Weniger ist nicht immer verständlicher

Text: Markus Nickl

„Small is beautiful“ lautet ein Sprichwort. Für die Technische Kommunikation trifft es besonders dann zu, kommt der Minimalismus zur Sprache. Minimalismus bedeutet allerdings nicht, Informationen auf ein absolutes Minimum zu reduzieren.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 02:47 Minuten

Minimalismus ist eine der Kernanforderungen für die Informationsqualität von Anleitungen. Gleichzeitig verbirgt sich hinter der Anforderung „Minimalismus“ eine große Gefahr für die Qualität von Anleitungen. Das zeigen Erfahrungen aus anderen Bereichen, zum Beispiel der Gestaltung von Web-Oberflächen. In diesem Beitrag möchte ich zeigen, warum falsch verstandener Minimalismus zum Problem für die Technische Dokumentation werden kann.

Was ist Minimalismus?

Minimalismus gibt es als Forderung bzw. Designkonzept schon seit Langem. Im Kern geht das Konzept wohl auf die Programmatik des Bauhaus’ zurück. Als Leitlinie für Gestaltung wird Minimalismus heute in vielen Bereichen verwendet, zum Beispiel in der Architektur, dem Produkt- und Webdesign und sogar in der Musik. Ziel des Minimalismus ist, durch Reduktion auf das Wesentliche eine besonders gute Funktionalität und Nutzbarkeit zu erreichen. Und tatsächlich kann Minimalismus auch zu einer hohen Nutzbarkeit beitragen. Treibt man ihn aber ins Extrem, dann erschwert Minimalismus Benutzern den Umgang mit dem (Informations-)Produkt. Dies wird zurzeit in der Usability-Forschung und im Webdesign intensiv diskutiert.

Wie kann das schiefgehen?

Minimalismus wird dann zum Problem, wenn er ins Extrem geht und zu einem Dogma wird. Statt sich auf das Wesentliche zu reduzieren, heißt die Leitlinie dann „Je weniger, desto besser!“ Dass das nicht die Lösung sein kann, ist offensichtlich. Denn letzten Endes wäre die beste Anleitung nach dem Motto „Je weniger, desto besser“ gar keine Anleitung. Das wird zwar von manchen Experten auch immer wieder gefordert. Aber zumindest in dieser Fachzeitschrift brauche ich nicht zu begründen, warum das ein illusorischer Wunsch ist.

Im Design von User-Interfaces ist das Minimalismus-Dogma mittlerweile schon ein großes Problem. [1] In der Technischen Redaktion lässt sich das bisher – zum Glück – erst in einigen Ausnahmefällen beobachten. Aber gelegentlich lassen sich etwa Anleitungen finden, die nicht den vollen Funktionsumfang eines Produkts erklären und auch nicht informieren, wo sich weiterführende Informationen finden. Das wäre ein Beispiel für Minimalismus, der zu weit getrieben wurde.

Was sollten Redaktionen tun?

Um Minimalismus nicht zum Dogma werden zu lassen, braucht es drei Dinge: Zielgruppenanalyse, Zielanalyse und ein klares Kommunikationskonzept. Eine Zielgruppenanalyse sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit für Technische Redaktionen sein. Einschlägige Normen wie DIN EN IEC/IEEE 82079-1 oder DIN ISO 24495-1 stellen das deutlich klar. Allerdings fürchte ich, dass viele Redaktionen im Alltag doch nicht dazu kommen. Ohne Zielgruppenanalyse lässt sich aber nicht bestimmen, was die wesentlichen Informationen einer Anleitung sind. Für Zielgruppen mit Einschränkungen beim Verstehen kann es zum Beispiel aus didaktischen Gründen sinnvoll sein, Informationen mehrfach zu wiederholen – was ja streng genommen dem Minimalismus widersprechen würde.

Klar sein sollte auch, welches kommunikative Ziel eine Anleitung verfolgt. Denn je nach Ziel wird sich unterscheiden, was die wesentlichen Informationen sind. Eine Einsteigeranleitung braucht nicht den vollen Funktionsumfang abbilden. Dafür muss sie aber mehr Wert auf die Erklärung von Grundkonzepten legen, die wiederum bei einem Administratoren-Handbuch nicht zum wesentlichen Informationsumfang gehören.

Das Kommunikationskonzept als letzter Baustein betrachtet die Gesamtheit der Dokumentarten und ihr Zusammenspiel. Natürlich muss eine Anleitung nicht sämtliche Funktionen eines Geräts zeigen wie etwa bei einer Kurzanleitung. Aber der Gesamtverbund der Anleitungsdokumente sollte alle Funktionen zugänglich machen. Wenn eine Funktion gar nicht dokumentiert werden muss, ist das übrigens ein Verstoß gegen den Minimalismus – allerdings nicht in der Technischen Redaktion, sondern in der Produktentwicklung.

Minimalismus ist eine gute Richtschnur, um bessere Anleitungen zu produzieren. Wie bei jedem Werkzeug birgt aber auch Minimalismus die Gefahr, dass er zu weit getrieben wird. Technische Redaktionen sollten sich deshalb davor hüten, Minimalismus als Dogma zu verstehen und immer bestimmen, welche Inhalte und Formulierungen wesentlich für den Erfolg der Anleitung sind. Nur dann wird aus wenig nicht zu wenig.

Link zum Artikel

[1] Ullrich, Daniel/Diefenbach, Sarah (2018): Minimal Design, Maximum Confusion. Wie das Minimal Design Dogma die Usability aushebelt. https://dl.gi.de/server/api/core/bitstreams/deef4f0f-77df-40c7-8db7-12313da1a57c/content 

Eine Frau blickt unentschlossen und zuckt die Schultern.