Normgerechter Produktlebenszyklus

Text: Roland Schmeling

Viele Technische Redaktionen sind überlastet und beschränken sich auf Anleitungen für neue Produkte, um lieferfähig zu sein. Die Pflege von Nutzungsinformationen wird vernachlässigt. Dass Informationen über alle Lebensphasen aktuell bleiben, zählt jedoch zu den Grundsätzen der IEC/IEEE 82079-1.

Inhaltsübersicht

Lesedauer: 12:32 Minuten

Die internationale, europäische und deutsche Norm DIN EN IEC/IEEE 82079-1 „Erstellen von Nutzungsinformationen“ sagt es klar: Nutzungsinformationen müssen mit wiederholbaren Verfahren, also ausgearbeiteten, dokumentierten und implementierten Prozessen, entwickelt und vorgehalten werden. Informationen sollen während der gesamten Lebensdauer des Produkts aufbewahrt und aktuell gehalten werden sowie zur Wiederverwendung nutzbar sein.

In früheren Ausgaben der ‚technischen kommunikation‘ wurden bereits grundlegende Aspekte eines Redaktionsprozesses besprochen: das Management von Risiken, Anforderungen, Konfigurationen, Kompetenzen und von Terminologie sowie das Qualitätsmanagement. [1, 2]

Widmen wir uns an dieser Stelle der Frage, was genau unter der vorgesehenen Lebensdauer des Produkts zu verstehen ist und was es bedeutet, die Informationen aktuell zu halten.

Lebensdauer und Lebenszyklus

Die nutzerseitige Lebensdauer eines Produkts ist die Zeit zwischen der Lieferung eines Produkts und seiner abschließenden Außerbetriebnahme. Zwischen diesen Zeitpunkten können viele Jahre oder sogar Jahrzehnte liegen. Die VOITH Druckmaschine PM1 beispielsweise wurde 1928 in Betrieb genommen und verrichtete über 60 Jahre – bis 1991 – ihren Dienst in Bischofszell (Schweiz). In der Verfahrenstechnik sind lange Betriebszeiten keine Seltenheit. Aber auch bei Verbraucherprodukten kann man bisweilen über lange Lebensdauer staunen. So kocht ein guter Freund seinen leckeren Kaffee mit einer Kaffeemaschine, deren Baujahr ich in den 50er Jahren vermute und die ihren Dienst früher in einem Flugzeug der Lufthansa verrichtet hat.

Nutzungsinformationen müssen alle Tätigkeiten umfassen, die während der Lebensdauer des Produkts anfallen. Diese Forderung scheint konsensfähig. Man denkt dabei unwillkürlich an die weitverbreitete Gliederung von Anleitungen, die nach grundlegenden Sicherheitsinformationen und Beschreibungen die Abfolge der Tätigkeiten von Transport und Lagerung über Montage, Inbetriebnahme, Betrieb und Wartung bis zur Außerbetriebnahme nachzeichnet. Hier geht es um die Tätigkeiten aus Nutzersicht: während der Lebensdauer des individuellen Produkts beim Nutzer (Abb. 01).

Übersicht über zehn Aufgaben interner und externer Dokumentation.

Abb. 01 Tätigkeiten von Hersteller und Nutzer während der Produktlebensdauer, im Mittelpunkt die Technische Kommunikation; die interne Technische Dokumentation umfasst beispielsweise Spezifikationen, Stücklisten, Zeichnungen, Prüfprotokolle. Die externe Technische Dokumentation enthält etwa Webseite, Kataloge, Anleitung oder Videos. Der „User-generated Content“ hingegen liegt nicht mehr ausnahmslos in der Kontrolle von Herstellern. Sie haben jedoch die Verpflichtung zur Produktbeobachtung, was auch öffentlich zugängliche Informationen Dritter zu ihren Produkten umfasst. Quelle Roland Schmeling

 

Häufig fällt in diesem Zusammenhang das Wort „Produktlebenszyklus“. Wer jedoch genauer recherchiert, trifft auf eine ganz andere Definition als auf eine Abfolge von Tätigkeiten bei der Produktnutzung. Danach beschreibt der Produktlebenszyklus die Phasen aus Herstellersicht. Diese reichen von der Entwicklung über die Markteinführung, einer Wachstumsphase mit anschließender Reife bis zur Marktsättigung und schließlich dem Rückgang des Produkts. Hier geht es also nicht um die Tätigkeiten von Nutzern an einem individuellen Produkt, sondern um Entwicklung, Produktion, Pflege und Vertrieb von Produkten eines bestimmten Typs über die Jahre hinweg (Abb. 02).

