Vermessung der Psyche

Text: Steffen-Peter Ballstaedt

Die Technische Kommunikation ist historisch in eine breite kulturelle Tradition eingebettet mit Bezügen zu Philosophie, Handwerk, Kunst und Wissenschaft. Heute: psychologische Apparate.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 02:28 Minuten

Im 19. Jahrhundert beginnt sich die Psychologie als eigenständige Wissenschaft aus der Philosophie herauszulösen. 1879 gründet Wilhelm Wundt in Leipzig das erste psychologische Institut. Aber die Abnabelung von der Philosophie verlief nicht glatt. Jahrzehntelang existierten zwei Stränge nebeneinander: eine geisteswissenschaftlich-philosophische Psychologie und eine naturwissenschaftlich-experimentelle Psychologie. Beide Richtungen lagen im Streit miteinander.

Vorbild Physik

Die naturwissenschaftliche Richtung orientierte sich vor allem an den Methoden der Physik: Experimentieren, Zählen, Messen, Rechnen. Für Untersuchungen zur Wahrnehmung, zum Gedächtnis, zur Reaktionsgeschwindigkeit brauchte man in den psychologischen Laboren Messgeräte. Geräte zur Blutdruck- oder Pulsmessung konnte man aus der Medizin entnehmen, andere Geräte stellten Institutsmechaniker nach Skizzen der Wissenschaftler her, die die Experimente durchführten. [1]

Viele Geräte hatten anspruchsvoll klingende griechische Namen: Chronoskope zur Messung der Reaktionszeit, das Haploskop zur Präsentation von visuellen Vorlagen, der Kymograph zur Aufzeichnung rhythmischer Bewegungen, das Tachistoskop zur Darbietung optischer Reize, das Stereoskop zur Tiefenwahrnehmung oder auch das Perimeter zur Bestimmung des Gesichtsfeldes. Diese Einzelanfertigungen wurden bald durch Apparate ersetzt, die feinmechanische Firmen entwickelten und vertrieben. In Leipzig zum Beispiel von Ernst Zimmermann, der seine Apparate in die ganze Welt verschickte. Seine Preislisten umfassen über 200 Apparate. Viele von ihnen wurden auch als Eignungstest für bestimmte Berufe eingesetzt: zur Messung der Fingergeschicklichkeit, der Beidhändigkeit, der Feinmotorik oder der Aufmerksamkeit.

Reaktion in Millisekunden

Die Messung von Reaktionszeiten war ein wichtiges und auch praktisches Untersuchungsfeld: Wie schnell kann eine Person auf bestimmte Reize reagieren? Dazu mussten Geräte eingesetzt werden, die kleinste Zeiten erfassen konnten: Chronoskope, deutsch „Zeitseher“. Das Bekannteste hat der Schweizer Uhrmacher Matthäus Hipp 1848 konstruiert, eine verbesserte Version wurde 1875 produziert. Die überaus komplizierte Anordnung von feinmechanischen und elektronischen Bestandteilen kann man bei Wikipedia anschauen. [2] Eine Versuchsanordnung zeigt Abbildung 01. Das Chronoskop steht in der Mitte. Links davon eine Vorrichtung, mit der Wortpaare präsentiert werden, zum Beispiel in Abbildung 01 „Arm/Gelenk“, welche die Versuchsperson lernen muss (eine Trommel mit weiteren Wortpaaren liegt unterhalb des Geräts). Danach wird eines der Wörter gezeigt, und die Versuchsperson muss das zweite Wort in die Schallschüssel rechts sprechen. Sobald das Reizwort erscheint, wird über einen Stromkreis das Chronoskop gestartet und über einen zweiten Stromkreis wieder angehalten, sobald die Versuchsperson das passende Reaktionswort ausspricht. So kann die Reaktionszeit in Millisekunden genau gemessen werden.

Foto einer Versuchsanordnung mit einen Chronoskop.
Abb. 01 Eine klassische Versuchsanordnung zur Messung der Reaktionszeit aus dem Archiv des Psychologischen Instituts der Universität Zürich. Quelle Henri Gossweiler, Wikimedia Commons

Wenig beeindruckt

Die Experimentatoren konnten den geisteswissenschaftlichen Kollegen aber nicht imponieren. Sie kritisierten die Experimente und deren Befunde als reduziert und elementaristisch, eine Beschreibung der komplexen Psyche einer Persönlichkeit wäre damit nicht zu leisten. Das hatten die naturwissenschaftlichen Psychologen auch nicht im Sinn, sie wollten sozusagen unten anfangen und sich zu höheren psychischen Funktionen hochexperimentieren. Die geisteswissenschaftlichen Psychologen spekulierten weiter über den Geist und die Seele ohne Berücksichtigung empirischer Befunde. Heute werden die meisten Messungen in psychologischen Laboren mit Computerprogrammen durchgeführt. Die historischen Geräte werden in Sammlungen an Universitäten aufbewahrt, etwa im Adolf-Würth-Center for the History of Psychology in Würzburg. [3]

Links und Literatur

[1] Paulitsch, Christian (2011): Psychological instruments. Münster: Verlagshaus Monsenstein.
[2] Ausführliche Beschreibung der Konstruktion des Hipp’schen Chronoskops: de.wikipedia.org/wiki/Hippsches_Chronoskop
[3] Center for the History of Psychology: https://www.uni-wuerzburg.de/en/zgp/archive/apparatus-instruments/