihre Serie und sie „weiß“, welche Optionen in ihr verbaut sind. Das sind alles Informationen, die in der Verwaltungsschale vorhanden sind, dem „digitalen Zwilling“.
Damit kann die Maschine Ihnen direkt die Informationen heraussuchen und bereitstellen, die Sie jetzt benötigen: Die Anleitung zum Durchführen des Wartungsvorgangs, die Liste der benötigten Werkzeuge und Materialien und vielleicht auch noch Informationen über deren Verfügbarkeit und wo der nächste Würth-Laden zu finden ist. Das alles ist selbstverständlich in Ihrer Sprache und für die Zielgruppe „Servicetechniker“ vorhanden.
Um ein solches Szenario zu ermöglichen, müssen einige Voraussetzungen gegeben sein. Die Maschine benötigt Zugang zu einem Content-Delivery-Service, der die genannten Angaben verarbeiten und die passende Information zurückliefern kann. Ob dieser Service sich direkt auf der Maschine, im Kontrollsystem der Anlage oder auf dem Webserver des Maschinenherstellers befindet, ist dabei zweitrangig. Interessant für unsere Zwecke ist der Content, der dort bereitsteht. Denn der muss die Informationen über sich, die „Intelligenz“, mitbringen, um entsprechend auswertbar zu sein.
Die intelligente Information
Intelligente digitale Zugangswege wie im Beispiel funktionieren umso besser, je mehr „Intelligenz“ in den bereitgestellten Informationen vorhanden ist. Der Gedanke dabei ist, eine Informationseinheit, hier ein Dokument, mit Informationen über sich selbst zu versehen, also mit „Metainformationen“, die sich nach Bedarf auswerten lassen. Im einfachsten Fall sind Dokumentart („Ich bin eine Wartungsanleitung …“), Zielgruppe („… für Servicetechniker …“) und Zuordnung zu einem Produkt („… und ich gelte für diese Maschine“) nötig, um eine Informationseinheit digital auffindbar zu machen (Tab. 02).
Tab. 02 Quelle Edgar Hellfritsch
Die Einteilung in Dokumente als Informationseinheiten ist uns dabei allen vertraut. Nimmt man aber das geschilderte Szenario ernst, dem Anwender nur die gerade jetzt benötigte Information anbieten zu wollen, muss man etwas tiefer einsteigen und einzelne, in sich geschlossene Sinnabschnitte bereitstellen, zum Beispiel die schrittweise Anleitung, um eine bestimmte Wartungsarbeit durchzuführen. Die Informationseinheit ist damit nicht mehr das Dokument, sondern ein in sich geschlossenes Thema oder „Topic“. Diese Einteilung kennt man von DITA oder vielleicht von den Windows-Hilfetafeln früherer Zeiten. Mehr Information zu Topics und den Unterschieden zu Kapitelstrukturen findet sich unter dem Schlagwort „Topic-basiertes Schreiben“ in unterschiedlichen Medien rund um die tekom. Der wichtige Punkt an dieser Stelle ist, dass „intelligente Information“ auf festgelegten Informationseinheiten beruht, die mit Metainformation versehen sind.
Metainformationen lassen sich anhand ihres Zwecks in Kategorien aufteilen. Sie dienen zur Identifikation, zur Beschreibung von Eigenschaften oder zur Darstellung von Beziehung zu anderen Einheiten. Das lässt sich am besten an Beispielen erklären: Die Dokumentart oder die Zielgruppe sind Eigenschaften eines Dokuments, wobei die Zielgruppe ein Topic beschreiben kann. Die Dokumentnummer oder eine Topic-ID dient zur Identifikation. Diese lassen sich beispielsweise nutzen, um Verweise auf andere Topics oder Dokumente darzustellen.