Diagramm eines Produktlebenszyklus.

Abb. 02 Idealisiertes Schema eines Produktlebenszyklus mit Lebensdauer individueller Produkte, die in Verkehr gebracht werden. Dargestellt ist auch die Zeit, die entsprechende Anleitungen zur Verfügung stehen müssen. Dies führt dazu, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt Anleitungen mehrerer Produktversionen verfügbar zu sein haben. Quelle Roland Schmeling

Dieser Produktlebenszyklus kann auch einen langen Zeitraum umfassen. So gibt es Produkte wie den „VW Käfer“, deren Produktlebenszyklus sich über Jahrzehnte erstreckt, in diesem Fall von 1938 bis 2004. In diesem Zeitraum liegen nicht nur viele Produktveränderungen, auch die weltweiten Produktionsstandorte haben mehrfach gewechselt. Andere Produkte haben hingegen kurze Lebenszyklen. So können die Lebenszyklen von Modeartikeln wenige Monate dauern.

Technische Produkte, die sich am Markt als erfolglos erweisen, werden von Herstellern bereits nach kurzer Zeit wieder vom Markt genommen. Und bei Produkten, die von vornherein mit geringen Stückzahlen bis zur Losgröße Eins gebaut werden, kann man schon gar nicht mehr von einem Produktlebenszyklus sprechen.

Vorgesehen und voraussichtlich

Betrachten wir zunächst die Lebensdauer als Abfolge der Tätigkeiten. Was meint die Norm mit der „vorgesehenen“ Lebensdauer? Die normative Anforderung klingt nach Wahlfreiheit des Herstellers. Hier lohnt sich ein Blick in die rechtlichen Anforderungen, die über die normativen Anforderungen hin­ausgehen.

In der Maschinenverordnung 2023/1230 steht zur Lebensdauer: „Wenn die Betriebsanleitung in digitaler Form bereitgestellt wird, muss der Hersteller […] sie während der voraussichtlichen Lebensdauer der Maschine oder des dazugehörigen Produkts und mindestens zehn Jahre lang nach dem Inverkehrbringen der Maschine oder des dazugehörigen Produkts online zugänglich machen.“ Für Medizinprodukte ohne Verfallsdatum werden sogar 15 Jahre gefordert (vgl. (EU) 2021/2226, Artikel 5 (10)). Dieser Zeitraum ist erheblich – wie wir gesehen haben. Für eine Maschine, die über zehn Jahre hinweg produziert wird und voraussichtlich bis zu 30 Jahre hält, muss die Anleitung entsprechend 40 Jahre lang online verfügbar sein.

Bemerkenswert ist, dass nicht von der vorgesehenen, sondern von der voraussichtlichen Lebensdauer die Rede ist. Dies bedeutet, dass der Hersteller nicht frei über die Lebensdauer entscheiden kann, sondern über die voraussichtliche Lebensdauer auf der Basis von Fakten entscheiden muss. Die Möglichkeiten von Herstellern, konstruktive Begrenzungen der Lebensdauer in die Produkte einzubauen, dürften mit den gesetzlichen Vorgaben an die Nachhaltigkeit und Reparierbarkeit von Produkten zunehmend schwieriger werden – eine Entwicklung, die ja durchaus zu begrüßen ist.

Sofern die Betriebsanleitung ausschließlich in Papierform bereitgestellt wird, käme man gemäß Wortlaut der Maschinenverordnung um das Bereithalten der digitalen Anleitung herum. Dies ist jedoch keine realistische Option. Denn erstens erwarten Kunden zunehmend eine digitale Fassung, und zweitens locken Einsparpotenziale für den Druck. Nicht zuletzt gilt drittens die Pflicht zur Bereithaltung der digitalen Betriebsanleitung auch dann, wenn die digitale Betriebsanleitung lediglich zusätzlich bereitgestellt wird.

