Bevor technisches Wissen schriftlich in Dokumenten von Generation zu Generation weitergereicht wurde, gab es bereits eine vorsprachliche und mündliche Vermittlung von Kulturtechniken.
Lernen durch Imitieren
Wir beginnen früh in der Evolution bei den Primaten als unseren unmittelbaren Vorfahren. Mit den Schimpansen teilen wir etwa 95 Prozent der genetischen Ausstattung. Bei Schimpansen finden wir bereits Werkzeuggebrauch. Ein in Feldbeobachtungen und -experimenten gut dokumentiertes Beispiel ist das Termitenfischen. Dazu wird ein Zweig bestimmter Dicke entlaubt und in einen Eingang eines Termitenbaus gesteckt. Wenn sich Termiten festgebissen haben, wird das Stäbchen herausgezogen und die Delikatessen abgeleckt.
Diese Technik wird durch sprachloses Imitationslernen weitergegeben. Ein kleiner Schimpanse beobachtet genau das Vorgehen der Mutter und versucht sich dann selbst am Termitenfischen. Unter Primatologen ist man sich noch uneins, was genau beim Zuschauen gelernt wird. Die einen meinen, nur die Tatsache, dass ein Stäbchen zum Termitenfischen verwendet werden kann: das Know-what. Andere sind der Ansicht, dass auch das erfolgreiche Vorgehen tradiert wird: das Know-how. Auf jeden Fall sind Beobachten und Nachahmen der Ursprung der Weitergabe von Handlungen.
Technik und Sprache
In der Steinzeit beim Homo habilis oder beim Homo erectus wird es ähnlich zugegangen sein. Zentrales Allzweckwerkzeug war der Faustkeil. Mit ihm kann man schlagen, klopfen, ritzen, schaben, graben oder hacken. Die Herstellung ist nicht überliefert. Denn auch hier wurde handwerkliches Wissen wie bei den Primaten von einem Experten zu einem Laien weitergegeben, durch Zeigen und Nachahmen: Welche Steine eignen sich für Faustkeile, welche als Schlaginstrumente? In welchen Winkeln müssen die Abschläge geführt werden? Welche Schlagtechniken gibt es? Experimentelle Archäologen haben mühsam mit Versuch und Irrtum herausbekommen, wie man einen Faustkeil herstellt. So verfügen wir heute über rekonstruierte bildliche Anleitungen zum Herstellen von Steinwerkzeugen (Abb. 01). Einfache Faustkeile benötigen etwa 50 Abschläge, komplexere sogar bis zu 200.

Abb. 01 Abschlagtechniken zur Herstellung von Klingen und einer Pfeilspitze
Einige Anthropologen sind davon überzeugt, dass die Interaktion zwischen Experten und Laien die sprachliche Kommunikation befördert hat. Sie nehmen eine Ko-Evolution der Entwicklung der Sprache und der Herstellung von immer komplexeren Werkzeugen an wie Stichel, Klingen, Pfeilspitzen. [1, 2] Die verbale Instruktion hat einen großen Vorteil: Über Sprache können Handlungen angeleitet, korrigiert und vor allem auch gelobt werden, was für das Lernen als positive Verstärkung sehr wichtig ist. Über viele Jahrhunderte bleibt die sprachliche Unterweisung die Methode der Überlieferung komplexer Handlungen. In der amerikanischen Lernpsychologie wird das „Apprenticeship-Learning“ genannt, auf Deutsch „Meisterlehre“, die sich neben Fachbüchern in vielen Werkstätten bis heute erhalten hat.
Die erste Fachliteratur
Die Situation ändert sich mit der Schrift, die in verschiedenen Regionen der Welt erfunden wurde. Die Schrift setzt eine mediale Basis voraus, eine Unterlage (Papyrus, Leder) und Schreibwerkzeuge (Griffel, Stichel, Stifte). Jetzt konnte Wissen auch handschriftlich weitergegeben werden. Die ersten erhaltenen technischen Fachbücher stammen aus dem Ende des 3. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung. Meist vermitteln sie Kriegstechnik.
Links und Literatur
[1] Leroi-Gourhan, André (1980): Hand und Wort. Die Evolution von Technik, Sprache und Kunst. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
[2] Morgan, Thomas H. et al. (2015): Experimental evidence for the co-evolution of hominin tool-making teaching and language. Nature Communications, 6.1. https://www.nature.com/articles/ncomms7029.pdf