Verweise und das Herstellen von Beziehungen zwischen Informationseinheiten sind ein wichtiger Bestandteil der „Intelligenz“ der Information. Aussagen wie „Für diese Tätigkeit benötigt man jenes Werkzeug“, „Für diese Baugruppe sind jene Reparatursätze erhältlich“, „An diesem Gerät müssen folgende Wartungsarbeiten durchgeführt werden“ lassen sich als Metainformation abbilden. Sie bilden ein Beziehungsnetzwerk zwischen Informationseinheiten und sind Grundlage aller intelligenten Content-Delivery-Konzepte und gängiger KI-Mechanismen auf Basis so genannter „Knowledge Graphs“. Man kann festlegen, welche Beziehungen zwischen welchen Objekten erlaubt sind und spricht dann von einer Ontologie.
Standard für intelligente Information
Schaut man sich auf dem aktuellen Content-Delivery-Markt um, findet man einige Systeme, mit denen sich die geschilderten Szenarien umsetzen lassen. Wozu benötigen wir also einen Standard? Der Kontext, in dem wir uns bewegen, ist nicht der eigene Geräteschrank. Die Digitalisierung lebt vom Ineinandergreifen von Prozessen. Komponenten, Geräte und Maschinen unterschiedlicher Hersteller stehen nicht allein in der Werkshalle, sondern ergeben ein Gesamtsystem. Dementsprechend sollte Informationssuche herstellerunabhängig und anlagenübergreifend möglich sein, um optimale Ergebnisse zu liefern.
Was muss nun ein Standard mitbringen, um sicherzustellen, dass intelligente, miteinander vernetzbare Informationen („intelligent information“) herstellerunabhängig und systemübergreifend miteinander in maschinenlesbarer Form abgelegt („delivery“) und wiedergefunden („request“) werden können? Was legt iiRDS konkret fest?
Das Objekt der Standardisierung: iiRDS standardisiert ein Dateiformat, das iiRDS-Paket. Es geht nicht um Verfahren oder Protokolle, sondern um eine Datei, die ein iiRDS-Paket darstellt. Dieses Paket ist nicht als Redaktionsformat zum Austausch und zur weiteren Verarbeitung gedacht, sondern für die Publikation von freigegebenem Content.
Ein Grundgerüst für Metainformationen: Der Standard versucht, eine möglichst große Einheitlichkeit für die verwendeten Metainformationen zu erreichen. Das soll die digitale Auswertung dieser Daten erleichtern bzw. erst ermöglichen. Einige Metadaten sind universell, zumindest innerhalb der Technischen Redaktion. Dazu zählt der Produktlebenszyklus, zu dem eine Informationseinheit gehört (Installation, Wartung, …) oder die Dokumentart (Betriebsanleitung, Datenblatt, …). Hier gibt iiRDS nicht nur vor, dass das Metadatum „has-document-type“ heißt, sondern stellt eine passende Auswahlliste von Werten zur Verfügung. Einige Daten sind Zahlen, Datumswerte oder Fließtext. Der Titel eines Dokuments oder Topics heißt als Metadatum „title“, sein Inhalt wird von iiRDS als „literal“ spezifiziert, also Fließtext. Wieder andere Daten, etwa die Zuordnung zu einem Produkt oder einer Baugruppe, sind individuell oder herstellerspezifisch festgelegt. Hier macht der Standard nur Vorgaben, wie der entsprechende proprietäre Wertebereich referenziert werden kann.
Keine Minimal-Information: iiRDS gibt nicht vor, welche Mindestinformation ein Paket enthalten muss. Sie können ein gültiges iiRDS-Pakte ohne jede Metainformation erzeugen. Für produktive Zwecke empfiehlt es sich, eine geeignete Datenmenge vorzusehen.
Das Format für Metainformation: Der Standard legt fest, wie Metadaten für das Paket, die enthaltenen Dokumente und Topics abgelegt werden. Das Paket enthält dafür eine Datei, die dem W3C-Standard RDF („Resource Description Framework“) folgt. RDF ist besonders dafür geeignet, Beziehungen zwischen Objekten darzustellen.