Außerhalb des Anwendungsbereichs der Maschinenverordnung gehen die Anforderungen in dieselbe Richtung. So ist im Erwägungsgrund (23) der Produktsicherheitsverordnung 2023/988, die ab 13. Dezember 2024 angewendet wird, zu lesen: „Bei der Bewertung der Sicherheit sämtlicher Produkte sollte berücksichtigt werden, dass das Produkt über seine gesamte Lebensdauer sicher sein muss.“ Hersteller dürfen nur sichere Produkte bereitstellen. Die Nutzungsinformationen sind dabei ein Aspekt der Sicherheit ebenso wie die vernünftigerweise vorhersehbare Verwendung. Da vernünftigerweise vorhersehbar ist, dass über die Lebensdauer eines Produkts eine gedruckte Anleitung verloren gehen kann, lässt sich folgern, dass das digitale Bereithalten der Nutzungsinformationen zu einer konkreten Produktversion über dessen Lebensdauer ein sicherheitsrelevanter Faktor ist – auch wenn Artikel 21 der Verordnung die digitale Anleitung als eine zusätzliche Möglichkeit ansieht; immerhin ist dieser Möglichkeit ein eigener Artikel gewidmet.

Damit dürfte es rechtlich zunehmend schwieriger werden, auf die dauerhafte Bereithaltung der Nutzungsinformationen und Anleitungen in digitaler Form auch zu früheren Produktversionen zu verzichten. Auf den Webseiten, auf denen Anleitungen zum Download existieren, müssen also auch die Anleitungen zu früheren Produktversionen vorhanden sein. Wenn beispielsweise davon auszugehen ist, dass ein Produkt eine Lebensdauer von 15 Jahren hat und das Produkt über einen Produktlebenszyklus von zehn Jahren vertrieben wird, muss die Anleitung zu diesem Produkt mindestens 25 Jahre verfügbar sein.

Oft wird übersehen, dass Nutzungsinformationen, die auf einer Webseite oder über ein Content-Delivery-Portal bereitgestellt werden, nicht nur die letzte Version der Nutzungsinformationen umfassen dürfen. Ein Nutzer, der eine fünf Jahre alte Version eines Produkts verwendet, benötigt die Informationen zu dieser Produktversion. Die aktuelle Version kann erheblich verändert worden sein. Funktionen können hinzugekommen oder wegfallen sein, oder die Verwendung des Produkts oder nutzungsrelevante Design-Merkmale wurden aktualisiert. Das tritt natürlich auch auf Ersatzteile zu.

Unternehmen reagieren unterschiedlich auf diese Anforderung. Wichtig ist, dass Nutzer eindeutig die Version der Anleitung identifizieren können, die zur Produktversion passt. Diese Anforderung ist leicht nachvollziehbar und geht auch aus dem Abschnitt 7.2 der Norm zur eindeutigen Identifikation von Anleitungen hervor.

Dies bedeutet zudem, dass häufig zur gleichen Zeit mehrere Anleitungen für die unterschiedlichen Produktversionen verfügbar sein müssen. Webseiten, auf denen Anleitungen zum Download bereitgestellt werden, müssen diese Anleitungen bereithalten (Abb. 02).

Immer aktuell?

Im Gegensatz zu Verbraucherprodukten, deren eigenmächtiger Umbau durch Verbraucher in der Regel gefährlich und daher nicht vorgesehen ist, macht der Anlagenbau einen grundsätzlichen Unterschied. Die „As-built-Dokumentation“ bereitzustellen, kann für Anlagenbauer schon eine große Herausforderung sein, angesichts vieler Last-minute-Änderungen an einer Anlage, die industrielle Betreiber während der Inbetriebnahme einfordern. Kaum läuft die Anlage, wird schon angepasst, geändert, programmiert, hinzugefügt, demontiert, geschweißt, geschraubt. Hört sich wild an? Ist auch so.

Von einer Anleitung, die ein Hersteller aktuell hält, ist man im Anlagenbau weit entfernt. Und man darf auch am Nutzen einer solchen Aktualisierung zweifeln, denn ein industrieller Betreiber wird auf Basis der Herstellerinformationen seine Betriebsdokumentation aufbauen und die Tätigkeitsbeschreibungen der Anlagendokumentation nach seinen Bedürfnissen in Betriebs- und Arbeitsanweisungen umsetzen.