Erlaubte Inhaltsformate: Content in iiRDS-Paketen kann als PDF- oder HTML5-Dateien im Paket abgelegt werden. Es gibt dabei nur wenige Einschränkungen bezüglich der PDF-Version und spezieller HTML5-Elemente. Mediendateien für HTML5 in den gängigen Dateiformation wie PNG oder MP3 sind ebenfalls vorgesehen.
Das Paketformat: iiRDS legt fest, wie eine Datei aufgebaut sein muss, um dem Standard zu entsprechen. Im Grunde handelt es sich um ein ZIP-Archiv mit formatierten Inhaltsdateien und einer Datei mit Metainformationen. Dazu kommt aus technischen Gründen eine Datei, die den „MIME-Type“ des Pakets definiert.
Annäherung an iiRDS
Was bedeutet das alles jetzt für die Technische Redaktion? Was sind die Voraussetzungen, um iiRDS-Pakete zu erzeugen und zu publizieren? Hier folgen einige Tipps, um sich an den Standard heranzutasten.
Sorgen Sie zunächst für einheitliche Dokumentstrukturen und generische Publikationswege. Wenn Sie mit einem XML-Redaktionssystem arbeiten, sind Sie bereits auf einem guten Weg. Wenn Ihr Tool auf Knopfdruck PDF oder HTML5 erzeugen kann, wird sich mit etwas Zusatzaufwand auch iiRDS generieren lassen. Die RDF-Datei mit den Metainformationen müssen Sie auf keinen Fall selbst schreiben.
Definieren Sie klar, welche Informationseinheiten Sie unterstützen wollen. Was ein Dokument ist, lässt sich sehr einfach festlegen. Topics als Sinneinheiten sind nicht ganz so leicht abzugrenzen, vor allem wenn bisher kapitelorientiert gearbeitet wurde. Was Sie als Paket zusammenstellen, hängt von Ihren Freigabe- und Publikationsprozessen ab. Beispielsweise kann ein Paket alle Sprachversionen desselben Dokuments enthalten oder alle Dokumente zu einem Produkt.
Stellen Sie ein für Ihre Zwecke schlüssiges Metadatenkonzept auf. Verwenden Sie dazu zunächst nur die Daten, die für die digitale Bereitstellung wirklich benötigt und von den nachgelagerten Prozessen tatsächlich verwendet werden. Dabei sollte Ihnen das iiDRS-Gerüst als Basis dienen. Versuchen Sie nicht, für Ihr Unternehmen spezifische Metadaten wie die Taxonomie der Produkte oder Baugruppen nur für die Technische Redaktion festzulegen. Koordinieren Sie solche Konzepte mit anderen Abteilungen im Unternehmen. Im Idealfall gibt es eine Taskforce Digitalisierung, an die Sie sich wenden können. Digitalisierung lebt vom reibungslosen Ineinandergreifen von Daten, Informationen und Prozessen.
Seien Sie konsequent. Klassifizieren Sie Informationseinheiten so durchgängig und einheitlich wie möglich. Je konsequenter Sie Metainformationen zuweisen, desto mehr „Intelligenz“ wird Ihre Publikation aufweisen und desto mehr Nutzen wird für die nachgelagerten „intelligenten“ Prozesse und deren Anwender entstehen.
links und literatur zum artikel
[1] iiRDS – The International Standard for Intelligent Information Request and Delivery Homepage des iiRDS-Konsortiums, www.iirds.org
[2] iiRDS – ein Standard für den Content, Themenüberblick im Blog der doctima GmbH, www.doctima.de/2023/12/iirds-standard-content
[3] So schaffen Sie die Digitalisierung, Whitepaper zur Digitalen Transformation in der Technischen Redaktion, www.doctima.de/whitepaper-digitalisierung-technische-redaktion/