Dass in diesem Medienbruch zwischen Anlagendokumentation des Herstellers und der Betreiberdokumentation ein großes Potenzial liegt, ist bekannt. Wenn die Informationen eines Herstellers dem Betreiber einer Anlage als PDF bereitgestellt werden, können diese Informationen vom Betreiber nicht an Umbauten angepasst werden. Auch wenn das Verhältnis zwischen einem Anlagenhersteller und einem Anlagenbetreiber nicht ausdrücklich von der Norm adressiert wird, lässt sich doch erkennen, dass sich die Norm gegen Medienbrüche wendet, die einen durchgängigen Informationsfluss behindern.

Initiativen wie mumasy, DITA oder iiRDS versuchen, eine technische Brücke über diesen Medienbruch zu bauen. Doch Betreiberdokumentationen werden häufig von QM-Abteilungen der Betreiber geführt, die selten Berührung mit den Methoden und Technologien des Informationsmanagements der Hersteller haben. Hier muss nicht nur eine technologische, sondern vor allem eine organisatorische Brücke entstehen. Mit den Initiativen rund um Industrie 4.0 besteht dafür erstmals eine realistische Chance.

Direkt vom Nutzer

Der Blick in den Anlagenbau macht deutlich, dass auch Nutzer Informationen erstellen und pflegen – eben nicht nur im Anlagenbau. Diese Informationen nennen wir „User-generated Content“ (Abb. 01). Dazu ein paar Beispiele:

  • Ein Anwender schreibt ein Buch zu einer weitverbreiteten Software.
  • Der Betriebsleiter einer Seilbahn schreibt Kurzanleitungen für sein Personal und klebt die Zettel an die Anlage.
  • Eine Community von Bastlern dreht Einbau- und Reparaturvideos für Wohnmobil-Heizungen und ver­öffentlicht sie auf einer Videoplattform.
  • Liebhaber eines Motorradherstellers tauschen sich in einem Forum über Umbauten, Tuning und Individualisierungen der Motorräder aus.

Diese „Nutzungsinformationen“ sind zumeist dem direkten Zugriff der Hersteller entzogen. Ein mangelhaftes Buch zur Software erfordert eher keine Reaktion; die Bewertungen auf einem Verkaufsportal erledigen das von selbst. Von den Zetteln, die sich ein Anlagenbetreiber an die Maschine klebt, bekommt bestenfalls der Service etwas mit – und kann, ja er muss bei möglichen Gefahren reagieren. Reparaturvideos von Dritten oder gefährliche Ratschläge im Forum hingegen erfordern eine Reaktion des Herstellers im Rahmen seiner Produktbeobachtung, zu der er verpflichtet ist.

Die Forderung der Norm nach Pflege der Informationen über die Lebensdauer des Produkts sollte auch auf die Beobachtung von „User-generated Content“ und das korrigierende Eingreifen bezogen werden.

Kanäle für Informationen

Wenn die Norm über Nutzungsinformationen spricht, meint sie alle Informationskanäle. Dies legt sie im Kapitel 1 „Anwendungsbereich“ deutlich dar. Wenn demnach von Aktualisierung und Bereithaltung der Nutzungsinformationen die Rede ist, sind möglicherweise nicht nur die Anleitungen, sondern zahlreiche andere Informationen betroffen. Sie werden auf der Webseite, dem Produkt selbst, in seiner Software oder in Schulungen sowie auf Portalen bereitgestellt. Einen Überblick zeigt Abbildung 03.

Überblick über Informationskanäle.

Abb. 03 Informationskanäle, die gepflegt und konsistent gehalten werden müssen.  Quelle Roland Schmeling

Dabei sollten Sie sich ins Gedächtnis rufen, dass alle diese Informationen nicht nur gepflegt werden müssen; sie müssen vor allem dauerhaft konsistent sein. Die Pflege der Anleitung allein genügt nicht: Wenn technische Daten, Ersatzteile oder Softwarefunktionen sich ändern, müssen Informationen parallel an vielen Stellen koordiniert verändert und versioniert werden. Je mehr durch die Digitalisierung und Verzahnung die Nutzungsinformationen transparenter werden, für Nutzer, für Behörden und für Gerichte, desto größer wird die Notwendigkeit, diese medienübergreifende Pflege der Nutzungsinformationen zu organisieren. Viele Unternehmen stellt dies vor große Herausforderungen.

Was passiert am Ende?

Das Kreislaufwirtschaftsgesetz KrWG vom 24. Februar 2012 legt nach der Außerbetriebnahme die folgende Abfallhierarchie fest:

  1. Vermeidung
  2. Vorbereitung zur Wiederverwendung
  3. Recycling
  4. sonstige Verwertung, insbesondere energetische Verwertung und Verfüllung
  5. Beseitigung

Mit dem zunehmenden Druck auf die Hersteller, ihre Produkte nachhaltig zu produzieren, steigen auch die Anforderungen an die bereitzustellenden Informationen. So reicht es nicht aus, ein paar grundlegende Aussagen zur Entsorgung zu machen. Vielmehr müssen Hersteller umfangreiche Informationen zu Abfallvermeidung, Weiter- und Wiederverwendung, den enthaltenen Wertstoffen und ihren Ausbau und Recycling bis hin zu den Risiken der Beseitigung geben.

Die in Vorbereitung befindliche Verordnung über das Recht von Verbrauchern auf eine Reparatur ihrer Produkte stellt klar, dass die Reparaturinformationen auch für unabhängige Reparaturbetriebe bereitgestellt werden müssen. Bislang sind von dem Entwurf erfasst: Waschmaschinen, Wäschetrockner, Kühlgeräte, Bildschirme, Schweißgeräte, Staubsauger, Datenspeicher, Mobiltelefone und Tablets. Es ist zu erwarten, dass weitere Produktbereiche folgen, wenn diese für die Nachhaltigkeit eine Rolle spielen.

Wenn sich erst einmal durchgesetzt und herumgesprochen hat, dass Hersteller Reparaturinformationen zu ihren Produkten zu veröffentlichen haben, dürften sich wiederum die Erwartungen von Käufern an die Reparaturfähigkeit von Produkten verändern. Dadurch geraten die Hersteller zunehmend unter Druck, wenn ihre Produkte bestimmte Anforderungen an die Reparierbarkeit nicht erfüllen.

Änderungen im Lebenszyklus

Zu Beginn haben Sie gelesen, dass der Produktlebenszyklus nicht zu verwechseln ist mit den Tätigkeiten, die während der Lebensdauer eines Produkts anfallen. Der Produktlebenszyklus ist geprägt von einer Produktpflege und dem dabei notwendigen Änderungsmanagement.

Eine weitverbreitete Sicht ist, dass Nutzungsinformationen nur dann geändert werden, wenn informationsrelevante Änderungen am Produkt stattfinden. Doch diese Sicht ist falsch.

Richtig ist, dass Nutzungsinformationen zu einem Produkt auch geändert werden müssen, wenn eine relevante Anforderung an die Informationen hinzukommt oder sich ändert. Einige Beispiele:

  • Ein Gesetz fordert eine neue Pflichtangabe, beispielsweise zu Lärm und Vibration, zu den enthaltenen Materialien oder zur Konformität.
  • Eine Aktualisierung einer Norm, zu deren Einhaltung das Unternehmen sich verpflichtet hat oder aufgrund einer Zertifizierung oder eines Gesetzes verpflichtet ist, erfordert eine Änderung in den Nutzungsinformationen.
  • Eine Marktaufsicht moniert eine Abweichung der Nutzungsinformationen von den gesetzlichen Anforderungen.
  • Eine zusätzliche Sprache ist erforderlich, etwa weil das Vertriebsgebiet erweitert wird, weil vertragliche Anpassungen gegenüber Händlern dies erfordern oder eine Marktaufsicht eine fehlende Sprache moniert.
  • Ein Fehler in der Anleitung führt zu einem Risiko und erfordert eine zwischenzeitliche Änderung, die nicht bis zur nächsten Produktänderung warten kann.
  • Ein Risiko wird im Nachhinein erkannt, das eine zusätzliche Warnung in der Anleitung erfordert.

Dementsprechend kann es vorkommen, dass Nutzungsinformationen deutlich häufiger angepasst werden müssen als die Produkte selbst (Abb. 04).

Anforderungen und deren Management mit dem angestrebten Ergebnis.

Abb. 04 Die Aufgabenstellung von Anforderungsmanagement in der Technischen Kommunikation.  Quelle Roland Schmeling

Herstellern, die den Änderungsprozess mit der Produktaktualisierung verbinden, entgehen also die notwendigen Änderungen der Nutzungsinformationen, die zwischen den Produktänderungen liegen. Die Folge sind Nutzungsinformationen, die den Anforderungen nicht entsprechen – mit allen haftungsrechtlichen Konsequenzen, wenn dies aufgedeckt wird.

Es kommt noch dicker: Gerade diese Pflegearbeiten an den Informationen fallen bei Ressourcenmangel als Erstes durch das Raster. Wenn die Technische Redaktion personell unzureichend ausgestattet ist, haben die Anleitungen für neue Produkte meist Vorfahrt. Die Pflege unterbleibt, und Haftungsrisiken sammeln sich unbemerkt an. Oft werden die sich ändernden Anforderungen nicht einmal sorgfältig recherchiert; Hersteller dümpeln im Nebel der Unwissenden vor sich hin. Man darf spekulieren, wie lange dies in Zeiten zunehmender Digitalisierung gut geht. Denn in dem Maße, wie Hersteller beispielsweise über den digitalen Produktpass zur digitalen Bereitstellung von Nutzungsinformationen verpflichtet werden, dürfte sich auch die Marktaufsicht digitaler Methoden bedienen, um eine lückenlosere Überwachung der Erfüllung gesetzlicher Anforderungen zu prüfen.

Was fordert die Norm?

Aus unseren Überlegungen können wir zusammenfassend die folgenden Anforderungen aus der Norm herauslesen:

  • Der Hersteller muss alle relevanten Inhalte der Nutzungsinformationen über den Lebenszyklus des Produkts aktuell halten. Die relevanten Inhalte umfassen dabei alle Tätigkeiten der vorhersehbaren Nutzer während der Lebensdauer des Produkts im Rahmen der bestimmungsgemäßen als auch der vernünftigerweise vorhersehbaren Verwendung.
  • Der Hersteller muss bei der Pflege der Informationen alle Informations­kanäle berücksichtigen. Die Gesamtheit aller Nutzungsinformationen ist dabei häufig mehr als lediglich eine Anleitung und umfasst Informationen auf der Webseite, auf und im Produkt und auf Verpackungen, in Schulungsunterlagen oder auf Videoportalen.
  • Der Hersteller muss zudem Informationen berücksichtigen, die am Ende der Lebensdauer benötigt werden. Dabei ist die Lebensdauer unter den Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit erst zu Ende, wenn das Produkt zerlegt, recycelt und/oder entsorgt ist. Informationen über Zerlegen, enthaltene Wertstoffe und Risiken bei der Entsorgung fallen ebenfalls in den Bereich der Informationen, die während der Lebensdauer benötigt werden.
  • Der Hersteller muss digitale Nutzungsinformationen über die Lebensdauer des Produkts bereitstellen und bereithalten. Die Lebensdauer darf dabei nicht willkürlich festgelegt, sondern muss auf Fakten gegründet werden und kann abhängig vom Produkt Jahrzehnte umfassen.
  • Der Hersteller muss eine geeignete Verwaltung für Versionierung und die Gültigkeiten der Informationen mit Blick auf die Produktversionen implementieren und pflegen, um den Anforderungen der Norm an die Aktualisierung und Wiederverwendung gerecht werden zu können.
  • Der Hersteller sollte nicht nur die von ihm selbst produzierten Nutzungsinformationen berücksichtigen; der Hersteller sollte User-generated Content beobachten und bei der Pflege und Aktualisierung der Nutzungsinforma­tionen berücksichtigen.
  • Der Hersteller muss sicherstellen, dass der Änderungsprozess alle notwendigen Änderungen an den Nutzungsinfor­mationen berücksichtigt, auch zwischen Produktänderungen.
  • Der Hersteller muss die für die Pflege der Nutzungsinformationen erforderlichen Ressourcen bereitstellen.

Bei Produkten, die verändert werden, insbesondere im Anlagenbau, wechselt dabei in der Regel die Verantwortung: Während der Hersteller eine As-built-Information bereitstellt, obliegt es in der Regel dem Betreiber, den Änderungen an der Anlage informationsseitig gerecht zu werden.

Literatur zum Artikel

[1] Hattemer, Marco (2024): Der Weg ist das Ziel. In: technische kommunikation, H. 1, S. 35–38.
[2] Hattemer, Marco (2024): Wie viel Qualität darf es denn sein? In: technische kommunikation, H. 3, S. 32–35.

Ein Mann schraubt die Rückseite einer Waschmaschine auf.